Nr. 411 Ministerrat, Wien, 30. Oktober 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 31. 10.), Krauß 3. 11., Bach 31. 10., Schmerling 31. 10., Bruck, Thinnfeld 31. 10., Thun, Csorich, Kulmer 31. 10.; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 4405 – KZ. 3771 –
- I. Akten über die österreichisch-preußischen Differenzen
- II. Übernahme des Interimskommandos der III. Armee durch Christian Freiherr v. Appel
- III. Abzug zweier Bataillone aus Cattaro
- IV. Neue Rekrutierung
- V. Gemeindeordnung für Steyr
- VI. Bestätigung Muzio Tommasinis als Podestà in Triest
- VII. Auszeichnungsantrag für den Gendarmen Kukaretz
- VIII. Auszeichnungsantrag für den Arzt Dr. De Carro
- IX. Auszeichnungsanträge für die Bürger Venturin und Priester
- X. Auszeichnungsantrag für Frau Röder
- XI. Auszeichnungsanträge für die Ministerialräte Wimmer, Matz und Chef des Medizinalkollegiums Güntner
- XII. Auszeichnungsanträge für Unterstaatssekretär Leyer, Ministerialrat Scheuchenstuel und Sektionsrat v. Ferro
- XIII. Todesurteile
- XIV. Eingabe der sächsischen Nationsuniversität hinsichtlich des Stempelgesetzes
- XV. Orden für Stephan v. Wittemberski
- XVI. Buschtehrader Kohlenbahn
Protokoll der Sitzung des Ministerrates, gehalten zu Wien am 30. Oktober 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Akten über die österreichisch-preußischen Differenzen
Der Ministerpräsident las eine Reihe von Aktenstücken betreffend die zwischen Österreich und Preußen in den deutschen Angelegenheiten obwaltenden Differenzen, nämlich den Bericht des Grafen Buol über das Resultat seiner Unterhandlung mit dem Minister, General Radowitz1, zwei Berichte des k. k. Gesandten in Berlin2, die Anfrage des österreichischen Kabinetts an den russischen Staatskanzler über die Haltung, welche Rußland im Falle eines Konflikts zwischen Österreich und Preußen zu beobachten gedächte, und dessen Antwort darauf3; einen Bericht des Baron Budberg, endlich die zwischen dem österreichischen und preußischen Ministerpräsidenten in Warschau verabredeten Propositionen für die in Wien oder Dresden abzuhaltenden vorbereitenden Konferenzen, welche Propositionen sich 1. auf die Präsidialfrage, 2. auf die Konstituierung eines Bundesrats, 3. eine Exekutivgewalt, 4. vorläufige Ausschließung einer Volksvertretung, 5. Eintritt des gesamten Österreichs in den Bund und 6. Wahrung des Prinzips der freien Union, wenn sie nicht gegen die Zwecke des Bundes ist, erstrecken würden4.
Der Ministerpräsident erwartet hierüber die weitere Antwort des preußischen Kabinetts und gedenkt im Falle der Annahme der Propositionen dahin zu wirken, daß die Konferenzen in Wien abgehalten werden5.
II. Übernahme des Interimskommandos der III. Armee durch Christian Freiherr v. Appel
Der Kriegsminister eröffnete dem Ministerrat die Ah. Absicht Sr. Majestät, an die Stelle des FML. Grafen Wallmoden den Kommandanten des VII. Armeekorps, FML. Baron Appel, zum Interimskommandanten der III. Armee für Ungarn, Siebenbürgen und die Woiwodschaft zu ernennen, mit der Aufforderung anzugeben, ob in politischer Hinsicht etwas dagegen zu erinnern sei6.
Weder der Minister des Inneren noch sonst jemand fand hiergegen etwas zu erinnern7.
III. Abzug zweier Bataillone aus Cattaro
Über die vom Kriegsminister vorgetragene Anfrage des Feldmarschalls Grafen Radetzky, ob es möglich sei, zwei Bataillone von Heß Infanterie, welche dermal in und bei Cattaro stehen, aus Dalmatien heraus- und nach Venedig zu ziehen8, erklärte der Minister des Inneren , daß er es bei den gegenwärtigen Verhältnissen im benachbarten Bosnien und in der Herzegowina, wo nach den neuesten Berichten der Aufstand neuerdings ausgebrochen ist, für sehr bedenklich halte, den Truppenstand bei Cattaro und in Dalmatien überhaupt zu vermindern, und der Finanzminister fügte hinzu, daß ihm bei dem ausgewiesenen Truppenstande von 140.000 Kombattanten in Italien die Notwendigkeit einer Vermehrung daselbst nicht einleuchte9.
IV. Neue Rekrutierung
Der Minister des Inneren referierte über die Einleitungen zu der bevorstehenden Aushebung von 76.000 Rekruten10.
Nach Vorlesung des Repartierungsausweises bemerkte er, daß nach den Berichten der Statthalter das Kontingent aufgebracht werden kann, wenn, deren Wunsch gemäß, diejenigen Erleichterungen, namentlich in Ansehung des Maßes der Rekruten, zugestanden werden, welche bei den letzten Rekrutierungen stattgefunden haben. Er behielt sich vor, diesfalls mit dem Kriegsminister in besondere Verhandlung zu treten.
Weiters ersuchte er um die Ermächtigung, diejenigen Modifikationen in den dermaligen Rekrutierungvorschriften eintreten zu lassen, welche durch die gegenwärtigen Verhältnisse geboten sind11.
Insbesondere sollen, da die höheren Altersklassen durch die früheren Rekrutierungen erschöpft sind, zunächst diejenigen zur Abstellung berufen werden, welche im Dezember 1850 das 20. Lebensjahr vollstreckt haben werden; weiters würden die Einleitungen zur Vereinfachung der Rekrutierungsmanipulation so getroffen werden, daß das ganze Geschäft|| S. 28 PDF || in der ganzen Monarchie anach Möglichkeit in vier bis sechsa Wochen abgetan wäre.
Für Ungern und Siebenbürgen wäre in Ermangelung eines anwendbaren Rekrutierungsgesetzes provisorisch eine den diesfälligen Gesetzen der übrigen Kronländer analoge Vorschrift zu erlassen.
Da endlich der Kriegsminister sich gegen die Anwendbarkeit der bestehenden Normen über die Modalitäten der Stellung von Ersatzmännern ausgesprochen hatte, weil, Zeuge der Erfahrung, die Verabreichung der bloßen Zulage täglicher 5 Kreuzer, ohne in den Besitz wenigstens eines Teils des Kapitals zu gelangen, einen zu geringen Reiz für die Supplenten gewährt, so schlug der Minister des Inneren die Erhöhung des für die Stellung eines Supplenten einzuzahlenden Kapitals zu dem Ende vor, um hievon einen Teil als Kapital dem Ersatzmann überlassen zu können, und behielt sich vor, hierwegen mit dem Kriegsministerium über das Detail in Verhandlung zu treten.
Der Ministerrat erklärte sich mit diesen Anträgen einverstanden; nur der Finanzminister glaubte nicht unbemerkt lassen zu können, daß die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Vermehrung des ohnehin hohen Armeestandes wohl erwogen werden müsse, ehe man sich bestimme, bei dem allenthalben fühlbaren Mangel an Arbeitskräften eine so namhafte Zahl zum Nachteile des Ackerbaus und der Industrie bzu einer Jahreszeit, die der Rekrutierung nichts weniger als günstig ist,b aus der Bevölkerung zu ziehen; wogegen jedoch der Kriegsminister erinnerte, daß die Ergänzung der Armee und insbesondere der Besatzungen durch die dermaligen Dispositionen an den Grenzen so wie durch den gewöhnlichen Abgang notwendig geworden sei12.
V. Gemeindeordnung für Steyr
Der Minister des Inneren referierte über die für die Stadt Steyr auf den Wunsch der Gemeinde und mit Zuziehung ihrer Vertrauensmänner entworfene Gemeindeordnung. Obwohl Steyr keine Provinzialhauptstadt istc, so glaubte der Minister doch in Berücksichtigung der Verhältnisse dieser wichtigen Fabriksstadt die Erteilung einer eigenen Gemeindeordnung für sie (die übrigens in ihren Bestimmungen jenen der anderen sich anschließt) bei Sr. Majestät bevorworten zu dürfen, wogegen nichts zu erinnern|| S. 29 PDF || gefunden wurde, dzumal im § 6 des Gemeindegesetzes bei bedeutenderen Städten die Verleihung einer eigenen Stadtordnung in Aussicht gestellt wurded zumal im § 6 des Gemeindegesetzes13 bei bedeutenderen Städten die Verleihung einer eigenen Stadtordnung in Aussicht gestellt wurde.14
VI. Bestätigung Muzio Tommasinis als Podestà in Triest
Erhielt der Minister des Inneren die Beistimmung des Ministerrats zur Einholung der Ah. Bestätigung der auf den Statthaltereirat Tommasini gefallenen Wahl zum Podestà von Triest.
Aus Anlaß der Wahl Hagenauers zum ersten und des Bezirksrichters Conti zum zweiten Vizepräsidenten des Gemeinderates daselbst fand sich der Handelsminister zu der Bemerkung veranlaßt, ob es nicht zur Vermeidung von Konflikten und mit Rücksicht auf den allenthalben durchgeführten Grundsatz der Trennung der Justiz von der Administration angemessen wäre, Gerichtsbeamte von der Annahme von Gemeinderats- und Vorstehersstellen auszuschließen.
Nach einer längeren Diskussion, an der sich die Minister des Inneren und der Justiz gegen den Finanzminister für den Antrag beteiligten, ward die Entscheidung einstweilen ausgesetzt, indem, wie nicht zu zweifeln, diese Frage bei einer anderen Gelegenheit wieder auftauchen wird15.
Der Minister des Inneren erhielt die Bestimmung des Ministerrates zu den Anträgen auf nachstehende Auszeichnungen
VII. Auszeichnungsantrag für den Gendarmen Kukaretz
für den Gendarmen Kukaretz, der sich bei Rettung der in Wies Verunglückten ausgezeichnet hat, mit dem silbernen Verdienstkreuze mit der Krone16
VIII. Auszeichnungsantrag für den Arzt Dr. De Carro
für den Arzt Dr. De Carro in Karlsbad mit dem goldenen Verdienstkreuze mit Krone17,
IX. Auszeichnungsanträge für die Bürger Venturin und Priester
für die um das Armenwesen in Sebenico verdienten Bürger Venturin und Priester mit dem goldenen Verdienstkreuze ohne bzw. mit Krone18,
X. Auszeichnungsantrag für Frau Röder
für die bei Verpflegung des Urbanschen Korps in Siebenbürgen tätig gewesene Frau Röder mit dem goldenen Verdienstkreuze19,
XI. Auszeichnungsanträge für die Ministerialräte Wimmer, Matz und Chef des Medizinalkollegiums Güntner
für die nachstehenden Mitglieder seines Ministeriums als: Ministerialräte Wimmer, Matz und Chef des Medizinalkollegiums Güntner mit dem Leopold-Orden und für den Ministerialsekretär Böhm das Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens20.
XII. Auszeichnungsanträge für Unterstaatssekretär Leyer, Ministerialrat Scheuchenstuel und Sektionsrat v. Ferro
An diese Anträge knüpfte der Minister für Landeskultur den Antrag auf Auszeichnung des Unterstaatssekretärs Leyer mit dem Komturkreuze des Franz-Joseph-Ordens, des Ministerialrates Scheuchenstuel mit dem Ritterkreuze des Leopold-Ordens oder III. Klasse der Eisernen Krone, und des Sektionsrats v. Ferro mit dem Ritterkreuze des Franz-Joseph-Ordens21.
XIII. Todesurteile
Der Justizminister referierte über die Todesurteile wider Anton Molinari, Anna Kukutska, Marianna Podkalicka und Theresia Trombitás wegen Mordes, sämtlich mit dem Antrage auf Nachsicht der Todesstrafe, wogegen nichts zu erinnern war22.
XIV. Eingabe der sächsischen Nationsuniversität hinsichtlich des Stempelgesetzes
Dem Antrage des Finanzministers , einer Vorstellung der sächsischen Nationsuniversität wegen Aufschiebung der Wirksamkeit des neuen Stempelgesetzes keine Folge zu geben23, wohl aber deren Bitte wegen angemessener Entschädigung für den Entgang der bestandenen Gerichtstaxen zu berücksichtigen24, sowie
XV. Orden für Stephan v. Wittemberski
wegen Verleihung des Ritterkreuzes des Franz-Joseph-Ordens an den durch lange und ersprießliche Dienste ausgezeichneten galizischen Kommerzialrat v. Wittemberski ward allseitig beigestimmt25.
XVI. Buschtehrader Kohlenbahn
Der Handelsminister referierte über die von dem Fürsten v. Fürstenberg angesprochene Festsetzung eines angemessenen Perzents des ihm vom Betriebe der Buschtehrad-Prager Kohlenbahn zu belassenden Nutzens26.
|| S. 31 PDF || Es wurde nämlich infolge Ministerratsbeschlusses vom 28. August 1850/I festgesetzt, daß die Bestimmung des Eisenbahnkonzessionsgesetzes, wornach, wenn der Bahnbetrieb mehr als 15 % des Anlagekapitals Nutzen abwirft, die Staatsverwaltung die Fahrpreise zu regulieren berechtigt ist, keine Anwendung bei der dem Fürsten Fürstenberg für die Buschtehrader Bahn zu erteilenden Konzession zu finden habe.
Fürst Fürstenberg hat sich dieser Bestimmung unterworfen, jedoch gebeten, daß man ein anderes angemessenes Perzent bestimmen möge, bis zu welchem der Staat von dem Tarifregulierungsrechte keinen Gebrauch machen wolle, um doch der Verzinsung und allmähligen Tilgung seines Anlagekapitals versichert zu sein27.
Der Handelsminister, welcher diese Bitte in der Billigkeit gegründet fände, schlug 10 % als das festzusetzende Perzent vor, wogegen jedoch der Minister für Landeskultur einwandte, daß keiner Eisenbahn ein so hoher Ertrag garantiert sei und der Fürst, dem noch insbesondere das 50jährige ausschließende Privilegium für diese Bahn zugestanden worden, hiermit zum Nachteil der Kohlenwerke den Transport der Kohlen verteuern werde, daß mithin in keinem Falle ein so hohes Perzent bestimmt werden könne, vielmehr auf den Beginn des vorbehaltenen Baues einer Kohlenbahn von Seite des Staates gleich vorzudenken wäre.
Die mehreren Stimmen, emit denen sich auch der Handelsminister vereinigte,e schlossen sich auch der Meinung des Ministers für Landeskultur an und es ward demnach beschlossen, das fragliche Perzent mit 8 % einschließlich der Amortisierungsquote festzusetzen28.
Wien, am 31. Oktober 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 5. November 1850.