Nr. 161 Ministerrat, Wien, 3. September 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Schwarzenberg, Krauß, Bach, Gyulai, Bruck, Schmerling, Thinnfeld, Thun, Kulmer
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Kaiser; anw.anwesend Schwarzenberg, Krauß, Bach, Gyulai, Bruck, Schmerling, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 4. 9.), Krauß, Bach 7. 9., Gyulai, Bruck, Schmerling, Thinnfeld, Thun, Kulmer 6. 9.; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 3065 – KZ. 2780 –
- I. Errichtung der deutschen Zentralgewalt
- II. Zusammenkunft Kaiser Franz Josephs mit dem König von Preußen
- III. Besetzung Galiziens durch russische Truppen
- IV. Ungarische Aufständische in der Türkei
- V. Bestimmung des Zensus für das aktive Gemeindebürgerrecht
- VI. Erhebung von Görz und Istrien zu Kronländern
- VII. Nachricht von Komorn
Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Schönbrunn am 3. September 1849 in Ah. Anwesenheit Sr. Majestät des Kaisers.
I. Errichtung der deutschen Zentralgewalt
Der Ministerpräsident eröffnete die Sitzung mit dem Vortrage über das ihm von Herrn v. Biegeleben übergebene Projekt zur interimalen Konstituierung der deutschen Zentralgewalt, welches bereits im Ministerrate vom 1. d. [M.] vorläufig in Beratung genommen worden war1.
Infolge dieser Beratung und des heutigen umständlichen Vortrags dieses Projekts, verglichen mit den vorausgegangenen drei Propositionen, ward dasselbe für geeignet erkannt, um von Seite des österreichischen Kabinetts darauf einzugehen und es zur Grundlage einer mit Preußen zu eröffnenden Unterhandlung zu machen. Se. Majestät geruhten auch, dem Ministerpräsidenten die Ah. Ermächtigung zu erteilen, behufs dieser Unterhandlung die nötigen Einleitungen zu treffen.
Belangend die einzelnen Bestimmungen des Projekts wurde ad 1. zwar auch, wie bei der Beratung vom 1. d. [M.], gegen die Annahme des 26. Mai 1850 als Termin des Aufhörens des Interims sich ausgesprochen, damit aus dieser Annahme nicht eine stillschweigende Anerkennung des Dreikönigsbündnisses abgeleitet werde. Um aber andererseits dem etwaigen Vorwurfe zu begegnen, als ob Österreich eine Konzession im entgegengesetzten Sinne verlange, glaubte man auch von der früher beantragten Festsetzung eines späteren Termins abgehen zu sollen und erklärte sich nach der Bestimmung Sr. Majestät für den 1. Mai.
Der Ministerpräsident wird daher diesen Termin der preußischen Regierung proponieren; erhöbe diese Schwierigkeiten dagegen, so würde seines Erachtens auch der 26. Mai zugestanden werden können und nur ausdrückliche Verwahrung gegen jede Anerkennung des Dreikönigsentwurfs und Bundes eingelegt werden müssen, welche etwa hieraus gefolgert werden wollten.
Zum § 4, welcher bestimmt, daß, wenn nach Ablauf des Interims die deutsche Verfassung nicht beschlossen wäre, die deutschen Regierungen sich über den Fortbestand des Interims vereinbaren werden, wünschten einige Stimmen, daß für einen solchen Fall, um keine Unterbrechung in der Ausübung der Zentralgewalt eintreten zu lassen, entweder die Fortdauer des Interims bis zur Einigung der deutschen Regierungen über dessen Fortbestand oder über ein anderes Provisorium bestimmt ausgesprochen oder wenigstens|| S. 655 PDF || eine dem Ablaufstermin vorausgehende Verhandlung zwischen den Regierungen hierüber angeordnet werde. Allein, sowohl die zuversichtliche Fassung dieses Paragraphs bezüglich der Vereinbarung der Regierungen über die Fortdauer des Interims als auch die vom Minister v. Bruck hervorgehobene Erwägung, daß das mit Mai 1850 in Aussicht gestellte Erlöschen des Interims ein Sporn für die deutschen Regierungen sein werde, die sieben Monate bis dahin nicht unbenützt für die Gründung einer deutschen Reichsverfassung verstreichen zu lassen, bestimmten den Ministerrat zur unveränderten Annahme dieses Paragraphs.
Zu § 5 würde als der im Entwurfe freigelassene Ort als Sitz der Interimszentralgewalt Frankfurt vorzuschlagen, keinenfalls aber das von Preußen proponierte Mainz anzunehmen sein.
Der § 6 wurde in der dem Ministerratsbeschlusse vom 1. d. [M.] gemäß vom Justizminister ausgearbeiteten präziseren Fassung und mit dem bezüglich der Zusammensetzung des Schiedsgerichts von der baierischen Regierung gemachten Zusatze angenommen.
Im § 7 endlich würde die bezüglich der Niederlegung des Amts des deutschen Reichsverwesers vorkommende Phrase „als ein der Gesamtheit der Nation zu bewahrendes Gut“ hinweggelassen werden2.
II. Zusammenkunft Kaiser Franz Josephs mit dem König von Preußen
Se. Majestät geruhten aus einem eben erhaltenen Schreiben Ihrer Majestät der Königin von Sachsen die Nachricht, daß aIhre Majestät die Königin von Preußen eine Zusammenkunft der beiden Monarchen in Teplitz sehr wünschea dem Ministerrate mit der Aufforderung mitzuteilen, sich zu äußern, ob es nicht angemessen wäre, daß Se. Majestät den hohen Gast alldort begrüßen3.
Der Ministerrat erkannte einstimmig die hohe Bedeutung beiner solchen Zusammenkunftb und glaubte, Sr. Majestät dessen Ausführung au. anraten zu sollen. Se. Majestät, das Einraten genehmigend, ordneten sogleich die nötigen Maßregeln an, um über den Tag der Ankunft des Königs in Teplitz Gewißheit zu erlangen4.
III. Besetzung Galiziens durch russische Truppen
Der Ministerpräsident referierte über die vertrauliche Anfrage von Seite der russischen Regierung, ob die österreichische nach Beendigung des Krieges in Ungern und nach Zurückziehung der russischen Hilfstruppen aus diesem Lande etwa eine längere Besetzung Galiziens durch russische Truppen nötig oder wünschenswert finde5.
|| S. 656 PDF || Da es, wie Fürst Schwarzenberg zuverlässig weiß, dem russischen Kaiser nicht angenehm wäre, seine Truppen lange in Galizien zu lassen, das Land ruhig und sowohl durch die schon daselbst vorhandenen k.k. Truppen als auch durch die noch weiter vom Kriegsminister dahin zu disponierenden 13 Bataillons hinlänglich geschützt werden kann, so vereinigte man sich in der Erklärung, daß eine Besetzung Galiziens durch russische Truppen nicht nötig, die Bereithaltung eines Observationskorps an der galizisch-polnischen Grenze aber jedenfalls wünschenswert wäre. In diesem Sinne würde der Ministerpräsident an Graf Buol und Graf Medem schreiben6.
IV. Ungarische Aufständische in der Türkei
Aus Anlaß der dem Minister des Inneren zugekommenen Mitteilung eines Augenzeugen der Abreise Kossuths und Gefährten von Orsowa7 brachte der Ministerpräsident die Auslieferungsfrage mit dem Bemerken zur Sprache, daß nach genauer Prüfung der zwischen Österreich und der Pforte bestehenden Traktate die Auslieferung jener Flüchtlinge nicht gefordert werden kann. Die Pflicht der respektiven Regierungen ist nur, derlei Personen unschädlich zu machen und von der Grenze zu entfernen, was auch von Seite Österreichs mit dem Fürsten Ypsilanti beobachtet worden ist8.
V. Bestimmung des Zensus für das aktive Gemeindebürgerrecht
Der Minister des Inneren entwickelte seine Anträge in betreff der Festsetzung des (durch das Gemeindegesetz einer künftigen Bestimmung vorbehaltenen) Zensus behufs der Teilnahme an dem aktiven Gemeindebürgerrechte in den Land- oder den ihnen gleichgehaltenen Stadtgemeinden, die nicht eine eigene Gemeindeverfassung haben9. Nach diesen Anträgen hätte in den Provinzen mit Ausnahme von Tirol der Besitz eines steuerbaren Hauses, bei Grundbesitz ohne Haus die Entrichtung einer Grundsteuer von 1 fr., und beim Gewerbebesitze die Bezahlung der geringsten Erwerbsteuer die Teilnahme an dem aktiven Gemeindebürgerrechte zu bedingen. In Tirol, wo ganz besondre Verhältnisse bestehen, wo bisher größere Freiheit diesfalls war und eine getrennte Besteuerung der Grundstücke nicht, sondern nur die Besteuerung der Wirtschaft eingeführt ist, sollte die Entrichtung einer direkten Steuer überhaupt den Anspruch auf das aktive Gemeindebürgerrecht erteilen.
|| S. 657 PDF || Der Minister Graf Thun , wohl mit dem Grundsatze einverstanden, daß hiebei die provinziellen Verhältnisse berücksichtigt werden, fände es doch angemessener, die günstigere Bestimmung, welche der einen Provinz zugestanden wird, weil ihre besonderen Verhältnisse die größere Beschränkung nicht verstatten, lieber auch auf die anderen Provinzen auszudehnen, in denen wenigstens keine solchen speziellen Verhältnisse bestehen, welche jene größere Beschränkung nötig machen; auch schien es ihm bedenklich, dieser einen Provinz in der gedachten Art ein Vorrecht vor den übrigen einzuräumen.
Allein, nachdem das wesentliche Hindernis der Einführung des für die übrigen Provinzen vorgeschlagenen Zensus in Tirol bloß in der dortigen besondern Steuerverfassung gelegen ist, wornach es an dem Maßstabe für die Festsetzung desselben gebricht, so glaubten die übrigen Stimmen in der diesfälligen Ausnahme für Tirol minder eine Begünstigung als ein Gebot der Notwendigkeit erkennen und sonach dem Antrage des Ministers des Inneren beipflichten zu sollen, welcher hiernach mit Ah. Genehmigung Sr. Majestät das Weitere einleiten wird10.
VI. Erhebung von Görz und Istrien zu Kronländern
Eben dieser Minister erörterte aus Anlaß der bevorstehenden Reise Sr. Majestät des Kaisers zur Eröffnung der Bahn nach Laibach und nach Triest11 die Notwendigkeit, wegen der Stellung der unter dem Kollektivnamen des Königreichs Illyrien begriffenen Provinzen etwas festzusetzen12.
Nachdem von denselben Krain und Kärnten als eigene Kronländer bereits ausgeschieden, dem Gebiete von Triest ebenfalls eine gesonderte administrative Verfassung und Verwaltung zugesichert worden, wodurch den beiden bisher zum küstenländischen Gouvernementsgebiete Illyriens gehörigen Teilen Görz und Istrien der Zentralpunkt genommen ist13, so glaubte der Minister des Inneren mit Rücksicht auf den leitenden Grundsatz , der der Bestimmung der Kronlande bei dem Entwurfe der Reichsverfassung unterlegt worden, darauf antragen zu sollen, daß sowohl die Grafschaft Görz, welche zudem vor der französischen Okkupation eine eigene, seither nicht wieder reaktivierte ständischeVerfassung gehabt hat, als auch die Markgrafschaft Istrien als eigene selbständige Kronländer erklärt und hiermit sowohl den eigentlichen provinziellen Interessen dieser Landesteile, deren Bewohner für eine Vereinigung mit Krain keine Sympathien haben, als auch der historischen Entwicklung derselben Rechnung getragen werden möge.
|| S. 658 PDF || Bei der über diesen Antrag stattgehabten Diskussion, bei welcher sich Graf Gyulai für, die Minister v. Bruck, Baron Krauß und Graf Thun gegen den Antrag erklärten, wurden so gewichtige Bedenken gegen denselben angeregt, daß es zu keinem Beschlusse kam.
Insbesondere äußerte der Minister v. Bruck die Besorgnis, daß durch Lostrennung Görz’s und Istriens das italienische feindliche Element in diesen Landesteilen, welches nur durch Triests entschiedene Haltung bisher paralysiert wurde, von neuem geweckt werden würde, während bei einer Vereinigung mit Krain, wohin sowohl die materiellen Interessen als auch die Abstammung des Kerns der Bevölkerung dieser beider Länder deuten, es von dem slawischen, also österreichischen Elemente überwogen werden würde. Der Finanzminister aber erinnerte, daß mit Rücksicht auf den letzten faktischen Bestand des Königreichs Illyrien die Ausscheidung Kärntens wohl durch die Betrachtung sich rechtfertigen lassen, daß dasselbe immer eine eigene ständische Verfassung gehabt hat, während dies bei Görz seit der Reokkupation nicht mer, bei Istrien niemals der Fall gewesen. An diesen faktischen Bestand sich haltend, könnte die Regierung eine weitere Bestimmung hierüber dem Reichstage vorbehalten; überhaupt fanden diese Votanten und Graf Thun eine Vereinigung der vier Teile des nach Ausscheidung Kärntens noch übrigen Königreichs Illyrien auf einem gemeinsamen Landtage in Laibach angemessen.
Nach solchen Abstimmungen erbat sich der Minister des Inneren von Sr. Majestät die Erlaubnis, diesen Gegenstand einer neuerlichen Beratung im Conseil unterziehen und sonach die Anträge Sr. Majestät unterlegen zu dürfen, was Allerhöchstdieselben sofort auch zu gestatten geruhten.14
VII. Nachricht von Komorn
Zum Schlusse war Sr. Majestät eine Depesche des Kommandanten des Belagerungskorps vor Komorn überbracht, wornach derselbe am 4. d. [M.] die Feindseligkeiten wieder beginnen wird, nachdem Klapka sich einer unbedingten Unterwerfung nicht gefügt, sondern in einem, am 1. d. [M.] erlassenen Schreiben ganz unstatthafte Bedingungen einer Kapitulation gesetzt hat15.