Nr. 309 Ministerrat, Wien, 9. Jänner 1863 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 12. 1.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Burger, Hein, Esterházy; abw.abwesend Lasser, Plener; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 21. 1.
MRZ. 1113 – KZ. 169 –
- I. Geplante Zusammenkunft des Grafen Rechberg mit Bismarck
- II. Durchführung des Avitizitäts- und des Urbarialpatents in den mit Ungarn wiedervereinigten Gebieten
- III. Besetzung der Stellen des Landmarschallstellvertreters in Niederösterreich und des Vizelandeshauptmanns in Schlesien
- IV. Einführung des neuen Pressegesetzes im lombardisch-venezianischen Königreich
- V. Enthebung des Jesuitenordens von der Leitung der Gymnasien in Feldkirch und in Ragusa
Protokoll des zu Wien am 9. Jänner 1863 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Geplante Zusammenkunft des Grafen Rechberg mit Bismarck
Der Minister des Äußern teilte dem Ministerrate unter dem Siegel des strengsten Geheimnisses mit, daß der preußische Minster, Graf [sic!]a Bismarck1, mit ihm behufs einer Verständigung über das gemeinsame Vorgehen am Bunde den 11. oder 12. d. M. in Breslau oder Leipzig persönlich zusammenzutreffen wünscht. Da diese Einladung durch Graf Károlyi auf telegraphischem Wege2 hieherbefördert wurde und näherer Bericht erst heute Abend gewärtigt wird3, kennt der referierende || S. 165 PDF || Minister noch nicht die Basis der preußischen Vorschläge, doch lassen die Umstände erkennen, daß selbe annehmbar sein dürften. Ein solches Anerbieten dürfte nicht zurückzuweisen sein, um nicht durch Ablehnung der Konferenz das Odium des Bruches auf Österreich zu laden. Graf Rechberg gedenke daher, wegen Dringlichkeit der Sache sofort nach Berlin zu telegraphieren, er sei mit Vergnügen bereit, mit dem preußischen Minister Montag in Leipzig zusammenzukommen, wenn die Vereinbarung zum gemeinsamen Vorgehen in der deutschen Reformsache auf Grundlage der Unabhängigkeit der einzelnen Fürsten und der Aufnahme des Volkselements in die Vertretung beabsichtigt wird.
Der Ministerrat war mit dem Antrage des Ministers des Äußern einverstanden, der Polizeiminister machte jedoch aufmerksam, daß „die Aufnahme des Volkselements in die Vertretung“ ein vager Ausdruck sei, dem auch eine österreichischerseits keineswegs beabsichtigte Deutung unterlegt werden könnte. Es dürfte vielleicht besser sein, auf die von Österreich bisher beabsichtigten Delegiertenversammlungen als ein konkretes Objekt hinzuweisen. Der Staatsminister erinnerte, daß in den Vorverhandlungen stets von der Vertretung am Bunde die Rede gewesen sei. Der Minister des Äußern erkannte das Bedenken gegen die Textierung des Telegrammes als begründet und behielt sich vor, durch die Wahl eines anderen Ausdrukkes demselben abzuhelfen4.
II. Durchführung des Avitizitäts- und des Urbarialpatents in den mit Ungarn wiedervereinigten Gebieten
Der Präsident des Staatsrates referierte über den Vortrag der ungarischen Hofkanzlei vom 13. November 1862 bezüglich der Durchführung der für Siebenbürgen erlassenen Ah. Avitizitäts- und Urbarialpatente in den von Siebenbürgen an Ungarn einverleibten Komitaten Kraszna, Zaránd, Mittel-Szolnok und dem Distrikte Kővár5.
Der Staatsrat stimmte vollkommen den Anträgen der ungarischen Hofkanzlei bei, 1. daß in den reinkorporierten Partibus die für Siebenbürgen erlassenen Patente vom 29. Mai 1853 und 21. Juni 1854 6 in Kraft zu bleiben haben und 2. daß für das gerichtliche Verfahren bei Durchführung der Bestimmungen dieser Patente in diesen Landesteilen die für Ungarn bestehende provisorische Gerichtsordnung7 in Anwendung zu kommen habe. Dagegen stimmt der Staatsrat folgenden Hofkanzleianträgen nicht bei:
|| S. 166 PDF || a) daß statt § 59 des Ah. Urbarialpatentes für Siebenbürgen der § 26 des für Ungarn erflossenen Urbarialpatentes vom 2. März 1853 8 substituiert werde, wonach die Kommassation entweder durch die Grundherrschaft oder durch die Mehrheit der Untertanen angesucht werden kann. Die Hofkanzlei gibt nämlich dieser, die Kommassation erleichternden Bestimmung des § 26 den Vorzug vor jener des § 59 des siebenbürgischen Patents, wonach das Begehren der Kommassation nur von den Besitzern eines ⅔ des Hotters9 betragenden Grundkomplexes begehrt werden kann. Die Hofkanzlei gibt nämlich im Interesse der Landeskultur der liberaleren Bestimmung den Vorzug, während der Staatsrat von der Ansicht geleitet ist, daß die Billigkeit des Vorgangs, die Kommassation nur über Begehren von ⅔ des Grundbesitzes vorzunehmen, geeignet ist, die in Siebenbürgen tiefwurzelnde Abneigung des Landvolkes gegen diese Maßregel zu besiegen, und somit kein genügendes Motiv vorhanden scheint, diese in das Patent für Siebenbürgen mit Vorbedacht aufgenommene Bestimmung einseitig zu beseitigen. Präsident Baron Lichtenfels teile diese Meinung.
b) Der weitere Antrag der Hofkanzlei, daß für die Partes die im § 26 des für Ungarn wirksamen Urbarialpatentes festgesetzte einjährige Frist zur Einleitung der Kommassation beziehungsweise die im § 66 des für Siebenbürgen erlassenen, in den reinkorporierten Teilen in Kraft stehenden Grundentlastungspatentes bestimmte Frist verlängert werde, kann vom Staatsrate nicht bevorwortet werden, weil durch diese Verlängerung bereits in Rechtskraft erwachsene Ansprüche ohne Einwilligung der Beteiligten wieder in Frage gestellt werden, was den allgemeinen Rechtsgrundsätzen widerspräche. Der Staatsratspräsident teilt gleichfalls diese Meinung.
c) Die ungarische Hofkanzlei beantragt, daß die im § 3 des siebenbürgischen Grundentlastungspatentes zur Überreichung der Klagen in betreff der Urbarialoder Allodialeigenschaft von Grund und Boden vom Tage der Aktivierung der Urbarialgerichte in Siebenbürgen, d. i. vom 30. Jänner 1858,. zu berechnende dreijährige Frist in den Partibus auf ein Jahr von dem Tage der durch die gegenwärtigen neuen Gerichte zu geschehenden Kundmachung zu verlängern sei, nachdem Se. Majestät mit Ah. Entschließung vom 25. August 1862 die gleiche Fallfristverlängerung auch für Siebenbürgen Ah. zu bewilligen geruht haben10. Der Staatsrat macht gegen diesen Antrag geltend, daß eine Verlängerung dieser Frist die aufgrund des Gesetzes durch den unbenützten Verlauf derselben erworbenen Rechte wieder in Frage stellen, zahlreiche Rechtsstreite hervorrufen und unter der bäuerlichen Bevölkerung Unzufriedenheit erzeugen würde. Vom Rechtsstandpunkte sowie vom politischen aus könne daher eine Verlängerung der am 30. Jänner 1861 bereits abgelaufenen Präklusivfrist nicht bevorwortet werden. Der Staatsratspräsident schloß sich diesem Antrage des Gremiums zwarb an, cso wie er sich schon in der früheren Verhandlung gegen die Erweiterung dieser Frist für Siebenbürgen erklärt habe. Er bemerkte [aber], daß sich die Konferenz, nachdem sie in der frühern Verhandlung sich in Siebenbürgen für diese Fristerweiterung entschieden und Ah. Se. Majestät dieselbe genehmigt habe, wahrscheinlich geneigt sein dürfte, dieselbe auch hier zu bevorwortenc so wie er sich schon in der früheren Verhandlung || S. 167 PDF || gegen die Erweiterung dieser Frist für Siebenbürgen erklärt habe. Er bemerkte [aber], daß sich die Konferenz, nachdem sie in der frühern Verhandlung sich in Siebenbürgen für diese Fristerweiterung entschieden und Ah. Se. Majestät dieselbe genehmigt habe, wahrscheinlich geneigt sein dürfte, dieselbe auch hier zu bevorworten, 11.
d) Der Staatsrat hat aus den ad c) angeführten Gründen sich schließlich auch gegen den Antrag der Hofkanzlei erklärt, daß die im § 3 und im § 40 des Urbarialpatentes für Siebenbürgen festgesetzte dreijährige Präklusivfrist (bis 30. Jänner 1861) zur Einbringung der gegenseitigend Klagen eder vormaligene, auf Rückgabe der seit dem 1. Jänner 1819 geschehenen Okkupationen von den Gemeindeweiden auf ein Jahr vom Tage der durch die neuen Gerichte zu erlassenden Kundmachung erstreckt werde. Präsident Baron Lichtenfels fhielt auch für seine Person an diesem letzteren Antrage des Staatsrates fest, bemerkte aber, daß es sich bezüglich dieser Weiderechtsklagen in Siebenbürgen auf ähnliche Weise verhalte wie mit den Klagen über die Allodial- oder Urbarialeigenschaft der Grundstücke, rücksichtlich welcherf durch den Minister Grafen Nádasdy eine weitere Ah. Ausdehung der (über Antrag des Baron Kemény) Ah. bewilligten Fallfrist bis Ende Dezember 1862 erwirkt worden ist12, welcheg den mittlerweile reinkorporierten Partibus nicht zugute gekommen ist. hEntscheide sich nun die Konferenz für die Verlängerung der einen Frist, so dürfte es den Absichten derselben auch in Ansehung der Weideokkupationen entsprechenh, eine neue einjährige Frist zur Einbringung von derlei Klagen zu bewilligen, um den Präjudizierungen der Beteiligten abzuhelfen.
Der ungarische Hofkanzler bemerkte, daß die Differenzen zwischen den Anträgen der ungarischen Hofkanzlei und des Staatsrates sich nur auf Punkte von relativ geringerer Wichtigkeit beziehen und die Divergenz gegen die Anträge des Freiherrn v. Lichtenfels eine noch geringere sei. Was den Punkt a) und b) betrifft, so habe sich Graf Forgách zu seinen au. Anträgen hauptsächlich durch die anerkannten nationalökonomischen Vorteile bestimmen lassen, welche durch die Kommassation erreicht werden und die es rätlich erscheinen lassen, das Zustandekommen solcher Regulierungen im allgemeinen Interesse möglichst zu erleichtern. Die unter c) und d) besprochenen Fristverlängerungen – welche den für Ungarn Ag. bewilligten nur analog wären – fänden wohl ihre Begründung in der großen, in Siebenbürgen seit 1848 eingetretenen und noch keineswegs geklärten Verwirrung aller Besitzverhältnisse, wodurch so viele Landesinsassen bisher geradezu in die Unmöglichkeit versetzt waren, ihre am besten begründeten Rechte standhältig zu beweisen, ja selbst || S. 168 PDF || nur mit der nötigen Bestimmtheit gerichtlich anzumelden. Da wäre wohl summum jus auch summa injuria! Endlich müsse der Hofkanzler aufmerksam machen, daß die reinkorporierten Partes wegen der Ähnlichkeit der dortigen Verhältnisse mit den im übrigen Ungarn auch in analoger Weise behandelt werden sollten. Der Präsident des Staatsrates glaubte, die Anträge des Staatsrates ad a) und b) festhalten zu sollen, widrigens in diesen Landesteilen ohne Not eine sowohl in Ungarn als Siebenbürgen sonst überall beschwichtigte Aufregung aufs neue hervorgerufen würde. iDagegen dürften die sub c) und d) erwähnten Fristen erweitert werden. Werde dieser Antrag angenommen, so wäre dem vom Staatsrate vorgelegten Entwurfe der Ah. Resolution nach den Worten „in Anwendung zu kommen haben“ beizufügen: „Zugleich genehmige Ich, daß die in dem Patente vom 21. Junius 1854 §§ 3 und 40 festgesetzten dreijährigen Fristen zur Anbringung der gegenseitigen Klagen der vormaligen Grundherrschaften und Untertanen über die Allodial- oder Urbarialeigenschaft von Grundstücken und der Beschwerden über Okkupationen von der Gemeindeweide auf ein Jahr vom Zeitpunkte der Kundmachung der gegenwärtigen Anordnung verlängert werden. Die übrigen Anträge haben auf sich zu beruhen.“i Minister Garf Nádasdy vereinigt sich in allen Punkten mit dem Antrage des Staatsratspräsidenten. Er sei weit entfernt, die Vorteile zu verkennen, welche durch eine zweckmäßige Kommassation in ökonomischer Beziehung erreicht werden können. Allein es scheine ihm nicht angezeigt, daß die Regierung diesfalls jetzt einschreite, sondern sie könne die Förderung dieser Angelegenheit füglich dem nächsten ungarischen Landtage überlassen. Die übrigen Stimmführer traten gleichfalls dem Staatsratspräsidenten bei13.
III. Besetzung der Stellen des Landmarschallstellvertreters in Niederösterreich und des Vizelandeshauptmanns in Schlesien
Der Staatsminister referierte, daß, nachdem Baron Kalchberg um Enthebung von dem Posten eines Landmarschallstellvertreters in Niederösterreich und Minister Dr. Hein um Enthebung vom Posten eines Landeshauptmannstellvertreters in Schlesien angesucht haben, auf einen Ersatz vorgedacht werden müßte14. Für Niederösterreich erscheine der Bürgermeister Wiens Dr. Zelinka nach seiner Stellung und Übung im Leiten der Debatten vorzüglich berufen, und für Schlesien dürfte sich der Bürgermeister von Troppau Dietrich nach den über seine Persönlichkeit eingeholten Auskünften völlig eignen.
Der Ministerrat vereinigte sich mit den au. Anträgen des Staatsministers15.
IV. Einführung des neuen Pressegesetzes im lombardisch-venezianischen Königreich
Der Staatsminister referierte, daß, nachdem der Amtsunterricht für die Staatsanwaltschaften bezüglich der Handhabung des Preßgesetzes von den beteiligten Ministerien || S. 169 PDF || vereinbart worden ist, der Moment gekommen sei, zur Publikation des Gesetzes zu schreiten16. Hiebei drängt sich die Frage auf, ob dasselbe auch sofort im lombardisch-venezianischen Königreiche einzuführen sei.
Der Statthalter von Venedig ist zwar über die Folgen dieser Einführung nicht beruhigt, indessen glaubt doch Referent einverständlich mit dem Polizeiministerium, daß es nicht angehe, wegen der vorauszusehenden Schwierigkeiten das Gesetz in einem Lande nicht einzuführen, für das es ausdrücklich erlassen worden ist17. Die Unmöglichkeit der Durchführung dortlandes ist wenigstens bis jetzt nicht konstatiert, und die italienische Presse hat noch nicht einen solchen Ton angestimmt, der die Statuierung einer Ausnahme rechtfertigt. Man dürfte sich daher darauf beschränken, den Statthalter Ritter v. Toggenburg aufzufordern, die Haltung der Presse nach Einführung des neuen Gesetzes sorgfältig zu beobachten und den Moment wahrzunehmen, wo es etwa angezeigt sein würde, dasselbe wegen der vorgekommenen Mißbräuche zu suspendieren.
Der Minister des Äußern hält die Einführung des Preßgesetzes in Venetien für verfrüht und selbst gefährlich. Dadurch, daß jetzt noch keine auffallenden Ausschreitungen in der Presse vorgekommen sind, dürfe man sich nicht irre machen lassen, denn sie befindet sich ja tatsächlich in einem Ausnahmezustand, der es ihr unmöglich macht. Allein nach erfolgter Emanzipation wird man sich bald überzeugen, in welcher Weise die größere Freiheit ausgebeutet werden kann. Vom Auslande her wird man alles in Bewegung setzen, um durch die Journale das Land aufzuwühlen und neue Krämpfe hervorzurufen. Über die vorhandenen Absichten lassen die jüngst vom Könige Viktor Emanuel gesprochenen Worte – welche die Journale nicht vollständig zu wiederholen wagten – keinen Zweifel18. Statt das Gesetz nachträglich, wenn es bereits unwiederbringlichen Schaden gebracht hat, zu suspendieren, führe man es lieber gar nicht ein. Graf Rechberg habe für seine Person niemals geglaubt, daß die Regierung ernstlich daran denke, das vielbesprochene Gesetz in Venetien jetzt schon einzuführen. Der Leiter des Justizministeriums schloß sich dem Antrage des Staatsministers an, nachdem die politischen Verhältnisse und die Stimmung im österreichischen Italien zur Zeit der Beratung des Gesetzes keineswegs günstiger waren als jetzt und man doch gleichwohl dasselbe für Venetien erlassen hat. Der Fall einer besonderen Dringlichkeit, welcher die Anwendung des § 1319 behufs der sofortigen Suspendierung rechtfertigen könnte, sei nicht vorhanden. Auch habe es der Aktionspartei selbst unter den bisherigen Verhältnissen nicht an Mitteln gefehlt, die gefährlichsten Brandschriften in das Land zu schmuggeln oder daselbst heimlich sogar drucken zu lassen. Derlei Ausschreitungen der öffentlich im Land gedruckten Journale würden nach dem neuen Gesetz strenger gestraft werden können. Der Marineminister verhehlte nicht, daß er über die Folgen der Einführung || S. 170 PDF || schwere Besorgnisse hege. Die Italiener werden die schwachen Seiten des Gesetzes bald aufgespürt haben und dieselben mit gewohnter schlauer Vorsicht dergestalt zu benützen wissen, daß man ihnen nur schwer oder gar nicht beikommen kann. Daß dabei die Beunruhigung im Lande wieder wachsen muß, liegt am Tage. Und dennoch könne Freiherr v. Burger nicht dafür stimmen, daß man aus Furcht vor den möglichen und wahrscheinlichen Gefahren ein eben erst Ah. sanktioniertes Gesetz in jenem Kronlande nicht zum Vollzug bringe und dadurch von ganz Europa, das an Österreichs neue Kräftigung zu glauben anfängt, das Geständnis der eigenen Schwäche ablege. Erst nach Verlauf von sechs Monaten dürfte in Überlegung zu nehmen sein, ob das Gesetz dortlandes zu suspendieren wäre. Minister Graf Nádasdy erinnerte, daß seit der Beratung des Preßgesetzes das Ereignis von Aspromonte20 die Aussichten in Italien friedlicher gestaltet hat und man daher umso mehr die Durchführung desselben unternehmen könne. Der Präsident des Staatsrates äußerte, daß, sobald die Regierung entschlossen ist, von Präventivmaßregeln keinen Gebrauch mehr zu machen, er nur für die Einführung des Preßgesetzes stimmen könne, wobei namentlich wegen des beschleunigten Verfahrens wirksame Repression geübt werden kann. Auch das neue Konzessionswesen erscheine minder bedenklich, wenn man erwägt, daß auch jetzt bemakelte Personen hinter Strohmännern das Redaktionsgeschäft besorgen können. Der Polizeiminister findet die Suspendierung des neuen Gesetzes mit der Verfassung nicht vereinbarlich und glaubt, daß man die Sache an sich kommen lassen müsse. An Versuchen zur Gründung neuer großer Journale von revolutionärer Tendenz werde es nicht fehlen, doch dürften sie wegen der großen Kosten einer solchen Unternehmung nicht oft vorkommen. Der Kriegs - und der Handelsminister waren gleichfalls der Meinung, daß das Experiment versucht werden müsse. Der ungarische Hofkanzler erklärt sich durch diese Frage nur wenig berührt, spricht sich aber dahin aus, daß er ein so gewagtes Experiment lieber gar nicht machen würde. Die spätere Aufhebung sei mißlicher als das Unterlassen der Einführung des Gesetzes. Minister Graf Esterházy , dem Grafen Rechberg beitretend, glaubt, man solle sich durch das Geschrei einiger italienischer Zeitungen nicht abhalten lassen, die Einführung des Gesetzes noch zu suspendieren. Es sei eben nur eine Ausnahme mehr in den Zuständen Venetiens. jBei dem notorischen Umstande, daß die Regierung sich bis zur Stunde noch nicht veranlaßt befunden hat, Landesstatute für die italienischen Provinzen zu erlassen, könne auch die ausnahmsweise Nichtanwendung auf jene Provinzen des in Frage stehenden Gesetzes nicht als ein bedenkliches Geständnis der Schwäche erscheinenj Bei dem notorischen Umstande, daß die Regierung sich bis zur Stunde noch nicht veranlaßt befunden hat, Landesstatute für die italienischen Provinzen zu erlassen21, könne auch die ausnahmsweise Nichtanwendung auf jene Provinzen || S. 171 PDF || des in Frage stehenden Gesetzes nicht als ein bedenkliches Geständnis der Schwäche erscheinen. Der Staatsminister bemerkte schließlich, daß er bei seinen vielfältigen Besprechungen mit Militär- und Zivilpersonen während der vor kurzem unternommenen Reise nach Verona stets die Versicherung erhalten habe, ein Krieg sei vorderhand nicht zu besorgen, so daß selbst ein weit geringerer Truppenstand in Italien ausreichend wäre. Die politische Konstellation sei daher nicht von der Art, daß man sich Besorgnissen hingeben und vor der vom staatsrechtlichen Standpunkte gebotenen Durchführung des Preßgesetzes zurückschrecken sollte. Man wird auch mit der Durchführung des Landesstatutes vorgehen müssen und hoffentlich dabei nicht viel nachteilige Erfahrungen machen. Ist doch das neue Gesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit und des Hausrechts bereits in Venetien eingeführt, ohne daß nachteilige Wahrnehmungen gemacht worden wären.
Die Stimmenmehrheit vereinigte sich sohin mit dem Staatsminister22.
V. Enthebung des Jesuitenordens von der Leitung der Gymnasien in Feldkirch und in Ragusa
Der Staatsratspräsident referierte über den Vortrag des Staatsministers vom 8. Dezember 1862 betreffend die rechtliche Stellung der Gymnasien des Ordens der Gesellschaft Jesu23.
Bei der fortdauernden Weigerung des Jesuitenordens, sich in Absicht auf seine Gymnasien den allgemeinen Gesetzen zu fügen, bittet der Staatsminister um die Ah. Ermächtigung, den Orden von der ihm nur bedingterweise übertragenen Besorgung der Gymnasien in Ragusa und Feldkirch entheben und gegenüber solchen Jesuitengymnasien, die rücksichtlich ihrer Erhaltung von der Regierung unabhängig sind, in bezug auf das Öffentlichkeitsrecht nach der bestehenden Vorschrift vorgehen zu dürfen24. In die letztere Kategorie gehöre dermal nur das Gymnasium am Freinberge bei Linz. Dadurch wird aber der Orden in der Freiheit, Lehranstalten zu errichten und zu erhalten, an welchen Gymnasialunterricht erteilt wird, nicht beengt, und den Schülern solcher Anstalten bleibt es unbenommen, an andere Gymnasien oder an eine Universität nach Ablegung der vorgeschriebenen Prüfung überzutreten. Der Staatsrat hat sich einstimmig mit dem Antrage des Staatsministers vereinigt.
Ritter v. Schmerling ergriff hierauf das Wort und zeigte, daß das Jesuitengymnasium zu Ragusa einen vom schlechten italienischen Geiste beseelten Lehrkörper hat, über dessen propagandistischen Einfluß der Bischof klagt. In Feldkirch ist der Unterricht mehr auf ausländische als österreichische Zöglinge berechnet, wie die Ergebnisse der Prüfung namentlich aus der Geschichte gezeigt haben. Wenn bei den || S. 172 PDF || Jesuitengymnasien nicht die vorschriftsmäßige Ordnung hergestellt wird, könne man die übrigen geistlichen Kommunitäten in dieser Beziehung auch nicht länger zur Ordnung verhalten. Schließlich erwähnte noch der Staatsminister der an ihn gerichteten Interpellation über die Studienordnung in den Jesuitengymnasien und der hierauf mit Ah. Genehmigung im Abgeordnetenhause erteilten Antwort, wonach die Regierung nicht gewillt sei, in dieser Beziehung von den bestehenden Vorschriften abzugehen25.
Der Ministerrat vereinigte sich mit den Anträgen des Staatsministers26.
Wien, 12. Jänner 1863. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen kund sehe in bezug auf die Stellung der Gymnasien des Jesuitenordens einem Vortrage entgegenk . Franz Joseph. Wien, am 20. Jänner 1863. Empfangen 21. Jänner 1863. Erzherzog Rainer.Zusatz k–k Franz Josephs.