Nr. 542 Ministerrat, Wien, 18. Februar 1865 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 20. 2.), Mensdorff 21. 2., Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser 22. 2., Plener, Lichtenfels, Esterházy, Burger, Hein, Franck, Zichy 27. 2., Kalchberg; außerdem anw.anwesend Mercandin, Reichenstein, Žigrović; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 3. 3.
MRZ. 1346 – KZ. 564 –
Protokoll des zu Wien am 18. Februar 1865 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges Rainer.
I. Abstriche am Staatsvoranschlag für 1866 zur Beseitigung des Gebarungsdefizits
Der Staatsvoranschlag für 1866, welchen der Finanzminister am heutigen Tage im Abgeordnetenhause eingebracht hat1, weist ein Kassadefizit von 29 Millionen Gulden aus, worunter jedoch ungefähr 166/10 Millionen auf Schuldentilgung präliminiert sind, so daß das eigentliche laufende Gebarungsdefizit des gedachten Jahres auf 12,960.000 fl. herabsinkt.
Das Ministerkomitee in Budgetangelegenheiten2 hat nun gemäß Ministerratsbeschlusses3 in Erwägung gezogen, durch welche Hauptabstriche bei den verschiedenen Verwaltungszweigen dieses Gebarungsdefizit unter Voraussetzung des freien Revirements innerhalb der Hauptdotationssummen beseitigt werden könnte, wofern über diesen Gegenstand eine Einigung mit dem Reichsrate zustande gebracht werden würde.
|| S. 162 PDF || Durch diese Abstriche und bei Voraussetzung einer Mehreinnahme von 150.000 fl. in der Rubrik Kultus würde das Gebarungsdefizit des Verwaltungsjahres 1866 beinahe beseitigt werden. Der Finanzminister fügte jedoch bei, die obigen Abstriche seien relativ höchstbedeutend, namentlich auch der beim Finanzministerium, obgleich die Ziffer desselben per 2½Millionen hinter dem Abstriche für 1865 von 4,978.400 fl. beträchtlich zurücksteht. Denn es trete der Umstand ein, daß im Jahre 1866 eine große Ausgabsrubrik, welche zu Reduktionen vorzugsweise geeignet ist, durch den Verkauf von Staatsgüterkomplexen wegfällt. Man arbeitet eben im Finanzministerium an einer komparativen Zusammenstellung der Voranschlagsziffern für die verschiedenen Verwaltungszweige in den Jahren 1864, 1865 und 1866, welche die obwaltenden Verhältnisse klar entnehmen läßt und als Substrat zu den Pertraktationen zu dienen haben wird.
Schließlich erwähnte der Minister, er habe in seinem heutigen Vortrage4 dem Abgeordnetenhause die Aussicht eröffnen zu können geglaubt, daß das ganze Defizit im Jahre 1867 verschwinden werde, vorausgesetzt, daß weitere Ersparungen eingeleitet werden und die Steuerreform bereits ihre Früchte zu tragen beginnt.
Gegen die mitgeteilten Ziffern der Abstriche wurde von keiner Seite eine Erinnerung erhoben5.
II. Sistierung der Detailberatungen über den Staatsvoranschlag für 1865 im Finanzausschuß
Der Staatsminister besprach die Phasen, in welche die Budgetverhandlungen6 infolge der bei Einbringung des Voranschlags für 1866 von der Regierung abgegebenen Erklärungen über den Vrints’schen Vorschlag7 eintreten dürften. Wenn das Abgeordnetenhaus bei der ersten Lesung am 21. d. M. sich einer Vereinbarung in diesem Sinn geneigt zeigt und den Finanzausschuß zur Berichterstattung auffordert, wäre es angezeigt, die weiteren Detailberatungen über die einzelnen Budgets mit dem Finanzausschusse zu sistieren, da dieselben, wenn die Vereinbarung gelingt, zwecklos sind und für die Regierung unerwünschte Erörterungen herbeiführen. Man habe daher allen Grund, die weiteren Detailberatungen, solange die Sache in der Schwebe ist, abzulehnen, und Ritter v. Schmerling schlage daher vor, daß jeder seiner Kollegen, an den nach dem 21. d. M. noch von Seite des Finanzausschusses eine Einladung zu derlei Beratungen ergehen würde, ihn davon sofort unterrichte, damit er darauf dem Obmann des Finanzausschusses eine ablehnende Erklärung eröffne. Für die Mitteilung im Wege des Staatsministers sprächen analoge Präzedentien.
Sämtliche Stimmführer waren hiemit einverstanden, und der Marineminister fügte bei, daß er unter den obwaltenden Umständen sich der für den 20. d. M. anberaumten Diskussion der Marinebudgets im Finanzausschusse zwar noch nicht entschlagen könne, || S. 163 PDF || deren weitere Fortsetzung nach dem 21. d. M. aber konsequent mit der neuen Wendung der Verhandlung abzulehnen sein werde. Der Polizeiminister , welcher mit der Ablehnung der etwa vom Finanzausschusse proprio motu beantragten Fortsetzung von Detailberatungen einverstanden war, machte jedoch auf die Eventualität aufmerksam, daß das Haus bei Eingehung auf die Prüfung des Vrints’schen Antrags die Fortsetzung der Detaildiskussionen ausdrücklich anordnet. Daß Versuche, einen solchen Beschluß herbeizuführen, von einer Partei werden gemacht werden, sei vorauszusehen. Gelingt ihr dies, worüber man den 21. im klaren sein wird, so werde sich die Regierung der weiteren Beratung kaum entschlagen können. Im Lauf der Besprechung über den Vorschlag des Staatsministers erwähnte der Kriegsminister der schiefen Stellung, in welche er infolge der Detailberatung über sein Budget geraten würde, wobei er die Positionen desselben mit allem Nachdruck verteidigen müsse und doch, im Fall die Vereinbarung über die großen Abstriche während oder nach der Diskussion gelingt, der von ihm eben erst für untunlich erklärte Abstrich von 5 Millionen8 realisiert werden würde! Der Marineminister bemerkte, dieselbe Inkonsequenz träte eventuell bei seinem Ministerium wegen des relativ noch höheren Abstrichs von 1,160.000 fl. noch weit greller hervor. Der Staatsminister erwiderte, der Zweck der von ihm beantragten Unterbrechung der Detailberatungen sei eben, diesem Übelstande auszuweichen, der übrigens, wie Se. k. k. Hoheit der Vorsitzende durchlauchtigste Herr Erzherzog bemerkte, bei jedem Minister mehr oder weniger eintreten würde. Der Polizeiminister hob heraus, man werde den einzelnen Ministern aus dem schließlich vorgenommenen großen Abstriche keinen begründeten Vorwurf der Inkonsequenz machen können, indem er nur im Wege des Kompromisses zustande kommt, wobei der einzelne des höheren Zweckes wegen ein für ihn allerdings schweres Opfer bringt.
Über die von Sr. k. k. Hoheit gemachte Bemerkung, daß das Abgeordnetenhaus vielleicht die Reduktionsziffer im ganzen akzeptieren, deren Teilung aber in einer von den Intentionen der Regierung abweichenden Weise vornehmen dürfte, äußerten der Staats-, der Polizei- und der Marineminister, daß dieses durchzusetzen wahrscheinlich versucht werden wird, man aber dann mit Festigkeit entgegentreten müsse9.
III. Aufhebung der Internierung des Marjan Langiewicz
Der Minister des Äußern referierte über eine wiederholte Aufforderung von Seite der schweizerischen Regierung wegen Entlassung des Schweizer Bürgers Langiewicz aus der Internierung und Gestattung, daß er nach der Schweiz reisen dürfe10. Langiewicz befinde sich allerdings weder in Untersuchung noch in Strafe. Sein Untertansverhältnis zu Preußen ist in legaler Weise gelöst und ihm das Schweizer Bürgerrecht verliehen worden. Diesen Umständen gegenüber ist es schwer, auf der Weigerung festzuhalten, und die russische Regierung ist auch bereits darauf gefaßt, daß dieser || S. 164 PDF || Flüchtling von uns freigegeben werden wird. Der Polizeiminister äußerte, es sei allerdings jetzt absolut unmöglich, den Langiewicz noch länger interniert zu halten, während man die übrigen Internierten massenhaft ins Ausland ziehen läßt11. Die neuerliche diplomatische Verwendung der schweizerischen Regierung wäre daher als Anlaß zur Aufhebung der Internierung des Obgenannten zu ergreifen, jedoch seine Entlassung nicht als Folge der schweizerischen Staatsbürgerschaft, sondern als Konsequenz der allgemeinen Maßregeln bezüglich der Internierten zu bezeichnen, wobei man auf die bezüglich des Langiewicz schweizerischerseits gegebenen Zusicherungen hinweisen würde12. Der Marineminister glaubte, es wäre dem Ansinnen der Schweiz „mit Rücksicht auf die geänderten Umstände“ und ohne Beziehung auf die früher erhaltenen Zusicherungen zu entsprechen. Für die sofortige Aufhebung der Internierung stimmten die Minister Ritter v. Schmerling, v. Lasser und v. Hein, letzterer mit dem Beisatz, er wäre an die bayerische Grenze zu stellen. Der Polizeiminister , hiemit einverstanden, würde ihn diesfalls gleich allen andern Internierten behandeln und die Schweizer Regierung von dem Verfügten in Kenntnis setzen. Vielleicht verliere man aber dadurch die früher gegebenen Garantien! Der Minister des Äußern erwiderte, daß man die Fortdauer der fraglichen Garantie als selbstverständlich voraussetzen könne13.
Wien, 20. Februar 1865. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 2. März 1865. Empfangen 3. März 1865. Erzherzog Rainer.