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Nr. 357 Ministerrat, Wien, 26. Juni 1850 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Schwarzenberg; BdE. und anw. (Schwarzenberg 27. 6.), Krauß 29. 6., Bach 29. 6., Schmerling, Bruck, Thinnfeld 28. 6., Thun, Kulmer 28. 6., Degenfeld; abw. Gyulai, Stadion.

MRZ. 2606 – KZ. 2062 –

Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 26. Juni 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses, FML. Fürsten v. Schwarzenberg.

I. Approvisionierung der böhmischen und mährischen Festungen

Nachdem zuverlässigen Nachrichten zufolge Preußen fortfährt, seine Festungen zu approvisionieren und selbst zu armieren, ungeachtet die preußischen Zeitungen das Gegenteil versichern1, so scheint es dem Minister des Äußern angemessen zu sein, daß auch unsrerseits für die böhmischen Festungen und Olmütz etwas geschehe und wenigstens auf deren Approvisionierung vorgedacht werde. Ohne diesem Antrage entgegentreten zu wollen äußerte der Finanzminister den Wunsch, daß mit allen Einleitungen dazu vorderhand innegehalten werde, bis nicht die Antwort auf die dem Grafen Bernstorff nach Berlin mitgegebenen Propositionen eingelaufen und ein Anschlag der Kosten jener Approvisionierung ausgearbeitet ist2.

II. Merkantilkapitänspatent für im Jahre 1848 ohne Charakter ausgetretene k.k. Marineoffiziere

Der Handelsminister referierte über das Einschreiten des im Jahre 1848 zu Konstantinopel (über Aufforderung des Internuntius, sich zu erklären, ob er fortdienen wolle) ohne Charakter ausgetretenen k.k. Marineoffiziers Vucassinovich um Erteilung eines Patentes als Merkantilkapitän3.

Der Ministerrat entschied sich für die vorläufige Einleitung der Erhebung, ob dieser Vucassinovich nachmals gegen Österreich die Waffen geführt hat oder nicht. Im ersten Falle würde ihm das Patent zu versagen, im letzteren zu erteilen und nach dieser Kynosur in andren künftig vorkommenden ähnlichen Fällen vorzugehen sein4.

III. Behandlung invalider Privatdiener der Gendarmerieoffiziere

Der Minister des Inneren referierte über eine Differenz der Ansichten seines und des Kriegsministeriums in betreff der Behandlung der im Dienste erwerbsunfähig gewordenen Privatdiener der Gendarmerieoffiziere5.

|| S. 105 PDF || Da denselben ein Anspruch auf die Invalidenversorgung nicht zusteht, aber doch Fälle denkbar sind, wo ein solcher Diener in Erfüllung einer öffentlichen Dienstpflicht zum Krüppel wird, so einigte man sich in dem Antrage, daß ausnahmsweise bei erwiesenermaßen in dem und durch den Dienst der Gendarmerie sich zugezogener gänzlicher Dienst- und Erwerbsunfähigkeit einem solchen Privatdiener die Invalidenversorgung im Einvernehmen beider Ministerien zugewendet werden könne. Die bestimmte Fassung des diesfälligen Punktes behielt sich der Minister des Inneren vor zu entwerfen6.

IV. Organisierung der politischen Verwaltung Ungarns

Derselbe entwickelte die mit Justiz- und politischen Beamten aus Ungern beratenen Grundzüge der Organisation der politischen Verwaltung in Ungern7.

Nach diesen würde die bisher bewährt befundene Einteilung des Landes in fünf Distrikte beibehalten, und an der Stelle der auf die Handhabung des Ausnahmezustands zu beschränkenden Militär- eine Zivilverwaltung einzurichten sein. An der Spitze der inneren Verwaltung des mit Ausschluß der Woiwodina ein Kronland bildenden Königreichs hätte eine Zentralverwaltungsbehörde, die Statthalterei mit einem Statthalter, einem Vizestatthalter, Vizepräsidenten und nach Bedarf der verschiedenen Geschäftssektionen mit acht bis zehn Statthaltereiräten zu bestehen und die Gegenstände der Verwaltung des Ministeriums des Inneren, und von den übrigen jene, welche auch in den deutschen Kronländern den Statthaltereien zugewiesen sind, zu besorgen. Für jeden der fünf großen Distrikte wäre nach Art der Kreisregierungen in den anderen Kronländern ein der Statthalterei und durch diese den Ministerien untergeordnetes Verwaltungsorgan zu bestellen, in weiterer Gliederung, ähnlich den Bezirkshauptleuten, in den angemessen abzugrenzenden Komitaten ein Komitatsvorstand, endlich in unterster Instanz der Stuhlrichter mit der politischen Verwaltung in den Stuhlbezirken zu betrauen.

Demnächst wäre zur Organisation der Gemeinden zu schreiten, welche in den Städten auf keine Schwierigkeiten stoßen, bei den Landgemeinden aber die Vorsicht erfordern wird, daß das Institut der Dorfnotare, dessen verderbliche Wirkungen die jüngste Vergangenheit gelehrt hat, beseitigt werde. In höherer Instanz müßte für die Beratung der Komitatsangelegenheiten ein den ehemaligen Komitats­kongregationen ähnliches Organ, jedoch ohne die denselben zugestandenen Exekutivbefugnisse, als Komitatsvertretung geschaffen, die Distriktsvertretung aber alsdann zur Verhandlung gebracht werden, wann an die Entwerfung des Verfassungsstatus für das Königreich Hand angelegt wird. Die diesen Grundzügen gemäß im Detail auszuarbeitenden Anträge wird der Minister des Inneren mit den berufenen Nationalen genau beraten und sodann in Vortrag bringen.

Vor allem müßten aber einige aus der dermaligen willkürlichen Verwaltung im Lande hervorgegangene Übelstände beseitigt werden. Darunter gehört 1. die trotz wiederholter Betreibungen noch immer fortdauernde Weigerung, das Operat über die Zusammenstellung und Klassifizierung der in Ungern noch der kriegsrechtlichen Behandlung zu unterziehenden Individuen8. Da die Kriegsgerichte diese Zusammenstellung wirklich|| S. 106 PDF || schon gemacht haben und nur deren Einsendung ans Ministerium verzögert wird, so wären Se. Majestät zu bitten, einen Allerhöchstihrer Adjutanten directe nach Pest abzusenden, der im Ah. Auftrage das Operat abzufordern und sogleich mitzubringen hätte9; 2. die Kriegsgerichte als Purifikationskommissionen wären unverzüglich aufzuheben10; 3. desgleichen die Verfügung wegen der Judenkontribution. Hier wäre Baron Geringer zu ermächtigen, das von den Juden gemachte Anbot des Erlags von 600.000 f. zu einem jüdischen Kultus- oder sonstigen gemeinnützigen Fonds anzunehmen und sofort die Sache gänzlich abzutun11. 4. Die Beschränkung in betreff des Anspruchs auf Vorschüsse für Urbarialentschädigungen, wornach jeder Bewerber um einen Vorschuß ein Zeugnis über seine Nichtbeteiligung bei der ungrischen Rebellion beizubringen hat. Künftig wären nur wirklich Verurteilte von Erlangung dieser Vorschüsse auszuschließen12. 5. Die ungleiche Behandlung der zu verschiedenen Zeiten von den ungrischen Kriegsgerichten Abgeurteilten. Da die Ausweise hierüber dem Ministerium bereits vorliegen, so wird der Minister des Inneren veranlassen, daß in einer von Abgeordneten seines Ministeriums und jenen der Justiz und des Krieges gebildeten Kommission eine genaue Revision der Verurteilungen vorgenommen und die zur Hebung der hierbei entdeckten Unzukömmlichkeiten erforderlichen Anträge dem Ministerrate erstattet werden13.

Die Ministerratsmajorität war mit den Anträgen des Ministers des Inneren einverstanden. Nur der Kultusminister erklärte bezüglich der angetragenen Organisierung der politischen Verwaltung, daß er bei den besonderen Verhältnissen, in welchen Ungern sich befunden hat und noch befindet, die Bestellung einer Zentralverwaltungsbehörde, wie die angetragene Statthalterei sein soll, nicht für rätlich halte, weil mit derselben bei den früher unterdrückten Volksstämmen Ungerns die Besorgnis vor der Wiederkehr der magyarischen Supremation wieder auftauchen, dann aber auch, weil hiermit allen Fragen in Ansehung des Landtags, an dessen Berufung unter den noch bestehenden Verhältnissen Ungerns im Laufe des nächsten Jahres kaum zu denken sein dürfte, vorgegriffen werden würde. Diese Rücksicht und die große Ausdehnung des Landes schienen es dem Grafen Thun wünschenswert zu machen, daß den so wichtigen Verwaltungsorganen der fünf Distrikte eine größere politische Bedeutung aals den Kreisbehörden anderer Kronländera gegeben, ihnen der unmittelbare Verkehr mit den Ministerien zugestanden und dem Statthalter nur die Überwachung der Verwaltung überhaupt und die Durchführung derjenigen Verfügungen eingeräumt werde, welche nur die ganz allgemeinen und gleichförmigen, auf keinen nationellen Verhältnissen fußenden Verwaltungsgegenstände betreffen. bWas insbesondere das Schul- und Unterrichtswesen anbelangt, hält Graf Thun eine solche Einrichtung für unerläßlich, um einen besseren Zustand hervorzurufen.b || S. 107 PDF || Auch der Justizminister fand es absolut notwendig, die dermal bestehenden fünf großen Verwaltungsgebiete aufrechtzuerhalten, aber auch den Vorständen derselben in dem vom Kultusminister angedeuteten Sinne größere Vollmachten zu geben und nur die Zentralangelegenheiten dem Statthalter zu überlassen, welchem keinesfalls größere Prärogative einzuräumen wären, als mit welchen die Statthalter in den andern Kronländern ausgestattet sind. Dies ausdrücklich zu erklären, sowie auszusprechen, daß die Regierung dermalen einen Landtag binnen Jahresfrist weder berufen könne noch wolle und daß bezüglich der notwendigen Organisierung der Verwaltung unter den gegenwärtigen Verhältnissen von der Befugnis des § 120 der Reichsverfassung Gebrauch gemacht werde, hält der Justizminister für nötig und erwartet davon die dem Lande bezüglich der so wichtigen Organisierungsfrage so nötige Beruhigung der Bevölkerung. Der Finanzminister endlich, mit den Organisierungsanträgen des Ministers des Inneren vollkommen einverstanden, erblickt darin die Entwicklung, Ausbildung und Bekräftigung der Organisation, wie [sie] schon dermal in Ungern in den Hauptumrissen besteht. Er erkennt die unbedingte Notwendigkeit des Bestandes einer Zentralverwaltungsbehörde im Lande, und von der Erfahrung über die Wirksamkeit einer solchen in der Finanzverwaltung belehrt, schließt er seine Anträge zur Organisierung der Finanzbehörden in Ungern denjenigen des Ministers des Inneren auf dasjenige zurückkommend [an], was er hierwegen im Ministerrate vom 5. Juni 1850 14 in den Hauptgrundzügen auseinandergesetzt hat. Hiernach würde eine Zentralfinanzbehörde in Ofen, [die] Finanzlandesdirektion mit einem eigenen Präsidenten (nicht dem Statthalter) und der erforderlichen Zahl von Finanzräten, dann unter derselben die Bezirksbehörden, drei bis vier Inspektorate in jedem der fünf großen Verwaltungsdistrikte, endlich die ausübenden Ämter nach Bedarf eingerichtet werden15.

V. In welcher Valuta bayerisch-österreichische Zahlungen geleisten werden

Vermöge Traktat von 1816 hat die k.k. Regierung an Bayern 100.000 fr. Reichswährung jährlich zu entrichten. Dagegen ist von der bayrischen Regierung das von Österreich abgenommene Salz in grober Silbermünze zu bezahlen16. In Ansehung der 100.000 fr. ist der Zahlungsort nicht bestimmt, es entstand daher die Frage, ob, wenn sie in Wien zu bezahlen seien, sie nicht in Banknoten gezahlt werden können. Dagegen wollte die bayrische Regierung das Salz ebenfalls in Banknoten zahlen17.

Insofern nun jene 100.000 fr. in Reichswährung stipuliert sind, hat die Verordnung von 1848 über den Zwangskurs der Banknoten18 hier keine Anwendung, und die Zahlung scheint (gleichviel ob in Wien oder in München) wie bisher in Silber geleistet werden zu müssen. Da nun der bayrische Gesandte zur Sicherung der Silberzahlung die Stipulierung Münchens als Zahlungsort verlangt hat, die Überbringung des Silbers dahin aber|| S. 108 PDF || mit Kosten verbunden wäre, so erbat sich der Finanzminister die sofort auch erteilte Zustimmung des Ministerrates dazu, mit dem Gesandten das Übereinkommen dahin zu treffen, daß die österreichische Zahlung in Silber, aber in Wien, geleistet und die von Bayern für Salz zu leistenden Beträge ebenfalls in Silber mittelst Kompensation abzurechnen.

Der Finanzminister wird hiernach im Wege des Ministers des Äußern dem Gesandten die Eröffnung machen19.

VI. Belohnung für Johann Freiherr v. Rosenberg

Der Handelsminister bevorwortete den zugunsten des Straßenkommissärs Baron Rosenberg gemachten Antrag auf Belohnung der 52jährigen Dienstleistung desselben mittelst einer Pensionszulage von 200 fr. oder des Verdienstkreuzes.

Der Ministerrat entschied sich für letzteres20.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 30. Juni 1850.