Nr. 201 Ministerrat, Wien, 28. Februar 1862 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 2. 3.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels; abw.abwesend Pratobevera, Esterházy, Forgách; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 7. 3.
MRZ. 1003 – KZ. 667 –
Protokoll des zu Wien am 28. Februar 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Verhandlungen im Finanzausschuß des Abgeordnetenhauses über die Dotation der Kriegsmarine; Schiffsausrüstungen
Da im Marineausschusse des Abgeordnetenhauses dem Vernehmen nach aus Anlaß der Budgetverhandlungen Beschlüsse oder Anträge auf Beschlüsse des Reichsrates gefaßt werden wollen, welche die Attribute dieses legislativen Körpers überschreiten, geruhten Se. k. k. apost. Majestät den Leiter des Marineministeriums aufzufordern, über die mit seiner Intervenierung abgehaltene Sitzung des Marineausschusses zu referieren.
Minister Graf Wickenburg berichtete umständlich über die Verhandlungen in der Sitzung der Kommission des Abgeordnetenhauses, zu welcher er beigezogen worden war1. Ganz unerwartet fand der Minister dabei nebst dem Sektionschef Ritter v. Breisacha und dem Kontreadmiral Ritter v. Fautz noch den Obersten Möring, den die Kommission als „Fachmann“ zu ihrer Information berufen hatte. Oberst Möring — der übrigens die Notwendigkeit einer starken Kriegsmarine keineswegs bestreitet und dieselbe in der Folge selbst bis auf 1500 Kanonen zu erhöhen wünscht — sprach dieselben Ansichten aus, die er bereits in einer Broschüre veröffentlicht hat2, daß es nämlich jetzt vor allem um den Schutz unserer Küsten, insbesondere des wegen seiner türkischen Hinterländer hochwichtigen, aber auch defensiv schwächeren Dalmatiens zu tun sei, und daß dieser Schutz vorzugsweise durch Befestigungsbauten längs der adriatischen Küste überhaupt (die er auf 10 Millionen Gulden anschlägt) und durch minder kostspielige, für jeden Tiefgang geeignete, sehr bewegliche Kanonenboote zu bewirken wäre. Von den Panzerschiffen und dem Linienschiffe wären seiner Meinung nach keine großen Erfolge zu erwarten. Kontreadmiral v. Fautz teilte im wesentlichen diese Ansichten. Graf Wikkenburg habe die Kommissionsglieder anfangs in einer sehr gereizten Stimmung gegen die Marine überhaupt gefunden, welche Verstimmung noch durch einige Ausdrücke in der ihnen nach dem Wunsche des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs || S. 295 PDF || Maximilian mitgeteilten Denkschrift vermehrt worden war3; doch sei es dem Minister gelungen, diese Aufregung zu beschwichtigen. Man will die bereits gemachten Ausgaben als fait accompli nicht beanständen, wünscht aber für die Zukunft große Einschränkungen herbeizuführen und ist gegen Neubauten von Panzerschiffen und anderen großen Kriegsfahrzeugen. Die schließliche Erklärung des Grafen Wickenburg, daß er mit 13,200.000 fl. für 1862 auszulangen hoffe und der allfällige Mehrbedarf für weitere Ausrüstungen in der präliminierten Reserve für militärische Zwecke die Deckung finden werde, wurde in einer Weise aufgenommen, die hoffen läßt, daß keine großen Schwierigkeiten mehr von Seite der Kommission erhoben werden dürften4.
Se. Majestät der Kaiser geruhten zu bemerken, es sei von Wichtigkeit, daß nicht etwa die Bewilligung des Marinebudgets von der Annahme eines bestimmten Systems abhängig gemacht und dadurch versucht werde, in die Exekutive einzugreifen. Der Finanzminister brachte zur Ah. Kenntnis, daß die für die Marine in Anspruch genommenen Dotationen erst jüngst der Gegenstand von Erörterungen im Ministerrate gewesen seien5. Edler v. Plener sei bereit, die unumgänglich nötigen Geldmittel, insbesondere jene zur Erfüllung vertragsmäßiger Verbindlichkeiten, anzuweisen, nicht aber die volle dermal begehrte Summe von 600.000 fl. Bei derselben Beratung hätten sich auch die mehreren Stimmen zu der Meinung vereinigt, daß es angezeigt wäre, mit weiteren kostspieligen Schiffsausrüstungen langsam vorzugehen. Über die Ausdehnung, in der die Rüstungen gemäß Ah. Befehles zu betreiben sind, sei man nicht im klaren. Nach den Äußerungen des Linienschiffskapitäns Breisach scheine es selbst, als ob die kriegsmäßige || S. 296 PDF || Ausrüstung auf alle Schiffe auszudehnen wäre, was der Finanzminister von seinem Standpunkt bedenklich finden müßte.
Mit Beziehung auf die in Gang befindliche Ausrüstung des Linienschiffes „Kaiser“ las Graf Wickenburg Stellen aus einem in der „Narodni Listy“ abgedruckten Brief, worin die Zweckmäßigkeit des Baues und die Seetüchtigkeit dieses Schiffes, das gleich bei der ersten Fahrt steckenblieb, entschieden in Abrede gestellt wird6. Da aber die Kosten für das Linienschiff nach vollständiger Ausrüstung und Bemannung bei 500.000 fl. des Jahres betragen würden, die im Präliminar für 1862 nicht vorgesehen sind, so scheine es sehr angezeigt, noch vor der vollen Ausrüstung sich im kommissionellen Wege die Gewißheit darüber zu verschaffen, ob dasselbe auch völlig kriegstauglich ist. Beiläufig wolle der Handelsminister noch erwähnen, daß von mehreren Seiten in Zweifel gezogen wird, ob man eine hinlängliche Zahl solcher höherer Marineoffiziers hat, welche alle Eigenschaften besitzen, um die auszurüstenden sämtlichen Kriegsschiffe zu kommandieren. Die Ausrüstung sämtlicher Schiffe würde im ganzen mehr als 3 Millionen kosten, wofür die Bedeckung im Präliminar nur zum geringen Teile vorhanden ist. Der Stand, welcher dermal bei 10.000 Mann beträgt, müßte auf 17.000 gebracht werden, was weitere extraordinäre Auslagen zur Folge hätte. Minister Graf Wickenburg halte sich für verpflichtet, dieses au. gegenwärtig zu halten. Der Minister des Äußern schloß sich in Absicht auf die kommissionelle Untersuchung des „Kaiser“ der Vorstimme an und glaubte, daß die Ausrüstungen vorläufig auf Beischaffung von Kanonen, Munition, Kohlen und Montur beschränkt werden könnten. Se. Majestät der Kaiser geruhten zu bemerken, daß das Linienschiff einer Probe zu unterziehen und ferner auch zu überlegen wäre, ob nicht statt desselben zwei Fregatten auszurüsten seien. Der Kriegsminister äußerte, daß ihm letzteres sehr zweckmäßig schiene7.
Der Polizeiminister erinnerte, die Schwierigkeiten in Behandlung der Fragen über die Marinedotationsanweisungen rührten hauptsächlich daher, daß der Ministerrat über den Umfang der Ah. anbefohlenen Ausrüstungen und die hiezu Ah. festgesetzten Termine nicht im klaren ist. Se. k. k. apost. Majestät dürften daher geruhen, hierüber einen Ah. Beschluß zu fassen8.
Schließlich geruhten Se. Majestät der Kaiser zu erinnern, es sei darauf zu sehen, daß in Zukunft Militärs oder Beamte nicht ohne Vorwissen ihrer Vorgesetzten in Reichsratskommissionen als Fachmänner berufen werden, und selbe von ihren Obern zu instruieren wären, nicht in einem den Absichten der Regierung entgegengesetzten Sinne zu sprechen. Der Kriegsminister brachte hierüber zur Ah. Kenntnis, daß er den Obersten Möring bereits diesfalls zurechtgewiesen und aufmerksam gemacht habe, daß in England ein General, der bei einer parlamentarischen || S. 297 PDF || Enquête gegen die Regierung spräche, ohne weiters entlassen werden würde.
II. Abänderung des Hofstaatsvoranschlags nach den Normen vom 13. Jänner 1862
Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu befehlen, daß, nachdem Allerhöchstdieselben unterm 13. Jänner 1862 in Absicht auf die Hofstaatsgebarung neue Normen zu erlassen geruht haben, welche auf das Präliminar Einfluß nehmen, diese Normen auch bei den bevorstehenden Budgetverhandlungen mit dem Reichsrate zu berücksichtigen seien9.
Wien, 2. März 1862. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, 6. März 1862. Empfangen 7. März 1862. Erzherzog Rainer.