Nr. 8 Ministerrat, Wien, 3. August 1914
RS.Reinschrift; P. Ehrhart; VS.Vorsitz Stürgkh; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Stürgkh 3. 8.), Georgi, Hochenburger, Heinold, Forster, Hussarek, Trnka, Schuster, Zenker, Engel, Morawski.
- I. Einrichtung von rechts- und staatswissenschaftlichen Universitätskursen für die an österreichischen Universitäten studierenden Rechtshörer italienischer Nationalität.
- II. Geldbeschaffung anlässlich der kriegerischen Verwicklungen.
Protokoll des zu Wien am 3. August 1914 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh.
I. Einrichtung von rechts- und staatswissenschaftlichen Universitätskursen für die an österreichischen Universitäten studierenden Rechtshörer italienischer Nationalität
I. ℹ️ Der Minister für Kultus und Unterricht möchte den Ministerrat mit dem Projekte der Einrichtung von rechts- und staatswissenschaftlichen Universitätskursen für die an österreichischen Universitäten studierenden Rechtshörer italienischer Nationalität befassen.
Da einerseits die Errichtung der Rechtsfakultät mit italienischer Vortragssprache auf gesetzlichem Wege infolge der sich entgegenstellenden Schwierigkeiten parlamentarischer Natur für die nächste Zeit nicht durchführbar erscheine, es anderseits jedoch geboten sei, den Rechtshörern italienischer Nationalität Gelegenheit zu geben, die Gegenstände ihres Studiums in ihrer Muttersprache zu hören, sollen mit Beginn des Studienjahres 1914/15 bis zur Errichtung der genannten Fakultät „rechts- und staatswissenschaftliche Universitätskurse in italienischer Sprache“ in Wien eingerichtet werden. Zum Besuche dieser Kurse, welche unentgeltlich sein werden, solle jeder an der juridischen Fakultät einer österreichischen Universität inskribierte ordentliche Studierende italienischer Nationalität grundsätzlich zugelassen werden können.
Als Lehrkräfte sollen zunächst jene Universitätsprofessoren bestellt werden, welche für die aufgehobene rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät mit italienischer Vortragssprache in Innsbruck ernannt worden waren1, im Übrigen aber andere qualifizierte Vortragende italienischer Nationalität gewonnen werden. Diese Lehrkräfte sollen auch zu Prüfungskommissären bei den in italienischer Sprache abzulegenden Staatsprüfungen in Graz ernannt werden. In dem Verhältnisse der an diesen Kursen studierenden Rechtshörer zu der Universität, an welcher sie inskribieren, trete gegenüber dem gegenwärtigen Zustande eine Änderung nicht ein. Diesen Frequentanten soll die Ablegung der theoretischen Staatsprüfungen, soferne eine solche ausnahmsweise Bewilligung erforderlich erscheint, vor den betreffenden Prüfungskommissionen in Graz gestattet werden. Zur Bedeckung des Erfordernisses dieser Kurse werde zunächst das für die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät mit italienischer Vortragssprache präliminierte außerordentliche Pauschalerfordernis heranzuziehen sein.
Der Ministerpräsident hebt hervor, dass es sich dermalen darum handle, die Ah. Genehmhaltung für dieses Projekt zu erwirken. Die tatsächliche Realisierung werde im Zusammenhange mit gewissen Momenten der äußeren Politik infrage kommen. Er beantrage daher, dem Projekte im Prinzip zuzustimmen und den Minister für Kultus und Unterricht zu ermächtigen, im Falle der Ah. Genehmhaltung mit der Realisierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten nach Lage der Umstände vorzugehen. Der Ministerrat stimmt diesem Vorschlage zu2.
II. Geldbeschaffung anlässlich der kriegerischen Verwicklungen
II. ℹ️ Der Leiter des Finanzministeriums knüpft an die Beratungen früherer Sitzungen, insbesondere jener vom 29. Juli d. J. an, wo sich der Ministerrat mit der Frage der Geldbeschaffung für die Kosten der serbischen Expedition befasste3.
Durch die inzwischen erfolgte allgemeine Mobilisierung und durch die Wahrscheinlichkeit des Krieges mit einer Großmacht hätten sich die Voraussetzungen geändert und es müsse nunmehr an das Problem der Geldbeschaffung auf einer viel breiteren Basis geschritten werden. Dazu komme, dass die allgemeine Mobilisierung und der Krieg gegen eine Großmacht auf die wirtschaftliche Spannung der Monarchie ganz anders einwirken als die bloße Expedition nach Serbien, sodass auch die Bedingungen der Geldbeschaffung bei dieser Konstellation wesentlich andere seien. Das Bedürfnis sei ein enormes. Man müsse für drei Monate mit einer Summe von etwa 2.700 Millionen rechnen. Die Finanzverwaltung sehe sich vor einem Problem, welches immer als fast unlösbar erachtet worden sei, so dass man gerade aus diesem Umstande die Hoffnung auf das Unterbleiben eines Weltkrieges genährt habe4.
Nun aber, unmittelbar vor dieses Problem gestellt, erachte der sprechende Minister es zwar für überaus schwer, aber doch nicht für unlösbar; im Gegenteil, er hoffe, dass die Staatsfinanzen und die Volkswirtschaft in der Monarchie sich den großen Leistungen, welche die Zeit fordere, würden gewachsen zeigen. Die früher angeführte konkrete Bedarfsziffer und der augenblickliche Mangel an disponiblem Geld in der Bevölkerung lasse an eine Geldbeschaffung durch Anlehen mit normalen Begebungsformen oder durch Erschließung neuer staatlicher Einnahmsquellen, wie ℹ️Steuererhöhungen, Wehrbeiträge etc., nicht im Entferntesten denken. Den außerordentlichen Umständen des Augenblickes könne nach Meinung des sprechenden Ministers nur durch eine großzügig angelegte Operation sui generis Genüge geschehen, zu deren Durchführung die Oesterreichisch-ungarische Bank berufen wäre und hinsichtlich derer es schon im Jahre 1912 zu einem prinzipiellen Einverständnis zwischen den beiden Finanzverwaltungen und der Oesterreichisch-ungarischen Bank über die Grundzüge einer solchen eventuellen Transaktion gekommen sei5. Seitens der Oesterreichisch-ungarischen Bank, wie nicht minder seitens der ungarischen Finanzverwaltung werde aber darauf Gewicht gelegt, dass, bevor zu der Transaktion mit der Bank geschritten werde, alle anderen Geldbeschaffungsmittel erschöpft werden; deshalb werde auch gefordert, dass ein Teil des militärischen Aufwandes durch ein Anlehensgeschäft mit den privaten Geldinstituten beschafft werde.
Dieses zunächst in Betracht kommende Anlehensprojekt stelle sich als eine Modifikation des bereits in der Sitzung des Ministerrates vom 29. Juli d. J. konsentierten Anleiheprogrammes dar6. Damals sei der sprechende Minister ermächtigt worden, eine kaiserliche Verordnung behufs Abschlusses einer ℹ️Kreditoperation zu erwirken. Im Texte der kaiserlichen Verordnung hätte eine Ziffer nicht genannt, sondern die Ermächtigung zur Anlehensaufnahme durch die Zweckleistung, nämlich den Hinweis auf die Bestreitung der militärischen Bedürfnisse limitiert werden sollen. In dieser formellen Gestaltung der kaiserlichen Verordnung trete allerdings auch jetzt keine Veränderung ein, dagegen erweitere sich deren finanzieller Inhalt, weil nunmehr ein viel größerer Aufwand in Betracht komme. Dieser erhöhte Aufwand bedinge sowohl eine Ausdehnung der Anlehenssumme als auch eine wesentliche Modifikation der Form der Realisierung des Anlehens. Vor dem Zeitpunkte der drohenden europäischen Konflagration wäre es nämlich möglich gewesen, die geplante Summe von etwa 950–1.000 Millionen Kronen im Wege einer normalen Anleihe-Emission, und zwar teils im Inlande, teils im Auslande zu platzieren. Dieser Weg erscheint nicht mehr gangbar. Doch hätten sich die am Konsortialgeschäfte beteiligten Banken bereit erklärt, ein Anlehen in annähernd diesem Umfange (nämlich für beide Reichshälften 950 Millionen Kronen) zu übernehmen, es bei der Oesterreichisch-ungarischen Bank zu lombardieren und der Lombarderlös der Staatsverwaltung zur Verfügung zu stellen, eine Vermittlung, die sie kostenlos besorgen wollen. Der sprechende Minister denke an ein Nominale von 600 Millionen Kronen für Österreich, welches in 2½-jährigen 5%-Kassenscheinen als Pfand übernommen und von den Banken an der Oesterreichisch-ungarischen Bank lombardiert würde. Die Oesterreichisch-ungarische Bank hat sich bereit erklärt, diese Schuldscheine mit 85% zu belehnen. Dieser Lombardierungserlös werde in die österreichische Staatskasse fließen. Für dieses Darlehen müsste seitens der Finanzverwaltung der jeweilige Lombardzinsfuß entrichtet werden.
Das zweite Projekt bezwecke die Sicherstellung eines Betrages von 2 Milliarden Kronen, welche Summe quotenmäßig von den beiden Staatsverwaltungen in Anspruch genommen wird. Der Weg wäre folgender: Die Bank stellt jeder der beiden Staatsverwaltungen den von der Summe von zwei Milliarden Kronen auf sie nach dem Quotenschlüssel entfallenden Betrag, also Österreich den Betrag von 1.272 Millionen in Banknoten zur Verfügung und erhält als Deckung Gold-Schuldverschreibungen des betreffenden Staates. Diese Gold-Schuldverschreibungen müssten auf eine höhere Summe lauten, da sie nur bis 75% des Nominalwertes als Deckung in Verwendung kommen. Vorläufig wären sie in Form von fünfjährigen 5%igen Kassenscheinen zu erstatten, die aber im Falle des Erlangens gesetzlicher Ermächtigungen durch Rentenschuldverschreibungen oder andere nach der Marktlage sich ergebende Staatsschuldverschreibungen ersetzt werden könnten. Die Schuldtitres des Staates werden vorläufig nicht faktisch emittiert, sondern lediglich der Bank zur Verfügung gestellt. Ihre faktische Emission würde erst erfolgen, wenn bis zum Ablauf des Bankprivilegiums mit 19177 die ganze Angelegenheit zwischen der Bank und den Staatsverwaltungen nicht bereinigt wäre. Hervorzuheben wäre noch, dass selbstverständlich diese Titres nicht von vorneherein, sondern nur nach Maßgabe der Inanspruchnahme von Beträgen bei der Bank zu deponieren sein werden. An Vergütung werde der Bank 1% gegeben, zugleich aber verzichte der Staat auf die bezügliche Quote der 5%igen Banknotensteuer.
Das ganze Arrangement, hinsichtlich dessen die vollste Übereinstimmung mit Ungarn bestehe, beruhe – wie gesagt – im Wesentlichen auf einem bereits in der Kriegsgefahr von 1912 auf 1913 mit der Bank geschlossenen Übereinkommen, über welches der damalige Finanzminister Graf Zaleski in der Sitzung des Ministerrates vom 3. Mai 1913 referierte8. Der sprechende Minister habe geglaubt, auf einzelne Modifikationen des damaligen Übereinkommens, die ihm wohl erwünscht schienen, die aber nicht unerlässlich seien, verzichten zu sollen, um nicht das Arrangement mit der Bank, die auf die Aufrechterhaltung großen Wert lege, infrage zu stellen oder doch zu verzögern, zumal der ungarische Finanzminister an diesen Bestimmungen festhalte. Das außerordentlichen Verhältnissen angepasste Projekt dieser Geldbeschaffung sei nun natürlich mit dem auf den normalen Geschäftsgang zugeschnittenen Bankstatut nicht vereinbar. Einerseits stehe es in Widerspruch mit einer Bestimmung des § 55 dieses Statuts, welche der Bank (abgesehen von der Wechseleskomptierung) den Abschluss von Darlehens- und Kreditgeschäften mit den Staatsverwaltungen untersage; andererseits könne die Bank die verlangte Summe nicht aufbringen, wenn sie an die Bestimmung des § 84 des Bankstatuts über 40%ige metallische Deckung der Banknoten gebunden bliebe. Es wäre daher notwendig, das Bankstatut in den betreffenden Punkten außer Kraft zu setzen. Die Notwendigkeit, die Emissionsgrenze zu erweitern, würde sich aber auch, ganz abgesehen von dem staatsfinanziellen Bedürfnisse, aus Rücksichten der Volkswirtschaft herausstellen, da die Bank den ungeheuren Ansprüchen, die jetzt an den Notenumlauf gestellt werden und die im Interesse der Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens nicht unbefriedigt bleiben dürfen, nur dann gerecht werden kann, wenn sie hinsichtlich der Banknotenemission eine größere Elastizität besitzt, als sie nach den geltenden Bestimmungen über die Bedeckung der Banknoten vorhanden ist. Die Aufhebung der entgegenstehenden Bestimmungen könne in Österreich nur im Wege einer durch kaiserliche Verordnung erteilten Ermächtigung erfolgen, während in Ungarn, wo die Regierung bereits eine einschlägige gesetzliche Ermächtigung besitze, der Verwaltungsweg ausreiche9. Der sprechende Minister habe eingehend erwogen, ob es besser sei, die Bestimmungen über die Deckung der Banknoten überhaupt außer Kraft zu setzen, oder aber nur im Sinne einer Herabsetzung der Quote für die metallische Deckung zu modifizieren. Er habe sich nun für das Erstere entschieden, da es immer misslich sei, ziffernmäßige Beschränkungen aufzuerlegen, innerhalb deren man sich vielleicht in der Folge nicht halten könne, und da die ganze Geschäftsgebarung der Bank, die Aufrechterhaltung sonstiger Kautelen des Status und die Möglichkeit der Einflussnahme der beiden Staatsverwaltungen einen Missbrauch ausschließe. Überdies hindere die kaiserliche Verordnung in der vorgeschlagenen Form keineswegs, Kautelen hinsichtlich der Begrenzung des Notenumlaufes aufzustellen und behalte der sprechende Minister diese im Auge, sobald eine gewisse Klärung über den Bedarf und die ganze Situation eingetreten sein werde.
Ehe er nun die Zustimmung des Ministerrates in concreto erbitte, möchte er ein Wort über jene militärischen Geldbedürfnisse sprechen, die sich möglicherweise nach Erschöpfung der jetzt zur Sicherung gelangenden Summen herausstellen könnten. Er wolle nicht prophezeien, wie lange der Krieg dauern werde und daher auch kein Urteil abgeben, welche neuen Geldansprüche später zu befriedigen sein werden, er glaube aber, dass es nicht möglich sei, heute über die Zeit von drei Monaten hinaus in irgend verlässlicher Weise Projekte zu machen. Ganz abgesehen davon, dass seitens der Kriegsverwaltungen selbst keinerlei Programm über die finanziellen Ansprüche aufgestellt worden sei und auch nicht aufgestellt werden könne, bestehen keine Erfahrungen über die Entwicklung der modernen Volkswirtschaft während eines allgemeinen Krieges. Die Mittel und Wege, die seinerzeit zu wählen sein würden, könnten erst aus den Verhältnissen des Augenblicks heraus oder wenigstens nach zwischenzeitig gesammelten Erfahrungen beurteilt werden. Der Leiter des Finanzministeriums erörtert auch eine Reihe von Fragen, welche mit dem Problem der Geldbeschaffung in den gegenwärtigen Zeiten in Zusammenhang gebracht werden könnten, wie die Frage von Steuererhöhungen, Wehrsteuer, Zwangsanleihe, Lotterieanleihe, Kriegsvorschusskassen, Staatsnoten, etc., und legt die Gründe dar, aus denen diese Maßnahmen gegenwärtig nicht in Betracht kommen können. In der Voraussetzung, dass der Ministerrat die von ihm gekennzeichneten Projekte gutheiße, erbitte er die Ermächtigung zur Erwirkung zweier kaiserlicher Verordnungen, deren eine die Vornahme einer ziffernmäßig nicht beschränkten, jedoch durch den militärischen Bedarf limitierten Kreditoperation, die andere aber die Ermächtigung zur Vornahme von Maßnahmen beinhalte, welche die Bankstatuten betreffe.
In einer längeren Diskussion, an welcher sich der Ministerpräsident und sämtliche übrigen Mitglieder des Kabinetts beteiligen, dringt die Ansicht durch, dass unter den gegebenen Verhältnissen der vom Leiter des Finanzministeriums vorgeschlagene Weg der einzig mögliche sei, dass aber bei planmäßiger Durchführung des Projektes auch auf eine erfolgreiche Abwicklung der durch den Krieg bedingten Finanzgeschäfte des Staates gerechnet werden dürfe. Auf eine von mehreren Seiten gestellte Anfrage hin teilt der Leiter des Finanzministeriums mit, dass auch für die Beschaffung von Hartgeldmitteln, nach denen sich unter den gegebenen Verhältnissen ein größeres Bedürfnis herausstelle, entsprechende Vorsorge getroffen werden wird.
Der Ministerrat erteilt sohin dem Leiter des Finanzministeriums die erbetenen Ermächtigungen10,11.
Wien, am 3. August 1914. Stürgkh.
Ah. E.Allerhöchste Entschließung Ich habe den Inhalt des Protokolles zur Kenntnis genommen. Wien, am 14. Oktober 1914. Franz Joseph.