Nr. 135 Ministerrat, Wien, 3. Oktober 1861 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 6. 10.), Mecséry, Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Forgách, Esterházy, Mažuranić, FML. Schmerling, Rizy; abw.abwesend Rechberg, Degenfeld, Pratobevera; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 28. 10.
MRZ. 939 – KZ. 3351 –
Protokoll des zu Wien am 3. Oktober 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers
I. Kompetenz zur Festsetzung des Heeresergänzungskontingents in Ungarn und in Kroatien-Slawonien
Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu eröffnen, Allerhöchstdieselben hätten aus dem Vortrage des Kriegsministers wegen Ausschreibung der Heeresergänzung für 1862 mit Staunen und Mißfallen entnommen, daß der ungarische Hofkanzler und der Präsident des kroatisch-slawonischen Hofdikasteriums die Festsetzung des Kontingents als zur Kompetenz des ungarischen, rücksichtlich kroatischen Landtages gehörig betrachten1. Nachdem hiebei eine unrichtige Auffassung der in der angedeuteten Beziehung maßgebenden staatsrechtlichen Verhältnisse zum Grunde liegt, halten es Se. Majestät der Kaiser für nötig, diese beiden Funktionärs auf die Bestimmungen des Diploms vom 20. Oktober 1860 zu verweisen, auf welchem Standpunkte sich dieselben bei ihrer Gestion nach innen und außen zu erhalten haben2.
II. Novelle zum allgemeinen und zum Militärstrafgesetzbuch
Nachdem in dem anverwahrten Entwurfe eines Gesetzesa betreffend mehrere Abänderungen und Ergänzungen des Strafgesetzes auch die Modifikationen des Militärstrafgesetzes zur Verhandlung bei dem Reichsrate gebracht werden würden3, geruhten Se. k. k. apost. Majestät die Frage zu stellen, ob hiezu eine Notwendigkeit vorhanden sei. Bisher habe man die Militärstrafgesetzgebung in jeder Beziehung ganz getrennt von der allgemeinen Strafgesetzgebung behandelt.
Der Staatsminister äußerte, das Militärstrafgesetzbuch enthalte Bestimmungen wesentlich verschiedener Natur: 1. über die eigentlich militärischen Verbrechen und Vergehen und 2. über solche Straffälle, welche mit dem Militärdienste in keiner Verbindung stehen. Nach der Meinung des Staatsministers gehören Änderungen der letzteren — aber auch nur diese — zur verfassungsmäßigen Behandlung, insofern die Novelle in jenen Ländern Geltung erhalten soll, welche im engeren Reichsrate vertreten sind. In den Ländern jenseits der Leitha würde es dagegen keinem Anstande unterliegen, die Novelle zum Militärstrafgesetzbuch im Verordnungswege zu erlassen. Der Präsident des Staatsrates teilt diese Meinung und sieht voraus, daß, wenn die Bestimmungen über die nicht militärischen Verbrechen etc. im Militärstrafgesetzbuche bloß autokratisch geändert würden, dies als Eingriff in die Verfassung betrachtet werden wird. Wenn in den für die k. k. Armee in nicht militärischen Angelegenheiten geltenden Gesetzen ein Unterschied nach Territorien der Länder Platz greifen würde, schiene dies dem Staatsratspräsidenten mit der Einheit der Armee keineswegs unvereinbarlich, sowie derselben auch die territorialen Verschiedenheiten der Zoll- und Staatsmonopolsgesetzgebung keinen Abbruch tun. Übrigens könne die Militärstrafgesetznovelle für Ungarn etc. im Verordnungswege erlassen werden. Der Polizeiminister und Minister Ritter v. Lasser teilten gleichfalls die Meinung des Staatsministers über die Notwendigkeit, die vorliegende Novelle zum Militärstrafgesetz vor den engeren Reichsrat zu bringen.
III. Entwurf des Pressegesetzes
Se. k. k. apost. Majestät geruhten hierauf, mehrere Bestimmungen des anverwahrten Preßgesetzentwurfesb einer Erörterung zu unterziehen.
Nachdem die im § 2 erscheinenden Bestimmungen über den Verlust der Buchdruckergewerbe eine durch innere Gründe nicht motivierte Abweichung von den allgemeinen Gewerbsvorschriften festsetzen, geruhten Se. Majestät die Frage aufzuwerfen, ob es denn unumgänglich sei, bloß zur Beschwichtigung des momentanen Mißtrauens wegen möglicher tendenziöser Maßregelungen der Presse solche unlogischen Ausnahmen zu statuieren. Solle man dies nicht lieber dem Reichsrate überlassen?
Der Staatsminister referierte über die mancherlei Schwierigkeiten, die sich bei Redaktion dieses Paragraphes ergaben4. Für die jetzige Fassung spreche die Analogie, daß auch bei anderen Gewerben der Gewerbsverlust in gewissen Fällen || S. 426 PDF || vom Gerichte ausgesprochen werden kann. Andererseits kommt zu bedenken, daß die Gerichte in der Verhängung des Gewerbsverlustes weit strenger zum Werke gehen als die Administrativbehörden, so daß in der Ingerenz der Gerichte indirekt eine Verschärfung liegt. Der Handelsminister äußerte, es würde ein vergebliches Bestreben sein, von diesen Ausnahmen Umgang zu nehmen. Auch die preußische Regierung sei durch die parlamentarischen Verhandlungen dazu gezwungen worden. Ja, es wäre selbst möglich, daß der Reichsrat, um zu diesem Ziele auf einem Umwege zu gelangen, eine Änderung der Gewerbsgesetzgebung vornehme, was noch schlimmer wäre. Der Polizeiminister tritt dieser Meinung vollkommen bei, mit dem Bemerken, daß die Eliminierung dieses Paragraphes aus dem Entwurfe im letzten Augenblick das Mißtrauen aufs höchste treiben würde5. Auch Minister v. Lasser glaubt, daß man in diesem Fall aus Opportunitätsrücksichten von den Forderungen der Logik absehen müsse. cEr selbst habe ursprünglich in der Ministerkonferenz gegen jede Ausnahme vom Gewerbsgesetze zugunsten der Buchdrucker etc. sich erklärt, dann aber seine Ansicht geändert, nachdem die beiden Minister, welche die Presse beaufsichtigen, erklärt hatten, es sei auf die Aufrechthaltung des Gewerbsentziehungsrechtes gegen jene Gewerbe gar kein praktischer Wert zu legen, und nachdem andererseits die Presse selbst auf die Beseitigung oder doch Milderung jenes administrativen Rechtes einen so hervorragenden Wert lege.c Der Präsident des Staatsrates erklärte, er habe sich in bezug auf den § 2 — wenngleich mit Widerstreben — konformiert, da man allgemein auf diese Anordnung, welche auch bereits in Bayern, Sachsen und Preußen besteht, einen so großen Wert legt. Der ungarische Hofkanzler sieht voraus, daß die Gerichte mit unerbittlicher Strenge vorgehen werden, während ihm kein Beispiel bekannt sei, daß ein Drucker im administrativen Wege des Gewerbs verlustig geworden ist.
Über Ah. Aufforderung gab der Sektionschef Rizy zum § 7, viertes Alinea, den Aufschluß: Die Einstellung der Herausgabe durch die Sicherheitsbehörde sei hier bloß deswegen fakultativ ausgesprochen, weil sonst auch ganz kleine Vergehen diese Folge nach sich ziehen müßten, daher es zweckmäßig schien, dies dem Ermessen der Polizei zu überlassen.
Die Abstufung der Kautionsbeträge § 10 motivierte Sektionschef Rizy durch die notwendigen Rücksichten auf den Ort des Erscheinens und die Zahl der wöchentlichen Publikationen. Auch in fremden Preßlegislationen werde dies berücksichtigt.
Die im § 16, Alinea 4, erscheinenden Strafen sind dem Ausmaße nach mit dem bestehenden Gesetze gleich.
Über die Allerhöchstenorts gestellte Frage, ob aus dem § 23 — die militärischen Mitteilungen betreffend — nicht der Zwischensatz „wenn dadurch die Interessen etc.“ bis „worden ist“ ganz weggelassen werden könnte, bemerkte der || S. 427 PDF || Staatsminister , daß dann diese Bestimmung einem absoluten Verbot aller, auch der unschuldigsten Mitteilungen gleichkommen würde. Überdies könne ja auch die Regierung erforderlichenfalls selbst ein absolutes Schweigen befehlen. Die Strafsanktion 50—500 fl. dürfte deswegen nicht zu gering bemessen sein, weil, sobald hochverräterische Absichten etc. dabei unterlaufen, weit strengere Strafen eintreten.
Aus Anlaß der im § 33 erwähnten Obliegenheiten der Staatsanwälte geruhten Se. k. k. apost. Majestät zu bemerken, daß die denselben durch das vorliegende Gesetz zugewiesenen Aufgaben eine Vermehrung, Epurierung und Reorganisierung der Staatsanwaltschaften notwendig machen werden, sonst würde das Gesetz wegen der mangelhaften Handhabung wirkungslos bleiben. Der Polizeiminister sprach den Wunsch aus, daß bei dem Wiener Landesgerichte, dessen Erkenntnisse in Preßsachen oft gar nicht plausibel waren, ein eigener Preßsenat aus kenntnisreichen Räten zusammengesetzt werde.
Se. Majestät geruhten, die Motivierung des § 44 — über die Anwendung des Preßgesetzes auf die unter der Militärgerichtsbarkeit stehenden Personen — Allerhöchstsich erstatten zu lassen, welchem Ah. Auftrage sich der Staats- und der Polizeiminister, dann Präsident Baron Lichtenfels durch Darlegung der im Ministerratsprotokoll vom 2. Oktober erörterten Motive unterzogen.
Hierauf geruhten Se. k. k. apost. Majestät Ah. zu gestatten, daß die gegenwärtigen Entwürfe der Novelle zum Strafgesetze sowohl als des Preßgesetzes dem engeren Reichsrate zur geschäftsmäßigen Behandlung vorgelegt werden6.
Wien, am 6. Oktober 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 25. Oktober 1861. Empfangen 28. Oktober 1861. Erzherzog Rainer.