Nr. 173 Ministerrat, Wien, 25. September 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift, P. Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 26. 9.), Krauß 27. 9., Bach 27. 9., Gyulai 26. 9., Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer 27. 9.; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 3396 – KZ. 2901 –
- I. Ungarisches Postwesen
- II. Generalagent Caspar Merlato
- III. Konsul Joseph v. Pizzamano
- IV. Generalkonsul Gottfried Graf v. Welsersheimb
- V. Todesurteil wegen Kindesmord
- VI. Grundentlastungsgesetz für Oberösterreich
- VII. Organisation Siebenbürgens
- VIII. Professor an der Wiener Tierarzneischule Leopold Graf
- IX. Organisierung der akademischen Behörden
Protokoll der am 25. September in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Felix v. Schwarzenberg.
I. Ungarisches Postwesen
Der Ministerpräsident bemerkte, daß Reisende aus Ungarn den Zustand der dortigen Posten als sehr schlecht schildern; auch Dienstpakete bleiben liegen, und es wird überhaupt jede Ordnung in diesem Dienstzweige vermißt.
Zur Beseitigung der Unzukömmlichkeiten bei den früher unter der ungarischen Hofkammer gestandenen Posten in Ungarn sind, wie Minister Ritter v. Bruck erinnerte, bereits Leute hinabgeschickt worden, und es werden zur Abstellung der Gebrechen sogleich provisorische Verfügungen getroffen werden1.
II. Generalagent Caspar Merlato
Nach dem Antrage des Ministers für Handel etc. Ritter v. Bruck wäre der k.k. Generalagent Merlato zu Tripoli als Konsul nach Tunis zu versetzen und durch ein Ministerialschreiben bei dem dortigen Bey zu beglaubigen aund mit einem k.k. Kriegsschiffe dahin überzuführena .
Da der Ministerrat beistimmte, wird der Minister v. Bruck in diesem Sinne den au. Vortrag an Se. Majestät erstatten2.
III. Konsul Joseph v. Pizzamano
Derselbe Minister trug an, dem schlecht dotierten Konsul in Jerusalem Pizzamano, der sich in bedrängten Vermögensverhältnissen und in daraus entspringenden Verlegenheiten befindet, eine außerordentliche Unterstützung von 2000 fr. zur Bestreitung der ersten Auslagen und seiner Einrichtung in Jerusalem zu bewilligen.
Der Ministerrat fand gegen diese ein für alle Mal zu bewilligende Unterstützung nichts zu erinnern3.
IV. Generalkonsul Gottfried Graf v. Welsersheimb
Der Minister Ritter v. Bruck bemerkte weiter, daß der Generalkonsul von Ancona Regierungsrat Graf Welsersheimb, welcher sich aus Anlaß der letzten politischen Ereignisse von dort entfernte, nun nicht mehr auf seinen Posten zurückkehren wolle. Der Minister fügte bei, daß mehrere mit Welsersheimb in gleicher Lage gewesene Konsuln bei den nun geänderten Verhältnissen auf ihre Posten zurückgegangen sind; er werde daher den Grafen Welsersheim auffordern, auf seinen Posten zurückzukehren. Geschieht es nicht, so würde er der direktivmäßigen Behandlung unterzogen werden.
Der Ministerrat erklärte sich damit einverstanden4.
V. Todesurteil wegen Kindesmord
Der Justizminister Ritter v. Schmerling unterstützte hierauf den Antrag der obersten Justizstelle, der galizischen Bauernmagd . . .5, welche ihr uneheliches Kind fünf Wochen nach der Geburt zur Winterszeit auf den Schnee weggelegt und so getötet hat, ihre Tat aber schon am nächsten Tage reumutig bekannte, die Todesstrafe zu erlassen und dafür die von der obersten Justizstelle angetragene Kerkerstrafe von sechs Jahren zu substituieren.
Da der Ministerrat sich hiermit einverstanden erklärte, so wird Ritter v. Schmerling in diesem Sinne den au. Vortrag erstatten.
VI. Grundentlastungsgesetz für Oberösterreich
Der Minister des Inneren Dr. Bach brachte zur Kenntnis des Ministerrates, daß das Entlastungsgesetz von Oberösterreich heute bei ihm beraten und zum Schlusse gebracht wurde. Es wurde sich hiebei mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse des Landes an jene Grundsätze gehalten, die bereits bei anderen Provinzen in Anwendung gekommen sind.
Dieser Gegenstand wird nun mit Zustimmung des Ministerrates zur Ah. Genehmigung Sr. Majestät vorgelegt werden6.
VII. Organisation Siebenbürgens
Ebenso wird zur Kenntnis Sr. Majestät die provisorische Organisation von Siebenbürgen, welche bereits in Wirksamkeit getreten ist und nach welcher Siebenbürgen in fünf Distrikte geteilt wird, gebracht werden7.
VIII. Professor an der Wiener Tierarzneischule Leopold Graf
Der Minister des Kultus und des öffentlichen Unterrichtes Graf v. Thun stellte hierauf den Antrag, den Professor an der hiesigen Tierarzneischule Leopold Graf seines Dienstes zu entlassen. Die vorjährigen Ereignisse, an welchen er sich beteiligt, brachten ihn in Untersuchung. Die Militärkommission hat die Akten an|| S. 709 PDF || das hiesige Kriminalgericht geleitet, dieses fand aber wegen Mangels an rechtlichen Beweisen in eine Kriminaluntersuchung nicht einzugehen8. Erwiesen liegt vor, daß Professor Graf ein entschiedener Republikaner ist, daß er an der Schule die schändlichsten Plakate angeklebt und, wenn sie abgenommen wurden, wieder angemacht hat, daß er Kommandant einer Abteilung der Nationalgarde war und daß er an den Krawallen teilgenommen hat. Daß er auch bei dem Sturme auf das Zeughaus zugegen war, konnte nicht erwiesen werden.
Der Ministerrat erklärte sich mit dem Antrage auf die Entlassung dieses Professors einverstanden, der Finanzminister Freiherr v. Krauß jedoch nur unter Beobachtung der noch immer bestehenden gesetzlichen Vorschriften, nämlich daß zwei Justizräte hierüber vernommen werden, während die übrigen meinten, daß der frühere Vorgang mit dem Bestande der Verantwortlichkeit der Minister nicht wohl vereinbarlich sei9.
IX. Organisierung der akademischen Behörden
Schließlich wurde über Anordnung des Ministerpräsidenten der von dem Minister des Kultus und des öffentlichen Unterrichtes erstattete au. Vortrag (MRZ. 3366/1849), womit das provisorische Gesetz wegen Organisierung der akademischen Behörden der Ah. Genehmigung unterzogen wird, noch einer vorläufigen Beratung des Ministerrates unterzogen10.
Der Minister Graf Thun bemerkte, daß bei diesem provisorischen Gesetze im wesentlichen der Typus der deutschen Universitäten im Auge behalten wurde, mit der Ausnahme, daß bei uns keine Exemtionen von der Jurisdiktion stattzufinden haben und den Lehrern etwas mehr Einfluß auf die Handhabung der Disziplin eingeräumt werden soll als draußen. Bis zum Jahre 1848, bemerkte derselbe weiter, sei die Leitung der österreichischen Universitätsstudien ausschließlich in den Händen der Regierung gewesen, indem die Studienabteilungen durch eigene von ihr bestellte Direktoren und Vizedirektoren überwacht und geleitet wurden11. Im verflossenen Jahre sei die Lehr- und Lernfreiheit ausgesprochen und die Leitung der Universitätsstudien in die Hände der Lehrkörper gelegt worden12. Diese neue Einrichtung mache neue Bestimmungen, ein Gesetz über die Organisierung der akademischen Behörden notwendig. Nach Beratung von ausgezeichneten Gliedern mehrerer Universitäten sei als Ergebnis davon notwendig erkannt worden, die Leitung der Unterrichts- und Disziplinarangelegenheiten der Universitäten|| S. 710 PDF || den Lehrern zu überlassen. Nur ordentliche Professoren können diese Leitung führen, es bleibe aber wünschenswert, ihnen zu diesem Geschäfte auch außerordentliche Professoren, jedoch in einem solchen Verhältnisse beizugeben, daß der überwiegende Einfluß der ersteren gesichert bleibe. Privatdozenten einen Einfluß diesfalls zu gestatten, wäre unvereinbar mit ihrem Charakter als bloße Privatlehrer und mit ihrer Stellung an der Universität, wo sie sich erst zu Lehrern qualifizieren sollen; doch sollen zwei Privatdozenten unter den Lehrern sitzen, um die Interessen der Privatdozenten bei dem Lehrkörper zu vertreten, ohne jedoch einen entscheidenden Einfluß auf die Unterrichts- und Disziplinarangelegenheiten zu nehmen. Die Vorstände der leitenden Lehrkörper (Dekane) sowie die akademische Oberbehörde, welche der gesamten Universität vorsteht, werden aus den Lehrern genommen. Auf den Universitäten in Wien und Prag hat sich seit Jahrhunderten ein eigenes Verhältnis herausgebildet, auf welches als ein geschichtliches Ergebnis billige Rücksicht genommen werden muß. Es bestehen nämlich daselbst vier Fakultäten, deren Oberbehörde das Universitätskonsistorium oder der akademische Senat ist. Die Fakultäten sind die Gesamtheit der immatrikulierten Doktoren, welche seit lange gesetzlich und faktisch keinen Einfluß auf Unterricht und Disziplin haben. Auch auf diesen Universitäten soll die Einrichtung, wie anderwärts, eingeführt werden, daß die Leitung des Unterrichtswesens etc. in die Hände der Lehrer gelegt werde, daß ihnen alle akademischen Würden zugänglich und die Rektoren in der Regel aus ihnen gewählt werden. Aus Achtung vor der Geschichte sollen die Doktorenkollegien integrierende Bestandteile der Universität bleiben, einen eigenen Wirkungskreis haben, ihre Vorstände (Dekane) aus sich wählen, die akademische Oberbehörde zusammen mit dem Professorenkollegium konstituieren und von der höchsten akademischen Würde nicht ausgeschlossen sein. Die Dekane der Doktorenkollegien sollen in den leitenden Lehrkörpern Sitz und Stimme haben und als Mitglieder der obersten akademischen Behörde auch Einfluß auf alle Unterrichtsangelegenheiten ausüben. Nach diesen Grundsätzen ist das in 39 Paragraphen bestehende provisorische Gesetz über die Organisation der akademischen Behörden abgefaßt worden und soll vorläufig auf vier Jahre gelten, binnen welchen eine jede der vier Fakultäten der Universität ihren Vorstand gegeben haben wird. Nach dieser Zeit wird es sich zeigen, ob und was an diesem Gesetze zu ändern sein werde.
Mit dem Antrage des Unterrichtsministers vereinigte sich die Mehrzahl der Stimmführer umso mehr, als es sich vorliegend nur um ein provisorisches Gesetz handelt und Bestimmungen in Aussicht gestellt werden, unter welchen ein Professor, der bis jetzt einem Beamten gleich behandelt wird, ohne weiters entlassen werden kann. Nur der Finanzminister Freiherr v. Krauß glaubte sich mit der unbedingten Freiheit, welche den Professoren eingeräumt werden will, nicht einverstanden erklären zu sollen. Es könne nicht gestattet werden, daß jeder Professor lehre, was ihm beliebt, und es sei nach seiner Ansicht unerläßlich, daß der Staat, wenn er nicht wesentlichen Schaden leiden will, diesfalls eine Überwachung, eine Aufsicht, sei es durch Direktoren oder Kommissäre, kurz durch Regierungsorgane, führe. Eine solche Überwachung finde selbst in Frankreich, einer Republik, statt. Diese seine Ansicht schließe nicht aus, daß in allem, was die Wissenschaft betrifft, die möglichste Freiheit eingeräumt werden könne, nur|| S. 711 PDF || sollte der Staat die Mittel nicht aus der Hand geben, den möglichen Übergriffen und Auswüchsen so schnell als möglich zu begegnen13.
Wien, den 26. September 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 1. Oktober 1849.