Nr. 295 Ministerrat, Wien, 8. März 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Gyulai
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 9. 3.), Krauß 12. 3., Bach 12. 3., Schmerling 9. 3., Bruck, Thinnfeld 9. 3., Thun, Kulmer 9. 3.; anw.anwesend Gyulai; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 948 – KZ. 744 –
- I. Strafmilderung für Ladislaus Freiher v. Bémer v. Bezdek und Kiss-Baka
- II. Zum Militär als Exhonvéds abgestellte Geistliche
- III. Deutsche Angelegenheit
- IV. Ordensverleihungen an Beamte
- V. Äquivalent der Zivilehrenmedaillen
- VI. Bestrafung der Mörder des Eugen Grafen Zichy
- VII. Gebrauch einer deutschen Fahne durch die Linzer Nationalgarde
- VIII. Presseprozeß gegen das Giornale di Gorizia
- IX. Herausgabe einer Gerichtszeitung
- X. Beschickung der Londoner Industrieausstellung
- XI. Behandlung der Exhonvéds
Protokoll der am 8. März 1850 zu Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses etc. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Strafmilderung für Ladislaus Freiher v. Bémer v. Bezdek und Kiss-Baka
Der Ministerpräsident eröffnete, der apostolische Nuntius habe sich bei ihm wegen einer Strafmilderung für den Bischof von Großwardein Freiherrn v. Bémer gewendet, welcher durch kriegsrechtliches Urteil zum Tode und im Wege der Gnade zu zwanzigjährigem Festungsarrest verurteilt worden sein soll1. Dem Ministerrat ist hierüber auf ämtlichem Wege noch nichts bekannt geworden, und man behielt sich daher vor, nach Einlangen der Prozeßakten Sr. Majestät die den Umständen entsprechenden au. Anträge zu erstatten2.
II. Zum Militär als Exhonvéds abgestellte Geistliche
Der Kriegsminister erwähnte, daß er die zum Militär als Exhonvéds assentierten, aber infolge Ministerratsbeschluß zu entlassenden zwei ungarischen Geistlichen dem Erzbischofe von Kalocsa überantworten lassen werde3.
III. Deutsche Angelegenheit
Der Ministerpräsident las die vom Grafen Bernstorff erhaltene Depesche des preußischen Ministeriums vom 25. v.M.4, worin die größte Bereitwilligkeit ausgesprochen|| S. 195 PDF || wird, sich allen Wünschen Österreichs in bezug auf die Zolleinigung und über die künftige Gestaltung Deutschlands – selbst mit Opfern – zu fügen. Österreich wolle sich daher nur über seine Absichten direkt mit Preußen verständigen. Das Erfurter Parlament stehe dabei nicht im Wege, da dasselbe mehr als eine „häusliche Angelegenheit“ zu betrachten komme etc.5.
Auf dieses Ansinnen wird die Erwiderung dann folgen, wenn das revidierte bayerische Verfassungsprojekt im offiziellen Wege an das österreichische Kabinett gelangt sein wird6.
IV. Ordensverleihungen an Beamte
Der Minister des Äußern teilte den Inhalt einer anonymen Zuschrift mit, worin über „die stiefmütterliche Behandlung“ des Beamtenstandes in Absicht auf Ordensverleihungen in ironischem Tone geklagt wird7.
V. Äquivalent der Zivilehrenmedaillen
Hieran knüpfte sich die Anfrage des Kriegsministers , welche Auszeichnungen in Zukunft als Äquivalente der verschiedenen Zivilehrenmedaillen zu gelten hätten8.
Man vereinigte sich hierüber zu folgendem Beschlusse: Statt der großen goldenen Zivilehrenmedaille an der Kette der Franz-Joseph-Orden III. Klasse, statt der großen goldenen Zivilehrenmedaille am Bande das goldene Verdienstkreuz mit Krone, statt der mittleren und kleinen goldenen Zivilehrenmedaille das goldene Verdienstkreuz, statt der großen silbernen Zivilehrenmedaille das silberne Verdienstkreuz mit der Krone, statt der kleinen silbernen Zivilehrenmedaille das silberne Verdienstkreuz9.
VI. Bestrafung der Mörder des Eugen Grafen Zichy
Graf Edmund Zichy hat in einer dem Kriegsminister übergebenen Eingabe angesucht, daß Arthur v. Görgey, dann Helásy, Kuty, Janny, Nagy, Kugler und einige andere von ihm bezeichnete Individuen, als des Raubmordes an seinem Bruder Eugen Graf Zichy schuldig, zur verdienten Strafe gezogen werden10.
Es wurde hierüber eine längere Beratung gepflogen, wobei der Minister des Inneren auf die Zweifel aufmerksam machte, welche sich vom formell rechtlichen Standpunkte gegen die Ansicht geltend machen, daß die Tötung des Grafen Zichy ein Mord sei, indem das diesfällige kriegsgerichtliche Urteil noch vor dem 3. Oktober 1848 durch ein Organ der damals noch für legitim geltenden ungarischen Regierung gefällt wurde.
Da ferner auch höhere politische Rücksichten es der österreichischen Regierung nicht gestatten, gegen Arthur Görgey wegen seiner Teilnahme an der ungarischen Revolution in allen ihren Stadien eine strafgerichtliche Untersuchung und sofort eine Strafe zu verhängen, so brachte der Justizminister unter Zustimmung des Ministerrates in Vorschlag,|| S. 196 PDF || daß dem Grafen Edmund Zichy zu eröffnen wäre, daß das gerichtliche Verfahren in dieser Angelegenheit gegen Arthur v. Görgey aus höheren politischen Rücksichten niedergeschlagen worden sei.
Es ist aller Grund zu vermuten, daß der Beschwerdeführer sich durch diese Erklärung werde beruhigen lassen, da es ihm hauptsächlich darum zu tun ist, ein Dokument zu besitzen, woraus sich ergibt, daß es nicht in seiner Macht steht, für die an seinem Bruder verübte Tat auf gerichtlichem Wege Genugtuung zu erwirken. Ist diese Erklärung bezüglich des Hauptschuldigen erfolgt, so läßt sich erwarten, daß Graf Edmund Zichy auch gegen die übrigen von ihm namhaft gemachten Teilnehmer, obgleich sie durch keine Amnestie gedeckt sind, keine weiteren Schritte machen wird, zumal sie nur untergeordnete Werkzeuge waren, deren jetziger Aufenthalt auch nicht einmal bekannt sein dürfte.
Der Justizminister wird in diesem Sinne einen au. Vortrag an Se. Majestät entwerfen11.
VII. Gebrauch einer deutschen Fahne durch die Linzer Nationalgarde
Der Kriegsminister las einen Bericht des FML. Fischer vom See in Linz, laut welchem die dortige Nationalgarde am 4. l.M. mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne ausgerückt ist, welcher Vorgang unter dem dortigen k.k. Militär Entrüstung hervorgebracht habe12.
Der Minister des Inneren las hierauf einen Bericht des Statthalters Fischer, welcher versichert, der Gebrauch der deutschen Farben bei der Konstitutionsfeier sie nicht in böser Absicht, sondern aus Unkenntnis entstanden. Die fragliche Fahne sei ein Geschenk der Gemahlin des Präsidenten Baron Skrbensky an die Garde; das österreichische Militär selbst trage diese Farben in Deutschland etc.13
Der Ministerrat vereinigte sich zu der Ansicht, daß der fragliche Vorgang nicht den Charakter einer politischen Demonstration habe und man der Sache durch Rüge oder Verbot nicht eine Wichtigkeit beilegen solle, die sie keineswegs besitzt. Man würde den gottlob kaum beendigten Farbenkrieg aufs neue anfachen.
Der Minister des Inneren wird daher sich darauf beschränken, dem Statthalter zu schreiben, er solle dahin wirken, daß die trikolore Fahne nicht mehr zum Vorschein komme14.
VIII. Presseprozeß gegen das Giornale di Gorizia
Der Ministerrat beschloß hierauf, über Antrag des Justizministers den vom Staatsanwalt inkriminierten Preßprozeß gegen das Giornale di Gorizia wegen eines im Blatte vom 4. März eingerückten hämischen Artikels gegen das Ministerium fallen zu lassen, da dieses Blatt wenig verbreitet ist und diese ziemlich ungeschickten Angriffe nicht viel geschadet haben können15.
IX. Herausgabe einer Gerichtszeitung
Der Justizminister erwirkte die Zustimmung des Ministerrates zur Herausgabe einer halboffiziellen Gerichtszeitung zu dem Zwecke der Belehrung der Gerichtspersonen über ihre Berufsangelegenheiten mittelst räsonierender Artikel, Mitteilung praktischer Fälle etc.16 Eine solche österreichische Gazette des Tribunaux sei jetzt bei der Organisierung der neuen Gerichte und Einführung des neuen Strafverfahrens ein dringendes Bedürfnis; andererseits werde sie auch zur Verbreitung authentischer Berichte über die von den Zeitungen im Parteiinteresse häufig zu verdrehenden [sic!] Gerichtsverhandlungen etc. beitragen. Es wurde beschlossen, dieses Journal für das erste Jahr in der Art zu unterstützen, daß eventuell der durch Pränumerationen nicht gedeckte Abgang von höchstens 3000 f.a vom Staatsschatze übernommen werde17.
X. Beschickung der Londoner Industrieausstellung
Man vereinigte sich einstimmig mit dem Vorschlage des Handelsministers , eine Kommission für die Beschickung der großen Weltindustrieausstellung in London durch österreichische Fabrikate zusammenzusetzen18. Leiter der Kommission wird der Sektionschef Baumgartner, und es werden in dieselbe nebst Regierungsrat Burg, Spoerlin, Hornbostl und Stametz-Mayer auch beinige der Abgeordneten aus Böhmen und der anderen Kronländer berufen werden, welche zu der Bankkommission hier eintreffen werdenb .19
XI. Behandlung der Exhonvéds
Der Minister des Inneren las im Nachhang zur Besprechung in der letzten Sitzung20 eine Punktation über die Allerhöchstenorts zu erlassenden Bestimmungen a) wegen Militärentlassung gewisser Kategorien von Exhonvéds, und b) wegen Einstellung der Assentierung ungarischer Nationalgarden und Entlassung der bereits assentierten.
Nach längerer Beratung wurde beschlossen, die Punktationen ad a) und b) in der nächsten Sitzung definitiv zu redigieren und dieselben mit au. Vorträgen des Ministerrates Sr. Majestät zur Ah. Genehmigung zu überreichen21.
Wien, 9. März 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Wien, den 13. März 1850.