Nr. 465 Ministerrat, Wien, 19. April 1864 – Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 25. 4.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser, Plener, Lichtenfels, Esterházy, Burger, Hein, Franck; abw.abwesend Forgách; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 5. 5.
MRZ. 1270 – KZ. 1324 –
Protokoll II des zu Wien am 19. April 1864 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzoges Rainer.
[I.] Neue Statuten der österreichischen Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe
Der Präsident des Staatsrates referierte über den Vortrag des Ministers Ritter v. Lasser (mitgefertigt vom Finanzminister) de dato 11. März 1864 1 betreffend die neuen Statuten der privilegierten Österreichischen Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe. Der diesfällige, auf Grundlage der behördlichen Andeutungen redigierte und von der Generalversammlung der Credit-Anstalt am 17. und 18. Dezember 1863 angenommene Entwurfa, 2 wurde vom Staatsministerium der Ah. Sanktion mit einigen Modifikationen unterzogen. Der Staatsrat erhob nur gegen wenige Bestimmungen ein Bedenken, und Freiherr v. Lichtenfels beschränkte sich bei seinem Referate darauf, diese Differenzen zu beleuchten3: Die erste und wichtigste Differenz waltet bezüglich des § 7, wonach der Credit-Anstalt der Ankauf ihrer eigenen Aktien bis zum sechsten Teil des Grundkapitals unter pari gestattet, ihr jedoch die Minderbegebung zur Pflicht gemacht wird, wenn der Kurs der Kreditaktien den Nennwert überschritten hat. Der § 7 der ursprünglichen und noch bis jetzt geltenden Statutenb lautet dagegen folgendermaßen: „Die Credit-Anstalt darf die zur Bildung ihres Fonds ausgegebenen Aktien weder ankaufen noch gegen andere Wertpapiere eintauschen.“ Der Staatsrat erachtete, daß der Inhalt des § 7 der revidierten Statuten mit den Bestimmungen des Handelsgesetzbuches4, namentlich dem Artikel 248, im Widerspruche steht, denn es sei der Ankauf eigener Aktien eine teilweise Rückzahlung des Kapitals, welche nach Artikel 248 nur unter Wahrung der Rechte der Gesellschaftsgläubiger, in ähnlicher Weise wie dies für die Auflösung der Aktiengesellschaft angeordnet ist, stattfinden kann. Der Staatsratspräsident erklärte sich gleichfalls gegen die gewünschte Änderung des § 7, wiewohl er sich der hiefür angeführten Begründung nicht in allen Teilen anzuschließen vermag. Es scheint ihm wahrlich hier der Wortlaut des Artikel 248 nicht maßgebend, da dieser eine teilweise Zurückzahlung des Grundkapitals an die Aktionäre im Auge hat, was nach dem neuen § 7 nicht geschehen soll. Allein durch den Rückkauf der Aktien werde doch || S. 342 PDF || das Grundkapital unleugbar geschmälert und dadurch tritt man den gegenwärtigen Gläubigern der Credit-Anstalt zu nahe, welche nach § 7 der bisherigen Statuten auf ungeschmälerte Erhaltung des ursprünglichen Gesellschaftsfonds von 60 Millionen Gulden ein Recht haben. Ein praktischer Nachteil würde sich aber daraus für die Gläubiger herausstellen, falls die Geschäfte der Credit-Anstalt eine so ungünstige Wendung nähmen, daß dieselbe insolvent würde. Denn in diesem Falle wären die von der Gesellschaft angekauften Aktien wertlos, da sie bloß eine Forderung der Gesellschaft an sich selbst repräsentieren. Der alte § 7 bekräftige noch mehr das schon in den allgemeinen Bestimmungen des Handelsgesetzes enthaltene Recht der Gläubiger auf ungeschmälerte Erhaltung des Gesellschaftsfonds.
Der Finanzminister äußerte, er wolle auf die juridische Seite der Frage nicht eingehen, zumal Freiherr v. Lichtenfels selbst anerkannt hat, daß der Artikel 248 des Handelsgesetzbuches dem Rückkaufe der Aktien nicht im Wege stehe. Vom finanziellen Standpunkte aber müsse der größte Wert auf die Gestattung dieses Rückkaufs gelegt werden. Dieselbe bilde nämlich sozusagen den Kern der neuen Statuten. In ihr liege die Bedingung einer neuen Ära für die Credit-Anstalt, wie sich schon daraus ergibt, daß deren Aktien auf das bloße Gerücht, die neuen Statuten würden nicht genehmigt, um vier Prozente fielen. Nun aber sind dermal die Kreditaktien das leitende Papier auf dem Wiener Platze geworden, und deren Fall zieht den der Staatspapiere nach sich. Es bedarf daher keiner näheren Auseinandersetzung, wie nachteilig das Sinken des gedachten leitenden Papiers gerade in diesem Augenblicke wäre, wo eine große Kreditoperation dem Abschlusse nah’ ist. Es ist vielmehr im Interesse des Staates angezeigt, die Börse darüber baldigst zu beruhigen, indem die neuen Statuten noch vor der am 26. d. M. stattfindenden Generalversammlung der Credit-Anstalt die Ah. Sanktion erhalten. Daß die Befugnis zum Aktienrückkauf Schwindelgeschäfte zur Folge haben werde, besorgt der Finanzminister nicht. Wohl aber würde durch deren Verweigerung den Schwindeleien der Contremine Tür und Tor geöffnet werden. Überdies liegt ja in der Verpflichtung zum Wiederverkauf nach erreichtem Parikurse das sicherste Mittel zur Verhinderung eines künstlichen Steigens der Aktien hoch über pari. Will man sich dabei noch nicht beruhigen, so könnte ja ein Termin von sechs Jahren zur Wiederbegebung der rückgekauften Aktien festgesetzt werden. Indessen könnten durch eine solche Fixierung seinerzeit Schwierigkeiten entstehen. Vor einer Krida der Anstalt werde jeder, der ihre Verhältnisse genau kennt, keine Besorgnis hegen, und um die Gläubiger derselben vor einer imaginären Gefahr zu bewahren, müsse man nicht das finanzielle Interesse des Staates und das Interesse der Gesellschaft opfern, welche durch das fragliche Zugeständnis allein in den Stand gesetzt werden kann, sich von der Überfüllung mit den ihr vom Finanzminister Baron Bruck aufgedrungenen Theißbahnaktien5 zu befreien. Auf große Gewinne bei dem Rückkauf sei es nicht abgesehen. Auch sollen ja die gewonnenen Kursdifferenzbeträge in den Reservefonds fließen und somit zur Konsolidierung der Gesellschaft dienen. Aber ein realer Vorteil besteht darin, daß durch diese Maßregeln die großen Sprünge des Aktienkaufes unter und über pari verhindert werden. Minister Ritter v. Lasser entwickelte die bereits in seinem au. Vortrage für den || S. 343 PDF || neuen § 7 geltend gemachten Motive und zeigte, daß der temporäre Rücklauf der Aktien als von einer Kapitalsrückzahlung verschieden mit dem Wortlaut des Artikel 248 nicht im Widerspruch stehe. Eine plötzliche, die Sicherheit der Gläubiger gefährdende Krida sei nicht zu besorgen, denn cschon bei 50% Verluste müsse die Gesellschaft liquidieren. Die Geschäfte seien auch durch die in den Kassen der Anstalt befindlichen Werte gedecktc . Der lf. Kommissär überwacht die tägliche Gebarung der Anstalt, und ddie jährlichen Bilanzen gewähren den Aktionären sowie den Gläubigern Einsicht in ihre Zinslage, so daß eine große Katastrophe nicht unvorhergesehen kommen kannd . Die Bewilligung des Aktienrückkaufs werde den Stand der Kreditaktiva und mit ihnen jenen der Staatspapiere konsolidieren, indem dadurch ein Gegengewicht für leichtsinnige oder böswillige Spekulationen geschaffen wird. Die Verweigerung aber würde die Stellung des Finanzministers bei den im Zug befindlichen Anlehenverhandlungen6 etc. wesentlich verschlimmern. Minister Ritter v. Hein teilte vollkommen die vom Staatsrate und dessen Präsidenten erhobenen wichtigen Bedenken. Die bekannten Motive, welche der Fassung des Artikels 248 des Handelsgesetzbuches zum Grunde liegen, lassen über dessen gegen den § 7 (neu) gerichtete Tragweite keine Zweifel. eAuch der Rückkauf sei eine Rückzahlung eines Teils des Fonds an die Aktionäre, nämlich an jene Aktionäre, die es eben für sich nützlich finden, jenen Aktienbetrag, welcher doch eigentlich zur Deckung der Gesellschaftsgläubiger bestimmt sei, von dieser Haftung zu befreien und für sich disponibel zu machen, ohne daß die Kreditoren befragt oder auch nur früher in Kenntnis gesetzt werden. Dies widerspreche geradezu dem Wortlaute und Geiste des Handelsgesetzes.e Auch der Rückkauf sei eine Rückzahlung eines Teils des Fonds an die Aktionäre, nämlich an jene Aktionäre, die es eben für sich nützlich finden, jenen Aktienbetrag, welcher doch eigentlich zur Deckung der Gesellschaftsgläubiger bestimmt sei, von dieser Haftung zu befreien und für sich disponibel zu machen, ohne daß die Kreditoren befragt oder auch nur früher in Kenntnis gesetzt werden. Dies widerspreche geradezu dem Wortlaute und Geiste des Handelsgesetzes. Wie könne man jetzt schon, ein Jahr nach Promulgierung des Handelsgesetzes, diese demselben zuwiderlaufende statutarische Bestimmung genehmigen. In Beziehung auf die geltend gemachten finanziellen Gründe müsse Votant bezweifeln, daß das Steigen der Staatspapiere von dem Stande der Kreditaktien allein abhänge. Stichhaltige nationalökonomische Gründe seien nicht vorgebracht worden, und es sei vielmehr gewiß, daß die Credit-Anstalt ihre Aufgabe, Handel und Gewerbe zu unterstützen, noch keineswegs in so umfassender Weise gelöst habe, um bereits zu einer Reduktion ihres Grundkapitals um 16 Millionen schreiten zu können. Es gibt vielmehr noch reichlich Gelegenheit zu einer lohnenden Anlegung ihrer Fonds. Der Polizeiminister , vom Handelsgesetzbuch absehend, findet keine hinlänglichen Opportunitätsgründe zur Rechtfertigung der beantragten exzeptionellen Begünstigung. Man spreche davon, den Fonds später durch Verkauf der Aktien wieder zu vermehren. Wie aber, wenn sie nicht auf pari steigen, sondern etwa unter dem Rückkaufspreise bleibend herabsinken. Aber zugegeben man bringe sie wieder an, so wird der Hauptgewinn der ganzen Manipulation nicht der Credit-Anstalt, sondern jenen Männern zufallen, die von den durch sie beabsichtigten Käufen und Verkäufen || S. 344 PDF || auf Schleichwegen unterrichtet sein werden. So wünschenswert es sein mag, die Börse jetzt günstig zu stimmen, so scheine doch diese Wirkung um den Preis des § 7 (neu) zu teuer erkauft. In gleicher Weise äußerte sich der Marineminister. Der Staatsminister bemerkte, er verkenne nicht das Gewicht der vom Staatsrate und dessen Präsidenten angeführten Gründe. Indessen könne er doch in dem vorübergehenden Rückkauf von Aktien die durch Artikel 248 verbotene Rückzahlung des Gesellschaftsfonds an die Aktionäre nicht erkennen. Es sei hier mindestens kein offener Verstoß gegen das Handelsgesetz. Man habe von den gefährdeten Rechten der dermaligen Gläubiger der Credit-Anstalt gesprochen, nachdem letztere dermal völlig solvent ist, steht es ja jenen Gläubigern frei, ihre Forderung einzubringen, sofern ihnen der neue § 7 Besorgnis für die entfernte Zukunft einflößt. Die seit Genehmigung der neuen Statuten mit der Credit-Anstalt in das Verhältnis eines Gläubigers eintretenden Personen aber können gegen den § 7 keinen Einspruch erheben. Auf diese Weise über die juridischen Bedenken beruhigt, glaubt der Staatsminister den vom Finanzminister geltend gemachten Rücksichten volle Würdigung angedeihen lassen und demselben somit beistimmen zu sollen. Minister Graf Esterházy, der Minister des Äußern und der Kriegsminister traten ebenfalls der Meinung des Finanzministers bei. Minister Graf Nádasdy bemerkte, man könne allerdings den dermaligen Gläubigern der Credit-Anstalt nicht zumuten, sich mit einem um ein Sechstel verminderten Garantiefonds zu begnügen. Wenn es auch andererseits richtig ist, daß diese Gläubiger nebst dem Gesellschaftsfonds noch eine reiche Deckung an den Pfändern und Aktivforderungen der Credit-Anstalt haben, so daß eine vollkommene Krida nicht ins Reich der Möglichkeiten gehört, zumal die Aktionäre selbst nach § 85, sobald der Gesellschaftsfonds auf die Hälfte herabgesunken ist, auf Liquidation dringen dürften. Die Stimmenmehrheit vereinigte sich sohin mit dem Antrage der Minister Ritter v. Lasser und Edler v. Plener bezüglich des § 7.
Das zweite Bedenken des Staatsrates bezieht sich auf die Bestimmung des § 19, daß der zur Führung der Geschäfte berufene Vorstand der Gesellschaft aus dem Verwaltungsrat und der Direktion besteht, während nach den Paragraphen 43 und 47 des neuen Statutenentwurfes nur die Direktion als der Vorstand angesehen werden kann. Es wäre daher das erste und dritte Alinea des § 19 mit den Bestimmungen der Artikel 227 und 228 des Handelsgesetzes in Einklang zu bringen wie auch der Inhalt des ganzen Paragraphs mit den dazu beantragten Zusätzen in die von der Direktion handelnde Abteilung der Statuten zu übertragen. Der Ministerrat war mit diesen Modifikationen einverstanden. Gegen den weiteren Antrag des Staatsrates, im § 28, Absatz 1, zwischen den Worten „öffentliches Wohl“ im Sinne des § 4/1 „volkswirtschaftliche“ einzuschalten, ergab sich von keiner Seite eine Erinnerung und ebensowenig gegen den Schlußantrag des Staatsrates zu den Paragraphen 33, 50 und 70, daß im Sinne des Artikels 209, Absatz 6, des Handelsgesetzes an entsprechender Stelle jene Grundsätze einzuschalten sind, wonach die Jahresbilanz aufzunehmen und der Gewinn zu berechnen kommt.
Hiemit wurde die Beratung über die neuen Statuten der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe geschlossen7.
|| S. 345 PDF || Wien, am 25. April 1864. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 4. Mai 1864. Empfangen 5. Mai 1864. Erzherzog Rainer.