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Nr. 67 Ministerrat, Wien, 10. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; P. Ransonnet; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner, Lebzeltern (in Vertretung Wessenbergs); abw. Doblhoff, Wessenberg; BdE. Pillersdorf (11. 6.), Franz Karl (15. 6.).

MRZ. 976 – KZ. –

Protokoll der Ministerratssitzung vom 10. Junius 1848 unter dem Vorsitze des interimistischen Ministerratspräsidenten, zugleich Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Konsolidierung der Verhältnisse in Wien

Über Antrag des Ministerpräsidenten wurde einstimmig beschlossen, Sr. Majestät einen au. Vortrag zu erstatten, worin Allerhöchstdieselben unter Darlegung der im Lauf der letzten 14 Tage eingetretenen Konsolidierung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung in der Residenzstadt Wien dringend zu bitten wären, das Ah. Hoflager innerhalb der Grenzen des Erzherzogtums Österreich huldreichst verlegen zu wollen1.

II. Wahlrecht für Arbeiter

Der Minister des Inneren brachte hierauf die Frage über das Wahlrecht der Arbeiter zur Sprache2. Gemäß der Wahlordnung für die konstituierende Reichsversammlung können Arbeiter gegen Tag- und Wochenlohn, Dienstleute und Personen, die aus öffentlichen Wohltätigkeitsanstalten Unterstützung genießen, nicht als Wähler auftreten3.

Der Grund, warum diese Klassen der Bevölkerung von der Ausübung des Wahlrechtes als Urwähler und somit auch als Wahlmänner ausgeschlossen wurden, ist hauptsächlich der Umstand, daß bei diesen Ständen in der Regel nicht nur die intellektuelle Bildung, sondern auch die selbständige Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft fehlt, um das Wahlrecht auf eine unabhängige, dem gemeinen Besten förderliche Weise zu üben. Obgleich nun die öffentliche Stimme die Ausschließung der Dienstboten, dann der aus öffentlichen Wohltätigkeitsanstalten beteilten Individuen für vollkommen gerechtfertigt anerkannt hat, so haben sich doch zahlreiche Stimmen vernehmen lassen, welche den Arbeitern gegen Tag- und Wochenlohn das Wahlrecht zuerkannt haben wollten. Es wurde darauf hingewiesen, daß bei dieser Klasse – zu welcher auch Werkführer in Fabriken, Poliere etc. gehören – Intelligenz, Unabhängigkeit und moralische Bildung mindestens im gleichen Grade vorhanden sei, wie z. B. bei den Kleinhäuslern und || S. 401 PDF || Inleuten auf dem flachen Lande, welchen das Wahlrecht zuerkannt wurde. Der Wiener Bürgerausschuß und der „Ausschuß für Sicherheit, Ruhe und Rechte der Bürger“4 haben sich mit diesem Anspruche der Arbeiter beschäftigt, denselben in thesi für völlig begründet anerkannt und nur in Zweifel gezogen, ob es mit Rücksicht auf die Nähe des Zeitpunktes der Wahl noch ausführbar sei, diesem Anspruche Geltung zu verschaffen5. Andererseits haben es die kleinen Volksjournale sich angelegen sein lassen, die Arbeiter über diesen Gegenstand in einer Weise zu unterrichten, welche bei vielen aus ihnen den Wunsch erregte, an der Wahl tätigen Anteil zu nehmen, und dieser Wunsch wird von Agitatoren möglichst genährt6.

Baron Pillersdorf hat ein Mitglied des Bürgerausschusses, den Dr. Alexander Bach7, welcher seiner Stellung nach die öffentliche Stimme und die Lage der Dinge genauer zu erforschen in der Lage ist, angewiesen, den Gegenstand einer reifen Prüfung zu unterziehen, und derselbe hat soeben erklärt, er halte es für eine unausweichliche Notwendigkeit, die Arbeiter von den Wahlen nicht völlig auszuschließen. Dafür, daß sie durch ihre Zahl bei den Wahlen in Wien kein zu großes Gewicht ausüben, wäre am einfachsten durch die Bestimmung gesorgt, daß sie nur an dem Orte ihres ordentlichen und bleibenden Wohnsitzes zur Wahl zugelassen würden, wodurch sofort die große Masse der nicht hierher zuständigen Arbeiter ausgeschlossen wäre. Überdies könne mit Zuversicht darauf gerechnet werden, daß der größte Teil der hiesigen Arbeiter sich mit der Zuerkennung des Wahlrechtes zufriedenstellen würde, ohne davon Gebrauch zu machen. Würde dagegen dieses Recht verweigert, so ließen sich die daraus entstehenden Folgen nicht voraussehen, gewaltsame Verhinderung der Wahlen durch die Arbeiter, Eindringen derselben in die Wahllokalitäten, Exzesse und Demonstrationen dürften nicht ausbleiben.

Baron Pillersdorf machte darauf aufmerksam, daß man eigentlich nur die Wahl zwischen folgenden Alternativen habe: entweder einer ziemlich intelligenten Volksklasse, welche seit dem letzten Ereignisse auch eine wirklich überraschende sittliche Haltung bewährt hat, ein Recht zuzuerkennen, worauf sie – da von einem Zensus ganz abgesehen wird – im Grunde ebensoviel Anspruch hat als die Besitzer von Kleinhäusern etc., oder das Wahlrecht zu verweigern und in einem Augenblicke, wo Ruhe, Ordnung und Vertrauen wiederkehren, neue Krisen hervorzurufen, welche am Ende doch zu dem streitig gemachten Zugeständnisse führen würden. Dem Minister des Inneren könne hier die Wahl nicht zweifelhaft erscheinen, besonders, da es sich hiebei nur um eine provisorische Wahlordnung handle, welche von dem Reichstage wohl ganz umgeändert werden wird. Die diesfällige Modifikation würde als ein Motu proprio erscheinen und für die Hauptstadt wie für die Provinzen verbindlich zu erlassen sein – allein in den || S. 402 PDF || meisten der letzteren schon zu spät bekannt werden, um noch eine praktische Folge nach sich zu ziehen8.

Mit dem Antrage des Ministers Baron Pillersdorf vereinigten sich die Minister Baron Sommaruga und v. Baumgartner vollkommen. Der Kriegsminister stellte auch die Notwendigkeit eines solchen Zugeständnisses unter den dermaligen Verhältnissen keineswegs in Abrede, glaubte aber seiner Stellung zur Armee wegen gegen die Zuerkennung des Wahlrechtes an die Arbeiter stimmen zu sollen, da er auch der Militärmannschaft vom Feldwebel abwärts dieses Recht auszuüben nicht gestatten könne. Der Finanzminister Baron Krauß erklärte, daß sich ihm wohl mehrere Bedenken gegen diese Ausdehnung des Wahlrechts im gegenwärtigen Stadium der Verhandlung, und ohne daß ein direktes Ansinnen von Seite der Ausschüsse vorliegt, aufdringen; indessen halte er es auch nicht für rätlich, sich den Folgen einer Weigerung auszusetzen.

Es wurde sofort beschlossen, das besprochene Zugeständnis – da die Wahlen schon am 13. l. M. in Wien beginnen – ohne Verzug in folgender Weise bekanntzumachen: Als Nachtrag zu den Bestimmungen über die Stimmfähigkeit als Urwähler wird festgesetzt, daß nur jene selbständigen Arbeiter als Wähler auftreten können, welche im Wahlorte ihren ordentlichen und bleibenden Wohnsitz haben9.

III. Wahlrecht für Militärangehörige

Graf Latour legte eine Anfrage des niederösterreichischen Generalkommandos vor, ob und welche Militärs aktiv und passiv wählbar seien10.

Hierüber wurde beschlossen, dem Generalkommando, ohne in nähere Details einzugehen, den Bescheid zu geben, daß die Wahl von Offiziers zu Abgeordneten am konstituierenden Reichstage keinem Anstande unterliege, so wie auch der Wahl des Oberstleutnants v. Mayern und des Hauptmannes Möring zum Volksparlament in Frankfurt kein Hindernis in den Weg gelegt worden sei11.

IV. Ernennung Ignaz Freiherr v. Lederers zum Feldmarschall

Graf Latour überreichte seinen Vortrag vom 10. l. M. 12, worin er bittet, daß Se. Majestät statt des für den Kommandierenden in Ungarn Baron Lederer im Vortrage vom 6. Junius 1848, KZ. 215213, in Antrag gebrachten Verleihung des Leopoldordensgroßkreuzes Ag. geruhen möchten, denselben taxfrei zum Feldmarschall zu ernennen, da auch sein Nachmann Baron Wimpffen14 dieselbe Auszeichnung erhalten habe und diese Gnade den Baron Lederer über alles beglücken würde.

|| S. 403 PDF || Der Ministerrat vereinigte sich mit dem dergestalt modifizierten au. Antrage des Grafen Latour15.

V. Pensionierung Georg Mayerhofers

Ebenso vereinigten sich sämtliche Minister mit dem au. Antrage des Ministers des Inneren16, daß der Kreishauptmann des Viertels unter dem Mannhartsberg Georg Mayerhofer unter Verleihung des Adels und mit Beibelassung seines Gehaltes als Ruhegenuß in den Pensionsstand zu versetzen wäre17.

VI. Nichtveröffentlichung des Programms über die österreichische Außenpolitik

Der Ministerpräsident verlas ein Schreiben des Ministers Baron Wessenberg aus Innsbruck18, und Baron Lebzeltern teilte auch ein vom selben Minister erhaltenes Schreiben mit19, worin er die Meinung ausspricht, daß der gegenwärtige, an Komplikationen aller Art überreiche Augenblick nicht der geeignete sei, um ein Programm über Österreichs auswärtige Politik zu veröffentlichen.

VII. Instruktionen für Colloredo

Nachdem Baron Wessenberg in jenem Schreiben auch die Negoziationen wegen der Pazifikation Italiens erwähnt, brachte Baron Pillersdorf zur Kenntnis des Ministerrates, daß Graf Colloredo dem ihm mit Zuschrift vom 7. d. M. bekanntgegebenen Auftrage20 sich bereitwilligst unterzogen und laut seiner heute erhaltenen Zuschrift21 die Reise nach Innsbruck auch bereits angetreten habe. Baron Pillersdorf glaube daher nicht länger zögern zu sollen, die von ihm bereits in der Ministerratssitzung am 9. d. M. vorläufig besprochenen Grundzüge der Instruktion für den Grafen Colloredo in Vortrag zu bringen22.

a) Für den Fall der förmlichen Reinkorporierung der Lombardie und Venedigs mit der österreichischen Monarchie wären ihnen gleiche konstitutionelle Rechte mit den übrigen Landesteilen und außerdem noch die durch die Lokalverhältnisse bedingten besonderen Einrichtungen zuzusichern.

b) Für den Fall, diese Provinzen als ein besonderer Staat unter die Herrschaft eines kaiserlichen Prinzen gestellt würden, wäre eine Offensiv- und Defensivallianz unter Stipulierung wechselseitiger Handelsbegünstigungen und eines Übereinkommens wegen Teilung der Staatsschuld abzuschließen.

c) Im Falle, die Lombardie definitiv von der österreichischen Monarchie getrennt und mit Sardinien vereinigt würde oder selbständig als Republik fortbestünde, wäre dahin zu trachten, folgende Stipulationen zu erwirken: 1. Der Mincio als Grenze, mit dem Vorbehalt von Mantua und Peschiera für Österreich; ferner auch die Benützung der Gewässer des Tartaro. 2. Übernahme des Monte Lombardo-Veneto cum onore et || S. 404 PDF || commodo, dann eines entsprechenden Teils der allgemeinen österreichischen Staatsschuld auf die Lombardie. 3. Wechselseitige Handelsbegünstigungen. 4. Zurückstellung des Privateigentums Sr. Majestät des Kaisers und Sr. kaiserlichen Hoheit des Erzherzogs Rainer. 5. Freiheit des Übertritts der in Zivil- und Militäranstellungen befindlichen Individuen. 6. Freizügigkeit, Postverträge; Deserteur- und Verbrecherauslieferungskartell. 7. Bestimmung einer Kommission von je drei Mitgliedern beiderseits, unter einem zu wählenden Obmann, zum Behufe des Vollzuges der Konvention – welche Kommission auch über die Entschädigungsforderungen unserer Militärs und Beamten für die infolge der Märzereignisse erlittenen Beschädigungen zu entscheiden hätte.

Die sämtlichen Minister erklärten sich mit dem Entwurfe dieser vorläufigen Grundzüge der Instruktion, welche nunmehr in der Beilage angeschlossen werden, völlig einverstanden, und Baron Krauß behielt sich vor, über den Punkt der Handelsvorteile, dann bezüglich des Ziffers der Staatsschuld, dessen Übernahme zu fordern wäre, nähere Daten an die Hand zu geben, wobei er andeutete, daß ihm die Übertragung von sechs bis acht Millionen Gulden Renten der Staatsschuld den Verhältnissen angemessen zu sein scheine23.

VIII. Spannungen zwischen Ungarn einerseits und Illyriern und Serben andererseits

Der Kriegsminister Graf Latour teilte ein Schreiben des Staatssekretärs Pulszky24 und einen Bericht des Generalkommandos zu Peterwardein25 mit, woraus erhellt, daß die Spannung zwischen der magyarischen Partei einerseits, dann den Illyriern und Serben andererseits den höchsten Punkt erreicht hat und die Eröffnung des Bürgerkrieges, an welchem zahlreiche Freischaren aus Serbien sich sofort tätigst beteiligen werden, nicht mehr fern sei, zumal die Militärautoritäten in der Grenze die in Masse aufstehende Bevölkerung nicht mehr zurückzuhalten imstande sind. Es wurde einstimmig die Notwendigkeit anerkannt, blutigen Konflikten zwischen den Militärgrenztruppen und den Truppen, über welche das ungarische Ministerium disponiert, zu begegnen, obgleich der Kriegsminister sich nicht verhehlen kann, daß seit der Bildung des verantwortlichen ungarischen Ministeriums der Einfluß der Zentralkriegsbehörde in Ungarn überhaupt gelähmt sei und er auch in der Grenze zu schwinden beginne, so daß die Intervention des Grafen Latour wenig helfen dürfte26.

IX. Errichtung des Preßgerichtshofes

Der Ministerpräsident richtete an den Minister der Justiz die dringende Aufforderung, die baldige Zustandebringung des Gerichtshofes für Preßvergehen27 zu bewirken. Baron Sommaruga äußerte hierauf, er habe bereits das hiezu gehörige Beamtenpersonal ernannt28, allein die Geschwornen seien noch immer nicht gewählt.

|| S. 405 PDF || Das hiebei unterlaufene Saumsal scheine dem Wiener Magistrat zur Last zu fallen, und er werde ihn sofort ernstlich betreiben lassen29.

X. Nichteinmischung des Kriegsministeriums in die militärischen Operationen in Italien

Über die Anfrage des Ministerpräsidenten bezüglich der Stellung, welche das Kriegsministerium gegenüber dem Armeekorpskommandanten in Italien in bezug auf die Operationen angenommen habe, erklärte Graf Latour , er befolge den Grundsatz, daß das Ministerium sich jedes leitenden Eingriffes in die militärischen Operationen – wie es in früherer Zeit vom Hofkriegsrate leider nur zu oft geschah – zu enthalten habe, und deren Beschluß sowie die Ausführung dem eigenen Ermessen der Korpskommandanten überlassen müsse, welche am besten in der Lage sind, die jedesmalige Stellung zu beurteilen und davon Vorteil zu ziehen. Übrigens würden die einlangenden Detailberichte stets einer genauen Prüfung durch eine engere, aus den Generalen Zanini, Cordon und Dreyhann zusammengesetzten Kommission unterzogen30.

XI. Mitwirkung des Militärs bei der Fronleichnamsprozession in Wien

Schließlich wurde besprochen, daß, nachdem kein Mitglied der Ah. Familie die diesjährige Wiener Fronleichnamsprozession durch ihre Teilnahme verherrlichen wird, das Militär kein Spalier in den Straßen der Stadt zu machen und seine Mitwirkung sich auf die Begleitung des heiligen Tabernakels, dann auf die Salven am Graben zu beschränken hat31.

Wofern Ew. Majestät die zu der Zahl 4. gestellten au. Anträge des tg. Ministerrates Ag. zu genehmigen geruhen, dürfte es von den mit dem Protokolle de dato 7. Juni 1848, ad …, bezüglich des GdK. Baron Lederer angetragenen Erlässen an den Kriegsminister und den Kanzler des Leopoldordens abzukommen haben und es wäre zu erlassen:

Ges. 15. Juni. Franz Karl. Vidi. Ferdinand. Innsbruck, am 16. Juni 1848.