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Nr. 315 Ministerkonferenz, Wien, 17. November 1855 – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Buol 24. 11.), Bach (20. 11.), K. Krauß (20. 11.), Toggenburg, Bruck (20. 11.), Kempen (21. 11.), F. Thun; abw. Thun.

MRZ. – KZ. 3693 –

Protokoll I der am 17. November 1855 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät abgehaltenen Konferenz.

I. Die Revision der Instruktion für die Zivilabteilung des lombardisch-venezianischen Generalgouvernements

Se. k. k. apost. Majestät geruhten die Konferenz mit der Ah. Mitteilung zu eröffnen, Graf Rechberg sowohl als Graf Friedrich Thun hätten während ihrer Dienstleistung an der Seite des Feldmarschalls Grafen Radetzky die Überzeugung gewonnen, daß die am 7. April 1853 vorgezeichnete Instruktion für das Generalgouvernement manche erhebliche Unzukömmlichkeiten enthalte, welche im Interesse des Ah. Dienstes dringend der Abhilfe bedürfen1:

Der Ah. Wille gehe dahin, 1. daß diese Instruktion sorgfältig revidiert und das lombardisch-venezianische Generalgouvernement sofort mit allen zu einer gedeihlichen Wirksamkeit nötigen Rechten ausgestattet werde, und 2. daß man auch insbesondere in jenem Lande allseitig erkenne, daß dieses Gouvernement nicht bloß eine vorübergehende, gewissermaßen auf die Lebensdauer des Feldmarschalls beschränkte Einrichtung, sondern ein bleibendes Institut sei, welches Se. Majestät abgesehen von persönlichen Verhältnissen aufrecht zu erhalten entschlossen sind. Se. Majestät der Kaiser forderten hierauf den Chef der Zivilabteilung des lombardisch-venezianischen Generalgouvernements Graf Thun auf, seine Wahrnehmungen über die Stellung des Generalgouvernements und über die politische Lage des lombardisch-venezianischen Königreichs wie auch seine darauf gegründeten Anträge zu entwickeln.

Graf Friedrich Thun erörterte hierauf 1. woher es komme, daß die Zivilsektion des Generalgouvernements nicht das leiste, was sie im Interesse der Regierung leisten sollte und könnte. Insbesondere wies er auf folgende Übelstände hin: 1. daß niemand im lombardisch-venezianischen Königreiche, ja selbst unter dem Personal des Gouvernements, an den Bestand dieser Institution glaube, sondern dasselbe nur als ein Provisorium betrachte; 2. adaß der Wirkungskreis des Generalgouvernements eigentlich bloß durch Überlassung gewisser Prärogativa und Geschäftskompetenzen von seiten der Statthaltereien und andern untern Behörden gebildet worden sei, wodurch deren Ansehen beeinträchtigt und deren legaler Wirkungskreis geschmälert wurde, während dadurch das Ansehen des Generalgouvernements nicht gehoben, ihm aber die Zeit zur sorgfältigen Behandlung wichtigerer Angelegenheiten entzogen wurdea daß der Wirkungskreis des Generalgouvernements eigentlich bloß durch Überlassung gewisser Prärogativa und Geschäftskompetenzen von seiten der Statthaltereien und andern untern Behörden || S. 173 PDF || gebildet worden sei, wodurch deren Ansehen beeinträchtigt und deren legaler Wirkungskreis geschmälert wurde, während dadurch das Ansehen des Generalgouvernements nicht gehoben, ihm aber die Zeit zur sorgfältigen Behandlung wichtigerer Angelegenheiten entzogen wurde, 2; 3. daß, ungeachtet dort so viele Details zusammenströmen, das Generalgouvernement doch ohne Kenntnis von manchen direkten Verhandlungen der Landesbehörden mit den Zentralstellen in Wien bleibe und dem Generalgouvernement nicht selten die diesfälligen Entschließungen der Zentralbehörden erst durch die Mitteilungen der Statthaltereien bekannt würden, was dem Ansehen des Gouvernements sowohl als dem Interesse des Ah. Dienstes abträglich ist.

Graf Thun brachte daher in Antrag, daß die Revision der Instruktion des Generalgouvernements in dem Sinne stattzufinden hätte, daraus – unbeschadet der Einheit der Regierung – eine Art Expositur der Ministerien bund Zentralstellen, als welche es auch in dem ursprünglichen Organisationsinstitute ausdrücklich bezeichnet istb, mit einer gewissen diskretionären Gewalt zu bilden. Dasselbe wäre von der Erledigung vieler geringfügiger Administrativgeschäfte durch Überweisung derselben an die Statthaltereien etc., cderen Wirkungskreis auf den möglich vollsten Umfang wieder herzustellen istc, zu entheben, dagegen aber darauf festzuhalten, daß die ganze Korrespondenz der Landesbehörden mit den Ministerien durch das Generalgouvernement ihren Weg nehme. Die Überzeugung von dem Bestande des Generalgouvernements werde demselben eine große moralische Stütze gewähren.

Übrigens würde Ministerialrat Lackenbacher, der die Geschäfte der Zivilsektion durch seine mehrjährige Verwendung in derselben auf das genaueste kennenzulernen Gelegenheit hatte, am besten in der Lage sein, behufs einer Revision der Instruktion die dienlichen näheren Angaben und Aufschlüsse zu erteilen.

Graf Thun besprach hierauf 2. die politische Lage des lombardisch-venezianischen Königreiches, welche ihm nach unmittelbarer Anschauung nicht so bedenklich erscheint, wie sie sich vielleicht von weitem betrachtet darstellen mag. Ein positiv revolutionärer Zustand sei dort nicht vorhanden, sondern nur ein passiver Widerstand, welcher sich auf verschiedene Weise, namentlich durch die zurückhaltende Stellung äußert, welche die gebildeten Stände in sozialer Beziehung selbst den höchsten Regierungsfunktionären gegenüber behaupten. Bei vielen sei diese Stellung nicht die Folge eigener Wahl sondern eines geheimen Einflusses Übelgesinnter im Lande selbst, dann der Agitationen von Seite der Emigranten und der maßlosen Angriffe der revolutionären Presse im Königreiche Sardinien. Die Furcht, sich zu kompromittieren und in später Zeit dafür schwer büßen zu müssen, wirke abhaltend vom geselligen Verkehre mit den Zivilbeamten als mit den Militärs. Allerdings sei nicht zu leugnen, daß die Haltung, welche ein großer || S. 174 PDF || Teil der Militärs den Italienern gegenüber angenommen hat, und viele das Ehrgefühl der letzteren tief verletzende, laute Äußerungen sehr bedeutend beitragen, um den Zwiespalt zu nähren. So wünschenswert auch in dieser Beziehung eine Abhilfe wäre, so sei dieselbe größtenteils nicht im Wege der Verordnung und ämtlichen Verhandlung zu erzielen. Graf Thun müsse sich daher darauf beschränken, dermal folgende au. Anträge zu stellen.

1. Daß die Inkriminationen3, so welche sich bloß auf das Benehmen während der italienischen Revolution beziehen, bei denjenigen Individuen in und außer dem Staatsdienste, die seitdem ein tadelloses Benehmen beobachtet haben, eingestellt und die Akten aus der Revolutionszeit insofern als geschlossen erklärt würden, daß bei Anvancements im Dienste, bei Ernennung von Advokaten und Notaren etc. nicht stets wieder auf das Benehmen der Kompetenten während jener Periode zurückgegangen werde.

2. Daß man die einmal betretene Bahn der Stärkung des deutschen Elements im lombardisch-venezianischen Königreiche ernstlich und mit Konsequenz verfolge; daß man die Kenntnis der deutschen Sprache nicht nur bei gewissen neuen Anstellungen zur Bedingung mache, sondern selbst den bereits Angestellten bestimmte Termine setze, binnen welchen sie sich das Deutsche eigen zu machen haben. Die Gründung eines ganz deutschen Gymnasiums zu Verona dürfte sich auch als ein Mittel zur Verbreitung der deutschen Sprache unter der heranwachsenden Generation anempfehlen4.

3. Wären der Rückkehr der Emigranten keine besonderen Schwierigkeiten entgegenzusetzen; da die Übelgesinnten vom Auslande her meistens kühner, mit größerer Erbitterung und größerem Erfolg agitieren, als wenn sie im Inlande unter Aufsicht und der Androhung der Strafgesetze leben.

4. Wäre die piemontesische Regierung ernstlich aufzufordern, daß sie den empörenden Kundgebungen der revolutionären Blätter gegenüber ihre Pflicht erfülle. Ohne diesseits zum Äußersten zu schreiten, habe man mancherlei Mittel – Grenzsperre, Verbot des gesamten sardinischen Bücherverlages – welche empfindlich genug wären, die dortige Regierung zur Nachgiebigkeit zu stimmen.

Nachdem die Anträge des Chefs der Zivilsektion des Generalgouvernements in der Konferenz einer eindringlichen Erörterung unterzogen worden waren, geruhten Se. Majestät der Kaiser die Ah. Willensmeinung zu I. dahin auszusprechen, daß die Revision der Instruktion vom Minister des Inneren im Vernehmen mit den übrigen Ministern und der Obersten Polizeibehörde din der von dem Grafen Thun bezeichneten Richtungd in Beratung gezogen und über deren Ergebnis Vortrag erstattet werde5.

|| S. 175 PDF || Was den Antrag unter 1. betrifft, wurde einstimmig anerkannt, daß es von den neuerlichen polizeilichen Erhebungen in Avancementfällen etc. abzukommen hätte und, bei dem Umstand daß die Organisation durchgeführt ist, bei allen Besetzungs- und Personalfragen künftig bloß die Äußerungen der Amtschefs über die Kompetenten einzuholen wären. Se. Majestät erklärten die Ah. Absicht dahin, daß in dieser Beziehung sowie überhaupt in allen Zweigen des öffentlichen Dienstes der normale Zustand und Geschäftsgang wie in andern Kronländern eingeführt und dies auch bei Revision der Instruktion gehörig berücksichtigt werde.

Zu 2. war man einstimmig des Erachtens, daß mit Energie dahin zu wirken sei, der deutschen Sprache bei der Bevölkerung im allgemeinen mehr Eingang zu verschaffen und deren Kenntnis nach und nach in allen Zweigen der Verwaltung obligatorisch zu machen. Da jedoch das letztere nur in der Voraussetzung und in dem Maße geschehen kann, als den Italienern die Mittel zur Erlernung des Deutschen zugänglich gemacht werden, geruhten Se. Majestät Ag. zu befehlen, daß dies den Gegenstand einer besonderen Erörterung der Minister, namentlich des Unterrichtsministers, zu bilden haben werde6.

Zu 3. erklärte der tg. gefertigte Minister des Äußern , daß seiner Meinung nach die gänzliche Bereinigung der Emigrantenfrage viel zur Beschwichtigung des Landes beitragen würde, und es ihm zweckmäßig schiene, wenn daher denjenigen Emigranten, deren Rückkehr ganz und für immer unzulässig erscheint, oder welche aus anderen Gründen verhindert wären, die Wiederaufnahme in den österreichischen Staatenbund anzusuchen, und zwar letzteres über deren Ansuchen um Aufhebung der Sequestration im Wege der Gnade gestattet würde, ihre in Österreich gelegenen Besitzungen zu verkaufen und den Kaufschilling auswärts zu beziehen. Mit diesem Antrage völlig einverstanden, brachte der Minister des Inneren auch den Umstand zur Sprache, daß man die Kosten des Kordons gegen Tessin7, dann die Entschädigungen aus dem Titel des Februarattentats8 auf den Ertrag der sequestrierten Güter überwiesen habe und infolgedessen die zurückgekehrten Emigranten höchst bedeutende Abzüge an dem ihnen zurückzustellenden Ertrage ihrer Güter erleiden. Diese aus finanziellen Rücksichten ergriffene Maßregel sei vom Standpunkte des Rechts nicht haltbar. Se. Majestät erklärten, daß || S. 176 PDF || Allerhöchstdieselben auch über diesen Punkt einer Vortragserstattung entgegensehen9.

Zum Antrage 4. bemerkte der Minister des Äußern , daß die uns überhaupt nicht freundliche sardinische Regierung sich überdies den dortigen revolutionären Journalen gegenüber in einer schwierigen Lage befinde. Indessen gebe es in Turin auch Elemente, die uns günstig sind; dieselben werden von Paris her unterstützt, und so könne man doch ehoffen, daß die Erledigung der Emigrantenfrage ein geringer gespanntes Verhältnis zwischen den beiden Regierungen zur Folge haben würde, dann, aber auch nur dann, könnte etwa versuchsweise das sardische Kabinett aufgefordert werdene, zur Repression der Angriffe auf Österreich dieselben Mittel der gerichtlichen Verfolgung in Anwendung zu bringen, welche es gegen die Frankreich angreifenden Journale erst kürzlich fund mit Erfolgf ins Werk gesetzt hatsg, 10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 25. November 1855.