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Nr. 236 Ministerrat, Wien, 5. Juni 1862 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. Rechberg 7. 6., Mecséry, Nádasdy, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, FML. Schmerling; abw. Degenfeld, Pratobevera; BdR. Erzherzog Rainer 23. 6.

MRZ. 1040 – KZ. 1828 –

Protokoll des zu Wien am 5. Junius 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Teilweise Nachsicht der Stellvertretertaxe für venezianische Gemeinden

Der Minister Ritter v. Lasser referierte über die erneuerten Gesuche venezianischer Gemeinden um Ah. Nachsicht der ihnen für geflüchtete Stellungspflichtige zur Zahlung auferlegten Stellvertretertaxen. Der Statthalter unterstützt diese Gesuche auf das wärmste und glaubt, daß mindestens eine teilweise Nachsicht durch Abschreibung der Taxen für jene Flüchtlinge Platz greifen dürfte, welche unter der Gesamtzahl — nach einer auf frühere Erfahrungen gestützten Berechnung — zum Militärdienst untauglich gewesen sein dürften. Das Verhältnis der Untauglichen zu den Tauglichen bei den früheren Rekrutierungen (vor drei Jahren) betrug nämlich in Venedig 1 : 2, und außerhalb der Hauptstadt 5 : 8. Die hiernach erübrigende Taxgebühr wäre nur in Papiergeld, und zwar in drei Jahresraten, zu entrichten. aDie durch keine Taxen gedeckten Stellungsrückstände aber wären bei den nächsten Rekrutierungen einzubringena . Dieser Antrag erscheine nicht unbillig und auch die Basis der Reduktion plausibel. Referent glaube daher, denselben Allerhöchstenortes unterstützen zu sollen, zumal die Haftung der Kommunen für die uneinbringlichen Stellvertretungstaxen der Rekrutierungsflüchtlinge beigentlich nicht im Gesetze begründet ist und nur durch die in Italien obwaltenden außerordentlichen Verhältnisse gerechtfertigt werden kannb und || S. 41 PDF || andererseits die italienischen Gemeinden seit drei Jahren für die Militärbequartierung fortwährend empfindliche Opfer bringen müssen, sodaß Schonung angezeigt sei, um sie nicht völlig zu ruinieren. Im Fall der Ah. Genehmigung würde diese Maßregel im Vernehmen mit dem Kriegsministerium durchgeführt werden1. Auf eine gänzliche Nachsicht der Ersätze könne der Minister nicht antragen, da man darin ein Bekenntnis der Ungerechtigkeit ihrer Auflegung suchen würde. Ebensowenig könne er dafür stimmen, daß die Ersatzpflicht von nun an ganz aufgehoben werde, weil diese Drohung immerhin noch abhaltend zu wirken scheint, wenngleich die Zahl der Flüchtlinge im laufenden Jahr (1043) jene bei der vorjährigen Rekrutierung (991) noch überstieg.

Der Stellvertreter des Kriegsministers, FML. Ritter v. Schmerling , erklärte sich vom militärischen Standpunkte gegen diesen Gnadenantrag, wodurch die bereits sehr hoch gestiegene Einbuße des Stellvertreterfonds noch erhöht würde. Die Basis der Nachlaßberechnung könne er gleichfalls nicht für richtig anerkennen, nachdem die zum Kriegsdienst Untauglichen keinen Grund haben zu entfliehen und somit die Flüchtlinge wohl beinah sämtlich tauglich waren. Die Folge der massenhaften Flucht ist, daß die Komplettierung der italienischen Regimenter unmöglich wird. Was die Bequartierungslasten betrifft, so seien dieselben keineswegs unerschwinglich, und der Aufenthalt des Militärs in den Städten selbst [sei] nicht ohne Vorteil für die Gemeinde. Minister Ritter v. Lasser entgegnete, daß die Umlagen des venezianischen Landesfonds infolge der erhöhten Militärquartierkosten auf das Dreifache gestiegen seien. Die finanzielle Lage Venedigs sei unter allen Städten die am meisten zerrüttete, und der Versuch einer zwangsweisen Eintreibung des Taxrückstandes per 200.000 f., selbst bei der Verteilung auf zwei Jahre, würde an der absoluten Unmöglichkeit scheitern2. Der Minister des Äußern würde jede weitere Nachsicht in diesem Fall für unzeitig halten. Der Geist der italienischen Bevölkerung bedarf solcher Maßregeln, und schon die Franzosen hatten vor Jahren die Kommunen für die in ihrem Weichbild begangenen Räubereien verantwortlich erklärt — und zwar mit Erfolg. Wenn heuer die Zahl der Flüchtlinge gestiegen ist, so geschah es eben, weil man nicht an den Ernst der Regierung glaubte. Minister Graf Nádasdy vereinigt sich umsomehr mit der Vorstimme, als in Siebenbürgen ebenfalls massenhafte Entweichungen von stellungspflichtigen Walachen vorkommen. Die Folge davon ist, daß die Ungarn und Sachsen verhältnismäßig zahlreicher assentiert werden müssen. Es scheine daher selbst angezeigt, in jenem Land ein ähnliches Auskunftmittel wie im Venezianischen anzuwenden, indem dabei die Gemeinden interessiert wären, der Flucht vorzubeugen. Die Minister Edler von Plener und Graf Esterházy sowie der Präsident des Staatsrates stimmten gleichfalls gegen eine weitere Nachsicht. Der Staatsminister , dem Referenten beitretend, fand, daß die Gemeinden durch den Ersatz sehr hart und meist ganz unschuldig getroffen werden. Denn welche Mittel stehen || S. 42 PDF || ihr zu Gebote, um einen Stellungspflichtigen von der beabsichtigten Flucht abzuhalten? Vermag dies doch, in den meisten Fällen, kaum der Familienvater bezüglich des in seinem Haus lebenden Sohnes! Auch der Handelsminister fände es angezeigt, die Ah. Milde in der beantragten Weise walten zu lassen, besonders da Ah. Se. Majestät sich diesfalls in einem gnädigen Sinne zu äußern geruht haben. Der Polizeiminister stimmt in allen Punkten dem Referenten bei, da die Repartierung der Taxen nach dem Steuergulden eine harte, dabei doch unwirksame Maßregel ist und die Summe unerschwinglich scheint. Der ungarische Hofkanzler teilt ganz dieselbe Meinung und findet, daß jeder Ersatzanspruch, der weiter greift als auf die Familie des Flüchtlings, nicht zu rechtfertigen sei, auf keinem Gesetze beruhe, nichts helfe und nur große Erbitterung erzeuge. Derlei Maßregeln könne man füglich nur in Kriegszeiten anwenden.

Abgesehen von der Ansicht des Staatsratspräsidenten, waren somit die Meinungen im Ministerrat über diesen Gegenstand gleichgeteilt.

II. Ungarische Emigranten älterer und neuerer Zeit, welche nach Österreich zurückkehren wollen

Der Polizeiminister referierte, die sogenannte ungarische Legion zu Voghera sei in Auflösung begriffen und viele Legionäre, enttäuscht und reumütig, sehnen sich nach der Rückkehr ins Vaterland3. Es frägt sich nun, wie diese Revertenten zu behandeln seien. Man müsse hiebei vor allem unterscheiden, ob sie zur alten Emigration gehören oder erst in den letzten Jahren ausgewandert sind. Bezüglich der „alten Emigrierten“ aus den Jahren 1848 und 1849 bestehen bereits Ah. sanktionierte Normen4, an die sich fortan zu halten sein wird. Die in späterer Zeit Emigrierten kann man in drei Kategorien reihen:

1. Jene, denen außer dem Dienst in der Legion keine Pflichtverletzung zur Last fällt. Diesen wäre die Rückkehr zu gestatten und ihnen ohne Auflegung einer Strafe die ernste Weisung zu erteilen, daß sie sich ruhig zu verhalten haben.

2. Die Legionäre, welchen die Rekrutierungsflucht zur Last fällt. Soll gegen dieselben die volle Strenge der Rekrutierungsvorschriften angewendet werden? Wird || S. 43 PDF || man dies auch nur überall können, wenn das Ediktalverfahren5 von den autonomen ungarischen Behörden nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist? Wird man durch Strenge nicht viele Flüchtlinge im Ausland zurückhalten, wo sie uns vielleicht schädlicher sind als im Inland?

3. Fahnenflüchtige k. k. Militärs und andere schwergravierte Individuen. Emigrierten dieser Kategorie wäre die straffreie Rückkehr nicht zu gestatten. Mit den Anträgen des Polizeiministers bezüglich der zu den Kategorien 1. und 3. gehörigen Individuen war der Ministerrat einverstanden.

Bezüglich der 2. Kategorie machte der Minister Graf Nádasdy geltend, daß es rätlich sei, von der Strenge der Rekrutierungsnormen keine gnadenweise Ausnahme eintreten zu lassen, widrigens man eine Menge politisch schlechtgesinnter und demoralisierter Leute ins Land bekommt, die einen Gärungsstoff und die Quelle mancher Verlegenheit bilden werden. Der Polizeiminister erklärte sich hiemit einverstanden, und von den übrigen Stimmführern wurde auch keine Einwendung erhoben, wobei der ungarische Hofkanzler noch bemerkte, daß die Rückkehr eines Rekrutierungsflüchtlings in seine Gemeinde stets die Folge hat, daß der statt desselben indebitec Abgestellte die Substituierung des Flüchtlings begehrt und erwirkt6.

III. Gesuch des ungarischen Flüchtlings Ladislaus Berzenczey um straffreie Rückkehr

Ein zu Galatz lebender Ungar, namens Berzenczey, welcher dort als revolutionärer Agent sehr tätig war, 1849 in contumaciam zum Tode verurteilt wurde und überhaupt ein schlechtes Subjekt ist, hat sich um straffreie Rückkehr beworben. Der k. k. Konsul stellte diesfalls an den Minister des Äußern auf telegrafischem Wege eine Anfrage, welche der Minister der Polizei in der Art negativ zu beantworten beanträgt, daß es dem Berzenczey unverwehrt sei zurückzukehren, er jedoch die gesetzliche Behandlung — Untersuchung und Aburteilung durch das Kriegsgericht — zu gewärtigen habe. Man habe durchaus keinen Grund, die Rückkehr so schlechter Individuen zu begünstigen, zumal auch die Revelationen über die Umtriebe im Ausland, die solche Leute zu machen pflegen, meistens ungenau und mangelhaft, wo nicht geradezu falsch sind.

|| S. 44 PDF || Nach längerer Besprechung dieses Falles war man mit dem Antrage des Polizeiministers allseitig einverstanden7.

IV. Funktionszulage für den Obergespan Franz Baron Nopcsa

Der Minister Graf Nádasdy referierte über die Motive, welche ihn bestimmt haben, bei Ah. Se. k. k. apost. Majestät darauf au. anzutragen, daß die Funktionszulage des Obergespans im Hunyader Komitate, Franz Baron Nopcsa, mit 2000 f. — statt mit 1000 f., wie das Finanzministerium vorschlägt — bemessen werde.

Der Finanzminister erklärte, gegen diesen Antrag nichts einzuwenden8.

V. Wahl eines Kommissärs und Leiters des Familienkongresses der Besitzer der Herrschaft Arva und Lithava

Der Präsident des Staatsrates referierte über die Meinungsverschiedenheit zwischen dem Finanzminister und dem ungarischen Hofkanzler in Absicht auf die Wahl des königlichen Kommissärs und Leiters des Familienkongresses der Kompossessoren der Herrschaft Arva und Lithava. v. Plener schlägt dazu den Finanzprokurator Ministerialrat v. Gombos, Graf Forgách den Septemvir v. Török vor. Der Staatsrat vereinigte sich mit dem Finanzminister, nachdem es sich um die Vertretung von Kameralinteressen handelt, wozu der Finanzprokurator zunächst berufen scheint, und da v. Török anderweitig sehr beschäftigt ist.

Der ungarische Hofkanzler bemerkte, er habe geglaubt, in consequentiam priorum einen höhergestellten Funktionär vorschlagen zu sollen, zumal die beteiligten Kompossessoren zum Teil sehr illüstren Familien angehören. Übrigens haben ebendiese Kompossessoren (Fürst Esterházy, Graf Zichy) noch ein relativ größeres Interesse an einer zweckmäßigen Herrschaftsadministration als das Ärar. Gegen die Person des v. Gombos finde aber Graf Forgách nichts zu erinnern. Während Minister Graf Esterházy dem Hofkanzler vollkommen beitrat, stimmten die übrigen dem Staatsrat bei9.

VI. Verkauf der von der englischen Bibelgesellschaft in Österreich zu druckenden Ausgaben der Heiligen Schrift

Der Präsident des Staatsrates referierte, der Staatsrat sei im Wesen mit dem au. Antrage des Staatsministers einverstanden, daß der englischen Bibelgesellschaft der Druck und Verkauf der Heiligen Schrift in gewissen Städten des Inlands zu gestatten wäre, und habe nur zwei Modifikationen an dem ministeriellen Resolutionsentwurf beantragt. Dieselben gehen dahin: 1. daß diese Bewilligung — nach dem Vorgang Preußens — nicht der ausländischen Bibelgesellschaft, sondern deren in Österreich bestelltem Agenten Edward Millard erteilt, und 2. daß die Bewilligung || S. 45 PDF || bloß auf den Verkauf der zu veranstaltenden Bibelausgaben beschränkt werde, da es zur Drucklegung von Bibeln in den bestehenden österreichischen Druckereien keiner besonderen Konzession bedarf.

Der Staatsminister war mit diesen Modifikationen einverstanden10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Laxenburg, den 21. Juni 1862. Empfangen 23. Juni 1862. Erzherzog Rainer.