Nr. 56 Ministerrat, Wien, 30. Mai 1848 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend: Sommaruga, Krauß, Baumgartner, Cordon außerdem anw. Cordon
- RS.Reinschrift; RdA. Pipitz; VS.Vorsitz Pillersdorf; anw.anwesend Sommaruga, Krauß, Baumgartner, außerdem anw.anwesend Cordon; abw.abwesend Latour, Doblhoff, Lebzeltern; BdE.Bestätigung der Einsicht Pillersdorf (31. 5.), Franz Karl (4. 6.).
MRZ. 965 – KZ. –
- I. Ausschreibung der Reichstagswahlen
- II. Verpflichtungen des Ministeriums
- III. Maßnahmen in Galizien bei der Abreise Graf Franz Stadions nach Innsbruck
- IV. Festhalten des Fürsten Miloš durch Jellačić; Verlegung des diplomatischen Korps nach Innsbruck
- V. Aufregung wegen der Übergabe von Kanonen an die Nationalgarde
- VI. Ordensverleihung an Franz Graf Gyulai
- VII. Bewachung der Burg durch Militär und Nationalgarde
- VIII. Arbeitslosenprojekt; Herausgabe von Papiergeld
Protokoll der Sitzung des Ministerrates vom 30. Mai 1848 unter dem Vorsitze des interimistisch mit dem Präsidio des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Freiherrn v. Pillersdorf.
I. Ausschreibung der Reichstagswahlen
Mit Beziehung auf die im Ministerrate vom 20. Mai gefaßten Beschlüsse zu XI. des Protokolls in betreff der Einleitungen zu den Wahlen für den auf den 26. Juni ausgeschriebenen Reichstag stellte der Minister des Inneren in Frage, ob nunmehr mit diesen Einleitungen im Sinne der Konzessionen des 15. Mai1 und der hiernach am 20. Mai beschlossenen Modifikationen des Wahlgesetzes2 vorzugehen sei.
Da diese Modifikationen nicht bedeutend sind, also auch leicht ausgeführt werden können, da ferner, nach Versicherung des der Beratung beigezogenen Hofrates v. Salzgeber, der mit der diesfälligen Ausarbeitung beauftragt ist, die Wahlbezirke bereits gebildet, mithin die Hauptvorbereitungen zu den Wahlen bereits getroffen sind, und es nur mehr darauf ankommen wird, die neuen Bestimmungen über Herabsetzung des Altersminimums für die Wählbarkeit als Abgeordneter von 30 auf 24 Jahre, dann über die Wahl eines Wahlmanns auf 250 Einwohner in Städten ohne Unterschied der Bevölkerung in Anwendung zu bringen, so erklärten sich alle Stimmen für die unverzügliche Einleitung der Wahlen.
Aus den Provinzen sind keine dem Wesen der Konzessionen des 15. Mai feindliche Äußerungen eingelangt oder laut geworden, nur über die Form, in welcher diese Konzessionen erlangt worden, hat man sich mißbilligend ausgesprochen; bestände aber auch wirklich in der einen oder andern Provinz eine Abneigung gegen diese in Wien erreichten Konzessionen, so wird sich dieselbe tatsächlich entweder durch Nichtvornahme der Wahlen, oder durch die Wahl solcher Männer kundgeben, die sich für die Beibehaltung der frühern Bestimmungen ausgesprochen haben. Mit Ausnahme des in einigen Tagesblättern ausgesprochenen Wunsches einer Vermehrung der Anzahl der Abgeordneten ist kein Verlangen nach weiteren Änderungen rege geworden; jener Wunsch aber scheint zu einer Berücksichtigung nicht geeignet zu sein, weil, abgesehen davon, daß er nicht als allgemein gelten kann, die Anzahl von 383 Deputierten für eine konstituierende Reichsversammlung eher zu groß als zu klein ist, und jedenfalls || S. 347 PDF || dem auch in andern Staaten angenommenen Verhältnisse zur Bevölkerung (ein Deputierter auf 50.000 Seelen) entspricht.
Die wichtigste Frage dabei ist freilich, ob Ew. Majestät das unter den besonderen Verhältnissen des 15. Mai Zugestandene fortan in seiner Kraft erhalten wissen wollen. Der Ministerrat, der dazu – unter gleichzeitiger Anbietung seiner Entlassung3 – geraten, kann nur in Ehrfurcht bemerken, daß jene besondern Verhältnisse bezüglich der Ah. Person Ew. Majestät seit 14 Tagen nicht mehr bestehen, ohne daß über die Zugeständnisse des 15. Mai eine weitere Erklärung Ew. Majestät herabgelangt ist. Er hält sich daher seiner Stellung nach für verpflichtet, den Bestand der Konzessionen des 15. Mai vorauszusetzen und in diesem Sinne mit der unverzüglichen Einleitung zur Vornahme der Wahlen vorzugehen, damit der Reichstag noch an dem ursprünglich festgesetzten Tage, somit am 26. Juni 1848, dessen weitre Hinausschiebung gewiß wieder neue Aufregung veranlassen würde, sich versammeln könne.
Demgemäß werden vom Minister des Inneren sogleich die erforderlichen Weisungen an die Länderstellen erlassen4, und es wird gleichzeitig die entsprechende Verlautbarung durch die öffentlichen Blätter verfügt5.
II. Verpflichtungen des Ministeriums
Mit der unterm 29. Mai an die Bewohner der Residenz erlassenen Ansprache, wovon ein Exemplar beiliegt6, haben die Minister Verpflichtungen übernommen, zu deren Ausführung noch einige nähere Bestimmungen nötig sein dürften. Diese Verpflichtungen sind: „a) an allen Freiheiten der Verfassung vom 25. April festzuhalten, b) keinem spätern Zugeständisse die volle Anerkennung zu versagen.“
Beides ist geschehen und bedarf keiner weiteren Ausführung.
„c) der Anarchie oder Störung der Ordnung und jeder Reaktion entgegenzutreten.“
Der Ministerrat hat dies durch Anerkennung des am 26. Mai ins Leben getretenen Ausschusses aus Bürgern, Nationalgarde und Studenten7 betätigt, auch bereits mehrere Schreiben an diesen Ausschuß erlassen8, ohne jedoch eine Antwort erhalten zu haben. „d) den Reichstag allein als befugt zur Erteilung organischer Gesetze anzusehen, e) dessen Beschleunigung nach allen Kräften zu befördern.“ Beides sind Maximen für das Vorgehen des Ministerrates, die er bisher auch beobachtet hat.
|| S. 348 PDF || „f) bis dahin ein festes Band der Eintracht zwischen den Provinzen zu erhalten.“ Dies zu tun, war das Ministerium des Inneren durch stete Korrespondenzen mit den Länderstellen unablässig bemüht und wird damit fortfahren.
„g und h) alle Einsichten, insbesondere die Körperschaften und Gemeinden zur Sammlung von Materialien und Vorbereitungen für die Arbeiten des Reichstags zu benützen.“ Zur näheren Ausführung dieses Punkts wird das Ministerium eine besondere Kundmachung erlassen, worin mit Hindeutung auf die bevorstehende Eröffnung des Reichstags und dessen wichtige Aufgaben die Aufforderung an Körperschaften und Gemeinden ergeht, diejenigen Vorschläge zu machen, welche sie ihren provinziellen oder den allgemeinen Interessen für entsprechend und notwendig erkennen9.
,.i) den Maßregeln 1. um Ordnung im Staatshaushalte, Vertrauen in die Erfüllung der Verpflichtungen des Staats; 2. Sicherheit im Erwerbe und Verbesserung der Lage der unbemittelten Klassen zu begründen, ihre besondre Sorgfalt zuzuwenden.“
Zum Behufe des ersten Teils dieser Aufgabe, welcher in den Bereich des Finanzministers gehört, wird der letztere einen Kreis unterrichteter Männer, teils nach eigener Wahl, größtenteils aber (um dem Vorwurfe der Parteilichkeit zu entgehen) aus Abgeordneten der beiden hiesigen Handlungsgremien, des Gewerbsvereins, des Gemeindeausschusses der Stadt Wien, endlich der Nationalbank um sich versammeln, um mit denselben die erforderlichen Vorarbeiten zur Regelung des Staatshaushalts und über die Mittel zu dessen Bedeckung sowie über andere dahin einschlagende Gesetzesentwürfe etc. zu beraten10. Der zweite Teil dieser Aufgabe betrifft das Ministerium des Handels und der Gewerbe sowie den Minister der öffentlichen Arbeiten . Letztrer wird zur Organisierung der Arbeit (jedoch nicht im Blanc’schen Sinne11) und zur Verbesserung der Lage der unbemittelten Klassen eine eigene Kommission bestellen12, hält sich aber in dieser Beziehung für verpflichtet, auf die Notwendigkeit einer Maßregel aufmerksam zu machen, um dem ungeheuren Andrange fremder Arbeitsuchenden nach Wien zu begegnen, da selbst die einheimische Bevölkerung nur mit den größten Opfern beschäftigt werden kann.
Der Minister des Inneren erinnerte hierüber, daß hierwegen der Sicherheitsausschuß der Stadt Wien anzuweisen sein werde, was der Minister der öffentlichen Arbeiten nach dem Vorschlage des Finanzministers in der Art zu tun gedenkt, daß der Ausschuß angegangen werde, wegen Ausweisung der fremden Arbeitssuchenden binnen einer bestimmten Frist, dann Abhaltung Neuzuströmender das Nötige zu verfügen oder, falls hierzu seine Mittel nicht ausreichten, beim Ministerium in Antrag zu bringen13. „k) alles aufzubieten, || S. 349 PDF || um die ersehnte Rückkehr Ew. Majestät nach Wien und jede Bürgschaft des erlauchten Hauptes herzustellen.“
Dieser Verpflichtung kommt der Ministerrat unter einem in einem besondern Vortrage an Ew. Majestät nach, um baldige Rückkehr nach Wien zur bevorstehenden Eröffnung des Reichstages, inzwischen aber um schleunige Abordnung eines kaiserlichen Prinzen – und zwar, da Se. k. k. Hoheit der Herr Erzherzog Franz Karl um die Ah. Person Ew. Majestät bleiben müssen – um Abordnung Sr. k. k.Hoheit des Herrn Erzherzog Johann darum gebeten werden, um durch die Anwesenheit dieses beliebten Prinzen den wünschenswerten Umschwung der Stimmung zu erzielen, dem Ministerium mehr Halt zu geben und die Erwirkung der Bürgschaften für die Sicherheit Ew. Majestät zu erleichtern14.
Ohne dem Antrage wegen Abordnung Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzog Johann entgegentreten zu wollen, äußerte der Justizminister den Zweifel, ob der Erzherzog in Tirol werde entbehrt werden können, der Finanzminister aber konnte das Bedenken nicht unterdrücken, welche Stellung der Prinz hier einnehmen soll, da er verfassungsmäßig auf die Staatsgeschäfte einen entscheidenden Einfluß nicht nehmen kann. Er kann allerdings durch seine Leutseligkeit auf die Parteien wirken, und es wird ihm gelingen, wenn es denselben Ernst ist, den Thron zu stützen; allein es ist auch zu besorgen, daß manche geneigt und versucht sein dürften, den Prinzen als Geisel für das Errungene oder für noch zu Erringendes anzusehen15.
III. Maßnahmen in Galizien bei der Abreise Graf Franz Stadions nach Innsbruck
Zwei Schreiben des Gouverneurs von Galizien Graf Stadion des Inhalts, daß er einer Einladung Sr. k. k.Hoheit des Herrn Erzherzogs Franz Karl, sich ans Ah. Hoflager zu verfügen16, ohne ausdrücklichen Ah. Befehl Ew. Majestät nicht entsprechen könne17, daß er aber, falls dieser Befehl käme, auf der Stelle abzugehen bereit sei und nur bitte, daß Galizien unter die Oberleitung eines Militärgouverneurs (wozu er den General Roßbach vorschlägt) gestellt, das Politikum einstweilig vom Vizepräsidenten Goł uchowski18 versehen, übrigens die Teilung des Landes in zwei Gouvernementsgebiete ausgeführt werden möge19, beheben sich nach der Bemerkung des Ministers des Inneren dadurch, daß der Kurier, welcher die unten erwähnte Zuschrift des Ministers Baron Doblhoff20 brachte, bereits nach Lemberg abgegangen ist, um dem Grafen Stadion den Ah. Befehl Ew. Majestät zum Erscheinen am Ah. Hoflager zu überbringen21. Somit käme eine Antwort des Ministeriums auf Graf Stadions Schreiben zu spät, || S. 350 PDF || und es bleibt ihm überlassen, bei seiner Abreise das nötige Provisorium für die Verwaltung zu treffen und seinerzeit die weitern Maßregeln einzuleiten22.
IV. Festhalten des Fürsten Miloš durch Jellačić; Verlegung des diplomatischen Korps nach Innsbruck
Schreiben des Ministers Baron Doblhoff vom 27. Mai23 über seine Ankunft am Ah. Hoflager, den ihm zuteil gewordenen gnädigen Empfang von Ew. Majestät, seine Konferenzen mit Sr. k. k. Hoheit dem Herrn Erzherzog Franz Karl über verschiedene an Ew. Majestät gelangte Adressen und Deputationen, dann mit einer Zuschrift des Hofrates Erb mit einem Auszuge aus einem Schreiben des Banus von Kroatien, welches die Nachricht enthält, daß Fürst Miloš mit einer Masse Geldes in Agram angekommen sei, in der Absicht, nach Syrmien zu reisen um sich Serbiens und Bosniens zu bemächtigen24, daß der Banus ihn darum in Agram festgehalten habe und um weitre Verhaltungsbefehle bitte.
Hierauf wäre nach dem Erachten des Baron Pillersdorf das abgeforderte Gutachten des Ministerrates dahin zu erstatten, daß, solange Fürst Miloš nichts gegen die innere Ruhe des Landes unternimmt, gegen ihn nicht eingeschritten werden könne, wegen beabsichtigter Unternehmungen gegen ausländische Provinzen aber ein Einschreiten nur auf Requisition der betreffenden Regierung stattzufinden hätte.
Dies wurde dem Baron Doblhoff unter Verdankung seiner Mitteilungen mit der weitern Eröffnung erwidert25, daß die besorgte Einladung des diplomatischen Korps an das Ah. Hoflager, obwohl der Vollzug des Auftrags dazu von Baron Lebzeltern sistiert worden war, tatsächlich von Wirkung bei einigen Gesandten gewesen ist26.
V. Aufregung wegen der Übergabe von Kanonen an die Nationalgarde
Ein Schreiben des Grafen Latour27 über zu besorgende Aufregung in der Garnison wegen der der Nationalgarde bereits zugestandenen zwölf Kanonen28 behebt sich durch die später gemeldete Nachricht, daß es ihm gelungen sei, einem etwaigen Ausbruch jener Aufregung durch begütigende Mittel zuvorzukommen.
VI. Ordensverleihung an Franz Graf Gyulai
Vortrag des Kriegsministers vom 30. Mai 1848, KZ. 206529, wegen einer Auszeichnung für den FML. Grafen Gyulai. Der Antrag ist vollkommen begründet, von den || S. 351 PDF || Alternativen aber, dem Grafen Gyulai den Orden der Eisernen Krone I. Klasse oder das Kommandeurkreuz des St. Stephansordens zu verleihen, kann unter den gegenwärtigen Verhältnissen im lombardisch-venezianischen Königreiche nur die letztere gewählt werden30.
VII. Bewachung der Burg durch Militär und Nationalgarde
Über eine Zuschrift des Oberstkämmerers Grafen Dietrichstein31, worin die Besorgnis ausgesprochen wird, daß die dermalige Bewachung der k. k. Hofburg unzulänglich sein und die Form des Schutzes näher bestimmt werden dürfte, unter welchen mit Ministerratsbeschluß vom 27. Mai das gesamte Staats- und Hofeigentum der Residenz gestellt worden ist32, behält sich der Minister des Inneren vor, hierwegen die entsprechende Weisung an den Sicherheitsausschuß zu erlassen und ersucht das Kriegsministerium, das Generalkommando zur Vornahme eines Augenscheins über die dermalige Bewachung der Burg anzuweisen, wozu sich der in Vertretung des Kriegsministers anwesende GM. Baron Cordon mit der Bemerkung bereit erklärte, daß, nachdem nebst der bisherigen ganzen Militärbesetzung auch noch Nationalgarde den Wachtdienst in der Burg versieht33, eine Vermehrung kaum angezeigt sein dürfte34.
VIII. Arbeitslosenprojekt; Herausgabe von Papiergeld
Ein dem Minister des Inneren zugekommenes Projekt zur Beschäftigung brotloser Arbeiter teilte derselbe mit Rücksicht auf die darin vorkommende Proposition zur Kreierung einer Art Papiergeldes dem Finanzminister um dessen Wohlmeinung mit. Da der Finanzminister sich auf das bestimmteste gegen jede derlei Konzession erklärte, weil die Nationalbank allein berechtigt ist, zirkulierende, Geld vertretende Papiere auszugeben und eine gleiche Bewilligung an andere Vereine nur zu Exemplifikationen führen würde, so wird der Minister des Inneren den Proponenten bedeuten, daß diesem Teile des Projekts die Genehmigung nicht erteilt werden könne35.
Wien, am 31. Mai 1848. Pillersdorf.
Ges. 4. Juni. Franz Karl. Vidi. Ah. E. Der Inhalt dieses Protokolles dient Mir zur Kenntnis. Ferdinand. Innsbruck, am 14. Juni 1848.