Nr. 541 Ministerrat, Wien, 16. August 1851 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 17. 8.), P. Krauß 19. 8., Bach 19. 8., Thinnfeld 22. 8., Thun, Csorich, K. Krauß; abw.abwesend Stadion, Baumgartner, Kulmer.
MRZ. 2829 – KZ. 2944 –
- I. Außerkurssetzung der österreichischen Scheidemünzen in den römischen Legationen
- II. Straf- und Begnadigungsrecht des Feldmarschalls Grafen Radetzky in Hochverratsfällen
- III. Straf- und Begnadigungsrecht des Militärgouverneurs von Wien
- IV. Entschädigung der Pest-Ofner Kettenbrückengesellschaft
- V. Vorschuß für die Sassiner Judengemeinde
- VI. Begnadigungsgesuch für Georg Petko
- VII. Todesurteil gegen Engelbert Krobot
- VIII. Verurteilung des Gaetano Ciceri
Protokoll der am 16. August 1851 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.
I. Außerkurssetzung der österreichischen Scheidemünzen in den römischen Legationen
Der Finanzminister Freiherr v. Krauß brachte zur Kenntnis des Ministerrates, insbesondere des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, daß der päpstliche Kommissär Monsignore Bedini das Ansinnen gestellt habe, es möchten unsere Kreuzer und Scheidemünzen in den päpstlichen Legationen außer Kurs gesetzt werden1. Er bemerkte, daß unsere Zwanziger daselbst auch außer Kurs gesetzt waren, jetzt aber recht gerne angenommen werden.
Unsere Truppen im päpstlichen Gebiete werden in Zwanzigern gezahlt, und wenn Kreuzerstücke und andere Scheidemünzen dahin kommen, so geschehe dies im Wege der Spekulation und nicht von Seite des Staates.
Der Finanzminister beabsichtiget, das Ansinnen durch die Erklärung zu erwidern, daß (obwohl es immerhin anstößig erscheine, daß während des Aufenthaltes unserer Truppen im römischen Gebiete unsere Kreuzer und Scheidemünzen daselbst außer Kurs gesetzt werden) nichts entgegenstehe, diese Außerkurssetzung in den römischen Legationen zu verfügen.
Der Ministerrat fand dagegen nichts zu erinnern2.
II. Straf- und Begnadigungsrecht des Feldmarschalls Grafen Radetzky in Hochverratsfällen
Der Kriegsminister Freiherr v. Csorich teilte dem Ministerrate mit, daß Se. Majestät dem Feldmarschall Grafen Radetzky, Zivil- und Militärgouverneur im lombardisch-venezianischen Königreiche, das unbeschränkte Straf- und Begnadigungsrecht in allen Hochverratsfällen ohne allen Instanzenzug an das Militärappellationsgericht und an den Obersten Gerichtshof zu überlassen geruhet haben3, und daß Se. Majestät
III. Straf- und Begnadigungsrecht des Militärgouverneurs von Wien
ebendieses unbeschränkte Straf- und Begnadigungsrecht auch dem Militärgouverneur von Wien in allen von den Kriegsgerichten über politische Verbrechen gefällten Urteilen zu erteilen geruhten.
Der Kriegsminister wird hievon Mittelungen an die Minister der Justiz und des Inneren machen4.
IV. Entschädigung der Pest-Ofner Kettenbrückengesellschaft
Derselbe Minister referierte hierauf in einem umständlichen Vortrage über die sich zwischen dem Kriegs- und dem Finanzministerium ergebene Meinungsverschiedenheit in Ansehung der Entschädigung der Pest-Ofner Kettenbrückenbaugesellschaft für die Benützung der Brücke von Seite des Militärs für die Zeit, als diese Brücke noch nicht dem öffentlichen Gebrauche übergeben war, aber vom Militär zu seinen Zwecken benützt wurde5.
Es wurde vorausgeschickt, daß nach dem der Brückenbaugesellschaft von Sr. Majestät erteilten Privilegium jeder, der die Brücke benützt (ohne Ausnahme, also auch das Militär) den Brückenzoll entrichten soll, daß aber auch nach ebendemselben Privilegium die Gesellschaft den Brückenzoll einzuheben erst vom Tage der Eröffnung der Brücke berechtiget war6. Nun wurde die Brücke noch vor ihrer Eröffnung zum allgemeinen Gebrauche zu militärischen Zwecken benützt, und es entstand die Frage, ob und welche Vergütung der Gesellschaft für diese Benützung zuteil werden soll.
Der Kriegsminister äußerte die Meinung, daß der Gesellschaft für die Benützung der Brücke zu militärischen Zwecken in der Zeit, wo die Brücke noch nicht dem allgemeinen Gebrauche übergeben war, keine Entschädigung zu gewähren wäre. Die Brücke sei bereits dagestanden, die Gesellschaft habe zur Benützbarkeit der Brücke von Seite des Militärs nur Hölzer legen lassen, die auch für den späteren allgemeinen Gebrauch verwendbar waren, und das Militär habe dafür die Brücke beschützt. Für die Zukunft wäre der Brückengesellschaft ein Brückenzollpauschale von 7–8000 f. nach den Erhebungen des Militärs zuzugestehen, und sollte ein höherer Betrag als notwendig erkannt werden, so wäre dieser Mehrbetrag der jährlichen Militärdotation zuzuschlagen7.
Der Finanzminister erachtete dagegen, daß der Brückenbaugesellschaft für das Vergangene, nämlich für die Benützung der Brücke vor ihrer Eröffnung zum allgemeinen Gebrauche, jene Kosten zu vergüten wären, welche die Gesellschaft bestreiten mußte, um die Brücke für das Militär benützbar zu machen, dann jene Kosten, welche durch die Abnützung der Brückenbahn bis zum Tage der allgemeinen Benützung entstanden sind, kurz, es soll der Gesellschaft Schadloshaltung zuteil werden. Für die Zukunft wäre der Gesellschaft für die Benützung der Brücke zu militärischen Zwecken die Vergütung|| S. 167 PDF || nach der Zahl der Passanten auszumitteln, von welchem auszumittelnden Betrage sie sich einen Abzug von 50–60 % gefallen lassen würde. Die Gesellschaft könne nicht gezwungen werden, 8000 f. anzunehmen, und es stünde der Regierung nicht wohl an, unbillig gegen die Gesellschaft zu sein. Auch glaubte der Finanzminister, daß der auszumittelnde Betrag, welcher es sein wolle, ganz aus der Militärdotation, als derselben angehörig, zu berichtigen sein dürfte.
Der Ministerrat hat nach längerer Besprechung über diesen Gegenstand durch Stimmenmehrheit beschlossen, daß der Brückenbauunternehmung für das Vergangene die außerordentlichen, näher nachzuweisenden Auslagen zu vergüten seien, welche sie behufs der Benützbarkeit der Brücke für das Militär zu machen in dem Falle war.
Für die Zukunft wären die oberwähnten militärischerseits ausgemittelten 8000 f. zum Ausgange der Unterhandlung mit der Gesellschaft anzunehmen8.
V. Vorschuß für die Sassiner Judengemeinde
Die Judengemeinde zu Sassin in Ungarn bittet zum gänzlichen Ausbau ihrer Kirche (Synagoge), auf welche noch das Dach aufzusetzen ist, um einen Vorschuß von 5000 f. vom Ärar, gegen Haftung der gesamten Gemeinde und gegen Rückzahlung in fünfjährlichen Raten per 1000 f9.
Alle Behörden unterstützen das Gesuch dieser gutgesinnten Judengemeinde, und auch der Minister des Inneren erklärte sich damit einverstanden.
Der Ministerrat stimmte mit Ausnahme des Finanzministers dem Antrage des Kultusministers Grafen Thun bei, der gedachten Gemeinde die angesuchten 5000 f. aus jener Million Gulden zu bewilligen, welche die ungarische Judenschaft zu Schul- und Unterrichtszwecken einzuzahlen hat, da hierbei keine Gefahr ist, indem die Gemeinde das nötige Vermögen besitzt, um das Darlehen sicherzustellen10.
Der Finanzminister sprach sich dagegen gegen die Bewilligung jenes Vorschusses aus, weil diese Bewilligung zu Folgerungen Anlaß geben würde, wodurch die von den Juden an das Ärar zu zahlende Million versplittert würde, und das Ärar nicht berufen ist, solche Vorschüsse zu geben11.
VI. Begnadigungsgesuch für Georg Petko
Der Antrag des Justizministers Ritter v. Krauß , das Strafnachsichtsgesuch der Frau des Georg Petko, griechisch unierten Pfarrers, der sich den Honvéds angeschlossen, ihren Feldpater gemacht, Schmähpredigten gegen den Kaiser gehalten und zur Verweigerung der Steuerzahlung aufgefordert hat und deshalb zu vierjährigem Kerker verurteilt wurde, bei Sr. Majestät nicht zu unterstützen, erhielt ebenso die Beistimmung des Ministerrates12 wie der weitere Antrag
VII. Todesurteil gegen Engelbert Krobot
desselben Ministers auf Begnadigung des wegen Mordes zum Tode von dem Olmützer Schwurgerichte verurteilten Engelbert Krobot. Derselbe, 28 Jahre alt, hat aus Eifersucht den Mann seiner früheren Geliebten, welchen diese zu heiraten gezwungen ward, mit ihm aber nicht lebte, umgebracht. Das Geschwornengericht empfiehlt ihn der Ah. Nachsicht der Todesstrafe, und der Oberste Gerichtshof, dann der Generalprokurator unterstützen einstimmig diesen Antrag. Für den Fall der Ah. Begnadigung würde der Oberste Gerichtshof auf 20jährigen Kerker erkennen13.
VIII. Verurteilung des Gaetano Ciceri
Schließlich referierte der Justizminister noch über die Untersuchung und Aburteilung des Med. Dr. Ciceri. Es wurden (aus Anlaß einer Anzeige des Delegationsarztes Vandoni14) bei einer von der Polizei veranstalteten Hausuntersuchung in einer Schublade des Ciceri Proklamationen und andere ähnliche Schriften aus der Revolutionsperiode aund in einer verschlossenen Schublade, zu welcher Ciceri den Schlüssel hatte, andere Mazzinische Brandschriftena gefunden. Auch wurde derselbe beschuldigt, Mazzinische Lose zum Verkaufe angeboten zu haben. Was die im Besitze des Ciceri gefundenen Schriften anbelangt, kann daraus nichts zum Nachteile desselben gefolgert werden, weil der Inhalt dieser Schriften in allen Zeitungen zu lesen und auch der Regierung bekannt war. Das Anbieten Mazzinischer Lose zum Verkaufe und überhaupt dem Besitz solcher Lose hat Ciceri widersprochen, und es konnte darüber kein Beweis hergestellt werden.
Die Auskünfte über sein Vorleben lauteten nicht ungünstig. Sympathien für die italienische Sache mag er wohl genährt haben, allein, Umgang mit den Revolutionärs hat er keinen gepflogen, und es ist keine Spur aufgefunden worden, daß er je mit Bekannten von Mazzini umgegangen wäre.
Das Kriegsgericht hat bei diesen Umständen den Dr. Ciceri wegen des hier allerdings obwaltenden Verdachtes ab instantia absolviert und dieses Urteil publiziert.
Der Feldmarschall Graf Radetzky behauptet, daß das Kriegsgericht nicht kompetent war, dieses zu tun. Es wurde mit abermaliger Arretierung des Ciceri eine neue Untersuchung|| S. 169 PDF || vorgenommen, und derselbe wurde als des Verbrechens des Hochverrates zunächst beinzichtiget, von dem Militärappellationsgerichte zu zehnjährigem Kerker verurteilt, und der Oberste Militärgerichtshof hat dieses Urteil bestätigt.
Aus Anlaß des von seiner Frau eingebrachten Ah. bezeichneten Gesuches um Nachsicht der Strafe, erklärte sich sowohl der Feldmarschall Graf Radetzky als auch der Oberste Militärgerichtshof gegen die Begnadigung.
Der Justizminister Ritter v. Krauß stellte in einem umständlichen Vortrage dar, daß Ciceri nach unserem Zivilstrafgesetzbuche und bei unbefangener Beurteilung dieser Angelegenheit nicht hätte verurteilt werden können, sondern, wie das Kriegsgericht getan, ab instantia hätte absolviert werden müssen, bdaß es aber nicht ratsam sei, itzt die Freilassung Ciceris zu bevorworten, um nicht die höchste Landesautorität hierdurch bloßzustellen.b
Nach längerer Beratung über diesen Gegenstand einigte sich der Ministerrat endlich in dem Beschlusse, daß höhere politische Gründe es dermal noch nicht ratsam machen, auf volle Begnadigung des Ciceri anzutragen, obgleich wichtige Zweifel dagegen erhoben werden können, daß er überwiesen und mit Recht verurteilt worden sei. Forderung der Politik und die Beseitigung der sonst offenbaren Kompromittierung der Militärgerichtsbehörden lassen diesen Antrag nicht zeitgemäß erscheinen. Es wäre demnach aus Anlaß des Ah. bezeichneten Gesuches der Gattin des Ciceri bei Sr. Majestät der Antrag zu stellen, diesem Gesuche dermal keine Folge zu geben15.
Das Justizministerium würde übrigens den Zeitpunkt wahrnehmen, in welchem es diese Sache neuerdings der Ah. Gnade Sr. Majestät gegenwärtig zu halten hätte16.
Wien, am 17. August 1851. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 23. August 1851.