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Nr. 261 Ministerkonferenz, Wien, 11. Jänner 1861 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet (RS. Klaps); VS. Rechberg; BdE. und anw. (Rechberg 13. 1.), Mecséry 13. 1., Schmerling, Degenfeld 11. 1., Plener 14. 1., Lasser 15. 1., Szécsen vidit; abw. Vay.

MRZ. – KZ. 411 –

Protokoll vom 11. Jänner 1861 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten und Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen Rechberg.

I. Entfernung des Elysiums aus dem St. Annengebäude

Der Staatsminister referierte infolge eines ihm durch den Ministerpräsidenten bekanntgegebenen Ah. Auftrages über die Frage der Entfernung des „Elysiums“ aus dem St.-Annen-Gebäude und erörterte die von den Unterbehörden sowohl als von den Zentralstellen, der Ministerkonferenz und dem Reichsrate, zur Begründung ihrer divergierenden Meinungen geltend gemachten Gründe1.

Der Staatsminister stellt sich bei Beurteilung dieser Frage auf den juridischen Standpunkt, daß dort, wo keine höheren öffentlichen Zwecke im Mittel liegen, dem Eigentümer eines Gebäudes nicht verwehrt werden könne, einer Partei kontraktmäßig die Miete zu kündigen. Das St.-Anna-Gebäude gehört dem Studienfonds, und die Tutelarbehörde dieses Fonds ist daher bei der Kündigung des Elysiums ganz in ihrem Rechte. Hiezu kommen dann noch pädagogische Rücksichten und die Rücksicht auf Wahrung der akademischen Kunstsammlung vor Feuersgefahr2. Ritter v. Schmerling tritt daher im wesentlichen dem im Vortrage vom 12. v. M. dargelegten Antrage des hohen Reichsratspräsidiums3 auf Kündigung der vom Unternehmer des Elysiums gemieteten Räume bei und glaubt nur, daß der Termin – Michaeli4 1861 – bis Michaeli 1863 erweitert werden dürfte, um dem Unternehmer zu der allerdings nicht leichten Auffindung und Adaptierung anderer Lokalitäten Zeit zu lassen, zumal nicht bloß die Unterhaltung der unteren Klassen, sondern auch die Existenz vieler Personen von dem Fortbestande der Unternehmung abhängt. Für die mittlerweilige Beseitigung der vorhandenen Übelstände würde durch die Polizeidirektion gesorgt werden.

Die Konferenz war mit diesem Antrage einverstanden5.

II. Vorberatung der Anträge einzelner Konferenzglieder und Konzentrierung aller Vorträge bei dem Ministerpräsidenten

Der Staatsminister referierte, daß im Laufe der vier Wochen, seitdem er durch die Ah. Gnade auf den gegenwärtigen Posten berufen ward, sich bereits mehrere Fälle ergeben haben, wo durch einseitige Anträge des Chefs einer Zentralbehörde ohne vorläufige Beratung in der Ministerkonferenz Ah. Entscheidungen über wichtige Angelegenheiten provoziert wurden, von denen er erst durch die Zeitungen oder auf Privatwegen Kenntnis erhielt || S. 247 PDF || und wofür er, zum wesentlichen Nachteile seiner Stellung und des Vertrauens, das er bis jetzt im Publikum genießt, die Verantwortung mitzutragen hat.

Vier Gegenstände dieser Art sind es, welche der Staatsminister heute besonders herausheben wolle: 1. Die Zusammensetzung der Karlsburger Konferenz, welche in einem die ungarische Nationalität auffallend begünstigenden Zahlenverhältnisse stattfand und wozu der Antrag einseitig vom Präsidenten Baron Kemény ausging6, obgleich die Sache von hoher und allgemein politischer Wichtigkeit ist und Minister v. Lasser deswegen auch bei der im Beisein des Baron Kemény gepflogenen Konferenzialberatung ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, daß die Modalitäten der Karlsburger Konferenz ebenso vorläufig in die Konferenz zu beraten sein würden wie die Instruktion für den Grafen Mensdorff-Pouilly7. 2. Die Wahl der Obergespäne in Kroatien und Slawonien, welche Präsident Mažuranić ebenfalls einseitig und überdies auch vorzeitig beantragte, während die Organisierung der Komitate füglich hätte vorausgeschickt werden sollen8. 3. Die Organisierung der Preßleitung und die Besetzung der Chefstelle dieses Büros. Nach den hierüber in der Konferenz gefallenen wenigen Äußerungen habe der Staatsminister annehmen müssen, daß die diesfälligen Anträge nicht ohne sein Einvernehmen erstattet werden würden, zumal der Impuls, der der Presse in der Verfassungsfrage gegeben werden muß, am angemessensten vom Staatsminister auszugehen hat. Er sei nun eines wichtigen Hebels für gedeihlichen Einfluß auf die öffentliche Meinung beraubt. Überhaupt erwarte er nicht viel von einer in polizeilichen Händen ruhenden Preßleitung9. 4. Die soeben erteilte Amnestie in Ungarn sei ebenfalls in keiner Konferenz beraten worden10; wäre es geschehen, so hätte sich Ritter v. Schmerling entschieden dagegen erklären müssen, da dieser Ah. Gnadenakt jetzt nur einer Schwäche der Regierung wird zugeschrieben werden. Der Moment, wo der Kampf in Ungarn beginnen soll, ist nicht der geeignete, um eine Milde vorwalten zu lassen, welche erst nach dem Siege am Platz ist. Indessen müsse der Staatsminister das, was bereits geschehen ist, allerdings hinnehmen und werde die Verantwortung dafür mit seinen Kollegen tragen; er könne jedoch nicht umhin auszusprechen, daß die Wiederkehr solcher einseitiger Vorgänge für die Zukunft verhindert werden müsse, widrigens es ihm nicht mehr möglich sein würde, noch länger Mitglied des Kabinetts zu bleiben.

Der Polizeiminister erläutert, daß er die Organisierung der Preßleitung bereits lange vor dem Eintritte des jetzigen Staatsministers auf Ah. Befehl mit dem Ministerpräsidenten und dem Grafen Szécsen verhandelt habe und nur die Erstattung des au. Vortrages wegen der näher zu erwägenden Personalfrage in die neueste Zeit gefallen sei. Es ergab sich dadurch auch kein Anlaß zu einem Referat in der Konferenz11. Der Minister v. Lasser erinnerte, die Frage wegen der politischen Amnestie sei gleich nach dem || S. 248 PDF || 20. Oktober aus Anlaß der Freigebung Internierter in der Konferenz besprochen und befürwortet worden12. Damals schon wurden Verzeichnisse der Inhaftierten abgefordert, welche er abehufs der verabredeten gemeinschaftlichen weiteren Behandlung unter Andeutung der leitenden Grundsätze vor circa zwei Monaten bereitsa an Baron Vay geleitet hat. Seitdem hörte der Minister nicht mehr davon sprechen, bis Se. Majestät Allerhöchstselbst ihn über die Anträge des ungarischen Hofkanzlers bzu dem Ende vernommen, damit in der gleichen Richtung, gegen welche als im Sinne des früheren Konferenzbeschlüsse gelegen er keine Erinnerung erheben zu sollen glaubte, auch für Kroatien-Slawonien und Siebenbürgen Vortrag erstattet werdeb . Doch verkenne er nicht, daß er, Ritter v. Lasser, besser getan hätte, vor Abgabe seines au. Gutachtens mit dem Staatsminister cbrevi manuc Rücksprache zu pflegen, dobwohl er formell dazu keine Veranlassung gehabt, da, wie gesagt, frühere Konferenzbeschlüsse vorlagen und der Vorgang der ungarischen Hofkanzlei lediglich die Ergänzung des Aktes durch Ausdehnung auf Siebenbürgen und Kroatien notwendig gemacht hatte.d

Der Ministerpräsident erklärte, er sei dem Staatsminister dafür zu Dank verpflichtet, daß er die unleugbaren Übelstände eines isolierten Vorgehens in wichtigen Angelegenheiten zur Sprache gebracht habe. Man werde dadurch gezwungen, die Verantwortung für Regierungsakte zu tragen, bei denen man nicht zugestimmt, sondern die man nur als vollendete Tatsachen erfahren hat. Der Grund, warum die politische Amnestie für Ungarn sowie manche andere Angelegenheiten von der ungarischen und der siebenbürgischen Hofkanzlei ohne vorläufige Konferenzberatung erstattet worden sind, dürfte übrigens darin liegen, daß diese Kanzleien vor dem Jahre 1848 ihre au. Vorträge stets unmittelbar im Wege der Kabinettskanzlei unterbreiteten, von welcher sie dann erst an den Staatsrat oder die höchste Staatskonferenz zur Beratung geleitet wurden. Minister Graf Szécsen äußerte, von den erwähnten Vorträgen der beiden Kanzleien vor deren Erstattung keine Kenntnis gehabt zu haben, sonst würde er sich insbesondere auch gegen die eunbestimmte und die politischen Momente nicht genug berücksichtigende Fassung dere Amnestie haben aussprechen müssen. Übrigens dürfte nur die Unkenntnis der über die Vorberatung solcher Angelegenheiten bestehenden Normen an den gerügten einseitigen Vorgängen die Schuld tragen.

Der Staatsminister entwickelte hierauff, daß überhaupt, vorzüglich aber unter schwierigen Verhältnissen wie die gegenwärtigen, die Konzentrierung der Vorträge bei dem Ministerpräsidenten eine dringende Notwendigkeit sei, welche noch dadurch gesteigert wurde, daß seit dem 20. Oktober drei neue Oberste Verwaltungsbehörden gebildet worden sind, || S. 249 PDF || wodurch sich die Geschäfte noch mehr zersplittern13. Die bloße prinzipielle goder taxativeg Festsetzung der Gegenstände, welche gemeinsam zu beraten kommen, genüge nicht, weil die Chefs der Zentralstellen auf ihrem Standpunkte nicht immer in der Lage sind zu beurteilen, welche Rückwirkung ein ihrerseits beabsichtigter au. Antrag von scheinbar geringer Tragweite auf die politischen Verhältnisse im In- und Auslande oder auf den Dienst in anderen Zweigen oder in den ihnen nicht unterstehenden Kronländern äußern kann. Um diesfalls die nötige Vorkehrung zu treffen, dürfte sich vorzüglich die während der ganzen Amtsdauer weiland des Ministerpräsidenten Fürsten Schwarzenberg eingeführte Ordnung empfehlen, wonach aus der Kabinettskanzlei alle extrahierten Vorträge an Se. Majestät nur im Wege des Fürsten gelangten, welcher dadurch in der Lage war, einzelne Vorträge zu einer Vorberatung im Ministerrate auszuscheiden oder sie mit den ihm nötig scheinenden au. Bemerkungen einzubegleiten14.

Der Kriegsminister , in thesi mit dem Antrage des Staatsministers einverstanden, glaubte nur, daß die zahlreichen Vorträge des Kriegsministeriums in rein militärischen Angelegenheiten – so wie bereits unter Fürst Schwarzenbergs Präsidentschaft – von dieser Durchsicht durch den Ministerpräsidenten auszunehmen wären, womit man allseitig einverstanden war, hund glaubte beifügen zu sollen, daß, nachdem sich Se. Majestät das Kommando der Armee vorbehalten haben, auch viele auf rein militärischen Fragen beziehenden au. Vorträge auch gar nicht vor das Forum der Ministerkonferenz zu gehören hättenh . Minister Graf Szécsen war gleichfalls des Erachtens, daß der Ministerpräsident durch Einsicht der einlangenden au. Vorträge selbst oder doch genauer Elenche darüber in vollständige Kenntnis aller au. zu unterbreitenden Anträge zu erhalten wäre. Der Staatsminister stellte sonach die nachfolgenden au. Anträge, mit denen sich die Konferenz vereinigte: a) daß von allen Mitgliedern der Ministerkonferenz mit Einschluß der Präsidenten der siebenbürgischen Hofkanzlei und des [kroatisch-slawonischen] Hofdikasteriums die von ihnen zu stellen beabsichtigten au. Anträge noch vor deren au. Vorlegung in der Ministerkonferenz zur Beratung gebracht werden sollen, welche 1. gemäß der bestehenden Ah. Direktiven vorläufig in Ministerkonferenzen beraten werden müssen15, und 2. jene Anträge, welche – wenn sie auch nicht strenge in die Kategorie 1. fallen – wegen ihrer Wichtigkeit in politischer Beziehung oder wegen ihrer Rückwirkung || S. 250 PDF || auf andere Dienstzweige nicht einseitig gestellt werden sollen; b) daß, so wie es unter dem Ministerpräsidenten Fürsten Schwarzenberg beobachtet wurde, alle Vorträge der Zentralstellen (mit Ausnahme jener des Kriegsministers) von der Kabinettskanzlei, noch bevor sie in die Hände Sr. Majestät gelangen, unter Beilegung der Extrakte dem Ministerpräsidenten zur Einsicht mitgeteilt werden, damit er in steter Übersicht der gesamten Geschäftsführung in der obersten Sphäre bleibe, und damit er ferner aus dem Einlaufe diejenigen Vorträge ausscheiden und zur Konferenzberatung bringen könne, welche in die oben ad 1. und 2. bezeichneten Kategorien fallen, aber von den betreffenden Konferenzgliedern oder Präsidenten nicht zur vorläufigen Beratung gebracht worden sind. c) Selbstverständlich dürften auch die Konzepte der über sämtliche Vorträge von nun an erfließenden Ah. Entschließungen dem Ministerpräsidenten post expeditionem baldigst zur Einsicht mitgeteilt werden16.

III. Maßregeln, um die Steuerzahlung in Ungarn wieder in Gang zu bringen

Der Minister Graf Szécsen referierte über den von Sr. Majestät zur Beratung herabgelangten Vortrag des ungarischen Hofkanzlers wegen der Maßregeln, welche zu ergreifen wären, um die sistierte Steuereinzahlung wieder in Gang zu bringen17.

Nachdem die Entwürfe der diesfälligen Ah. Handschreiben an den Primas und den Tavernikus vorgelesen worden waren, bemerkte Graf Szécsen, daß die Gestion der Komitate in Ungarn seit ein paar Tagen eine solche Wendung zum Schlimmen genommen hat, daß sich von der Ausführung der vorliegenden, auf bereits geänderten Zuständen basierten Anträge kein Erfolg mehr erwarten läßt und daher die ungarische Hofkanzlei nur die telegraphisch abgeforderten Äußerungen des Tavernikus und des Baron Sennyey erwartet, um Sr. Majestät wirksamere Maßregeln zur Herstellung der Ordnung vorzuschlagen. Unter diesen Umständen dürften die gegenwärtigen, bereits antiquierten Vorschläge dem ungarischen Hofkanzler einfach zurückzustellen sein.

Die Konferenz war hiemit einverstanden18.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 8. Februar 1861.