Nr. 172 Ministerrat, Wien, 23. September 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 26. 9.), Krauß 27. 9., Bach 27. 9., Gyulai 27. 9., Schmerling, Bruck, Thinnfeld, Thun, Kulmer 27. 9.; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 3395 – KZ. 2900 –
Protokoll der Sitzung am 23. September 1849 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten Schwarzenberg.
I. Befestigungsbauten auf der Insel San Giorgio
Auf der Insel San Giorgio Maggiore in Venedig werden größere Befestigungsbauten beabsichtigt, um von dort aus die Stadt Venedig zu beherrschen. Um nun ohne Verzug diese Bauten beginnen zu können, hat der Gouverneur FZM. Gorzkowski das Ansinnen gestellt, daß der Freihafen von der gedachten Insel sofort weg an irgendeinen anderen geeigneteren Platz, allenfalls in das Arsenal, verlegt werde, wenn überhaupt das Freihafenprivilegium Venedigs nicht noch bis Ende 1850 in seiner bisherigen Ausdehnung aufrechterhalten werden will1.
Der Handelsminister setzte auseinander, daß die Verlegung des Freihafens in das Arsenal mehrerer Vorbereitungen und Adaptierungen erheische, welche noch längere Zeit erfordern, daher diesem Ansinnen dermal noch nicht entsprochen werden könne. Von einer Zurücknahme der ausgesprochenen Aufhebung des Freihafenprivilegiums könne auch keine Rede sein; es erübrige daher nichts anderes, als die beabsichtigten Militärbauten, welche unter den dermaligen Verhältnissen ohnehin nicht als dringend gelten können, vorderhand aufzuschieben.
Nachdem der Ministerrat sich mit dieser Absicht vereinigte, so wird Minister v. Bruck in diesem Sinne die Zuschrift des Gouverneurs von Venedig beantworten2.
II. Deutsche Zentralgewalt
Der Ministerpräsident teilte hierauf die mit Preußen gepflogenen Verhandlungen bezüglich des Biegelebenschen Interims mit, wonach Österreich und Preußen die Ausübung der vom Reichsverweser niederzulegenden Zentralgewalt für den Deutschen Bund im Namen sämtlicher Bundesregierungen bis zum 1. Mai 1850 übernehmen3.
Die wesentlichsten Differenzpunkte sind 1. die Frage über den Vorsitz in der Reichskommission, den das Biegelebensche Projekt Österreich vorbehalten will, während|| S. 705 PDF || Preußen im Statute keinem der Staaten ein Präsidium zuerkannt zu sehen wünscht, obgleich es bereit ist, faktisch das Präsidium Österreich zu überlassen.
Der Ministerrat vereinigte sich mit dem Antrage des Fürsten Schwarzenberg, die Frage über das Präsidium der Reichskommission im Statute ganz unbesprochen zu lassen, weil dadurch wenigstens kein nachteiliges Prinzip aufgestellt wird; andererseits sei diese Frage bei einer nur von zwei Mächten zusammengesetzten Kommission ohne eigentlich praktische Folge.
2. Im § 5 des Entwurfs erscheint die Bestimmung, daß die übrigen Regierungen sich einzeln oder mehrere gemeinschaftlich durch Bevollmächtigte bei der Reichskommission vertreten lassen. Preußen wollte diese Vertretung beseitigt wissen, wobei es von der Ansicht ausgeht, die Kommission sei ohnehin durch die einzelnen Regierungen „delegiert“, während der Reichsverweser nur als „ein Depositar der Reichsgewalt“ zu betrachten war.
Der Ministerrat teilte vollkommen die Ansicht des Ministerpräsidenten, daß man auf diese haarscharfe und sehr disputable Distinktion nicht eingehen könne und die übrigen deutschen Mächte nicht ausschließen dürfe, wenn man Vertrauen erwerben und bewahren will.
3. Statt der (§ 6 des Entwurfs) bezeichneten zwei alternierenden Schiedsgerichte bei Meinungsverschiedenheiten in der Reichskommission (Bayern, Sachsen, Hannover – Bayern, Hannover, Württemberg) hat Preußen vorgeschlagen, daß die beiden Mächte von Fall zu Fall ihre drei Schiedsrichter selbst wählen und zwar abwechselnd Österreich zwei und Preußen einen, dann Österreich einen und Preußen zwei.
Dieser Vorschlag wurde von dem Ministerrate weder praktisch noch der Unparteilichkeit des schiedsrichterlichen Spruches förderlich befunden. Allein, da Preußen einen Wert darauf legt und der k.k. Gesandte v. Prokesch erklärt, es komme bei der ganzen Sache nicht so sehr darauf an, was gemacht werde, sondern, daß etwas geschehe4, so wäre bei diesem Punkte nachzugeben.
Dagegen wäre nach dem Beschlusse des Ministerrates darauf zu bestehen, daß bestimmt ausgesprochen werde, die Mitglieder der Reichskommission hätten die Geschäfte der bestehenden Bundesgesetzgebung gemäß zu besorgen oder deren Besorgung zu leiten5.
III. Exgouverneur Graf Aloys Pálffy
Der Ministerpräsident brachte die Behandlung des gewesenen Gouverneurs von Venedig Grafen Pálffy in Anregung6, worüber Minister Bach äußerte, er habe wegen des Zusammenhangs zwischen der Schuld der Grafen Pálffy und Zichy die Akten über die Verurteilung des letzteren von dem Militärgerichte begehrt und behalte sich vor, über den angeregten Gegenstand zu referieren7.
IV. Steuerausschreibung
Der Minister der Finanzen brachte seine bereits in früheren Ministerratssitzungen und in dem au. Vortrage vom 12. März 1848, MRZ. 740, entwickelten Anträge wegen der Erhöhungen und sonstigen Modifikationen in Umlage der direkten Steuern in Vortrag8.
Der Ministerrat vereinigte sich im wesentlichen mit den diesfälligen Anträgen, und es wurde nur beschlossen, daß die Grundsteuerquote vom Reinertrage nicht nach Perzenten, sondern nach Kreuzern vom Steuergulden im Patente sowohl als bei der Umlegung ausgesprochen werde, indem dieser Maßstab dem gemeinen Mann viel leichter faßlich und auch in der Berechnung der Repartition viel bequemer ist.
Übrigens beschloß man auch, in das Ausschreibungspatent eine bestimmte Ankündigung einzurücken, daß die Einkommensteuer demnächst werde eingeführt werden, damit die von der direkten Steuer schwerer Getroffenen nicht über einseitige Überbürdung klagen können9.
Wien, 26. September 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Nachricht genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 1. Oktober 1849.