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Nr. 171 Ministerkonferenz, Wien, 5. Juni 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet (RS. Klaps); VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 6. 6.), Thun 7. 6., Nádasdy 7. 6., Gołuchowski 8. 6., Thierry 8. 6., Plener 9. 6., FML. Schmerling 10. 6.

MRZ. – KZ. 2010 –

Protokoll vom 5. Juni 1860 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten und Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen Rechberg.

I. Definitive Herstellung der Verbindungsbahn zwischen dem Nord- und Südbahnhofe

Der Leiter des Finanzministeriums Reichsrat v. Plener referierte über die Notwendigkeit, die Verbindungsbahn zwischen dem Nord- und Südbahnhofe definitiv auszubauen. Dermal ist nämlich sowohl die Überbrückung der Donau als auch ein Teil des Viadukts am Praterstern bloß aus Holz hergestellt, und kann dessen längere Dauer nicht verbürgt werden1. Die vollständige Herstellung der fehlenden Bahnteile aus Stein und Eisen muß kontraktmäßig binnen zwei Monaten bewirkt werden, und es frägt sich nun, wann die Bauunternehmer angewiesen werden sollen, ihre Arbeiten zu beginnen. Weil während der Dauer dieser Arbeiten die Bahnverbindung unterbrochen sein würde, hielt es Reichsrat v. Plener für notwendig, die Frage über den Beginn der Arbeiten in der Konferenz zur Sprache zu bringen, um so auf dem kürzesten Wege die in politischer und militärischer Beziehung etwa obwaltenden Anstände kennenzulernen.

FML. Ritter v. Schmerling äußerte, daß gegenwärtig und auch in der nächsten Zukunft keine größeren Truppenbewegungen von der Nord- zur Südbahn in Aussicht stehen. Für die späteren Monate lasse sich gegenwärtig noch nichts prognostizieren, da hiebei die politischen Verhältnisse maßgebend sein werden. aDeshalb scheint wünschenswert, daß diese Bauten so bald als tunlich in Angriff genommen und ausgeführt würden.a Der Ministerpräsident bemerkte, daß für den Augenblick allerdings keine nahe Kriegsgefahr vorhanden sei, allein er könne keine Verantwortung für eine längere Dauer der friedlichen Verhältnisse übernehmen.

Reichsrat v. Plener erwiderte, daß unter diesen Umständen angezeigt wäre, den notwendig gewordenen Umbau in den Monaten Juli und August vornehmen zu lassen. Schließlich empfahl der Ministerpräsident die möglichste Beschleunigung || S. 232 PDF || dieser Arbeiten, welche womöglich noch im laufenden Monate zu beginnen wären2.

II. Korrespondenz der Ministerien mit den Unterbehörden in Ungarn

Der Ministerpräsident teilte mit, FZM. Ritter v. Benedek habe bei Sr. Majestät darüber Beschwerde geführt, daß einige Minister im Widerspruche mit der anno 1853 Ah. erlassenen Instruktion mit den ungarischen Unterbehörden direkt korrespondieren, sodaß der Feldzeugmeister nicht in fortgesetzter Kenntnis der schwebenden Unterhandlungen sei3.

Die Minister des Kultus und der Justiz äußerten, daß ihnen von einer solchen Umgehung des Feldzeugmeisters bei Erlässen aus ihren Ministerien nichts bekannt sei; doch würden sie von nun an die Einhaltung des vorgeschriebenen Geschäftsganges sorgfältig überwachen.

III. Änderung in dem Wuchergesetze

Der Justizminister referierte über die bisherigen Verhandlungen bezüglich der Aufhebung, Abänderung oder Revision der bestehenden Wuchergesetze4 und las zuerst seinen anverwahrten lithographierten Vortrag Ab, dann das beiliegende geschriebene Referat Gc, endlich die drei alternativen Entwürfe und zwar Entwurf I des Patents nach dem Antrage des Justizministers, an welchem Graf Nádasdy auch jetzt noch festhalten müsse; Entwurf II des Patents nach dem Antrage der Majorität der legislativen Sektion im Justizministerium, und III. den vom Minister des Inneren vorgeschlagenen Entwurf zur Abänderung der §§ 994, 995 und 996 des ABGB, Dd .

Der Kultusminister erklärte sich (im Nachhange zu seiner Abstimmung in den Konferenzen am 23. und 25. Februar 1858) gegen jede Erhöhung des bisherigen gesetzlichen Zinsfußes. Graf Thun würde einverstanden gewesen sein, in Ungarn bei Einführung des ABGB5 den landesüblichen 6%igen Zinsfuß dort noch länger beizubehalten. Da es aber damals nicht geschehen ist und mittlerweile über 100 Millionen Hypothekarschulden in Ungarn zu 5% kontrahiert wurden, so sei eine Rückkehr auf den früheren Zinsfuß nicht mehr rätlich. Man gebe sich einer Täuschung hin, wenn man glaubt, daß durch Erhöhung des gesetzlichen Zinsfußes um ein Prozent dem Grundbesitze große Kapitalien zufließen werden, so lange die Geldanlage in Staatsobligationen 7 bis 8% einträgt. || S. 233 PDF || Die einzige und zwar beklagenswerte Folge dieser Erhöhung werde sein, daß alle Hypothekargläubiger von nun an 6% begehren werden, wobei der Grundbesitzer nicht bestehen kann. An einem seit einem Jahrhundert bestehenden und in alle nationalökonomischen Interessen so tief eingreifenden Verhältnisse sei es nicht rätlich, etwas zu ändern. Jedenfalls hätte man vor allem abzuwarten, bis die in den Kronländern sich bildenden Hypothekaranstalten ihre Wirkungen geäußert haben. Auch die vom Minister des Inneren vorgeschlagene Erhöhung der Verzugszinsen scheine ihm nicht hinreichend motiviert; höchstens könne er dafür stimmen, daß der Schuldner auch gewisse kleine Nebengebühren, als die Einkommensteuer, Quittungsstempel und Einverleibungsgebühr, auf sich nehme. Die Assekuranz der Interessen und Kapitalszahlung aber wäre schon eine zu große Last. Den über 5% bedungenen Zinsen wäre kein Klagerecht zuzuerkennen, ohne jedoch deswegen eine Strafsanktion eintreten zu lassen, ewenn nicht besondere sträfliche Momente vorliegene, nur die wucherischen Geschäfte, wobei die Notlage oder die Unerfahrenheit eines Schuldners auf unmoralische Weise ausgebeutet foder die Belastung des Schuldners durch unklare Kontraktsbedingungen verschleiertf wurde, wären zur Strafe zu ziehen, gwie solches durch die neuere Gesetzgebung in mehreren deutschen Staaten (vgl. Rizy über Zinstaxen und Wuchergesetze, Seite 201) der Fall ist. Durch solche gesetzliche Bestimmungen würden auch Verträge, durch welche der Schuldner die Bestreitung der Stempel- und Intabulationskosten übernimmt, für zulässig erklärt werden können. Zu solchen Nebenkosten auch Assekuranzprämien zu rechnen, schien ihm nicht begründet. Wenn der Gläubiger hypothekarische Sicherheit bietet und der Schuldner noch eine weitere Sicherheit wünscht, so scheine es wohl billig, daß er die Kosten desselben nicht auch dem Gläubiger aufbürde. Gleichwohl gibt Votant zu, daß diese Frage nicht in gleicher Linie mit der Erhöhung des gesetzlichen Zinsfußes stehe und eher dem Übereinkommen der Parteien überlassen werden könnte.g wie solches durch die neuere Gesetzgebung in mehreren deutschen Staaten (vgl. Rizy über Zinstaxen und Wuchergesetze, Seite 201)6 der Fall ist. Durch solche gesetzliche Bestimmungen würden auch Verträge, durch welche der Schuldner die Bestreitung der Stempel- und Intabulationskosten übernimmt, für zulässig erklärt werden können. Zu solchen Nebenkosten auch Assekuranzprämien zu rechnen, schien ihm nicht begründet. Wenn der Gläubiger hypothekarische Sicherheit bietet und der Schuldner noch eine weitere Sicherheit wünscht, so scheine es wohl billig, daß er die Kosten desselben nicht auch dem Gläubiger aufbürde. Gleichwohl gibt Votant zu, daß diese Frage nicht in gleicher Linie mit der Erhöhung des gesetzlichen Zinsfußes stehe und eher dem Übereinkommen der Parteien überlassen werden könnte.

Der Minister des Inneren motivierte seine besondere Meinung, wonach drei Paragraphe des ABGB. umzuändern wären, umständlich. Für eine volle Freigebung des Zinsfußes könne er nicht stimmen, aber es scheine ihm nötig, sowohl den Hypothekarschuldnern als den Chirographarschuldnern7 (mit Ausnahme der Handelsleute) einen Schutz gegen zu hohe Zinsforderung zu gewähren. Den gegenwärtigen Verhältnissen würde es entsprechen, das Maximum des gesetzlichen Zinses auf 6% zu erhöhen, wobei viele Geldbesitzer geneigt sein werden, ihr Geld lieber in Hypotheken als in Staatsobligationen hvon veränderlichem Kurseh anzulegen. Notorisch ist zu 5% selbst auf gute Hypotheken kein Geld zu bekommen, und wenn in Ungarn 130 Millionen á 5% eloziert || S. 234 PDF || worden sind, so ist das wahrscheinlich nur die Folge des Zwanges, dem die Stiftungs- und Pupillarkapitalien unterliegen, oder des Umstandes, daß nebst den einbekannten 5% noch im Stillen weit mehr Perzente aufgezahlt werden. In Galizien wenigstens bekommt niemand mehr ein Hypothekardarleihen á 5%. Im Interesse des Grundbesitzers also müsse das gesetzliche Zinsenausmaß erhöht werden; insoferne aber die Aufbürdung der Assekuranz als eine zu große Last für den Schuldner betrachtet wird, sei Graf Gołuchowski einverstanden, daß die diesfällige Bestimmung aus dem von ihm beantragten Zusatze des § 696 weggelassen werde. Die Erhöhung der Verzugszinsen sei in seinem Entwurfe D hinlänglich motiviert, entspreche der Billigkeit und vermindere die Vorteile, welche aus der Nichterfüllung einer Verbindlichkeit für den Schuldner erwachsen. Der Justizminister war mit den Anträgen des Ministers des Inneren bezüglich der Verzugszinsen vollkommen einverstanden.

Der Reichsrat v. Plener , mit den vom Finanzminister Freiherrn v. Bruck über die Wucherfrage entwickelten Ansichten8 vollkommen einverstanden, kann sich nur auf die für eine volle Freiheit des Zinsfußes bereits im Laufe der Verhandlung geltend gemachten triftigen Gründe berufen. Die Erhöhung des gesetzlichen Zinsfußes von 5 auf 6% könnte er nur als eine halbe Maßregel betrachten und somit durchaus nicht bevorworten. Die Geldverhältnisse haben seit dem Erlasse der Wuchergesetze einen ungeheuren Umschwung genommen, iwelche schon itzt die Bestimmungen des ABGB. über den Darlehensvertrag größtenteils unbrauchbar erscheinen lassen, indem bei allen Lotteriepartialen, Aktien- und Wechselgeschäften der Gläubiger einen ganz anderen Wert zurück erhält, als welchen er gab (welch letzteres vom Gesetze gefordert wird).i welche schon itzt die Bestimmungen des ABGB. über den Darlehensvertrag größtenteils unbrauchbar erscheinen lassen, indem bei allen Lotteriepartialen9, Aktien- und Wechselgeschäften der Gläubiger einen ganz anderen Wert zurück erhält, als welchen er gab (welch letzteres vom Gesetze gefordert wird). Die Zeit der patriarchalischen Bevormundung im Handel und Wandel, der Satzungen und gesetzlichen Preistarifej hat aufgehört, kdie Beschränkungen des Zinsfußes sind als Gesetzgebungsakte in jene Rubrik zu registrieren, in welche die Bestimmungen gegen Kornwucher, Vorkauf usw. gehören; alles wohlgemeinte, jedoch vom ängstlich unfreien Standpunkte gegebene Maßregeln einer väterlichen, die Untertanen als Kinder am Gängelbande führenden Staatsregimes und in geradem Widerspruche mit einer naturgemäßen freien Entwicklung und Bewegung der Kräfte. Das Geld hat mehr als irgend ein Objekt den Charakter der Flüssigkeit an sich und folgt nur der durch Nachfrage und Angebot begründeten Bewegung. Diese aufzuhalten ist die Staatsverwaltung mit allen Verboten und Beschränkungen nicht in der Lage, ja derlei Prohibitionen demoralisieren im höchsten Grade, erhöhen die Prämien der Kontravention und bedrücken die Geldbedürftigen noch weit mehr als die natürlichen Wirkungen eines gesunden, weil freien Verkehrs. Es ist eine beklagenswerte Erscheinung in vielen Vorgängen der österreichischen Regierung, daß sie, das Bedürfnis einer Änderung und Aufhebung beengender Verbote gleichsam instinktmäßig herausfühlend, sich zwar anschickt, einen Schritt vorwärts zu gehen, aber dabei wieder einen halben Schritt zurück macht und ängstlich und unfrei von Vorurteilen für das Althergebrachte so häufig sich mit halben Maßregeln begnügt, die weit mehr schaden, als wenn es ganz bei dem alten bliebe. Eine derlei halbe Maßregel erblicke ich in dem Entwurfe I und entscheide mich daher für die gänzliche Aufhebung der Zinsfußnormierung und sofort für die Beratung des Entwurfes II. Österreich muß sich in öffentlichen Angelegenheiten den modernen Anschauungen erschließen und diesen Standpunkt in jeder Frage, somit auch in der vorliegenden mit Mut und Vertrauen einnehmen.k die Beschränkungen des Zinsfußes sind als Gesetzgebungsakte in jene Rubrik zu registrieren, in welche die Bestimmungen gegen Kornwucher, Vorkauf usw. gehören; alles wohlgemeinte, jedoch vom ängstlich unfreien Standpunkte gegebene Maßregeln einer väterlichen, die Untertanen als Kinder am Gängelbande führenden Staatsregimes und in geradem Widerspruche mit einer naturgemäßen freien Entwicklung und Bewegung der Kräfte. Das Geld hat mehr als irgend ein Objekt den Charakter der Flüssigkeit an sich und folgt nur der durch Nachfrage und Angebot begründeten Bewegung. Diese aufzuhalten ist die Staatsverwaltung mit allen Verboten und Beschränkungen nicht in der Lage, ja derlei Prohibitionen demoralisieren im höchsten Grade, erhöhen die Prämien der Kontravention und bedrücken die Geldbedürftigen noch weit mehr als die natürlichen Wirkungen eines gesunden, weil freien Verkehrs. Es ist eine beklagenswerte Erscheinung in vielen Vorgängen der österreichischen Regierung, daß sie, das Bedürfnis einer Änderung und Aufhebung beengender Verbote gleichsam instinktmäßig herausfühlend, sich zwar anschickt, einen Schritt vorwärts zu gehen, aber dabei wieder einen halben Schritt zurück macht und ängstlich und || S. 235 PDF || unfrei von Vorurteilen für das Althergebrachte so häufig sich mit halben Maßregeln begnügt, die weit mehr schaden, als wenn es ganz bei dem alten bliebe. Eine derlei halbe Maßregel erblicke ich in dem Entwurfe I und entscheide mich daher für die gänzliche Aufhebung der Zinsfußnormierung und sofort für die Beratung des Entwurfes II. Österreich muß sich in öffentlichen Angelegenheiten den modernen Anschauungen erschließen und diesen Standpunkt in jeder Frage, somit auch in der vorliegenden mit Mut und Vertrauen einnehmen. Daß dieser Schritt ohne Gefahr gemacht werden könne, beweisen die Erfahrungen in Preußen, England, Sardinien; aber nicht bloß vom nationalökonomischen, sondern auch vom rein finanziellen Standpunkte walte kein Bedenken gegen die Aufhebung der Wuchergesetze, indem ichl von der Freigebung des Zinsfußes keine nachteilige Rückwirkung auf den Kurs der Staatsobligationen besorge.

Der Polizeiminister und FML. Ritter v. Schmerling stimmten mit dem Reichsrat v. Plener, ebenso der Ministerpräsident , welcher dabei bemerkte, daß die auf den Wucher festgesetzten Strafen statt ihn zu hindern, nur die wucherischen Zinsen noch erhöhen, weil der Darleiher in dieser Erhöhung einen Ersatz für die Nachteile aus einer allfälligen gerichtlichen Verfolgung suchen muß. Graf Rechberg erklärte übrigens, daß er die Frage über die Wuchergesetzgebung als eine offene Frage betrachte, worüber jedem Minister die Vertretung seiner eigenen Meinung anheimgestellt bleibe10.

Der Justizminister wird den Majoritätsbeschluß nach dem Antrage des Reichsrates v. Plener mdurch ein Komitee bestehend unter Vorsitz des Sektionschefs v. Hye aus Mitgliedern der Ministerien des Äußern, der Finanzen, der Polizei und des hohen Armeekommandosl formulieren lassen, sohin in der Konferenz vorlesen und nach erfolgter Genehmigung samt den übrigen Varianten Sr. Majestät mit au. Vortrag überreichen11.

Am 6. Juni 1860. Rechberg. Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, 24. Juni 1860.