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Nr. 63 Ministerrat, Wien, 6. Juni 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; RdA. Pipitz; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Baumgartner; BdE. Pillersdorf (7. 6.), Franz Karl (14. 6.).

MRZ. 972 – KZ. –

Protokoll der Ministerratssitzung vom 6. Juni 1848 unter dem Vorsitze des provisorischen Ministerpräsidenten, Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Gerüchte über die Bildung eines neuen Ministeriums; Rückkehr des Kaisers nach Wien

Der provisorische Ministerpräsident, Minister des Inneren Freiherr v. Pillersdorf brachte zur Kenntnis des Ministerrates, daß er aus vertraulichen Mitteilungen vollkommen vertrauenswürdiger Männer entnommen habe, daß hierorts die Bildung eines neuen Ministeriums von Innsbruck aus für unmöglich gehalten werde, und wenn sie auch geschehen sollte, ein solches Ministerium hier niemals angenommen werden würde.

Baron Pillersdorf habe diese Wahrnehmung dem gerade hier auf der Durchreise nach Innsbruck befindlichen Gouverneur von Galizien Franz Grafen Stadion1 mit dem Beisatze eröffnet, Ew. Majestät zu bitten, möglichst bald hierher zu kommen und das neue Ministerium nicht in Innsbruck, sondern in Wien oder in einem Wien näheren Aufenthaltsorte zu ernennen.

Hiervon wäre gleichzeitig der Minister des Handels, der Industrie und des Ackerbaues Freiherr v. Doblhoff zu dem Ende in Kenntnis zu setzen, daß er in derselben Richtung wirke und seinen ganzen Einfluß auf die baldige Rückkehr Ew. Majestät anwende.

Der Ministerrat erkannte es aber gleichzeitig als dringend notwendig, Ew. Majestät noch einmal die au. Bitte unmittelbar vorzutragen und vorzustellen, wie sehr das Wohl des Staates und der Ah. Dynastie selbst davon abhänge, daß Ew. Majestät die Zurückkunft in Allerhöchstihre Residenz oder in einen derselben näheren Ort beschleunigen. Die Bildung eines neuen Ministeriums könne nicht mehr lang verschoben werden und diese Bildung könne nach dem Oberwähnten nicht wohl in Innsbruck geschehen. Die Ankunft Ew. Majestät würde die beste Wirkung auf die öffentliche Stimmung der Bevölkerung äußern, und in dieser Stimmung würde man vertrauensvoll dem konstituierenden Reichstage entgegensehen. Der Reichstag sei aber unmöglich, wenn Ew. Majestät und der Ah. Hof nicht da sind.

Diese Vorstellung und Bitte wird mittelst eines besonderen, am 6. Juni abgehenden au. Vortrages Ew. Majestät vorgelegt2.

II. Mögliche Übernahme der Hartigschen Pazifikationsmission durch Camillo Ritter v. Vacani v. Fort-Olivo

In Absicht auf die Mission des Grafen Hartig als Pazifikator in Italien3 wurde von Seite des Ministers des Inneren mit Beziehung auf die in den früheren Ministerratsprotokollen diesfalls gemachten Andeutungen bemerkt, daß, wenn Graf Hartig nicht einschreiten kann, eine andere Persönlichkeit zu diesem Geschäfte zu wählen und dem Grafen Hartig die Einrichtung (Organisation) des Landes zu überlassen wäre4.

Als ein zu dem Pazifikationsgeschäfte ganz geeigneter Mann wurde der General Vacani5 genannt, dem eine genaue Kenntnis des Landes und der Landessprache eigen ist.

Der Kriegsminister Graf Latour wird den Generalen Vacani anweisen, sich morgen nach Innsbruck zu begeben, wo er durch den Minister des Handels etc. Baron Doblhoff an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten Freiherrn v. Wessenberg anzuweisen sein wird, um sich mit diesem über seine neue Mission zu besprechen6.

III. Dank des Ministerrates an Radetzky und Wunsch nach milder Kriegsführung in Italien

Der Minister des Inneren sprach ferner den Wunsch aus, daß mit Rücksicht auf die gegenwärtige gereizte Stimmung, zum Teile Erbitterung gegen das Militär, an den Feldmarschall Grafen Radetzky im Namen des Ministerrates das Ansinnen zu stellen wäre, er möchte dahin wirken, daß sich bei der Kriegsführung in Italien, um das Pazifikationsgeschäft7 nicht zu erschweren, aller Grausamkeiten und aller nicht notwendigen Strenge zu enthalten wäre. Als Anlaß hierzu könnte die neueste schöne Waffentat des Feldmarschalls8 dienen, für welche der Ministerrat demselben seinen Dank und seine Teilnahme eröffnen und hieran den obigen Wunsch knüpfen könnte. Der Ministerrat erklärte sich damit einverstanden, und der Kriegsminister, der in diesem Sinne bereits früher an den Grafen Radetzky geschrieben9, wird es nun auch im Namen des Ministerrates tun10.

IV. Gerücht über Unruhen in Prag

Gestern verbreitete sich hierorts das Gerücht, daß in Prag bedeutende Unruhen ausgebrochen seien und daß das Militär habe einschreiten müssen.

Durch dieses Gerücht veranlaßt, wurde mittelst des Telegraphen die Frage nach Prag gestellt, ob daselbst alles ruhig sei11 und die in demselben Wege erhaltene Antwort bestätigte, daß vollkommene Ruhe in Prag herrsche12.

V. Provisorische Regierung in Prag

Der Minister des Inneren brachte zur Kenntnis des Ministerrates, daß er auf sein demselben bekanntes Schreiben an den böhmischen Gubernialpräsidenten Grafen Thun || S. 383 PDF || wegen Einsetzung einer provisorischen Regierung in Prag13 von dem letzteren nun eine Antwort erhalten habe, worin sich Graf Thun hinsichtlich der vorgenommenen Bildung einer provisorischen Regierung daselbst zu rechtfertigen sucht14.

Als den Hauptgrund dieser Bildung führt der Gubernialpräsident an, daß in Wien das Ministerium bezüglich seines verantwortlichen Handelns nicht mehr im freien Zustande, sondern beherrscht von fremden, nur nicht dem kaiserlichen Willen sich befinde. Er bemerkte aber zugleich, daß diese provisorische Regierung, von deren Einsetzung sogleich die Anzeige an Ew. Majestät erstattet wurde15, vor der Ah. Entscheidung über ihren Bestand keine Wirksamkeit ausüben werde. Die Verantwortung treffe denjenigen, der an dem gegenwärtigen Zustande der Dinge Schuld ist; das Wiener Ministerium befinde sich offenbar unter Zwang, und er habe sonach pflichtmäßig gehandelt, eine Einrichtung zu treffen, durch welche ein Verband mit Ew. Majestät erhalten werde. Er habe hierüber eine Kundmachung erlassen, und das konstitutionelle Blatt aus Böhmen enthalte diesfalls die nähere Aufklärung16. (Vide Wiener Zeitung vom 6. Juni 1848, Artikel Prag.)

Baron Pillersdorf stellte nun die Frage, ob das Ministerium nicht verpflichtet wäre, sich auch gegen die Bevölkerung von Böhmen so auszusprechen, wie es sich gegen die hiesige Bevölkerung ausgesprochen hat17, und las einen zu diesem Ende verfaßten Entwurf dem Ministerrate vor18. In diesem Aufsatze wird in der Wesenheit dargetan, daß die Bildung einer provisorischen Regierung in Prag ungesetzlich und nicht zu dulden sei, ferner die Behauptung widerlegt, daß das hiesige Ministerium (in Beziehung auf die Provinzen) nicht frei sei. Nach den Vorgängen im Mai d. J.19 sei das Ministerium provisorisch beibehalten und bis jetzt ein anderes noch nicht gebildet worden20; es sei in steter Verbindung mit Ew. Majestät geblieben; es habe die Anträge der böhmischen Landesstelle erlediget; die Anträge des Ministeriums seien von Ew. Majestät genehmiget worden u. dgl. Zum Schlusse wurde die Bevölkerung Böhmens aufgefordert, der provisorischen Regierung keine Folge zu leisten.

Die übrigen Stimmführer (mit welcher sich auch der Antragsteller vereinigte) glaubten in Erwägung des Umstandes, daß morgen wichtige Mitteilungen von Innsbruck anlangen dürften, welche vielleicht auch dem obigen Erlasse eine bestimmtere Richtung vorzeichnen könnten, es für angemessener halten zu sollen, die Publikation oder den Aufruf an die Bevölkerung Böhmens einstweilen und bis zur Einlangung jener Mitteilungen zu verschieben21.

VI. Instruktionen an die Länderchefs für die Reichstagswahlen

Der Minister des Inneren teilte dem Ministerrate die an die Länderchefs zu erlassende Instruktion oder Anleitung mit, wie sich bei den Wahlen zum konstituierenden Reichstage zu benehmen sei22.

Die Länderchefs werden darin unter anderm aufgefordert, das Landvolk über die Wichtigkeit der Wahlen zu belehren und in ihm die Überzeugung zu begründen, daß eine gegen die Anarchie sichernde Verfassung Not tue, von den stattgehabten Wahlen dem Ministerium nebst einer kurzen meritorischen Beschreibung der Gewählten die Anzeige zu erstatten etc. etc.

Der Ministerrat erklärte sich mit dieser Anweisung (welche übrigens durch die Zeitungsblätter zur öffentlichen Kenntnis gebracht werden wird) einverstanden23.

VII. Bericht Doblhoffs vom kaiserlichen Hoflager

Schließlich teilte der Minister des Inneren den gestern von dem Minister des Handels, der Industrie und des Ackerbaues von Innsbruck erhaltenen Bericht24 dem Ministerrate mit, worin Baron Doblhoff unter anderm bemerkt, daß von dem Kommandierenden zu Prag, Fürsten Windischgrätz, ein Depesche an Ew. Majestät, die provisorische Regierung in Prag betreffend, gelangt sei25, daß er (Baron Doblhoff) den Vorgang gemißbilliget und ausgesprochen habe, den Anordnungen des Ministerrates müsse Folge geleistet werden; daß die in Innsbruck ankommenden Deputationen26 in konstitutioneller Form nur in seiner Gegenwart von den Ah. Herrschaften empfangen werden u. s. w.

Der Minister des Handels teilte zugleich die Erwiderung mit, welche Ew. Majestät auf die Petition des Wiener Schriftstellervereines27 zu erteilen geruhet haben. Diese Antwort an die Schriftsteller wird zur öffentlichen Kenntnis gebracht werden, wie auch der Umstand, daß der Minister des Äußern, Baron Wessenberg, in Innsbruck angekommen ist28.

Als Erwiderung auf diesen Bericht hat der Ministerrat beschlossen, dem Handelsminister zu antworten, daß die Angelegenheit in Ansehung der provisorischen Regierung in Prag das Ministerium eben heute in der oben angedeuteten Art beschäftiget29, man aber für gut gefunden habe, mit dem Aufrufe an die Bevölkerung Böhmens noch einstweilen innezuhalten, bis eine Antwort von Innsbruck erfolgt; daß General Vacani sich nach Innsbruck begebe, um hinsichtlich des ihm anzuvertrauenden Pazifikationsgeschäftes in Italien sich mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu besprechen30; daß || S. 385 PDF || der Gouverneur von Galizien, Graf Stadion, auf seiner Reise nach Innsbruck hierorts eingetroffen sei, und man ihm die obige Weisung erteilt habe etc31. Zugleich solle dem Handelsminister Baron Doblhoff bekannt gemacht werden, daß in der hierher mitgeteilten, an Ew. Majestät gerichteten Depesche des Fürsten Windischgrätz eine ganz unrichtige Angabe vorkomme, welches dem Fürsten zu bemerken wäre32.

VIII. Pensionierung Johann v. Michalovics' und Johann Rudolph v. Gersdorffs

In dem vorliegenden au. Vortrage vom 5. d. M., Z. 215033, bringt der Minister der öffentlichen Arbeiten A[ndreas] v. Baumgartner die normalmäßige Pensionierung der Hofräte der Münz- und Bergwesenshofkammer Johann v. Michalovics und Rudolph v. Gersdorff in Antrag.

Diese Hofräte können nach dem Reorganisationsplane der Hofkammer in Münz- und Bergwesen34 bei der obersten Leitung keine Verwendung mehr finden und wegen ihres Alters und ihrer teils geistigen, teils körperlichen Gebrechen überhaupt kein Referat übernehmen. Michalovics ist 72 Jahre alt, dient beinahe 50 Jahre, wurde vor einiger Zeit vom Schlage gerührt und ist vollkommen dienstunfähig. Gersdorff ist 68 Jahre alt, dient mit Unterbrechung 49 Jahre, 5 Monate, und ohne Unterbrechung 40 Jahre, 3 Monate, ist geistig abgespannt, und es läßt sich von ihm eine entsprechende Verwendung nicht mehr erwarten. Da beide Hofräte lange und eifrige Dienste geleistet haben, so wäre denselben, meint der Minister der öffentlichen Arbeiten, die normalmäßige Pension von 5000f. jedem, zugleich aber die Ah. Zufriedenheit mit ihrer langen und ersprießlichen Dienstleistung zu erkennen zu geben.

Der Ministerrat erklärte sich damit einverstanden35.

Ges. 14. Juni. Franz Karl. Vidi. Ferdinand. Innsbruck, am 15. Juni 1848.