Nr. 252 Ministerkonferenz, Wien, 26. Dezember 1860 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet (RS.Reinschrift Klaps); VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Erzherzog Rainer, (Rechberg 28. 12. 1860/4. 1. 1861), Mecséry 28. 12., Schmerling, Degenfeld 30. 12., Vay 30. 12., Plener 30. 12., Lasser 30. 12., Szécsen 2. 1.; außerdem anw.anwesend Kemény.
MRZ. – KZ. 4270 –
Protokoll der Ministerkonferenz am 26. Dezember 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Publikation des Ah. Handschreibens an Freiherrn v. Kemény
Se. Majestät der Kaiser eröffneten die Konferenz mit der Ag. Mitteilung, daß der Kommandierende General in Siebenbürgen, Fürst Liechtenstein, auf die baldigste Publikation des Ah. Handschreibens vom 21. d. M. an Baron Kemény angetragen habe, da er dies als den einfachsten Ausweg betrachtet, der im Lande allgemein herrschenden Ungewißheit über die zukünftige Gestaltung der dortigen Angelegenheiten ein Ende zu machen und die nichtungarischen Nationalitäten in Siebenbürgen zu beruhigen1. Se. k. k. apost. Majestät geruhten die Konferenzglieder aufzufordern, sich über diesen Antrag zu äußern, nachdem bei der früheren Beratung die Ansicht vorherrschend war, daß der gedachte Ah. Erlaß bloß pro foro interno zu gelten habe.
Der Staatsminister war auch jetzt noch der Meinung, daß die Veröffentlichung des vollständigen Ah. Handschreibens nicht notwendig sei, indem dasselbe viele Punkte enthalte, worüber noch nicht entschieden, sondern erst eine Antragstellung verlangt wird. Vorderhand scheine es dem Staatsminister zur Beruhigung genügend, wenn die darin enthaltenen positiven Entscheidungen über die Hauptmomente publiziert werden, nämlich die Bestimmungen über Karlsburg als Versammlungsort der Konferenz, über den Landtag und über die Berücksichtigung der vier Nationen bei Zusammensetzung der Hofkanzlei sowohl als des Guberniums. Ein Bedürfnis zu einer weitergehenden Verlautbarung dürfte nicht vorhanden sein.
Der Präsident der siebenbürgischen Hofkanzlei las eine Stelle aus einem Briefe des Fürsten Liechtenstein, worin er die Dringlichkeit der Publikation des Handschreibens auch dadurch motiviert, daß über den Inhalt desselben bereits viele Versionen im Publikum zirkulieren und man mit Ungeduld über den vollständigen Wortlaut Gewißheit zu erlangen wünscht. Andere Mitteilungen aus Siebenbürgen sprachen sich ganz in demselben Sinne aus, und Baron Kemény müsse den auf unmittelbar genaue Kenntnis der Verhältnisse gestützten Antrag des Fürsten Liechtenstein aufs lebhafteste befürworten. Der ungarische Hofkanzler teilt diese Meinung und bemerkt ferner, daß der jetzigen Bewegung in den romänischen Fürstentümern gegenüber2 die baldige Besetzung der || S. 202 PDF || Obergespansstellen sehr wünschenswert sei. Ferner sei der praktische Erfolg der Karlsburger Konferenz hauptsächlich dadurch bedingt, daß Baron Kemény schon jetzt eine Auswahl für die Obergespansposten treffe und den bezüglichen Individuen Zusicherungen darüber erteilen könne. Minister Graf Szécsen machte aufmerksam, daß die im Sinne des Staatsministers beschränkte Verlautbarung wohl zur Beruhigung der Romanen genügen, allein die Besorgnisse der Sachsen, Ungarn und Szekler nicht beheben würde. Die vollständige Verlautbarung allein werde alle Nationen und Klassen im Lande befriedigen. Überdies seien manche im ersten Entwurfe enthaltenen positiven Bestimmungen bei der Schlußredaktion beseitigt oder gemildert worden, und wenn Fürst Liechtenstein selbst für die Veröffentlichung des ihm bekannten ersten Entwurfes war, so könne man über den Eindruck der Publikation des Ah. Handschreibens selbst umso weniger besorgt sein. Der Polizeiminister und der Ministerpräsident waren für die vollständige Publikation.
Der Leiter des Justizministeriums sieht ein, daß die Veröffentlichung des ganzen Ah. Erlasses für die Stellung und den Einfluß des Hofkanzleipräsidenten von großer Wichtigkeit ist, und fände nur vielleicht den Absatz „Gleichzeitig haben Sie Mir über die Frage der Wiederherstellung der früheren althergebrachten administrativen Einteilung etc.“ wegen des Eindruckes auf die Romanen nicht unbedenklich. Auch der Finanzminister fand, daß aus diesem Absatze die Absicht, die alten drei Territorien allein wiederherzustellen, in einer für die Romanen beunruhigenden Weise hervorleuchte und daher zur Abhilfe eine angemessenea stilistische Modifikation angebracht werden dürfte.
Allein, Se. k. k. apost. Majestät bemerkten, daß Fürst Liechtenstein bei diesem seinem Antrage das Verhältnis zu den Romanen wohl berücksichtigt habe, daß Bischof Schaguna selbst die Publikation wünsche und man nach seiner Äußerung darauf zählen könne, daß seine Landsleute in Karlsburg nicht fehlen werden. Unter diesen Umständen geruhten Se. Majestät der Kaiser Allerhöchstsich für die vollständige Veröffentlichung des Ah. Handschreibens vom 21. d. M. zu erklären3.
II. Besetzung der Präsidentenstelle beim kroatisch-slawonischen Hofdikasterium
Se. k. k. apost. Majestät geruhten die Besetzung der Präsidentenstelle bei dem kroatisch-slawonischen Hofdikasterium zur Sprache zu bringen. Nachdem der zuerst dafür vorgeschlagene Hofrat Baron Ožegović als entschiedener Parteigänger ungarischerseits perhorresziert werden würde, hat der Banus den Oberstaatsanwalt zur Agram Mažuranić in Antrag gebracht, und Se. Majestät wünschten hierüber die Meinung der Konferenz zu vernehmen4.
|| S. 203 PDF || Der Ministerpräsident unterstützte den Antrag, dessen Ah. Gewährung das fortdauernd beste Einverständnis zwischen dem Präsidenten und dem Ban im Interesse des Dienstes verbürgen würde. Der Staatsminister kann den Mažuranić, den er aus früherer Zeit auf das vorteilhafteste in Absicht auf Kenntnisse, allgemeine Bildung und Charakter kennengelernt hat, für den fragliche Posten jetzt umso mehr für ganz geeignet erklären, als die Jahre und Erfahrungen seine politischen Ansichten in einer Weise gemildert und geläutert haben, daß von ihm keine einseitige oder parteiische Geschäftsbehandlung zu fürchten ist.
Der ungarische Hofkanzler bemerkte, daß auch Mažuranić in ungarischen Kreisen als zu kroatisch gelte und daß, um nach keiner Richtung zu verletzen, ein Auskunftsmittel darin gefunden werden könnte, den gewesenen Obergespan Grafen Pejacsevich zum Präsidenten und den Mažuranić zu seinem Stellvertreter zu ernennen5. Graf Szécsen schloß sich diesem Antrage aus dem weiteren Grunde an, daß Graf Pejacsevich, abgesehen von der Geburt, seiner dienstlichen Antezedentien wegen dem Mažuranić am Range vorgehe und auch als ein neutraler Mann gelten könne. Nun sei es aber gerade während der Übergangsperiode sehr wichtig, auf einen solchen Posten keinen Parteimann zu stellen, und das sei der sonst unbestritten sehr tüchtige Mažuranić.
Minister Ritter v. Lasser spricht sich über die Begabung des Mažuranić ebenso vorteilhaft aus als der Staatsminister; er sei dem Grafen Pejacsevich weit überlegen, dabei kein so prononcierter Parteimann wie Ožegović und kein Intrigenspinner. Der Finanzminister äußerte, daß, wenn Se. Majestät dem Lande Kroatien durch die Bildung des Dikasteriums etwas zu Gefallen tun wolle, dies durch die Wahl des Präsidenten erst die volle Bedeutung erhalten könne. Mažuranić aber genieße bei seinen Landsleuten großes Vertrauen. Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer erklärte sich in Anbetracht der bNotwendigkeit einer innigen Übereinstimmung zwischen dem Chef dieser Zentralstelle und demb Ban ebenfalls für Mažuranić6.
III. Maßregeln gegen die Ausschreitungen der Presse
Se. k. k. apost. Majestät geruhten die neuesten Ausschreitungen der Presse zur Sprache zu bringen, welche von einer Vehemenz und einem so persönlichen Charakter sind, daß man sich fragen muß, ob eine solche Zügellosigkeit die beabsichtigte Verwirklichung freier Institutionen und die glückliche Durchführung der Prinzipien vom 20. Oktober nicht wesentlich erschweren werde. Zwei Wiener Blätter haben neuerdings den Ministerpräsidenten zum Gegenstand der leidenschaftlichsten und ungerechtesten Angriffe gemacht7. || S. 204 PDF || Kaum ist das Zirkular des Staatsministers an die Statthalter veröffentlicht8, so überschüttet es das Blatt „Neueste Nachrichten“ mit Spott und Hohn9. Man will einen Minister nach dem anderen unmöglich machen und nebstbei verdeckte Angriffe noch höher hinauf führen. Se. Majestät wünschen daher Anträge entgegenzunehmen, wie die Presse in den gebührenden Grenzen zu erhalten wäre.
Der Polizeiminister , anknüpfend an die über Preßangelegenheiten in jüngster Zeit gepflogenen Konferenzberatungen10, las den Bericht des Staatsanwalts über die ihm zur Äußerung mitgeteilten Artikel, wonach er in den Artikeln der „Ostdeutschen Post“ den Tatbestand der Aufreizung und Aufwiegelung, in jenen der „Presse“ nach § 300 den Tatbestand der Aufwiegelung findet und die Anfrage stellt, ob er, hierauf gestützt, gerichtliche Schritte einleiten solle. Staatsanwalt Lienbacherc glaubt darüber anfragen zu müssen, um Sicherheit zu haben, daß sein ämtliches Vorgehen ihm höheren Orts nicht als Unklugheit angerechnet werde11. Es sei nun allerdings eine vom Standpunkte der Opportunität zu erwägende Frage, ob es jetzt, bei Annahme des neuen Regierungssystems, angezeigt sei, sofort mit Preßklage aufzutreten.
Der Staatsminister hegt kein Bedenken gegen Einschlagung des gerichtlichen Weges, welcher durch Anwendung des Strafgesetzes noch weiter führt als das Preßgesetz. Der Richterstand werde ohne Zweifel seine Schuldigkeit tun. Es werde Sache des Präsidenten sein, die Ausschreitungen des Verteidigers und die Äußerungen des Publikums kräftiger in die gebührenden Schranken zu verweisen, als es bei der Richterschen Schlußverhandlung geschehen ist, wo der Präsident durch deren lange Dauer ermüdet war, während der gegenwärtige Fall schon in ein paar Stunden erledigt sein kann12.
Der Ministerpräsident entgegnete, daß ein Strafprozeß dieser Art so schwierig und wegen des Zusammenhanges mit der äußeren Politik des Kabinetts Sr. Majestät so delikat sei, daß es bedenklich wäre, ihn anzufangen, wenn man über dessen Ausgang keine Gewißheit haben kann. Erfolgt gar kein oder ein zu gelindes Straferkenntnis, so werden dadurch die Wühlereien in der Presse nur angefeuert. Wie aber diese Wühlereien bereits gewirkt haben, beweiset der Umstand, daß jemand vor kurzem geäußert hat, „er werde den Ministerpräsidenten, wenn er ihm begegnet, erschießen“13. Diese Drohung ist allerdings || S. 205 PDF || nicht ernstlich gemeint, aber sie beweiset doch, wie aufreizend diese Artikel wirken und daß man sich auf dem Wege zu den Zuständen von 1848 befindet. Bis zum 20. Oktober habe man hier die Presse im Zaum gehalten, und der Übergang zur Preßfreiheit kann jetzt nicht mit einem Male, sondern nur stufenweise geschehen. Die politische Entwicklung fordere Zeit, und die große Masse der Zeitungsleser in Österreich ist für eine so aufregende Kost, wie sie jetzt täglich geboten wird, noch nicht reif. Um daher den sonst unausbleiblichen ernsten Krisen vorzubeugen, sehe sich Graf Rechberg verpflichtet, zu beantragen, daß alle Angriffe der Presse auf bestehende Gesetze oder Personen des Ah. Vertrauens sowie die Versuche, Sr. Majestät Änderungen in den höchsten Funktionären aufzudringen, mit Verwarnungen der bezüglichen Journale zu bestrafen seien, und daß mit diesen Verwarnungen in Wiederholungsfällen bis zur dritten fortzufahren wäre. Diese Maßregeln hätten lediglich vom Polizeiminister als zu seinem Ressort gehörig auszugehen.
Der Polizeiminister äußerte, daß er bei dem geringen oder doch zweifelhaften Erfolge gerichtlicher Schritte der Erteilung von Verwarnungen den Vorzug gebe, nur müsse er bemerken, daß der Antrag der Vorstimme insoferne zu weit gehe, als nach der dPreßordnung § 22d nicht jeder einzelne Artikel, sondern erst eine Reihenfolge von Artikeln von gleicher schlechter Tendenz gesetzlichen Grund zur Verwarnung biete14. Anderseits glaube Baron Mecséry, mit einer wichtigen Administrativmaßregel wie der Verwarnung nicht vorgehen zu sollen, ohne darüber die Meinung seiner Kollegen eingeholt zu haben. Die Verhängung derselben dem Ermessen der Statthalter zu überlassen, sei keineswegs angezeigt, eweil es sich eben um Konsequenz und gleichartiges Vorgehen handlee .
Der Staatsminister erinnerte, daß der Einfluß der Regierung auf die Presse sich in zweifacher Richtung geltend machen könne: 1. durch die sogenannte Preßleitung, bei persönlichem Verkehre mit den Redakteuren – ein Feld, welches bisher nicht kultiviert wurde, aber jetzt ohne Verzug betreten werden wird; 2. durch Strafen im Wege der Gerichte oder aber mittelst Verwarnung nach § 22, welcher Paragraph jedoch auf den fraglichen Fall strenge genommen nicht angewendet werden kann. Eine dritte Richtung zur Geltendmachung des Einflusses der Regierung gibt es nicht; es sei denn, daß man zur Zensur zurückkehren wollte.
Se. Majestät der Kaiser geruhten zu bemerken, daß schon lange kein Fall vorgekommen sei, wo die gesetzlichen Mittel gegen die Ausschreitungen der Presse angewendet wurden, und es sei nötig, ihr nunmehr tatsächlich Ernst zu zeigen.
Minister Graf Szécsen erklärte sich mit der vom Staatsminister entwickelten Meinung im wesentlichen einverstanden. Obgleich persönlich nicht empfindlich für Angriffe in der Presse, könne Graf Szécsen doch nicht verkennen, daß fnach dem Zeugnisse der Gerichtsprotokollef die Verdächtigungen des Ministers Grafen Latour in den Zeitungen || S. 206 PDF || zum Morde desselben geführt haben15. Der ruhige Tadel, der über einzelne Handlungen eines Ministers ausgesprochen wird, sei wesentlich verschieden von einer fortgesetzten wühlerischen Verdächtigung und Verleumdung. Es wäre daher das Preßgesetz mit Energie zu handhaben und über die Verwirkung von Verwarnungen eine kurze Punktation zur genauen Darnachachtung zu verfassen. Nebstbei habe sich die Regierung über die von ihr gegen die Presse zu ergreifenden Maßregeln öffentlich auszusprechen, um das Publikum darüber zu beruhigen, daß man nur die leidenschaftlichen Ausschreitungen im Interesse der Ruhe hintanhalten wolle. Der ungarische Hofkanzler stimmte für die Anwendung gerichtlicher Schritte, soferne nicht die Opportunität dagegen streitet.
Der Ministerpräsident bemerkte, daß er schon seit mehreren Wochen stets von Energie und Strenge gegen die Presse reden höre, aber bis jetzt noch keinen Schritt gesehen habe, der von Strenge zeugt. Die besprochenen Artikel seien schon vor acht Tagen erschienen, ohne eine Rüge zur Folge gehabt zu haben. Graf Rechberg fände es auch sehr bedauerlich, wenn gewisse delikate Fragen der äußeren Politik in der Gerichtsverhandlung erörtert würden, und ein mißlungener Strafprozeß werde allwärts den fatalsten Eindruck machen.
Der Staatsminister bemerkte, es werde Sache des Gerichtspräsidenten sein, die Verhandlung nicht auf das politische Feld übergehen zu lassen und nach Umständen selbst eine geheime Sitzung anzuordnen. Hat aber das gerichtliche Einschreiten wider Erwarten keinen Erfolg, so erscheine dadurch das sofort anzuwendende Einschreiten gegen die Presse im administrativen Wege umso mehr gerechtfertigt. Zur gerichtlichen Verfolgung der Journale bedürfen die Staatsanwälte keiner höheren Aufforderung, und sie sollten von Amts wegen vorgehen; was aber die Erteilung von Verwarnungen betrifft, so sollte der Beschluß dieser an sich nicht so dringenden Maßregel dem höchsten Regierungskreise vorbehalten bleiben. Die Minister v. Plener und Ritter v. Lasser stimmten ebenfalls für die gerichtliche Verfolgung, wobei letzterer die Überzeugung aussprach, daß die auf § 300 zu stützende Anklage werde angenommen werden.
Se. Majestät der Kaiser geruhten Allerhöchstsich für das gerichtliche Einschreiten zu erklären, mit dem Beisatze, daß der Staatsanwalt anzuweisen sein werde, mit dem nötigen Takte vorzugehen16.
Wien, am 28. Dezember 1860/4. Jänner 1861. Rechberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 7. Jänner 1861.