Nr. 75 Ministerrat, Wien, 19. Mai 1866 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Hueber; VS.Vorsitz Belcredi; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi 19. 5.), Mensdorff 22. 5., Esterházy 23. 5., Franck, Mailáth 23. 5., Larisch 23. 5., Komers 24. 5., Haller für I 24. 5., Kussevich für I 26. 5.; außerdem anw.anwesend Früh bei II, Reitz bei I; abw.abwesend Wüllerstorf.
MRZ. 75 – KZ. 1497 –
- I. Vorbereitung der zweiten Rekrutierung
- II. Teilweise Aufhebung des Ausfuhrverbots für Getreide
- III. Antwort auf den Bericht der Kommission zur Kontrolle der Staatsschuld
- IV. Dislokationsverfügungen bezüglich der Behörden in Dalmatien
- V. Verhinderung der Publizierung militärischer Maßnahmen durch die Presse
Protokoll des zu Wien am 19. Mai 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Staatsministers Grafen Belcredi.
I. Vorbereitung der zweiten Rekrutierung
Der vorsitzende Staatsminister setzte die Konferenz von dem wesentlichen Inhalte des au. Vortrages des Kriegsministers wegen Beauftragung der Landesgeneralkommanden zur Vorbereitung der zweiten Rekrutierung über Ah. Auftrag in Kenntnis1, um die von dem ungarischen Hofkanzler dagegen erhobenen Bedenken in Erwägung zu ziehen.
Der Oberst Reitz setzte vor allem auseinander, worin die Vorbereitungen einer Rekrutierung bestehen: Anlage von Listen, Aufruf der Altersklassen, Vornahmen der Befreiungskommission etc., und bemerkte, daß diese zweite Rekrutierung nach dem Antrage des Kriegsministers, da zunächst dieselben Altersklassen wie bei der ersten mit einigen Erleichterungen hinsichtlich des Körpermaßes und der Gebrechen vorgerufen werden sollen, sich eigentlich als eine Fortsetzung der ersten Stellung herausstelle, die man, wenn man schon damals gewußt hätte, daß es zum Kriege komme, anstatt auf 85.000 Mann auf die doppelte Zahl ausgedehnt haben würde.
Der ungarische Hofkanzler glaubte nicht, daß der ungarische Landtag ohne alle Einsprache die zweite Rekrutierung in Ungarn ohneweiters zugeben werde, und meinte, daß dann nichts anderes erübrigen würde, als mit der Auflösung des Landtages vorzugehen, was hintanzuhalten politisch ratsam sei. In zwei bis drei Wochen werde der ungarische Landtag bezüglich der gemeinsamen Angelegenheiten greifbare Resultate geliefert haben, und wenn diese günstig ausfallen, werde die Vorbereitung zur zweiten Rekrutierung auch in Ungarn keinem Anstande unterliegen; sollten diese Elaborate übrigens derart sein, daß die Regierung die Überzeugung erhalten würde, daß es nicht möglich wäre, hiemit bei den übrigen Landesvertretungen die Sache zu einem Einverständnisse zu bringen, dann werde nichts anderes erübrigen, als mit der Vertagung oder Auflösung des ungarischen Landtages vorzugehen, und sonach werde die zweite || S. 99 PDF || Rekrutierung in Ungarn gleichfalls anstandslos vor sich gehen können. Solange aber der Landtag versammelt ist und über die gemeinsamen Angelegenheiten einen Beschluß nicht gefaßt hat, wäre es nach dem Dafürhalten des ungarischen Hofkanzlers nicht rätlich, auch nur die Vorbereitungen zur zweiten Rekrutierung in Ungarn einzuleiten, weil hiegegen im Landtage nur zu leicht Demonstrationen vorkommen könnten, die in politischer Beziehung und in Hinsicht auf den einheitlichen Geist der Armee von ungleich größerem Nachteile sein könnten als der zeitweilige Entgang eines Kontingentes aus Ungarn. Aus diesen Gründen erachtete daher der ungarische Hofkanzler darauf einraten zu sollen, hinsichtlich der Vorbereitung der zweiten Rekrutierung in Ungarn und dessen Nebenländern einen Aufschub von etwa drei Wochen eintreten zu lassen. Der Kriegsminister stellte die Notwendigkeit dar, mit der zweiten Rekrutierung sogleich nach dem Ausbruche eines großen Krieges vorzugehen, er hob weiters die großen Nachteile hervor, welche eine ungleichzeitige Rekrutierung in militärischer Beziehung mit sich bringt, und gab auch seiner Besorgnis Ausdruck, daß der Ersatz für die Abgänge der Armee an Kranken, Verwundeten und Gebliebenen, wenn die Kriegsaktion begonnen haben wird, nicht zu rechter Zeit präsent sein wird, wenn Ungarn von dieser Maßregel ausgenommen wird, da die Vorarbeiten zur Rekrutierung einen Zeitraum von drei bis vier Wochen, der Akt der Rekrutierung selbst eine Zeit von sechs Wochen und selbst eine forcierte Abrichtung abermals sechs Wochen Zeit erfordert, vor vier Monaten daher aus der zweiten Rekrutierung dem Heere eine Komplettierung nicht zugehen kann. Der Minister des Äußern hegte die weitere Besorgnis, daß, falls nur Ungarn allein von dieser Maßregel dermal ausgenommen würde, ein schlechter Geist in den übrigen Provinzen hervorgerufen und Anlaß zu den unliebsamsten Klagen gegeben werden würde.
Da die Konferenz die Bedenken des ungarischen Hofkanzlers sowie die Bemerkung des Grafen Mensdorff als begründet erkannte, einigte sich dieselbe über Anregung von Seite des Grafen Belcredi dahin, daß vorderhand die Vorbereitung der zweiten Rekrutierung nur in den an den Kriegsschauplatz grenzenden Ländern, in welchen, wenn einmal der Krieg ausgebrochen ist, eine zweite Rekrutierung entweder sehr erschwert wäre oder teilweise ganz unmöglich gemacht werden könnte, daher derzeit nur in Böhmen, Mähren, Schlesien, Galizien, Tirol, im Küstenlande, in Dalmatien und im lombardisch-venezianischen Königreiche einzuleiten wäre. Da aber der Befehl des Kriegsministeriums zur Vorbereitung der zweiten Rekrutierung bereits an alle Generalkommanden ohne Ausnahme ergangen ist, übernahm es stante concluso der Kriegsminister, diesen Befehl bezüglich der Generalkommanden jener Länder, welche von dieser Maßregel dermal noch ausgenommen werden sollen, im telegrafischen Wege sofort vorläufig bis zur Ah. Entscheidung zu sistieren2.
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II. Teilweise Aufhebung des Ausfuhrverbots für Getreide
Der Staatsminister eröffnete, daß die Direktoren der Credit-Anstalt, welche die Getreidelieferungen für die Armee besorgt, ihre Überzeugung ausgesprochen haben, daß die Notwendigkeit, die jüngst erlassenen Getreideausfuhrverbote im Interesse der Verpflegungssicherstellung für die Armee noch länger aufrechtzuerhalten, nicht mehr bestehe, indem von allen Gattungen von Getreide so große Quantitäten im Lande vorhanden sind, und die Saaten so günstig stehen, daß auch ohne das Ausfuhrverbot die Deckung für die Armee zu billigen Preisen leicht bewerkstelligt werden könne. Es frage sich daher, ob man die erlassenen Ausfuhrverbote3, von denen so viele Steuerholden, denen dadurch die Gelegenheit benommen wurde, ihre Vorräte zu besseren Preisen zu verkaufen, hart betroffen wurden, ausnahmslos wieder aufheben könne, oder ob das Verbot wenigstens bezüglich des Hafers, von welchem noch große Quantitäten für die Armee benötigt werden, und da Hafer von der heurigen Ernte vor September zur Verfütterung nicht geeignet ist, vorläufig noch aufrechterhalten werden soll.
Der Generalverpflegskommissär Früh bemerkte, daß in betreff des Weizens die Deckung für die Armeebedürfnisse schon vollständig geschehen sei, daß von Korn noch 150.000 Metzen im Ausstand stehen, die jedoch in ein paar Tagen gedeckt sein können, wenn die dritte Lieferungsrate von der Credit-Anstalt in Anspruch genommen werde, was er sogleich veranlassen werde. Von Hafer seien jedoch noch 900.000 Metzen zu decken, und es sei auch die Süd-Armee auf die Emporien in Ungarn und im Banate angewiesen. Es bestehe daher kein Hindernis, das Ausfuhrverbot für Korn, Weizen und Gerste sowohl gegen Fremditalien, die Schweiz und den Zollverein in ein paar Tagen, vielleicht am 22. 1. M., wieder aufzuheben, bezüglich des Hafers müßte das Verbot jedoch vorläufig noch aufrechterhalten werden. Das unterm 10. 1. M. erlassene Verbot der Ausfuhr von Schlacht- und Stechvieh nach Fremditalien4 müsse gleichfalls noch in Wirksamkeit belassen werden, da die Deckung dieses Konsumptionsbedarfes für die Süd-Armee noch nicht zur Gänze bewerkstelligt ist. Der Kriegsminister erklärte sich mit den Anträgen des Generalverpflegskommissärs Früh mit dem Beifügen einverstanden, daß er schon ursprünglich das Ausfuhrverbot nur für Hafer erlassen wissen wollte und daß dasselbe großenteils nur wegen Erleichterung der Kontrolle bei der Ausfuhr für alle Körnergattungen von der Konferenz beschlossen worden sei.
Die Konferenz einigte sich sohin für die teilweise Aufhebung der erlassenen Ausfuhrverbote im Sinne des Antrages des Generalverpflegskommissärs Früh und für die Publizierung des diesfälligen Erlasses am 22. oder 23. l. M. 5.
III. Antwort auf den Bericht der Kommission zur Kontrolle der Staatsschuld
Der Staatsminister bemerkte, daß der au. Vortrag der Staatsschuldenkontrollskommission noch nicht in den Ah. Händen Sr. Majestät sei und daß || S. 101 PDF || dennoch einige Mitglieder der Kommission bereits die Indiskretion begangen haben, den Inhalt teilweise in Zeitungen bekanntzumachen6. Die Staatsschuldenkontrollskommission sei nur von Sr. Majestät bestellt und habe daher auch nur gegenüber Sr. Majestät Rechenschaft zu geben. Einige Mitglieder haben jedoch einen anderen Weg versucht und über ihren Wirkungskreis, der nach ihrem eigenen Entwurfe Ah. genehmigt worden sei7, auch in den Provinzen politisches Kapital zu schlagen versucht. In dem au. Vortrage, den er sich unter der Hand verschafft habe, komme bei den Erwägungen aus Anlaß der Finanzlage eine Stelle vor, nämlich die Betonung der Notwendigkeit der Mitwirkung einer Reichsvertretung bei der Verwaltung der Staatsfinanzen, welche vorzubringen die Kommission nach ihrem Wirkungskreise durchaus nicht als kompetent angesehen werden könne und bezüglich welcher er es zur Beruhigung der Bevölkerung für notwendig erachtet, an dem nächsten Tage, an welchem der Bericht der Kommission verlautbart sein wird, einen aufklärenden und beschwichtigenden Artikel in der Wiener Zeitung folgen zu lassen. In der Verfassungsfrage sei der Weg der Verhandlungen einmal betreten worden, wenn man aber verhandelt, habe man die Sache nicht mehr allein in der Hand und sei auch nicht mehr Herr der Zeit. Die Einberufung des engeren Reichsrates würde wegen Kompetenzbedenken zu keinem Resultate führen und gegenüber dem Auslande schwächen, Ungarn wäre aber dann gar nicht mehr zu halten. Für etwas wäre er allerdings gewesen: der Enthusiasmus für die Zukunft hätte allerdings gehoben werden können, wenn es möglich gewesen wäre, aus allen Landtagen Deputationen um den Thron zu versammeln. Nachdem man jedoch die Überzeugung erlangt habe, daß der ungarische Landtag eine solche Deputation nicht absenden werde, würde man mit diesem Versuche nur ein vollständiges Fiasko machen. In der Verfassungsfrage sei kein anderer Weg als der betretene möglich, würde man denselben verlassen wollen, dann würde man selbst den Anlaß geben, daß ein großer Teil des Reiches weder mehr von dem engeren noch von dem weiteren Reichsrate etwas wissen will, sondern auf das Parlament in Frankfurt appuieren wird. Die meritorische Erledigung des Berichtes der Staatsschuldenkontrollskommission werde von Sr. Majestät erfolgen, insoweit derselbe aber die angedeuteten Agitationen erhalte [sic!], können dieselben nicht unerwidert gelassen werden. || S. 102 PDF || Graf Belcredi las hierauf den von ihm vorbereiteten diesfälligen Zeitungsartikel (Beilagea ) ab.
Die Konferenz war in der Ansicht einig, daß eine solche Erwiderung erfolgen müsse. Der Justizminister glaubte nur, daß die Bevölkerung gerne ein Zeichen sehen würde, daß die konstitutionellen Verhältnisse wiederkehren werden und daß in dieser Richtung etwas geschehen müsse, damit Beruhigung im Volke Platz greife. Ein Passus in der Erwiderung, daß es nicht im Programme der Regierung liege, die Sistierung der verfassungsmäßigen Zustände fortan aufrechtzuerhalten, erschien dem Votanten daher wünschenswert.
Auch der Minister des Äußern war der Ansicht, daß es das Volk sehr befriedigen würde, wenn der Wiedereintritt verfassungsmäßiger Zustände nicht ad calendas graecas geschrieben bleibt. Auf etwas müsse sich die Regierung stützen können, sie müsse trachten, den Geist der Bevölkerung zu wecken, sonst werden ihr die Geldquellen versiegen. Es sei allerdings richtig, daß Wien nicht Österreich sei, soviel sei aber gewiß und unbestreitbar, daß die deutschen Untertanen immer die größten Opfer gebracht haben, daß in den deutschen Untertanen die Idee des österreichischen Reichsbestandes von jeher stets am tiefsten gewurzelt habe, wie denn auch kein Zweifel bestehe, daß sich die deutschen Truppen im Jahre 1859 in Italien am besten geschlagen haben. Graf Mensdorff hielt es daher für notwendig, in der Erwiderung am Schlusse irgendeine Hoffnungsphrase auf die Zukunft in der angedeuteten Richtung folgen zu lassen.
Dieser Antrag fand allseitig Anklang, und Graf Belcredi erklärte sich bereit, einen solchen Beisatz nach vorausgegangener Unterredung mit dem ungarischen Hofkanzler etwa in nachstehender Weise aufzunehmen:
„Ein Verlassen des betretenen Weges müßte im Interesse des Reiches um so mehr beklagt werden, als der Geist, welcher sich bei diesen Verhandlungen kundgibt, die Hoffnung des Gelingens als wohlbegründet erscheinen läßt.“
IV. Dislokationsverfügungen bezüglich der Behörden in Dalmatien
Über eine von dem Statthalter in Dalmatien als Militärgouverneur an den Kriegsminister ergangene Anfrage bezüglich der Befugnis zur zeitweiligen Verlegung der Behörden an andere Orte für den Fall, als die Kriegsverhältnisse dies bedingen sollten, war die Konferenz in der Ansicht einig, daß man diesfalls den Gouverneur zur selbständigen Verfügung je nach den eintretenden Umständen bevollmächtigen müsse und daß der Kriegsminister dem Gouverneur einfach die telegrafische Weisung erteilen möge: der Gouverneur könne Dislokationsverfügungen bezüglich der Behörden nach eigenem Ermessen treffen, hinsichtlich der Gebührenbehandlung der Beamten habe er sich jedoch nach den Vorschriften vom Jahre 1859 zu benehmen.
V. Verhinderung der Publizierung militärischer Maßnahmen durch die Presse
Der Kriegsminister wies auf die Notwendigkeit einer Verfügung bezüglich der Presse hin, die in letzterer Zeit häufig Mitteilungen über Truppenbewegungen und Rüstungen gebracht habe, die auch dem FZM. v. Benedek Anlaß zu Beschwerden gegeben haben. Bei dem Umstande jedoch, als die Presse im || S. 103 PDF || ganzen eine patriotische Haltung verfolge, erschienen dem Kriegsminister derzeit besonders strenge Maßnahmen nicht notwendig, und er glaubte, daß man dieselbe vorerst nur auffordern sollte, sich solcher Mitteilungen zu enthalten. Auch Graf Belcredi war der Ansicht, daß ein einfacher Appell an die Redaktionen die gewünschte Wirkung bereiten werde. Er habe übrigens bereits den Preßleiter beauftragt, derartige Schreiben an die Redaktionen abgehen zu lassen8.
Wien, am 19. Mai 1866. Belcredi.
Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.Wien, am 6. Juni 1866. Franz Joseph.