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Nr. 41 Ministerrat, Wien, 18. Mai 1848 vormittags – Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; RdA. Pipitz; VS. Pillersdorf; anw. Sommaruga, Krauß, Latour, Doblhoff, Baumgartner, Lebzeltern (interimistischer Leiter des Außenministeriums); außerdem anw. Dietrichstein, Dércsényi, Born; BdE. Pillersdorf.

MRZ. 871 – KZ. –

Protokoll [I] der Sitzung des Ministerrates vom 18. Mai 1848 unter dem Vorsitze des interimistisch mit dem Präsidium des Ministerrates beauftragten Ministers des Inneren Baron Pillersdorf.

I. Abreise des Kaisers aus Wien

Die Abreise Ew. Majestät1 hat den Ministerrat noch gestern nachts zur Erstattung der in Nr. 1 beiliegenden Vorträge an Ew. Majestät und an Se. k.k. Hoheit den Herrn Erzherzog Franz Karl sowie zur Veranlassung der Überbringung derselben durch die Grafen Hoyos und Wilczek bestimmt2. Den Bewohnern der Residenz wurde dieses Ereignis in der Kundmachung Nr. 2 bekanntgemacht3

Der Ministerrat hat nichts versäumt, um über die nähern Umstände der Abreise Ew. Majestät und darüber, ob Allerhöchstdieselben an ihn keine Befehle zurückgelassen hätten, Erkundigungen einzuholen. Er hat jedoch außer der vom Grafen Stadion, Oberst und Dienstkämmerer Ew. Majestät, schon gestern gemachten und im Protokolle Nr. 34 wiederholten dienstlichen Meldung über das Faktum der Ah. Abreise weder vom Hofrate Czillich (Beilage Nr. 4)5, noch vom geheimen Kabinettssekretär Thiel (Beilage Nr. 5)6, noch endlich von Ew. Majestät Oberstkämmerer, welchen der Ministerrat zu sich bitten lassen, nähere Aufschlüsse darüber erhalten.

Der Oberstkämmerer Graf Dietrichstein erklärte, von der erfolgten Abreise Ew. Majestät und der höchsten Personen erst heute früh um halb sieben Uhr durch || S. 244 PDF || den Burginspektor in die Kenntnis gesetzt worden zu sein, keine Befehle zu Dispositionen in Ansehung des Hofstaats und der Hofdienerschaft empfangen und nur gesprächsweise (nicht in offizieller Meldung) vernommen zu haben, daß heute früh Hofreisewagen über den Stephansplatz gefahren sein sollen. Da auf dem Josephsplatz Hofwagen mit Effekten gepackt wurden, so hat Graf Dietrichstein deren Einziehung in die Remisen zur Vermeidung alles Aufsehens befohlen und auf Aufforderung des Ministerrates die Verpflichtung übernommen, darüber zu wachen, daß weder Personen der Hofdienerschaft noch Effekten des Hofes ohne sein Vorwissen und ohne seine vorläufig dem Ministerrate zu machende Mitteilung entfernt werden.

Zur mehreren Sicherheit hat der Ministerrat endlich beschlossen, die Ah. Appartements Ew. Majestät durch gerichtliche Siegel schließen zu lassen und hierwegen den Oberstkämmerer in der Note (Beilage Nr. 6)7 verständigt.

II. Unveränderte diplomatische Gepflogenheiten

Da die fremden Diplomaten nach Anzeige des Baron Lebzeltern durch die Abreise Ew. Majestät zu der Meinung veranlaßt werden dürften, daß dadurch der Sitz der Regierung Ew. Majestät geändert worden sei und hieraus Kollisionen entstehen könnten, so fand sich der Ministerrat verpflichtet, den am k. k. Hofe beglaubigten fremden Diplomaten mittelst einer Zirkularnote des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten erklären zu lassen, daß, ungeachtet der zeitweiligen Entfernung Ew. Majestät von Wien, keine Änderung in dem Sitze der Regierung eingetreten sei, das verantwortliche Ministerium in der bisherigen Art die Staatsgeschäfte fortführen und mit den auswärtigen Gesandten etc. in der erforderlichen Geschäftsverbindung durch die Staatskanzlei sich erhalten werde8.

Eine gleiche Erklärung hat der Ministerrat unmittelbar an den königlich ungrischen Minister Fürsten Esterházy (Beilage 7)9 erlassen zu sollen erachtet, weil der Fürst sonst veranlaßt werden dürfte, dem Aufenthalte Ew. Majestät zu folgen.

III. Artikel der „Wiener Zeitung“ über die Abreise des Kaisers

Im nichtämtlichen Teile der Wiener Zeitung wird im ersten Artikel die Abreise Ew. Majestät mit der Flucht Ludwigs XVI. verglichen und gesagt, der letzte Tag des Hierseins Ew. Majestät wäre der erste Tag der Republik10.

Der Minister des Inneren fragte, ob hierin nicht Grund zu einem gerichtlichen Einschreiten gegen die Redakteure liegen dürfte.

Hierzu fand der Ministerrat zwar keine Veranlassung, weil dieser Artikel keine Aufforderung zum gewaltsamen Umsturze der Monarchie enthält. Indes ward es jedenfalls für nötig erkannt, diesen Artikel durch eine kräftige Gegenerklärung des Ministeriums mittelst desselben Organs, und zwar im Abendblatte der Wiener Zeitung, sein Gift zu benehmen11.

IV. Verschmelzung der Akademischen Legion mit der Nationalgarde; Deputation zum Kaiser; Auflösung des Zentralkomitees der Nationalgarde

Die Nachricht über die gute Stimmung der Akademischen Legion und der Nationalgarde für Erhaltung der Ruhe und Ordnung, welche Stimmung auch das Zentralkomitee der Nationalgarde in einem eigenen Vertrauensvotum aussprach und worauf das Anerbieten derselben gemacht wurde: 1. die Verschmelzung der Akademischen Legion mit der gesamten Nationalgarde für die Tage der Gefahr zu bewirken, 2. eine Deputation an Ew. Majestät mit der Bitte um Rückkehr in die Residenz abzusenden, und 3. das politische Zentralkomitee der Nationalgarde als solches aufzulösen12, wurde vom Ministerrate in dem sub Nr. 813 beiliegenden Erlasse in allen Punkten und zwar ad 1. mit dem Beisatze angenommen, daß der Ministerrat darin das unbedingte Anerbieten anerkenne, die Akademische Legion sei bereit, unter demselben Kommando, unter welchem die Nationalgarde ist (nämlich unter dem Oberkommando des Kommandierenden Generals in Niederösterreich Graf Auersperg, welchem sich die Nationalgarde nach Eröffnung des Kriegsministers heute freiwillig bereits unterworfen hatte) zu stehen und kompanienweise mit der Nationalgarde oder den Bürgerkorps den Dienst zu leisten. (So hat sich das Komitee in einem nachgetragenen Zettel selbst ausgedrückt, nachdem die im Erlasse ursprünglich beantragte ganz unbedingte Fassung zu Differenzen und Schwierigkeiten Anlaß gegeben hatte.14)

In dieser Beziehung wurde auch vom Kriegsminister der entsprechende Tagesbefehl ausgefertigt und darin die Erklärung der Akademischen Legion und Nationalgarde aufgenommen, daß sie sich den Befehlen des Kommandierenden Generals und jeder Anordnung des Ministerrates unterziehen15.

Ad 2. wurde beschlossen, der an Ew. Majestät abgehenden Deputation zwei Gratis-Eilwagen zur Verfügung zu stellen und zur Bestreitung der Reiseauslagen einen Beamten mit dem Auftrage zu deren Verrechnung mitzugeben, in welcher Hinsicht vom Finanzminister das Erforderliche verfügt worden ist16.

Ad 3. wurde in einem Nachtrage zu dem besprochenen Erlasse die Genehmigung erteilt, daß an der Stelle des Zentralkomitees ein Komitee zur Aufrechthaltung der Ruhe und Sicherheit unter dem Vorsitze des Landmarschalls Grafen v. Montecuccoli (laut dessen eigenhändiger Bemerkung sub Beilage d) der Beilage 8) fungiere17.

V. Lage in Wien

Die Meldung, daß man bereits – glücklicherweise noch vergebliche – Versuche gemacht habe, die Republik zu proklamieren18, die Äußerung des – vor dem Ministerrate über seine Wahrnehmungen vernommenen – Baron Dércsényi 19, wornach die Gefahr vor gewaltsamen Angriffen der Proletarier auf das Eigentum nicht als bedenklich, die politische Gefahr der Folgen einer durch verschiedene Aufwiegler an mehreren Orten zugleich versuchten Proklamierung der Republik aber als dringend erschien, veranlaßten den Ministerrat nicht nur, die umfassendsten militärischen Sicherheitsmaßregeln durch Aufstellung der Garnison am Glacis, Verstärkung der Wachen an den Stadttoren und in der Burg durch Militär und Nationalgarde, sondern auch die sofortige Publizierung des Standrechts (mittelst der beiliegenden Erlässe 9 und 10)20 gegen die Verbrechen des Hochverrates, Aufruhrs, Mordes, Raubes und Brandlegung für Wien und zwei Meilen im Umkreis anzuordnen.

Die inzwischen eingelaufenen beruhigenden Nachrichten, daß die Bevölkerung durchaus keine Sympathien für einen Umsturz der Regierungsform an den Tag legt und daß man sich (Meldung 11)21 mehrerer der Aufwiegler bemächtigt habe, dann die Anzeige des Grafen Montecuccoli, daß der vom Ministerrate in seinen Grundzügen bereits genehmigte Sicherheitsausschuß der Stadt Wien22 sogleich ins Leben treten werde, und daß unter einem eine provisorische Verfügung zur Hintanhaltung von Zusammenrottungen und Reinhaltung der Straßen während der Nacht erscheine23, bestimmten den Ministerrat, die sogleiche Publizierung des Standrechts wieder zu sistieren, und es in einer Zuschrift an den Grafen Montecuccoli dem Ermessen des letztern zu überlassen, von der Ermächtigung zur Publizierung des Standrechts im Falle der Notwendigkeit Gebrauch zu machen24.

Als Nachtrag zu Baron Dércsényis Angaben dürfte noch bemerkt werden, daß seiner Meinung nach beim Volke ein Ausbruch der Leidenschaft gegen jene hervorbrechen werde, welche als die Urheber der Entfernung Ew. Majestät von Wien bezeichnet oder vermutet werden.

VI. Ministerielle Information über die jüngsten Ereignisse

Wurde die Erlassung einer Kundmachung des Ministeriums über seine infolge der gestrigen und heutigen Ereignisse getroffenen Verfügungen nach dem beiliegenden Entwurfe 1225 dann ein an Ew. Majestät zu erstattender, der sub IV. 2 erwähnten Deputation mitzugebender Rechenschaftsbericht des Ministerrates an Ew. Majestät beschlossen26, desgleichen die Benachrichtigung der Provinzen von dem Stande der Dinge in Wien durch telegraphische Depeschen und, wo dies nicht angeht, durch Erlässe an die Länderchefs verfügt27.

VII. Rückkehr Erzherzog Franz Josephs nach Wien

erlaubte sich der Ministerrat die Frage in Erwägung zu ziehen, ob unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht auch der eventuelle Thronerbe zur Rückkehr nach Wien einzuladen sei.

Da der Ministerrat schon einmal die Bitte um Abberufung Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Franz Joseph von der Armee zu stellen sich verpflichtet gefühlt hat28, so sieht er sich bei der Wichtigkeit des gegenwärtigen Moments und dem Drange der Ereignisse im Interesse der durch die allgemeine Aufregung bedrohten Ruhe in die Notwendigkeit versetzt, jene Bitte dringend zu erneuern29.

VIII. Ungarische Deputation nach Frankfurt

Zur Notiz des Ministerrates wurde gebracht, daß das ungrische Ministerium Deputierte nach Frankfurt absenden30 und

IX. Abschub Fremder aus Wien

die Petition der polnischen Deputation unterstützen werde31.

Dies letztere und die moralische Überzeugung, daß die Anwesenheit so vieler Fremder in Wien eine Hauptursache der so häufigen Wühlereien und Aufwiegelungen sei, veranlaßten den Ministerrat, auf das schon öfters besprochene Thema wegen Abschaffung verdächtiger Fremder zurückzukommen32.

Der Polizeidirektor , vor den Ministerrat gebeten und aufgefordert, die Liste aller Fremden, d. i. nicht nach Wien Gehörigen, zu verfassen, die Verdächtigen zu bezeichnen und gegen sie Amt zu handeln, erklärte, aus Mangel an Polizeiorganen dieser Aufgabe sich nicht unterziehen zu können. Gegen solche, welche sich Gesetzwidrigkeiten zuschulden kommen ließen, sei ohnehin immer das Amt nach dem Gesetze gehandelt worden, gegen die anderen, welche mit regelmäßigen Pässen versehen sind, || S. 248 PDF || könne gesetzlich, und zwar umso weniger von Seite der in ihrer Wirksamkeit gelähmten Polizei nicht eingeschritten werden.

In Anbetracht der gegenwärtigen außerordentlichen Verhältnisse, welche auch außerordentliche Maßregeln zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit rechtfertigen, glaubte der Ministerrat dem Polizeioberdirektor den Auftrag erteilen zu dürfen, allen Fremden, welche nicht einen bestimmten erlaubten Zweck ihres Aufenthalts in Wien nachweisen können, zu eröffnen, daß sie auf Verlangen der Polizei Wien binnen einer zu bestimmenden Frist zu verlassen haben33.

X. Weisungsrecht an das Geheime Kabinett

Endlich wurde für nötig erkannt, dem Geheimen Kabinette34 Ew. Majestät den Auftrag zu erteilen, in allen Fällen, wo es bisher von Ew. Majestät Befehle zu erhalten hatte, während Allerhöchstdero Abwesenheit bis auf weitere Weisung sich directe an den Ministerrat zu wenden35.

Pillersdorf. Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Ferdinand. Innsbruck, am 22. Mai 1848.