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Nr. 54 Ministerrat, Wien, 28. Mai 1848 - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; RdA. Pipitz; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Baumgartner; außerdem anw. Cordon (in Vertretung Latours); BdE. Pillersdorf (29. 5.), Franz Karl (2. 6.).

MRZ. 963 – KZ. –

Protokoll der Ministerratssitzung vom 28. Mai 1848 unter dem Vorsitze des provisorischen Ministerpräsidenten, Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.

I. Reduzierung der Wiener Garnison

Der Ministerrat hat nach der in der heutigen Wiener Zeitung enthaltenen Kundmachung unter andern folgenden Beschlüssen des Ausschusses von Bürgern, Nationalgarden und Studenten vom 26. d. M. die Genehmigung erteilt1:

1. Die Wachen an den Stadttoren werden von der National- und Bürgergarde und der Akademischen Legion allein bezogen, die übrigen Wachen aber von der Nationalund Bürgergarde und der Akademischen Legion mit dem Militär gemeinschaftlich; die Wache im Kriegsgebäude wird als ein militärischer Posten vom Militär allein versehen.

2. Nur das zum Dienste notwendige Militär bleibt hier, alles übrige wird sobald als möglich abziehen.

Mit Beziehung auf diese Bestimmungen ließ der Kriegsminister Graf Latour durch den ihn vertretenden Generalen Franz Freiherrn v. Cordon 2 folgendes als seine Überzeugung dem Ministerrate eröffnen: Die Behauptung von Wien durch die Besatzung sei unumgänglich notwendig. Es seien hier die Bank, viele Ärarialkassen, das Arsenal, Kabinette, öffentliche Anstalten u. dgl. zu beschützen, die Garnison könne daher nicht vermindert werden, weil, wenn sie zu schwach wäre, sie bei einer allenfälligen Hilfeleistung leicht kompromittiert werden könnte. Der Abmarsch des Regimentes Nugent sei zugesagt, sobald das Regiment Prinz Emil einrückt, was demnächst stattfinden werde. Das nach Ungarn bestimmt gewesene Regiment Wasa könne unter den gegenwärtigen Umständen nicht dahin abgehen gemacht werden, wenn es nicht durch ein anderes Militär ersetzt würde. Die Verbindung mit den Kasernen und Verpflegsmagazinen müsse frei von Barrikaden sein. Sollte die Behauptung Wiens aufgegeben werden, dann wäre es besser, das Militär ganz abziehen zu lassen und die Stadt Wien für jeden dem öffentlichen Gute zugehenden Schaden haftend zu erklären.

Hierüber wurde vom Ministerrate bemerkt, daß man die erst gestern gemachte und heute durch die Zeitung kundgegebene Zusage ad 2. halten müsse. Durch die Bestimmung ad 1. habe sich der Dienst der Garnison auf dem hiesigen Platze wirklich vermindert und sonach könne auch die Garnison um die zu diesem Dienste sonst erforderliche Mannschaft vermindert werden. Es ist nicht notwendig, daß gerade nur so viel Militär hier bleibe, als zu dem ihm übrig bleibenden Wachdienste erforderlich || S. 336 PDF || ist, sondern, daß nur so viel von hier abziehe, als früher für den nun von der Nationalgarde allein übernommenen Dienst notwendig war.

Nach der vom Generalen Freiherrn v. Cordon vorgebrachten Nachweisung besteht die hiesige Garnison aus 9960 Mann Infanterie und 1350 Mann Kavallerie.

Zu dem von der Nationalgarde nun übernommenen Dienst waren 357 Mann täglich erforderlich. Um diese Zahl, und mit Rücksicht auf den dreitägigen Wechsel eigentlich 1071 Mann, wäre die hiesige Garnison zu verringern, um die oberwähnte Zusage als erfüllt ansehen zu können. Freiherr v. Cordon wird diese Bemerkungen dem Kriegsminister eröffnen und morgen dem Ministerrate weiter referieren3.

II. Bericht Graf Hartigs; Berichte über die Abreise des Kaisers

Der Minister des Inneren Freiherr v. Pillersdorf brachte hierauf einige erhaltene Zuschriften zur Kenntnis des Ministerrates, und zwar:

a) ein Schreiben von dem Hofkommissär Grafen Hartig, worin er im wesentlichen meldet, daß die Ereignisse in Wien vom 15. Mai d. J. ihn bestimmt haben, Udine noch nicht zu verlassen4. Die Übertreibungen, mit welchen die hierortigen Begebenheiten unter das dortige Publikum gelangten, machten einen ungünstigen Eindruck, wirkten aufmunternd für die Bösgesinnten, entmutigend für die Ruhigen, die sich schon freuten, den Wirren der politischen Bewegungen durch Rückkehr unter Österreich entronnen zu sein. Die Zuschrift des Ministeriums des Inneren vom 22. Mai d. J.5 habe Graf Hartig erhalten. Den Aufenthalt in Verona werde er nicht, sondern nach Umständen einen anderen angemessenen Ort wählen und von der Wahl das Ministerium in die Kenntnis setzen6.

Zugleich gibt Graf Hartig Aufklärung über die im gedachten Ministerialschreiben vom 22. d. M. hinsichtlich der Verbreitung des Blattes „II Furlano“ in Venedig gemachten Bemerkungen.

b) Berichte des obderennsischen Regierungspräsidenten Freiherrn v. Skrbensky und des Kreishauptmanns Grafen Chorinsky, die Reise Ew. Majestät und der durchlauchtigsten Familie betreffend7.

Es wird bemerkt, daß in der Ah. Begleitung Graf Bombelles war, daß Ew. Majestät für Sich und die Ah. Familie einen Paß unter dem Namen eines Grafen v. Kufstein ausstellen ließen, daß Ihre Majestät die Kaiserin ohne Mantel war, welcher Allherhöchstderselben erst verschafft worden sei, daß Ew. Majestät und die Ah. Familie Ruhe und Fassung zeigten und daß allenthalben die innigste Anhänglichkeit und Untertansliebe Allerhöchstdenselben zu erkennen gegeben wurde.

|| S. 337 PDF || Die beabsichtigte Kundmachung eines Erlasses über den Grund der Ah. Reise ist unterblieben.

III. Offizielle Erklärungen in der „Wiener Zeitung“

Der Minister des Inneren teilte dem Ministerrate die Antwort mit, welche Ew. Majestät der steiermärkischen Deputation in Innsbruck bei Gelegenheit, als sie Allerhöchstdenselben die Versicherung der Treue und Anhänglichkeit aussprach, mündlich zu erteilen geruhten8.

Der Ministerrat erkannte es für angemessen, diese Antwort durch die Wiener Zeitung zur öffentlichen Kenntnis zu bringen und gleichzeitig auch über die Stimmung und den Zustand der Stadt einige beruhigende Worte zu sagen und die sich bei einigen Kompanien der Nationalgarde verbreitete Nachricht, daß Ew. Majestät schon heute um 4 Uhr nachmittags nach Wien zurückkehren werden, als ungegründet darzustellen, da dem Ministerium darüber nichts bekannt sei, es nicht gesäumt haben würde, eine so wünschenswerte Nachricht, wenn sie einen Grund hätte, selbst und schleunig bekanntzumachen, und daß nach den von Innsbruck an das Ministerium täglich gelangenden Nachrichten Ew. Majestät Sich daselbst unausgesetzt den Regierungsgeschäften widmen. Die entsprechenden Aufsätze wurden sogleich vorbereitet, um noch in der heutigen Abendbeilage der Wiener Zeitung zu erscheinen9.

IV. Schnellere Nachrichtenübermittlung an Graf Franz Stadion

Derselbe Minister las einen von dem galizischen Gouverneur Grafen Stadion erhaltenen Bericht10 vor, worin derselbe die Unzukömmlichkeit darstellt, daß er von den wichtigsten Begebenheiten in Wien oft durch andere früher Nachrichten erhalte als im Wege der Regierung. Von allem, was in Wien wichtiges vorgeht, brauche er von allen Provinzen zuerst in die Kenntnis gesetzt zu werden, teils wegen der großen Entfernung seines Aufenthaltes, teils wegen der besonderen Verhältnisse Galiziens. Um dieses zu erreichen, wären die dringenden dienstlichen Mitteilungen an ihn im Wege des Telegraphen nach Olmütz und dann weiter nach Umständen mittelst Estafette oder der Post zu befördern. Auf diese Art würde er in den Stand gesetzt, wirken zu können. Übrigens bemerkte Graf Stadion, daß sowohl in Lemberg als in den Kreisen des Landes Ruhe herrsche. Die Ministerien werden den vom Grafen Stadion angedeuteten Weg der schnellen Mitteilung benützen11.

V. Schreibkräfte für den Ministerrat

Der Minister der öffentlichen Arbeiten machte aufmerksam, daß es notwendig sei, von den zur öffentlichen Bekanntmachung geeigneten Vorgängen des Ministeriums sogleich und zwar schon aus dem Ministerrate die Kundmachung zu veranlassen.

|| S. 338 PDF || Ist das Publikum davon in Kenntnis, so werden nicht die sich jetzt so oft wiederholenden Anfragen und Interpellationen des Ministerrates, selbst während seiner Sitzungen, stattfinden, und das Ministerium wird ungestört seine Arbeiten fortsetzen können. Um diesen Zweck zu erreichen, seien aber ein oder zwei Arbeiter notwendig, welche sich in der Nähe des Ministerrates befinden und die erforderlichen Aufsätze für die Zeitungen nach Angabe der Minister oder des den Ministerratssitzungen beiwohnenden Staatsrates v. Pipitz verfassen müßten. Sie brauchen nur redliche, in der Feder gewandte und in der Verfassung von Aufsätzen geübte Männer zu sein.

Der Minister der öffentlichen Arbeiten, von dem Ministerrat darum angegangen, wird sich es angelegen sein lassen, solche Individuen ausfindig zumachen12.

VI. Mißliche Lage Grafen Hoyos'

Hierauf teilte der Minister des Inneren einen während der Sitzung erhaltenen Brief des Grafen Hoyos dem Ministerrate mit, worin der Graf bemerkt, daß er durch den 3. Absatz der von dem Ministerrate genehmigten Beschlüsse des Ausschusses von Bürgern, Nationalgarden und Studenten auf unbestimmte Zeit seiner Freiheit beraubt und gehindert sei, seine Geschäfte zu besorgen. Er nimmt den Einfluß des Ministers des Inneren in Anspruch, daß er bald aus dieser peinlichen Lage komme13.

Baron Pillersdorf bemerkt, durch den erwähnten 3. Absatz werde bestimmt, Graf Hoyos bleibe unter Vorbehalt eines gesetzlichen Vorganges als Bürge für das Zugesicherte und für die Errungenschaften des 15. und 16. Mai unter Aufsicht des Bürgerausschusses.

Hierdurch sei eine Gefangennahme und Arrest des Grafen Hoyos keineswegs gerechtfertiget.

Der Ministerrat habe sich diesfalls bereits gestern an den Ausschuß um Abhilfe gewendet14, sei aber bis jetzt noch ohne Antwort geblieben. Aus Anlaß des Schreibens des Grafen Hoyos wird nach dem Ministerratsbeschlusse das gestrige Ansinnen an den Ausschuß erneuert, was sogleich von dem Minister des Inneren ausgefertigt und abgesendet wurde15.

VII. Pensionierungen und Beförderungen beim Militär

Mit dem vorliegenden au. Vortrage vom 27. d.M., KZ. 205116, bringt der Kriegsminister durch den ihn vertretenden Generalen Freiherrn v. Cordon die Pensionierung des FZM. Grafen Künigl17 und des FML. der Artillerie Köck v. Stukkimfeld, dann zum Nachfolger des ersteren in seiner Anstellung beim Artilleriehauptzeugamte den rangsältesten Artilleriegeneralen FML. Baron Augustin18 in Antrag.

FZM. Graf Künigl ist vollkommen dienstunfähig wegen Kränklichkeit, Gesichts- und Gehörsschwäche und Abnahme seiner Geisteskräfte. Er hat sich während seiner 67jährigen Dienstzeit, in welcher er 14 Feldzüge mitgemacht, durch alle Chargen der || S. 339 PDF || Artillerie nicht geringe Verdienste um den Staat erworben. Der Kriegsminister trägt an, Ew. Majestät wollen den FZM. Grafen Künigl in den Ruhestand versetzen und ihm seinen vollem Feldzeugmeistersgehalt von 8000 fr. (der normale Betrag bestünde in 4000 fr.) in Rücksicht der angeführten Verhältnisse zu bewilligen geruhen.

Der FML. der Artillerie Köck v. Stuckimfeld ist bereits 74 Jahre alt und in einem so hohen Grade unbehilflich, daß er selbst zu ganz leichten Friedensdiensten ungeeignet erscheint. Es wird auf seine normalmäßige Pensionierung mit der seinem Charakter zukommenden Pension au. angetragen.

An die Stelle des FZM. Grafen Künigl in seiner Anstellung beim Artilleriehauptzeugamte bringt der Kriegsminister den rangsältesten Generalen der Artillerie FML. Baron Augustin in Vorschlag, welcher im ungetrübten Besitze der vollen Geisteskräfte einen umsichtigen und energischen Betrieb des ihm anvertrauten Geschäftes erwarten läßt, zumal er eine seltene Kenntnis von dem Gewehrwesen durch mehrjährige Verwendung in diesem Fache erlangt hat.

Der Ministerrat hat sich mit diesen Anträgen einverstanden erklärt19.

VIII. Kanonen für die Nationalgarde

In der vorliegenden Eingabe20 bittet der Ausschuß der Bürger, der Nationalgarde und der Studenten um schleunige Ausfolgung von sechs Batterien samt Munition an den Oberkommandanten der Nationalgarde Obersten v. Pannasch21 zur fortwährenden Disposition und Bedienung durch die gesamte Nationalgarde, damit die Bevölkerung Wiens die volle Garantie erlange, daß keine Reaktion stattfinden werde, weil die Nationalgarde aller Länder Kanonen zu ihrer alleinigen Disposition besitzt und weil nach kundgemachter Erfüllung dieser Bitte erst zur Räumung aller Barrikaden geschritten werden könnte.

Der Ministerrat hat beschlossen, diese Eingabe brevi manu an den Kriegsminister zur Abgabe seiner Meinung und zur Erstattung des au. Vortrages hierüber zu leiten22.

IX. Zollerleichterungen für den Transithandel

Der Finanzminister Freiherr v. Krauß brachte endlich die Gewährung neuer Zollerleichterungen zur Begünstigung des Durchfuhrhandels in Antrag.

Im Jahre 1833, bemerkte derselbe, seien neue Vorschriften über die Warendurchfuhr erlassen worden23, worin die Zollfreiheit für die von der See eingehenden und durchzuführenden Waren ausgesprochen, dagegen für Waren, welche vom Lande eingehen und über die See auszuführen sind, der Zoll, obgleich in einem mäßigen Ausmaße, beibehalten wurde. Seit dem Jahre 1833 werden Verhandlungen gepflogen, um für die Durchfuhr auch in der Richtung vom Lande über die See Befreiung vom Durchfuhrzolle zu erwirken, es ist aber bis jetzt zu keinem Beschlusse gekommen. Für die Durchfuhr über den Splügen und das Stilfser Joch sind bereits Begünstigungen erteilt || S. 340 PDF || worden. Von Triest und Tirol sind wiederholte Gesuche eingebracht worden, um Zollbefreiungen für die Durchfuhr auch in der Richtung gegen die See zu erlangen24. Zur Unterstützung wird angeführt, daß Tirol sonst in dem für die Provinz wichtigen Durchfuhrshandel durch die Konkurrenz der Schweizer, Piemonts und der italienischen Staaten bedroht wäre.

Der Referent Hofrat Esch erachtete, daß die gegenwärtigen Umstände allerdings ein Zugeständnis für Tirol erheischen, und meinte, daß für die Dauer eines Jahres die Durchfuhr aus der Schweiz über Triest vom Zoll freizulassen wäre. Gegen ein solches Zugeständnis auch für die Durchfuhr aus Bayern erhob er jedoch das Bedenken, daß man dann auch ein gleiches den übrigen Provinzen gewähren müßte25. Der Finanzminister hält es aber für notwendig, hierin um einen Schritt weiter zu gehen und auch die zur Durchfuhr über Triest bestimmten Güter auf der Nordgrenze von Tirol und nicht bloß von der Schweiz provisorisch für ein Jahr vom Durchfuhrzolle frei zu lassen. Eine solche Maßregel würde mit keinen bedeutenden Opfern für das Ärar (etwa nur 20.000f.) verbunden sein und würde den besten Eindruck nicht bloß in Tirol, sondern auch in Triest machen, was bei den gegenwärtigen Verhältnissen sehr zu berücksichtigen sei.

Dr Ministerrat erklärte sich mit dem Antrage des Finanzministers Freiherrn v. Krauß vollkommen einverstanden, welcher nun hiernach das weitere verfügen wird26.

Den 29. Mai 1848. Pillersdorf. Ges. 2. Juni. Franz Karl. Vidi. Ferdinand. Innsbruck, am 3. Juni 1848.