Nr. 51 Ministerrat, Wien, 21. April 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 22. 4.), Cordon 26. 4., Krauß 22 4., Bach 22. 4., Thinnfeld, Kulmer 22. 4; außerdem anw.anwesend Böhm, Kellner (bei I); abw.abwesend Stadion, Bruck, Cordon.
MRZ. 1228 – KZ. 1069 –
Protokoll der zu Wien am 21. April 1849 abgehaltenen Sitzung des Ministerrates unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Schwarzenberg.
I. Maßnahmen infolge der neuesten ungarischen Kriegsereignisse: 1. Stadt Wien, 2. Verstärkung der Armee in Ungarn, 3. russische Hilfe
Der Ministerpräsident eröffnete die Sitzung durch Mitteilung der vor wenig Stunden erhaltenen ungünstigen Berichte des FZM. Baron Welden über die militärische Situation in Ungarn, das Vordringen der Insurgenten über die Gran und die Zurückdrängung des Wohlgemuthschen Korps1. Nachdem FZM. Baron Welden die ernstesten Besorgnisse zu hegen scheint, die Aufgebung von Buda Pesth in Aussicht stellt und die schleunige Berufung russischer Hilfe für unumgänglich nötig erklärt, so zog der Ministerrat die diesfalls zu treffenden Maßregeln in Erwägung.
1. Sorge für Ruhe und Sicherheit der Stadt Wien. Der in den Ministerrat berufene FML. und Gouverneurstellvertreter Freiherr v. Böhm erklärte bei dem auf acht Bataillons und zwei Batterien herabgesunkenen Stande der Garnison nicht nur keine Truppen mehr abgeben zu können, sondern vielmehr selbst einer Verstärkung zu bedürfen. Er werde jedenfalls sofort die Einleitung treffen, daß ein hier befindliches ungarisches Bataillon, welches bereits von magyarischen Wählern bearbeitet wird, durch ein deutsches Bataillon aus Linz ersetzt werde. Baron Böhm macht ferner darauf aufmerksam, daß sich seit einiger Zeit wieder viele Polen und Ungarn hier einschleichen, und daß daher eine geschärfte Aufsicht auf die Fremden höchst notwendig sei. Minister Bach eröffnete hierüber, er habe bereits die Polizeiorgane anweisen lassen, daß die Anzeige aller Fremden durch die Wohnungsvermieter mittelst strenger Strafen und häufigen Revisionen sorgfältig betrieben werde. Bezüglich der an das Wiener Publikum zu machenden Mitteilungen über die Lage der Dinge in Ungarn wurde beschlossen, damit noch einen Tag zu warten, in der Hoffnung, mittlerweilen günstigere Nachrichten zu erhalten, deren gleichzeitige Veröffentlichung beruhigend wirken würde2.
2. Zusammenziehung aller disponiblen Streitkräfte, um die Armee in Ungarn zu unterstützen. Der in den Ministerrat berufene GM. v. Kellner wurde beauftragt, sofort zu diesem Zwecke alle Mittel mit größter Energie und Schnelligkeit aufzubieten und insbesondere alle bereits ausgerüsteten Reservebataillons und Divisionen in Bewegung zu setzen, || S. 233 PDF || damit die zwei großen Reservekorps baldmöglichst gebildet werden3. GM. Kellner wird auch sogleich die Generale Benedek und Veigl von den neuesten Kriegsereignissen in Ungarn unterrichten, damit sie ihre Operationen darnach einrichten. Wegen Verstärkung der Garnison in Leopoldstadt wurden bereits Einleitungen getroffen.
Nachdem der FZM. Baron Jellačić in einer an den Ministerpräsidenten gerichteten und durch Oberst v. Denkstein überbrachten Zuschrift den Wunsch ausgedrückt hatte, mit seinem Korps den bedrängten Südslawen zu Hilfe zu kommen, so erließ Fürst Schwarzenberg sofort an den Ban die dringende Aufforderung, sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht von dem Gros der Armee zu trennen4.
3. Anrufung der russischen Hilfe. Der Ministerpräsident erklärte, daß er bis jetzt die Hoffnung noch genährt habe, die Rebellion in Ungarn und Siebenbürgen ohne fremde Hilfe bezwungen zu sehen. Der vorliegende Bericht des FZM. Baron Welden und sein gleichzeitiges konfidentielles Schreiben rauben jedoch alle Aussicht, auf diese Weise allein fertigzuwerden. Die Erklärung Baron Weldens über die Notwendigkeit russischer Hilfe habe umso mehr Gewicht, als derselbe noch in der Ministerratssitzung vom 29. März 1849 die Überzeugung ausgesprochen hatte, die österreichische Regierung könne für sich allein des Aufstandes Meister werden5. Nunmehr müsse sich Baron Welden persönlich von der offenbaren Unmöglichkeit überzeugt haben, und Fürst Schwarzenberg müsse in das auf genaue Kenntnis der Verhältnisse gegründete Urteil dieses ebenso einsichtsvollen als mutigen Heerführers kompromittieren. Der Ministerpräsident verkenne zwar nicht, welch einen tiefen Eindruck das Anrufen russischer Hilfe im In- und Auslande hervorbringen werde, er wolle auch nicht verhehlen, daß dieser Schritt den Erfolg unserer Friedensunterhandlungen mit Sardinien lähmen und dem österreichischen Einflusse auf die deutschen Angelegenheiten in dem gegenwärtigen, überaus wichtigen Augenblicke sehr abträglich sein müsse. Allein, da nach Baron Welden die überaus zahlreichen Insurgentenkorps im weiteren Vordringen selbst die deutschen Provinzen bedrohen könnten und somit die höchsten Interessen der Monarchie auf dem Spiele stehen, so halte er es für Pflicht der Regierung Sr. Majestät, Rücksichten von untergeordnetem Range beiseitezusetzen und die Hülfe Rußlands ohne allen Verzug in Anspruch zu nehmen, da man durch Zaudern und halbe Maßregeln in Ungarn und Siebenbürgen nur schon zu viel verloren habe und ein Versäumnis von wenig Tagen hier || S. 234 PDF || leicht unwiederbringliche Folgen haben könne, deren Verantwortung das Ministerium nicht auf sich laden könnte.
Die anwesenden Minister konnten dem Gewichte dieser Gründe ihre Anerkennung nicht versagen. Da jedoch die Anrufung des Beistandes von Rußland dermal bloß über Antrag des FZM. Baron Welden stattfinden würde und es nicht unmöglich wäre, daß derselbe bei ruhiger Überlegung der Wichtigkeit des Schrittes und nach genauerer Kenntnis unserer Stellung in Ungarn (welche sich auch plötzlich bessern kann) diesen Beistand wieder entbehrlich fände, so wurde über Antrag des Justizministers Dr. Bach beschlossen, dem genannten Oberkommandanten eine wohlerwogene kathegorische Erklärung über diesen Punkt abzufordern. Von dem diesfälligen, sogleich ex consilio ausgefertigten Schreiben des Ministerpräsidenten liegt eine Abschrift diesem Protokolle bei6.
Fürst Schwarzenberg wird jedoch, um keine Zeit zu verlieren, noch heute nach Warschau schreiben, damit die russischen Truppen für den Fall des Bedarfes disponibel gehalten werden. An der Bereitwilligkeit Rußlands, die Revolution in Ungarn, welche nun nicht bloß mehr eine ungarische Revolution ist, zu bekämpfen, sei nicht zu zweifeln7.
II. Geheime Ratswürde für Bischof Joseph v. Kuković
Über Antrag des Ministers Baron Kulmer wurde beschlossen, Se. Majestät au. zu bitten, daß dem Bischofe von Diakovár und Syrmien, Joseph v. Kuković, aus Anlaß der Resignation auf seine lange und mit Auszeichnung bekleidete kirchliche Würde die geheime Ratswürde mit Nachsicht der Taxen Ag. verliehen werde.
Wien, 22. April 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. [ohne Datum]