Nr. 18 Ministerrat, Wien, 28. Februar 1861 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift (im Original nicht als Protokoll I bezeichnet; dies dürfte jedoch nur irrtümlich unterlassen worden sein, da MRProt. v. 28. 2. 1861, MCZ. 789 — KZ. 718, ausdrücklich als Protokoll II bezeichnet wurde); P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 28. 2.), Rechberg, Mecséry, Degenfeld, Schmerling, Vay, Lasser, Szécsen 3. 3., Plener 6. 3., Wickenburg 8. 3., Pratobevera 8. 3.; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 11. 3.
MRZ. – KZ. 728 –
Protokoll I der zu Wien am 28. Februar 1861 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Losverkauf der römischen Armenlotterie
Der Kardinalerzbischof von Prag, welcher zufolge Konferenzbeschlusses vom 7. d. M. mit seinem Gesuche, Lose für die Armenlotterie in Rom in Verkehr bringen zu dürfen, abgewiesen worden ist1, hat dasselbe erneuert, und Se. k. k. Hoheit stellten an den Finanzminister die Anfrage, ob es einem Anstande unterläge, solche Lose lediglich im Privatwege in Verkehr zu setzen.
Der Finanzminister bemerkte hierüber mit Beziehung auf sein früheres Votum, daß, nachdem der Vertrieb ausländischer Lotterielose unbedingt verboten ist, jedes derlei Los, wenn es von einem Organe der Finanzverwaltung irgendwo gefunden werden sollte, nach dem Lottopatent und Gefällsstrafgesetze beanständet werden und den Inhaber der nach Umständen bedeutenden gesetzmäßigen Strafe unterwerfen würde, es wäre denn, daß Se. Majestät in diesem Falle eine Ausnahme zu gestatten geruheten, worauf anzutragen er jedoch itzt sowenig wie damals einen Grund fände. Nach dem Erachten des Polizeiministers ist diese Lotterie eigentlich eine Sammlung für wohltätige Zwecke, indem vorzüglich letztere, nicht aber die Aussicht auf Gewinn zur Beteiligung an derselben bestimmt. Insofern nun derlei Sammlungen auch fürs Ausland bewilligt zu werden pflegen, dürfte um des Zweckes willen auch hier die Bewilligung zulässig sein und es sich lediglich darum handeln, daß eine öffentliche Ankündigung der Lotterie unterbleibe. In ähnlichem Sinne sprach sich der Handelsminister aus. Er fände, nachdem Se. Majestät den Verkauf ausländischer Lotterielose schon öfters bewilligt haben, keinen besonderen Grund, diese Bewilligung hier zu versagen. Will man dabei die Publizität vermeiden, so dürfte ein Auftrag an die Finanzbehörden genügen, daß sie jene Lose, wenn sie im Verkehr vorkommen, nicht zu beanständen haben. Einen solchen Vorgang sieht jedoch der Minister des Äußern der Würde der Regierung nicht für angemessen. Es hätte den Anschein, als willige sie stillschweigend in die Verletzung ihrer eigenen Gesetze, während sie doch über deren Beobachtung zu halten [sic!] hat. Nur wenn Se. Majestät ausdrücklich || S. 108 PDF || die Ausnahme vom Gesetze gestatten, könnten die fraglichen Lose in den Verkehr kommen. Die übrigen Votanten fanden nichts zu erinnern2.
II. Zustände in Ungarn
Von Sr. k. k. Hoheit im Sinne des Konferenzbeschlusses vom 13. November 1860 aufgefordert3, gab der ungrische Hofkanzler eine kurze Darstellung des Erfolgs seiner letzten Sendung nach Ungern und der wahrgenommenen Zustände im Lande. Seine Ansprache an die Obergespäne über die Auffassung ihrer Stellung im gesetzlichen Sinne und über ihre Bestimmung als Organe der Regierung wurde von der Mehrheit günstig aufgenommen. Bezüglich der Steuerentrichtung wurde das Versprechen gegeben, selbe nicht hindern und im Privatwege dafür wirken zu wollen. Die frühere Opposition gegen die Illegalität der ungrischen Hofkanzlei ist der Überzeugung von dem praktischen Nutzen derselben gewichen. Überall aber wurde die treue Anhänglichkeit an Se. Majestät in den rührendsten Worten geäußert. Die Wahlen zum Landtage gehen dort, wo das Volk sich daran beteiligt, im besten Sinne vor sich. Überhaupt ist die Stimmung im ganzen — mit wenigen Ausnahmen — besser geworden, und selbst vom Landtage ist zu hoffen, daß er, nachdem die definitive Feststellung über die Art seiner Beteiligung an der Reichsvertretung einem Gesetze vorbehalten worden, schon zur ersten Reichsratsversammlung seine Abgeordneten, zwar nicht in der im Statute festgesetzten Zahl, aber doch entsenden dürfte. Die größten Schwierigkeiten bereiten die Komitatskongregationen. Aber auch in dieser Beziehung sei eine Besserung zu erwarten, wenn die Bedeutung des Reichsratsstatuts gehörig aufgefaßt und gewürdigt wird, wozu beizutragen die hiesige Presse benützt werden sollte.
III. Koordinierung der mit Ungarn wiedervereinigten siebenbürgischen Komitate
Der ungrische Hofkanzler referierte seinen Vortrag wegen Entsendung dreier Kommissäre zur Regelung der Jurisdiktions- und sonstigen Verwaltungsverhältnisse in den wieder zu Ungern eingereihten siebenbürgischen Komitaten Krászna, Szolnok und Zarand mit dem Kövárer Distrikte4.
In der Hauptsache war die Konferenz damit einverstanden, wobei nur Minister v. Lasser hervorhob, daß dabei im Sinne des kaiserlichen Diploms vom 20. Oktober die in diesen Gebieten dermal bestehenden Gesetze fortan so lange in Kraft zu bestehen haben, bis sie im verfassungsmäßigen Wege abgeändert worden sind. Der Finanzminister aber behielt sich vor, bezüglich der im Vortrage berührten Änderungen in der Einteilung und Kompetenz der Finanz- und Montanorgane, worüber er gegenwärtig im Detail seine Ansichten nicht aussprechen könnte, nach Einsicht der ihm vom ungrischen Hofkanzler diesfalls mitzuteilenden Punkte seine Äußerung unmittelbar an denselben gelangen zu lassen.
IV. Pension und Ehrenerklärung für Baronin Bruck
Nachdem in der Konferenz vom 29. Dezember v. J. (MCZ. 715 ad VIII) beschlossen worden5, die Ehrenrettung des in der Presse verunglimpften vormaligen Finanzministers Freiherrn v. Bruck durch einen Akt der Regierung zu bewirken, und gegenwärtig, wo die vollständig abgeschlossene Untersuchung wider Richter jeden Verdacht wider Bruck beseitigt und ein zehnmonatiger Rückblick in dessen Gebarung als Finanzminister dargetan hat, daß sie stets aufrecht und seine Finanzoperationen, wenn auch infolge der Zeitereignisse nicht immer erfolgreich, doch in der besten Absicht und mit Scharfsinn geleitet gewesen, glaubte der Finanzminister den Antrag bei Sr. Majestät stellen zu sollen, daß der Witwe des Barons Bruck eine Pension von 3000 f. bewilligt und das hierwegen an sie zu erlassende Ah. Kabinettsschreiben des Inhalts: „In Anerkennung der Mir und dem Staate unter schwierigen Verhältnissen von Ihrem verstorbenen Gemahl, dem gewesenen Finanzminister Freiherrn v. Bruck, geleisteten treuen und ausgezeichneten Dienste finde Ich Mich in Gnaden bewogen, Ihnen eine Pension von 3000 f. zu bewilligen“, durch die „Wiener Zeitung“ veröffentlicht [werde].
Gegen den Antrag auf Verleihung der Pension ergab sich keine Erinnerung. Gegen die Veröffentlichung des Ah. Kabinettsschreibens aber erhob Minister Graf Szécsen das Bedenken, daß damit allein der beabsichtigte Zweck der Ehrenrettung nicht erreicht würde. Denn in der Meinung des Publikums würde dieses als ein Akt der Protektion oder doch mindesten der Nachsicht, von den Übelwollenden aber, welche die Entlassung Brucks unmittelbar vor dessen Tode in Erinnerung haben, als ein Bekenntnis aufgenommen werden, daß die Regierung sich damals übereilt habe. Nur wenn in einem gehörig abgefaßten Zeitungsartikel alle Umstände der Wahrheit gemäß auseinandergesetzt würden, wenn insbesondere hervorgehoben würde, daß Baron Bruck nur wegen der bevorgestandenen gerichtlichen Vernehmung im Richterschen Prozesse zeitweilig von dem Amte als Minister enthoben werden mußte, daß jedoch die abgeführte Untersuchung jeden Verdacht gegen ihn behoben und die Prüfung seiner Finanzgebarung Zeugnis von seiner tadellosen Führung gegeben habe. Erst dann ließe sich von der Veröffentlichung des Ah. [Kabinettsschreibens] eine günstige Wirkung für die Ehrenrettung erwarten. Der Minister des Äußern war sowohl gegen die Veröffentlichung des angetragenen Ah. Kabinettsschreibens als gegen einen derartigen Zeitungsartikel. Beide würden nur die nun schon wieder in Vergessenheit gekommene leidige Angelegenheit wieder in Erinnerung bringen und der Presse Gelegenheit zur Eröffnung einer Polemik geben, wobei die Ah. Autorität Sr. Majestät möglicherweise beeinträchtigt werden könnte. Die Familie Baron Brucks möge sich an die Gerichte um ein Zeugnis der Schuldlosigkeit wenden und damit auftreten. Auch der Polizeiminister , dem der Kriegsminister beistimmte, war gegen die Kundmachung des Ah. Kabinettsschreibens und eines Zeitungsartikels. Die Auffassung des Publikums über Baron Bruck würde damit nicht geändert. Nur wenn beide als Schlußstein einer Spezialuntersuchung erschienen, würden sie eine wirkliche Berichtigung der öffentlichen Meinung begründen können. Zu einer || S. 110 PDF || solchen Spezialuntersuchung aber ist kein Anlaß vorhanden. Nachdem jedoch von Seite des Gerichts eine andere Erklärung nicht zu erlangen ist, als daß gegen Bruck eine Untersuchung in der Richterschen Sache nicht stattgefunden hat und ihre Wiederaufnahme durch dessen Tod vereitelt ist, nachdem ferner das Gericht niemals über die Amtsgebarung des Barons Bruck als Finanzminister eine Äußerung abzugeben befugt wäre, vereinigten sich alle übrigen, also die mehreren Stimmen, dem Antrage des Grafen Szécsen über die Veröffentlichung eines an die frühere Publikation anknüpfenden Artikels, welcher im nichtämtlichen Teile der „Wiener Zeitung“ und, nach dem Antrage des Ministers Freiherrn v. Pratobevera , in historischer Form die seither konstatierten Tatsachen darstellt und erläutert und am Schlusse, ebenfalls historisch, der Ah. Pensionsverleihung an die Witwe Erwähnung macht. Der Finanzminister wurde eingeladen, diesen Artikel zu entwerfen und in Vortrag zu bringen6.
Wien, am 28. Februar 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 10. März 1861. Empfangen 11. März 1861. Erzherzog Rainer.