Nr. 184 Ministerrat, Wien, 16. Jänner 1862 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Schurda; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 16. 1.), Rechberg (hei I—III abw.abwesend), Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Esterházy; abw.abwesend Pratobevera, Forgách; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 28. 1.
MRZ. 989 – KZ. 278 –
- I. Wiederbesetzung der erledigten ottolinischen Johanniter-Ordenskommende
- II. Maßnahmen gegen die galizische Landwirtschaftsgesellschaft
- III. Ansuchen des Abgeordneten Dr. Karl Giskra um Mitteilung eines Vortrags des Finanzministers vom Jahre 1858 über die Verminderung des Militäraufwandes
- IV. Ansuchen mehrerer auswärtiger Regierungen um Mitteilung des österreichischen Staatsvoranschlags für 1862
Protokoll I des zu Wien am 16. Jänner 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Wiederbesetzung der erledigten ottolinischen Johanniter-Ordenskommende
a Der Minister Ritter v. Lasser referierte über die Frage der Wiederbesetzung der erledigten ottolinischen Johanniter-Ordenskommende.
Referent erinnerte, daß die Familie Ottolini, welche zum Genusse dieser Kommende1 berufen war, im Jahre 1844 im Mannesstamme erloschen ist, daß sonach der für diesen Fall vom Stifter vorgesehene Anfall der Güter dieser Kommende an die venezianische Republik, somit an die österreichische Regierung als Nachfolgerin der venezianischen, eingetreten ist und diese Güter sofort von den Finanzbehörden verwaltet wurden, daß mittels Ah. Entschließung vom Jahre 18462 die Weiterverleihung dieser Kommende angeordnet und im Jahre 1850 dieselbe dem Grafen Renier Ag. verliehen wurde3, und daß endlich nach erfolgtem Tod des Renier mit Ah. Entschließung vom Jahre 18534 angeordnet wurde, es werde diese Kommende nicht weiter verliehen. Als im Jahre 1858 der Graf Morosini um Verleihung dieser Kommende im Wege der Ah. Gnade bittlich geworden, seien diesfalls die Verhandlungen aufgenommen worden, und es habe der damalige Minister des Inneren bgegen die Ansicht des Finanzministersb sich für die Wiederverleihung ausgesprochen und beantragt, daß die Frage der Wiederbesetzung erst nach Beendigung des von den ottolinischen Allodialerben wegen Extradierung einiger Realitäten anhängigen Rechtsstreites zur Ah. Schlußfassung vorgelegt werde. Mit der hierüber erflossenen Ah. Entschließung vom 25. Mai 18585 wurde anbefohlen, seinerzeitc die richterliche Schlußentscheidung über den gedachten Rechtsstreit || S. 201 PDF || anzuzeigen und den Gegenstand nach vorläufiger Beratung in der Ministerkonferenz vorzulegen. Es handle sich nun, dnachdem der Prozeß beendet istd, um die Frage, ob der au. Antrag auf Wiederverleihung dieser Kommende oder dahin zu erstatten sei, daß diese als lehnbar anerkannte Kommende nunmehr kadut zu erklären sei. Minister Ritter v. Lasser findet es bei den gegenwärtigen Verhältnissen nicht begründet, diese Kommende wieder aufleben zu lassen, und gedenkt daher in Übereinstimmung mit dem Justiz- und Finanzministerium den au. Antrag zu stellen, daß die in Rede stehende Kommende nicht wieder verliehen werde.
Der Ministerrat erklärte sich mit diesem Antrage einverstanden6.
II. Maßnahmen gegen die galizische Landwirtschaftsgesellschaft
Minister Ritter v. Lasser referiert über die zur Hintanhaltung der verderblichen Wirksamkeit der galizischen Landwirtschaftsgesellschaft zu treffenden Maßregel7. Referent führt des näheren aus, um zu zeigen, daß diese Gesellschaft ein letzterer Zeite andere Zwecke verfolgt, als welche ihr nach den Statuten zukommen, und daß dieselbe rein als eine Agitationsmaschine benützt werde. Er hebt in dieser Beziehung namentlich hervor, daß dieser Verein Subskriptionen für die politischen Emigranten eingeleitet, im März 1861 eine Adresse an die Warschauer gerichtet hat und trotz der erhaltenen Verwarnung diese Agitationen fortsetzte; daß in neuester Zeit eine Anzahl Mitglieder gewählt wurde, welche keine Grundbesitzer sind, und daß überall Filialvereine errichtet werden, welche nach allen Richtungen den Hauptverein in der Verfolgung revolutionärer Gelüste unterstützen sollen. Nach der Ansicht des Statthalters von Galizien seien genug Anhaltspunkte vorhanden, diese Gesellschaft nach § 24 des Vereinsgesetzes8 aufzulösen, eventuell auch gegen einzelne Mitglieder die strafgerichtliche Verhandlung einzuleiten, doch meine aber Graf Mensdorff, daß dieser Weg nicht einzuschlagen wäre, weil es eine große Aufregung im Lande verursachen würde, daher er es vorziehen möchte, die Purifizierung dieser Gesellschaft durch andere Mittel, nämlich durch eine Umarbeitung der Statuten zu bewirken. Ritter v. Lasser ist mit diesem Antrage nicht einverstanden. Das Aufsichtsrecht der Regierung lege er sich dahin aus, daß man weniger präventiv als repressiv einwirke, und von diesem Aufsichtsrechte möchte er nun strengen Gebrauch machen. Für den Auftrag zur Revidierung der Statuten fehle ihm jeder formelle Anhaltspunkt, fda einer mit genehmigten Statuten bestehenden Gesellschaft wohl die Einhaltung der Statuten aufgetragen, eventuell ihre Auflösung verfügt, nicht aber eine Änderung ihres Bestandes oktroyiert werden könne; auch seien die Statutenf da einer mit genehmigten Statuten bestehenden Gesellschaft wohl die Einhaltung der Statuten aufgetragen, eventuell ihre Auflösung verfügt, nicht aber eine Änderung ihres Bestandes oktroyiert werden könne; || S. 202 PDF || auch seien die Statuten eigentlich gut, indem sie, wenn sie genau befolgt werden, ausschließend landwirtschaftliche Zwecke verfolgen, und es würde daher diese Regelung zu keinem Ziele führen, wenn nicht der Geist der Gesellschaft geändert wird. Eine sogleiche Auflösung dieser Gesellschaft erscheine ihm auch nicht angemessen. Als das zweckmäßigste würde sich die Vornahme einer strengen Purifikation der Gesellschaftsmitglieder gund eine kommissionelle Untersuchung der ganzen Vereinsgebarung, wodurch jedenfalls das Substrat für weitere Maßregeln, eventuell für die Auflösung selbst gewonnen würdeg darstellen, und in dieser Richtung stelle er daher folgenden Antrag. Es wäre der Statthalter zu beauftragen, durch eine aus verläßlichen Personen zu bildende Kommission die ganze Gebarung der Gesellschaft genau untersuchen zu lassen, und zwar zuerst in der allgemeinen Richtung, ob hund wieweith der Verein seine Wirksamkeit überschritten hat und sich vorschrifts- iund statuten-i widrige Handlungen zuschulden kommen ließ. Insbesonderej hätte diese Kommission eine genaue Revision der in der letzten Periode aufgenommenen Mitglieder vorzunehmen und die khienach zu beanständendenk Wahlen behufs der weitern Amtshandlung zu verzeichnen. Über das ganze hätte sodann die Kommission an den Statthalter Bericht zu erstatten, der nach dem lVereins- und eventuell Strafgesetzel vorzugehen haben wird, dem es aber auch vorbehalten bleibt, bevor diese Amtshandlung eintritt, sich unter Darlegung des Sachverhaltes allfällige Weisungen vom Ministerium zu erbitten. Nebenbei, bemerkte Referent weiter, handle es sich hier auch um den Protektor dieser Gesellschaft. Gegenwärtig sei Graf Gołuchowski dieser Protektor, jedoch habe derselbe die ganze Zeit her kein Lebenszeichen von sich gegeben und sich um dieses Amt, mwelches kein bloßes Ehrenamt sei, sondern die Pflicht der Beaufsichtigung des Vereins involvierem, nicht im mindesten gekümmert. Es wäre daher angezeigt, ihn daran zu erinnern, und hiezu gebe sich jetzt die beste Gelegenheit, indem man ihn von der Anordnung einer Untersuchungskommission in Kenntnis setzt und ihn einladet, nkünftighin dabei mitzuwirken, daß der Verein statutengemäß vorgehen, wodurch er genötigt sein wird, entweder dieser Einladung nachzukommen oder sein Amt niederzulegen.
Bei der hierauf vorgenommenen Umfrage erklärten sich sämtliche Stimmführer des Ministerrates mit den Anträgen des Referenten einverstanden, der Kriegsminister und der Staatsratspräsident mit dem Bemerken, daß das Hauptgewicht auf die Art der Zusammenstellung dieser Kommission und auf die Energie derselben zu legen sein wird9.
III. Ansuchen des Abgeordneten Dr. Karl Giskra um Mitteilung eines Vortrags des Finanzministers vom Jahre 1858 über die Verminderung des Militäraufwandes
Der Finanzminister referierte, daß er von dem im Finanzausschusse des Abgeordnetenhauses mit dem Referate über das Militärbudget betrauten Dr. Giskra um Mitteilung eines au. Vortrages des Finanzministeriums vom Jahre 1858, worin Anträge auf Herabminderung des Militärerfordernisses gestellt worden sind, angegangen wurde10. Dr. Giskra wünsche diesen Akt, um die darin vorhandenen Anschauungen und Ideen benützen zu können, und verspreche, hievon nur für seine Person Gebrauch machen zu wollen. Der Finanzminister hält eine Mitteilung dieses au. Vortrages umso weniger für angezeigt, als derselbe sich bisher noch unerledigt in Ah. Händen befindet; dagegen würde er es unverfänglich finden, den Dr. Giskra an den betreffenden Referenten zu weisen, damit ihm derselbe etwaige Aufklärungen gebe.
Der Kriegsminister sprach sich unbedingt gegen jede Mitteilung des Aktes aus. Er findet es sehr sonderbar, daß die Herren Abgeordneten immerfort Akten verlangen, um sich fremde Anschauungen und Ideen anzueignen; dann wäre wohl ihre Aufgabe keine schöne. Insbesonders unstatthaft finde Votant aber, daß sich Dr. Giskra um Mitteilungen von Verhandlungen, die das Militärbudget betreffen, an das Finanzministerium wende und letzteres hiedurch gleichsam aufgefordert werde, dem Abgeordnetenhause Waffen gegen das Kriegsministerium in die Hand zu geben. Wenn Dr. Giskra Aufklärungen in Militärangelegenheiten wünsche, so wolle er sich deshalb an den Kriegsminister wenden, der immer bereit ist, so weit es zulässig erscheint die nötigen Auskünfte durch die Referenten geben zu lassen. Dem Staatsminister scheint es gegen das Ansehen des Finanzministeriums zu sein, daß man jetzt dem Abgeordneten Dr. Giskra von Seite des Finanzministeriums jene Anträge, welche dieses Ministerium vor einiger Zeit in militari zu stellen in der Lage war, mitteile und derselbe dann diese Anträge zu den seinigen mache, wodurch es wenigstens den Anschein gewinne, als wenn der Finanzminister selbst nicht den Mut hätte, diese Anträge zur Geltung zu bringen. Andererseits sei es auch ein kurioses Verlangen, daß man denjenigen, welche die Kontrolle üben sollen, selbst Materiale liefern soll, damit sie desto besser ihre Kämpfe gegen die Regierung führen können. Überhaupt scheine das Abgeordnetenhaus bei der Budgetfrage über die Natur seiner Aufgabe hinausschreiten zu wollen, und man müsse daher an dem Standpunkte festhalten, daß das Abgeordnetenhaus sich nur auf die Prüfung des Staatsvoranschlages zu beschränken und sich keinesfalls auf eine Kritik und auf Angriffe gegen das ganze Regierungssystem einzulassen habe. Belangend das in Rede stehende Ansinnen des Dr. Giskra, so würde es Votant unbedingt ablehnen und in angemessener Weise sagen, daß eine Mitteilung dieser Akten, welche eine Sache des Internums sind, nicht angehe. Dieser Meinung schlossen sich der Polizeiminister , der Minister Graf Esterházy und der Staatsratspräsident an, ersterer mit dem Bemerken, daß ihm auch das Auskunftsmittel des Finanzministers, den Dr. Giskra an den Referenten zu weisen, deshalb nicht || S. 204 PDF || ratsam scheine, weil es darauf ankomme, welche Ansichten überhaupt dieser Referent in der fraglichen Angelegenheit hege. Der Finanzminister erinnerte hier, daß er dieses Geschäft dem Ministerialrat v. Vesteneck zugewiesen hätte, der ganz der Mann dazu wäre, den Giskra auf kluge Weise und unter guten Vorwänden abzufertigen und ihn so von jedem feindlichen Auftreten abzuhalten. Der Minister Graf Nádasdy hält den fraglichen au. Vortrag für ein solches Internum, welches in keinem Falle zu einer Mitteilung geeignet ist. Hiebei macht er jedoch in betreff der Persönlichkeit, mit der man es hier zu tun habe, aufmerksam, daß man sehr vorsichtig vorgehen müsse, denn Dr. Giskra sei ein gefährlicher Mann, der viel Bosheit entwickeln könnte, wenn man ihn nicht sozusagen bei guter Laune erhält. Es wäre ihm daher zu sagen, daß dem Grundsatze nach eine solche Mitteilung nicht gestattet ist, daß es ihm aber unbenommen bleibe, sich mit dem betreffenden Referenten in dieser Angelegenheit zu besprechen, wobei aber Votant der Ansicht des Kriegsministers beitritt, daß Giskra nichto an den Referenten des Finanzministeriums, sondernp an jenen des Kriegsministeriums zu weisen ist. Dieser Ansicht traten der Handelsminister und der Minister Ritter v. Lasser bei.
Bei der wiederholt vorgenommenen Umfrage einigte man sich in dem Beschlüsse, daß Dr. Giskra mit seinem Ansinnen zurückzuweisen sei, jedoch in einer kulanten Form und mit dem Bedeuten, daß ihm die Referenten der betreffenden Ministerien die etwa gewünschten Aufklärungen geben werden11.
Der am Schlusse dieser Beratung in die Konferenz eingetretene Minister des Äußern eröffnete, daß er soeben im Finanzausschusse, wo er bei der Erörterung des Budgets für das Ministerium des Äußern intervenierte, deshalb interpelliert wurde, warum die Auslagen für die Erhaltung der modenesischen Truppen12 nicht im Staatsvoranschlage aufgeführt erscheinen. Der Finanzminister erinnerte, daß diese Auslagen im Staatsvoranschlage allerdings nicht detailliert beziffert erscheinen, daß aber bezüglich dieser Ausgabspost in den „Bemerkungen zum Staatsvoranschlage“ und zwar in dem Abschnitte „Armee“, wo von dem Erfordernisse für die Verpflegung und Ausrüstung der Truppen die Rede ist, Erwähnung || S. 205 PDF || geschieht und daß diese Sache überhaupt nicht zum Ministerium des Äußern, sondern zum Kriegsministerium gehöre, worauf Graf Rechberg bemerkte, daß er auch in dieser Richtung dem Finanzausschusse die Aufklärung gegeben habe13.
IV. Ansuchen mehrerer auswärtiger Regierungen um Mitteilung des österreichischen Staatsvoranschlags für 1862
Der Finanzminister brachte zur Sprache, daß mehrere auswärtige Regierungen das Ersuchen um offizielle Mitteilung des österreichischen Staatsvoranschlages pro 1862 gestellt haben.
Der Minister des Äußern ist prinzipiell gegen die Gewährung, weil solche Mitteilungen nicht gebräuchlich sind und weil, wenn in dieser Beziehung auch nur dem Ansuchen eines Staates willfahrt würde, man dann ein Gleiches gegen alle auswärtigen Staaten beobachten, sohin möglicherweise auch eine uns minder befreundete Macht beteilen müßte. Graf Rechberg beantragt daher, diese Ansinnen in höflicher Form abzulehnen, wogegen sich dem Ministerrate keine Erinnerung ergab.
Über den vom Finanzminister gehaltenen Vortrag in betreff einiger Modifikationen in den Grundzügen zu den mit der Nationalbank zu treffenden Übereinkommen und über den Plan zur Deckung des Defizites pro 1862 wird ein besonderes Protokoll verfaßt14.
Wien, am 16. Jänner 1862. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 28. Jänner 1862. Empfangen 28. Jänner 1862. Erzherzog Rainer.