Nr. 39 Ministerrat, Wien, 29. März 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Stadion, Krauß, Bach, Cordon, Bruck, Thinnfeld, Kulmer;BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 30. 3.), Krauß 28. 6., Bach 28. 6., Cordon, Bruck, Thinnfeld 27. 7., Kulmer 28. 6.); außerdem anw.anwesend Welden.
MRZ. 937 – KZ. fehlt –
- I. Vortrag des Feldmarschalls Fürsten Windischgrätz wegen Beiziehung russischer Hilfstruppen gegen ungarische Aufständische
- II. Journalkautionen in Wien während des Belagerungsstandes
- III. Bitte der Grenzer um Erlaß von Vorschußrückzahlungen
- IV. Aushilfskasse für die Pester Kaufmannschaft
- V. Ablösung des Lannaschen Schwemmprivilegiums
- VI. Zulassung von Juden zum Hausbesitz
- VII. Einholung der Bewilligung des Ministeriums zur gerichtlichen Verfolgung von Preßangriffen auf dasselbe
- VIII. Begnadigungsgesuch des Sachsen-Coburgschen Jägers
- IX. Regelung des militärischen Avancements der Hofchargen
Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 29. März 1849 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Vortrag des Feldmarschalls Fürsten Windischgrätz wegen Beiziehung russischer Hilfstruppen gegen ungarische Aufständische
Der gefertigte Ministerpräsident eröffnete die Sitzung mit dem ihm von Sr. Majestät zugekommenen Vortrage des Feldmarschalls Fürsten v. Windischgrätz, womit derselbe wegen Unzulänglichkeit seiner Streitkräfte zur Bezwingung der ungrischen, 80.000 wohlgerüstete Streiter zählenden Insurgentenarmee, wenn nicht binnen längstens acht Tagen der Fall von Komorn eine günstige Wendung unserer Verhältnisse in Ungern bewirkt, die Hülfe Rußlands, und zwar mit 40.000 Mann in Oberungern und mit 20.000 Mann in Siebenbürgen, in Anspruch nimmt1.
Weiters teilte der Ministerpräsident ein vom Ban Baron Jellačić approbiertes Operationsprojekt zur vollständigen Bezwingung der ungrischen Insurrektion mit, wornach die k.k. Truppen unter Jellačić mit 40 Bataillons an der unteren Theiß bei Szegedin gegen Debreczin und Großwardein zu ziehen hätten, wobei jedoch zwischen Pesth und Szolnok ein Reservekorps von 15 Bataillons aufgestellt werden müßte2.
Diesem Projekt steht, bemerkte der Ministerpräsident vorläufig, die doppelte Schwierigkeit entgegen, daß das vorausgesetzte Reservekorps nicht existiert und auch nicht bald geschaffen werden kann, dann, daß durch Besetzung Siebenbürgens vom Feinde die Operationen an der untern Theiß gefährdet sind. Es muß sonach vor allem die Frage in Erwägung gezogen werden, ob von der russischen Regierung Hilfe zu erbitten sei oder nicht, welche, wenn ja, in kürzester Frist verlangt werden müßte.
Der Finanz- und der Justizminister erklärten sich schon von vornehinein gegen die Zuziehung russischer Hilfstruppen zur Unterdrückung einer Rebellion im Inneren der Monarchie, indem sie einerseits die Angaben über die Stärke der Insurgenten für übertrieben, andrerseits jene unserer Truppen, wenn sie nicht wie bisher in dem ganzen|| S. 190 PDF || Lande zerstreut gelassen, sondern auf einen Punkt zu einem Hauptschlage konzentriert würden, für hinlänglich hielten, und der Handelsminister konnte nicht umhin, aufmerksam zu machen, daß, wenn die Sachen wirklich so schlecht stehen, wie der Feldmarschall sie geschildert, die Ursache davon nur in dem Mangel an gehöriger Führung der Truppen gesucht werden könne.
Auf den Antrag des Kriegsministers ward sofort der FZM. Baron Welden eingeladen, dem Ministerrate seine Ansichten hierüber mitzuteilen.
Freiherr v. Welden erklärte sich auf das bestimmteste gegen die Beiziehung russischer Hilfstruppen, indem er versichert, daß die ungrische Insurrektion auch ohne sie überwältigt werden kann. Die Hilfe Rußlands, von der österreichischen Regierung selbst für diesen Zweck erbeten, würde eine vollkommene moralische Niederlage der letztern, das Bekenntnis der Ohnmacht vor ganz Europa sein und könnte nur im alleräußersten Falle, wenn nämlich der Bestand der Monarchie auf dem Spiele stände, sich rechtfertigen lassen.
Dahin ist’s aber noch lange nicht gekommen. Niederlagen haben die k.k. Truppen in Ungern noch nirgends erlitten, die Unternehmungen gegen Komorn, zu deren Betreibung er, Baron Welden, sich morgen persönlich an Ort und Stelle begibt, versprechen eine günstige Wendung und lassen die Disponibilität eines bedeutenden Korps erwarten. Die Insurgenten hinter der Theiß können in der gegenwärtigen Jahreszeit wegen der Beschaffenheit des Bodens nichts Entscheidendes unternehmen, und das Bem’sche Korps in Siebenbürgen wird vom FML. Baron Puchner sowie von den russischen Truppen aus den Fürstentümern in deren eigenem Interesse und ohne Aufforderung von Seite der österreichischen Regierung gehörig beschäftigt werden, sodaß es für Ungern vorderhand nicht wirken kann. Inzwischen aber kann und muß mit den zu konzentrierenden k.k. Truppen eine Hauptoperation gegen den Kern der Insurrektion unternommen werden, welche jedoch nicht in dem von Ban projektierten, dermal wegen der Jahreszeit- und Bodenbeschaffenheit unausführbaren Übergange über die Theiß bei Szegedin, sondern in einer Operation auf Tokaj bestehen dürfte, worüber den näheren Plan mitzuteilen Baron Welden nach seiner Rückkunft von Komorn sich vorbehält.
Nach dieser Erklärung beschloß der Ministerrat, dem nach Olmütz berufenen Feldmarschall Fürsten Windischgrätz die geeigneten Mitteilungen in dieser Angelegenheit zu machen.
Von der Antwort des Fürsten darauf wird es abhängen, welche weitern Maßregeln zu ergreifen seien3.
II. Journalkautionen in Wien während des Belagerungsstandes
Der Minister des Inneren benützte die Anwesenheit des FZM. Baron Welden im Ministerrate, um dessen Meinung über eine Anfrage des niederösterreichischen Staatsanwalts zu vernehmen, ob nämlich ungeachtet des über Wien verhängten Belagerungszustandes und der dabei eintretenden Beschränkung der Presse von den hiesigen|| S. 191 PDF || politischen Journalen die durch das neue Preßgesetz vorgeschriebenen Kautionen gefordert werden sollen4.
Der Feldzeugmeister erklärte sich für die Bejahung der Frage, weil der Belagerungszustand die Gesetze nicht aufhebt oder ändert, sondern nur in den Vollziehungsmodalitäten derselben einige Modifikationen eintreten läßt. Hiernach würde also der Minister den Staaatsanwalt belehren5.
III. Bitte der Grenzer um Erlaß von Vorschußrückzahlungen
Der Minister Baron Kulmer brachte die Wünsche der Grenzer zur Sprache, 1. um Teilnahme an den durch die Konstitution den übrigen Staatsbürgern erteilten Rechten, 2. um Nachsicht des Ersatzes eines ihnen in früheren Jahren gegebenen Vorschusses in Früchten per 1,404.000 f. (20.000 f. für Siebenbürgen).
Zu 1. ist bereits das Erforderliche erlassen worden6. Die Bitte zu 2. bevorwortet sich durch die Zeitverhältnisse und den Umstand, daß die Schuld ohnehin den Grenzproventenfonds, nicht das Ärar unmittelbar betrifft.
Der Finanzminister behielt sich vor, hierwegen von dem Grenzreferenten des Kriegsministeriums die nähere Information einzuholen und sonach das Weitere zu entscheiden7.
IV. Aushilfskasse für die Pester Kaufmannschaft
Der Handelsminister bevorwortete das Einschreiten des Pesther Handelsstandes um eine Staatsunterstützung zur Gründung einer Aushilfskasse, wie solche der Wiener Kaufmannschaft zugestanden worden8.
Der Finanzminister erklärte seine Beistimmung dazu, jedoch gegen dem, daß das Moratorium sofort aufhöre und daß die Vorschüsse nicht auf Wechsel, sondern bloß auf Waren gegeben werden9.
Belangend die Summe der zu gewährenden Unterstützung, welche von den Petenten mit einer Million angesprochen wird, würde der Handelsminister etwa eine halbe Million, der Finanzminister 400.000 f. für hinreichend halten, und behalten sich beide vor, hierwegen miteinander in Verhandlung zu treten10.
V. Ablösung des Lannaschen Schwemmprivilegiums
Eine gleiche Verhandlung ward beschlossen über den Antrag des Handelsministers wegen Ablösung des dem Schiffmeister Lanna auf einigen böhmischen Gewässern zustehenden Schwemmprivilegiums, wofür vom Ärar nicht mehr als 160.000 f. zu entrichten, dagegen wesentliche Vorteile für dasselbe zu hoffen und die Beseitigung der gegenwärtig obwaltenden häufigen Konflikte zu erwarten wären11.
VI. Zulassung von Juden zum Hausbesitz
Der Justizminister trug vor die Anfrage des niederösterreichischen Landrechts, ob Juden nunmehr zum Besitze von Häusern qualifiziert seien, welche er mit Rücksicht auf die Bestimmungen des § 1 der österreichischen Grundrechte zu bejahen gedenkt12.
Desgleichen die Anfrage
VII. Einholung der Bewilligung des Ministeriums zur gerichtlichen Verfolgung von Preßangriffen auf dasselbe
des steiermärkischen Staatsanwalts, ob bei Angriffen der Presse gegen das Ministerium vor Anstrengung des Prozesses die im § 11 der Vorschrift über das Verfahren in Preßübertretungssachen vorgesehene Einholung der Bewilligung der Behörde, d.i. hier des „Ministeriums“, einzutreten habe13.
VIII. Begnadigungsgesuch des Sachsen-Coburgschen Jägers
Der Justizminister referierte weiters über ein Einschreiten des Herzogs von Sachsen-Coburg um Begnadigung seines ehemaligen Jägers . . ., der wegen Betrugs kriminaliter verurteilt worden ist. Der Referent beim Justizministerium hatte sich für Gewährung der Bitte ausgesprochen, der Minister fände jedoch dazu keinen Grund bei einem Menschen, der seinen Dienstgeber betrogen und das solchergestalt Erworbene verpraßt hat.
Der Ministerrat stimmte in allen drei Punkten dem Minister bei.
IX. Regelung des militärischen Avancements der Hofchargen
Der Kriegsminister entwickelte die Hauptgrundzüge seines Vortrages wegen Regulierung des militärischen Avancements der bei den Hofchargen verwendeten Militärs, dann über die Modalitäten der Zulassung von Ausländern in die Armee und der Vorrückung der darin schon befindlichen. Derselbe ward einstimmig angenommen, mit|| S. 193 PDF || der vom gefertigten Ministerpräsidenten beantragten Modifikation, daß mit Rücksicht auf die Verhältnisse zu Deutschland statt „Ausländer“ überall der Ausdruck „nicht österreichische Reichsbürger“ gebraucht werde14.
Wien, am 30. März 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph.