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Nr. 57 Ministerrat, Wien, 27. April 1861 — Protokoll II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 27. 4.), Rechberg, Mecséry, Schmerling, Degenfeld, Vay, Lasser, Szécsen 6. 5., Plener 3. 5., Wickenburg 3. 5., Pratobevera 4. 5., Lichtenfels 4. 5.; BdR. Erzherzog Rainer 7. 5.

MRZ. 835 – KZ. 1420 –

Protokoll [II] des zu Wien am 27. April 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.

I. Präsidenten- und Vizepräsidentenstellen im Abgeordnetenhaus

Der Staatsminister brachte für die Stelle des Präsidenten im Hause der Abgeordneten den Troppauer Hein und für jene der beiden Vizepräsidenten die Abgeordneten Professor Hasner aus Prag und den Grafen Mazzucchelli aus Mähren in Vorschlag, und zwar sämtliche nur für die Dauer der bevorstehenden Session.

Die Konferenz war mit dem Antrage einverstanden, nachdem der Versuch, geeignetere Männer für die in Rede stehenden Posten aus dem Verzeichnisse der Gewählten zu finden, zu keinem Ergebnisse geführt hatte1.

II. Thronrede zur Eröffnung des Reichsrates

Der Staatsminister las den Entwurf der Thronrede, wie derselbe gemäß den Konferenzberatungen vom 25. und 26. d. M.2 und der bezüglich der Länder der ungrischen Krone mit dem ungrischen Hofkanzler und Grafen Szécsen gepflogenen Rücksprache modifiziert worden ist.

Nach Vornahme einiger angeregter stilistischer Änderungen durch den Staatsminister erklärte Minister Graf Szécsen einstimmig mit dem ungrischen Hofkanzler , daß, gemäß der obgedachten Rücksprache, bei der Stelle, wo Se. Majestät die Gesamtverfassung zu schützen angeloben, der Einschub: „welcher (Gesamtverfassung) die alten wieder ins Leben gerufenen und die neu erteilten Landesverfassungen als integrierende Bestandteile einverleibt sind“ zu entfallen hätte, weil sie ihm nicht ganz richtig und derzeit als unnötig erscheint. Ebenso glaubte er für die Weglassung der Worte, welche die Verfassung vom 26. Februar als „eine konsequente Entwicklung der Bestimmungen vom 20. Oktober 1860“ bezeichnen, stimmen zu sollen, weil sie als eine politische Bemerkung, die überdies eine Bestreitung nicht ausschließt, in einer Thronrede kaum am Platze sein dürften. Der Staatsminister gab in beiden Beziehungen nach. Denn sobald Se. Majestät || S. 308 PDF || feierlich erklären, an den Grundgesetzen vom 20. Oktober und 26. Februar festhalten zu wollen, erscheint die Stelle über die Landesverfassungen als integrierende Bestandteile der Gesamtverfassung insofern als entbehrlich, als sie dem Wesen nach bereits im Einführungspatente vom 26. Februar, Artikel VI3, enthalten ist. Und was die Worte über die konsequente Entwicklung des Diploms vom 20. Oktober betrifft, so drücken sie zwar die Ansicht des Ministeriums aus, können aber allerdings hier, weil nicht entscheidend, weggelassen werden. Hiergegen ward nichts erinnert.

Bei der die Finanzen betreffenden Abteilung hätte der Finanzminister gewünscht, daß die von ihm formulierte Textierung gewählt worden wäre, wornach der Notwendigkeit, den für 1861 und 1862 in Aussicht stehenden Abgang durch außerordentliche Mittel zu bedecken, ausdrücklich zu erwähnen wäre, weil dies ohne Zweifel die dringendste und erste Aufgabe ist, zu deren Lösung die Reichsvertretung berufen ward. Der Staatsminister glaubte jedoch, daß dies nicht notwendig sei, weil schon die in seinem Entwurfe enthaltene Andeutung über den Abgang notwendig zu dem Schlusse führt, daß eine Bedeckung durch außerordentliche Mittel beschafft werden muß, und weil — wie Minister v. Lasser hinzusetzte — das Bedürfnis darnach sich auch bei der Prüfung und Feststellung der Voranschläge für die beiden Jahre von selbst ergeben wird.

Hiernach erklärten sich alle übrigen Stimmführer für die vom Staatsminister vorgeschlagene Textierung.

Gegen den übrigen Inhalt des Entwurfs ergab sich keine Einwendung.

III. Programm zur Eröffnung der beiden Häuser am 29. April

Der Staatsminister brachte das Programm über die am 29. stattfindende kirchliche Feier und sohinige Eröffnung der beiden Häuser des Reichsrates zur Kenntnis des Ministerrates, die weitere schriftliche Mitteilung an die einzelnen Mitglieder desselben sich vorbehaltend4, a .

IV. Übereinkommen mit der Südlichen Staatseisenbahngesellschaft

Die Verhältnisse der Südlichen Staatseisenbahngesellschaft haben durch den Zürcher Frieden eine so wesentliche Veränderung erlitten, daß eine Auseinandersetzung ihrer Beziehungen zur österreichischen und zur sardinischen Regierung notwendig geworden ist5. Es werden die Trennung der Verwaltung bezüglich der auf österreichischem und auf sardinischem Gebiete bestehenden Strecken und ein Übereinkommen mit letzterer behufs der Sicherstellung der Rechte der Gesellschaft beabsichtigt, und auch mit der k. k. Regierung wurden Verhandlungen wegen Feststellung der unter den obwaltenden Verhältnissen geänderten Konzessionsbedingungen gepflogen, deren Resultat der Ah. Genehmigung Sr. Majestät unterbreitet und der am 30. d. M. stattfindenden Generalversammlung der Gesellschaft || S. 309 PDF || zur Gutheißung vorgelegt werden soll6. Der Finanzminister hat die Unterhandlung dazu benützt, von der Gesellschaft die Verzichtleistung auf das Recht des halben Zolles bei dem Bezuge ausländischen Eisenmaterials b zu verlangen, und gedenkt, das zwischen ihm und dem Verwaltungsrate verabredete Übereinkommen, dessen umfangreicher meritorischer Inhalt Gegenstand der staatsrätlichen Vergutachtung sein wird7, der Ah. Genehmigung Sr. Majestät zu empfehlen. Inzwischen handelt es sich cheute nicht um die meritorische Beratung des Gegenstandes, zu welcher der Finanzminister wohl vorbereitet, die Zeit des hohen Ministerrates bei der Ausdehnung des Objektes heute nicht verfügbar erscheint, es handelt sich vielmehr im gegenwärtigen Augenblickec nur darum, den Verwaltungsrat in die Lage zu setzen, vor der Generalversammlung mit der Erklärung aufzutreten, daß das vorgeschlagene Übereinkommen die Ah. Genehmigung zu erlangen Aussicht habe, dindem es eine Rücksicht des österreichischen Kredits sei, der Eisenbahngesellschaft, in welcher ein so bedeutendes ausländisches Kapital engagiert ist, die Feststellung ihrer Existenz auf einer den geänderten Verhältnissen entsprechenden Basis in sichere Aussicht zu stellen und ihr die Möglichkeit zur Stärkung ihrer Geldkräfte zu gewähren. Die ausgesprochene Geneigtheit des Finanzministers, „in der erwähnten Richtung die Anträge zu unterstützen“, wird von dem Verwaltungsrate der Gesellschaft als ein notwendiges Behelf zur Wiedergewinnung des Vertrauens in die Zukunft der Unternehmung bei der Generalversammlung bezeichnet und dringend gewünschtd . Der Finanzminister erbat sich zu diesem Ende die Ermächtigung, dem Verwaltungsrate für seine Person und unter seiner ausschließenden Verantwortung zu eröffnen, daß er das verabredete Übereinkommen anstandslos befunden habe und bereit sei, sich die Ah. Genehmigung zum Abschlusse desselben, wenn es auch von der Generalversammlung angenommen wird, zu erbitten.

Die Mehrheit des Ministerrates erklärte sich hiermit einverstanden, nachdem einige vom Minister des Äußern erhobene Bedenken, ob eine vollkommene territoriale Trennung der Verwaltung, dann die Loszählung der k. k. Regierung von der Zinsengarantie bezüglich der einst auf österreichischem, nun auf fremdem Gebiete gelegenen Bahnstrecke gesichert sei, durch die vom Finanzminister vorgelesenen, hierauf Bezug nehmenden, sehr präzise abgefaßten Paragraphe des Vertragsentwurfes behoben worden waren. Auch ein weiterer Zweifel des Ministers des Äußern , ob es möglich sein werde, eine mögliche Umgehung der Verzichtleistung auf zollfreien Bezug des Eisenmaterials durch Kontrollmaßregeln || S. 310 PDF || zu hindern, wenn die Gesellschaft mit ihren ausländischen Waggons die österreichische Grenze überschreitet, wurde von Seite des Finanz- und des Handelsministers für nicht erheblich erklärt, indem es sich bei jener Verzichtleistung vorzüglich um ausländische Eisenschienen handelt, die, wenn sie über die Grenze gebracht werden wollten, dort sogleich würden angehalten werden. Aber ein anderes Bedenken erhob Minister Ritter v. Lasser : Wenn der Finanzminister erklärt, das Übereinkommen im ganzen der Ah. Genehmigung Sr. Majestät empfehlen zu wollen und dann doch von Sr. Majestät Änderungen in den meritorischen Bestimmungen desselben beschlossen werden sollten, so fiele das Odium davon auf die Ah. Person, was doch zu vermeiden ist, ewogegen der Finanzminister erklärte, daß er in seinem Schreiben die Geneigtheit zur Antragstellung im Ministerrate ausspreche und somit selbst im Falle einer Nichtannahme das Gehässige einer solchen von der Ah. Person fernegehalten sein werdee wogegen der Finanzminister erklärte, daß er in seinem Schreiben die Geneigtheit zur Antragstellung im Ministerrate ausspreche und somit selbst im Falle einer Nichtannahme das Gehässige einer solchen von der Ah. Person fernegehalten sein werde. Minister Graf Szécsen , zwar mit dem Finanzminister einverstanden, verkannte gleichwohl jenes Bedenken nicht, beantragte daher einen Zusatz, daß die einzelnen Bestimmungen des Übereinkommens einer meritorischen Würdigung vorbehalten bleiben, und auch der Handelsminister wünschte, daß der Antwort des Finanzministers auf die Eingabe des Verwaltungsrates eine der obigen Andeutung entsprechende Wendung gegeben werde. fDer Finanzminister las hierauf den Entwurf seines Schreibens an den Verwaltungsrat der Gesellschaft vollinhaltlich ab.f Der Staatsratspräsident , das Bedenken v. Lassers vollkommen teilend, nahm insbesondere Anstoß an dem Passus: Der Finanzminister habe den Entwurf des Übereinkommens „anstandslos“ befunden, weil dies, wenn doch Änderungen in dessen Bestimmungen getroffen werden müßten — wie schon erwähnt —, zu unliebsamen Komplikationen Anlaß geben würde. Er glaubte daher, es sei sich in der Antwort vorläufig auf die Erklärung zu beschränken, daß derzeit, bevor die Generalversammlungsbeschlüsse nicht bekannt seien, in eine definitive Erledigung nicht eingegangen werden könne, daß man jedoch bereit sei, das Übereinkommen in Verhandlung zu nehmen. Minister Freiherr v. Pratobevera endlich bemerkte: Das Vorhaben des Finanzministers sei kein Gegenstand der Abstimmung im Ministerrate, da der Finanzminister die Erledigung unter seiner alleinigen Verantwortung hinauszugeben [beabsichtige], wozu derselbe weder einer besonderen Ermächtigung des Ministerrates bedürfe, noch dieser befugt sei, sie zu geben. Zur Widerlegung der vorstehenden Äußerungen bemerkte der Finanzminister schließlich: Das Übereinkommen sei seit einem Jahre Gegenstand so vieler und eindringlicher Beratungen beim Finanzministerium gewesen, daß er kaum besorge, es werde eine wesentliche Änderung der reiflich erwogenen Bestimmungen desselben erfolgen können. Er würde wenigstens schon um des in volkswirtschaftlicher Beziehung so überaus vorteilhaften Verzichtes auf die zollfreie Eiseneinfuhr willen die Genehmigung des Übereinkommens nicht anders als unverändert mit aller Wärme unterstützen. Unwesentliche Änderungen dürften sich durch eine nachträgliche Unterhandlung begleichen || S. 311 PDF || lassen. Wichtig aber sei es in dem Augenblicke, der Generalversammlung die Aussicht zu eröffnen, daß das Übereinkommen von Seite der Regierung werde genehmigt werden, um erstere ihrerseits zur Zugestehung jener namhaften Konzession zu bewegen. Darum nehme er keinen Anstand, die in Rede stehende Antwort unter seiner Verantwortung zu erteilen, und nur, um dem etwaigen Einwande eines einseitigen Vorganges zu begegnen, habe er dieses sein Vorhaben zur Kenntnis bzw. Zustimmung des Ministerrates gebracht. gEr bedürfe und beanspruche auch keine Mitverantwortung in betreff seiner Vorgänge, welche er selbst zu vertreten wissen werde, und habe bei dem heutigen Vortrage bloß die Kenntnissetzung des hohen Ministerrates von seinem Vorhaben und die Beseitigung des möglichen Vorwurfes der unterlassenen Informierung oder Orientierung des hohen Ministerrates in zwei sehr wichtigen und nächster Tage durch die Zeitungen und durch den darin vorkommenden Bericht über die Generalversammlung der Eisenbahngesellschaft zur Öffentlichkeit gelangenden Angelegenheiten im Auge gehabtg,8.

V. Baron Wüllerstorff als Vertreter der Marine im Reichsrat

Se. k. k. Hoheit teilten mit, daß der Freiherr v. Wüllerstorf zum Vertreter der Marine in beiden Häusern des Reichsratesh bestimmt worden sei9.

VI. Mitteilung einer Abschrift der Abdikationsurkunde Kaiser Ferdinands an den Banus

Über die Anfrage Sr. k. k. Hoheit, ob dem telegraphischen Begehren des Banus von Kroatien um eine Abschrift der Abdikationsurkunde Sr. Majestät des Kaisers Ferdinand für den kroatischen Landtag stattzugeben sei, erklärte Minister Graf Szécsen , daß, obwohl für das Begehren des kroatischen Landtages der historischstaatsrechtliche Grund nicht spricht, welcher für den ungrischen gilt, es doch itzt bedenklich wäre, eine Mitteilung zu verweigern, weil dies als eine Präokkupation der Unionsfrage ausgedeutet werden würde. Man vereinigte sich sonach über seinen Antrag in dem Beschlusse, zwar nicht dem Landtage, wohl aber dem Ban eine beglaubigte Abschrift jenes Aktes zu seinem Gebrauche zu übermitteln10.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 7. Mai 1861. Empfangen 7. Mai 1861. Erzherzog Rainer.