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Nr. 210 Ministerkonferenz, Wien, 7. September 1860 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet (RS. Klaps); VS. Erzherzog Rainer; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 9. 9.), Erzherzog Wilhelm, Rechberg, Thun 11. 9., Nádasdy 11. 9., Gołuchowski 15. 9., Plener 17. 9., FML. Schmerling 18. 9.; abw. Thierry.

MRZ. – KZ. 3075 –

Ministerkonferenzprotokoll vom 7. September 1860 (abends 8 Uhr) unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer, Präsidenten des k. k. Reichsrates etc.

I. Reichsrätliche Angelegenheiten, und zwar 1. Verlesung des Komiteegutachtens im Reichsrate, 2. Vortrag des Reichsrates v. Plener zur Berichtigung der Übertreibungen im Komiteegutachten, 3. Debatten über einzelne Positionen des Voranschlags, 4. Interpellationen und Debatten über politische Prinzipien, 5. Gesetze über das Grundbuchswesen und das Vergleichsverfahren, 6. Schluß der Session des verstärkten Reichsrates, 7. neues Branntweinsteuergesetz, 8. Aufklärungen über die Budgets der Justiz-, der Polizei- und der Finanzverwaltung

Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Reichsratspräsident brachte mehrere Fragen zur Beratung, welche mit den demnächst beginnenden Debatten des verstärkten Reichsrates über das Gutachten der Budgetkommission im Zusammenhange stehen1.

1. Da dieses Gutachten sich bereits in den Händen aller Reichsräte befindet, so entfällt wohl die Notwendigkeit, dieses voluminöse Operat in der nächsten Sitzung vor dem Beginne der Debatten seinem ganzen Inhalt nach vorlesen zu lassen, zumal die sukzessiv zur Beratung kommenden einzelnen Teile des Gutachtens dann wieder gelesen werden müssen. Se. k. k. Hoheit gedenken daher vor allem die Frage, ob vor dem Beginne der Debatte das Gutachten im ganzen vorzulesen sei, zur Abstimmung zu bringen, und es dürfte diese Frage negativ entschieden werden2.

2. Reichsrat v. Plener äußerte, daß er nach dieser Entscheidung das Wort sich zu erbitten gedenke, um den im Gutachten ausgesprochenen ungerechten Tadel aller im Laufe der letzten zehn Jahre getroffenen Regierungsmaßregeln auf ein billigeres Maß zurückzuführen und manches während dieser Periode geschaffene Gute, ja selbst Große, || S. 405 PDF || welches das Komiteegutachten tendenziös ignoriert, dem Reichsrate gegenwärtig zu halten. Der Sprecher beabsichtige nicht, einen Fehdehandschuh hinzuwerfen; er wolle keineswegs das ganze frühere System verteidigen, da er vielmehr von der Notwendigkeit vieler und eingreifender Reformen durchdrungen sei und hievon auch kein Hehl mache. Allein, er glaube nicht, daß das gegenwärtige Ministerium das in manchen Punkten sehr ungerechte Urteil des Komitees über die Regierungsmaßregeln des letzten Dezenniums durch sein völliges Stillschweigen gewissermaßen sanktionieren und dadurch in der ganzen Monarchie und im Auslande den Wahn begünstigen solle, als habe durch diese lange Zeit eine Mißregierung stattgefunden, als greife der Pauperismus infolge stattgefundener Verschleuderungen und übermäßigem Abgabedruckes in erschreckender Weise um sich etc. Reichsrat v. Plener habe adem früheren Ministerium nicht angehört, er habea keine persönlichen Gründe, als sein Verteidiger aufzutreten, aber es empöre ihn, wenn man sich hintendrein mit wohlfeiler Weisheit brüste und strenge Kritiken von manchen Maßregeln schreibe, welche ein Gebot der Notwendigkeit waren und die unter Schwierigkeiten getroffen wurden, von denen die Tadler keinen klaren Begriff haben, geschweige erst, daß sie damals etwas Besseres hätten vorschlagen können. Die Grundentlastung, die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit, die Beseitigung der inneren Zollschranken, die Einführung der Gewerbefreiheit, die Schaffung eines großartigen Eisenbahnnetzes seien Taten, welche selbst die Bewunderung des Auslandes erregt haben und die man denjenigen in Erinnerung bringen müsse, welche überall nur bürokratischen Formalismus, Erschlaffung des Geistes, Verschleuderung des Staatseigentums und Mißbehagen der Bevölkerung sehen wollen.

Der Kultusminister fürchtet, daß bein solcher Vortrag dazu herausfordern würde, durch eine eindringlichere Kritik [der] Vergangenheit die Aufstellung des Komiteeberichtes zu rechtfertigen.b Die Regierung sollte das Komiteegutachten überhaupt nicht als einen gegen sie gerichteten Vorwurf betrachten; cwenn der Bericht des Reichsrates zu dem Ergebnis gelangen mußte – und dahin drängte der Umstand, daß die Regierung selbst kein Mittel vorzuschlagen vermochte, dem fortgesetzten Defizit ein Ende zu machen – daß eine Systemänderung unerläßlich sei, so konnte wohl nicht vermieden werden, die Behauptung, daß etwas Besseres gefunden werden müsse, durch den Nachweis der Fehler der Vergangenheit und ihrer verderblichen Folgen zu begründen.c Daß der Tadel überdies in vielen Punkten völlig gerechtfertigt sei, kann auch nicht geleugnet werden. dGraf Thun will damit nicht mißbilligen, daß die Aufmerksamkeit auch auf das gelenkt wurde, was als wohltätige Leistung angesehen werden müsse, doch enthalte der beabsichtigte Vortrag manches, was einer sehr verschiedenen prinzipiellen Beurteilung unterliegt und mit dem er sich nicht einverstanden erklären könne. Er glaube daher, daß der Leiter des Finanzministeriums denselbend Graf Thun will damit nicht mißbilligen, daß die Aufmerksamkeit auch auf das gelenkt wurde, was als wohltätige Leistung angesehen werden müsse, doch enthalte der beabsichtigte Vortrag manches, was einer sehr verschiedenen prinzipiellen Beurteilung unterliegt und mit dem er sich nicht einverstanden erklären könne. Er glaube daher, || S. 406 PDF || daß der Leiter des Finanzministeriums denselben jedenfalls bloß im eigenen Namen vorzubringen hätte, wobei dann die Anpreisung der Maßregeln außerhalb der finanziellen Sphäre und die dagegen zu erhebenden Reklamationen von Seite vieler Reichsräte wegfallen dürften. Auch der Justizminister fand es sehr nötig, besonders am Eingange der Debatte alles zu vermeiden, was der so wünschenswerten Mäßigung abträglich werden und am Ende vielleicht das Zerfallen des verstärkten Reichsrates herbeiführen könnte. Die Widerlegung des ungerechten Tadels werde daher am besten bei der sukzessiven Verlesung des Gutachtens an die bezüglichen Stellen desselben geknüpft werden. Daß übrigens derlei Komitees überhaupt bei der Kritik zu stark auftragen, sei aus den parlamentarischen Verhandlungen hinlänglich bekannt und daher von minderem Belange. Der Minister des Inneren teilt im wesentlichen die Meinung der zwei Vorstimmen, glaubt aber, daß die Widerlegungen nicht durch Zersplitterungen abzuschwächen, sondern vom Reichsrate v. Plener, in einem Vortrage mit sorgfältiger Mäßigung des Ausdruckes zusammengestellt, vorzubringen wären. Dieser Vortrag hätte sich aber auf die Finanzgebarung allein zu beziehen und er wäre daher am zweckmäßigsten erst bei Gelegenheit der Beratung des Finanzministerialbudgets abzuhalten.

Die mehreren Stimmen der Konferenz traten diesem Antrage des Grafen Gołuchowski vollkommen bei3.

3. Über Antrag des Ministers des Inneren wurde einstimmig beschlossen, daß, wenn im Laufe der Debatten einzelne Positionen des Voranschlages bestritten werden, der betreffende Minister dieselben zu vertreten und die dazu dienlichen Aufklärungen entweder sogleich oder in einer späteren Sitzung zu geben habe4.

4. Über die von Sr. k. k. Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzoge Rainer aufgeworfene Frage wegen der zu beobachtenden Haltung in jenen Fällen, wo prinzipielle Erklärungen vom Ministerium gefordert werden, äußert der Ministerpräsident , er gedenke sich dann, mit Vermeidung des Eingehens in ein Detail und der Debatte darüber, ungefähr ebenso zu äußern wie im Komitee: daß nämlich die Worte Sr. k. k. apost. Majestät in der Ansprache an den verstärkten Reichsrat und die Bestimmungen des Ah. Handschreibens vom 19. April 1860 die leitenden Grundsätze des Ministeriums enthalten5.

Der Minister des Inneren erinnerte, daß er im Komitee eine Äußerung im selben Sinne abgegeben habe und daß das Majoritätsgutachten in seiner allgemeinen und vorsichtigen Fassung mit diesen Grundsätzen nicht in Widerspruch trete6. Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Reichsratspräsident bemerkte, daß jedoch die Übereinstimmung nur eine scheinbare und dieses Verhältnis nicht ungefährlich sei.

Auf die weitere Frage, inwieferne der Debatte über das politische Prinzip der Regierung freier Lauf zu lassen sei, äußerte sich der Justizminister im Sinne möglichster Freiheit, || S. 407 PDF || während der Minister des Inneren glaubte, daß von Seite des höchsten Präsidiums der Diskussion ein Ziel zu setzen wäre, wenn z. B. die Minorität das in ihrem Antrage nur wenig verhüllte Thema der Notwendigkeit einer Konstitutionsverleihung zur Sprache bringen würde7. Reichsrat v. Plener fügte bei, daß konsequent nicht minder der Majorität des Komitees entgegenzutreten sein würde, wenn sie den hinter dem Worte „Autonomie“ sich verbergenden Tendenzen auf eine gesonderte Konstitution für gewisse Länder Worte leihen wird.

Die Minister des Inneren und des Kultus und mit ihnen die Majorität einigten sich darüber, daß einem Reichsrate kein Votum über die Beschränkung der Majestätsrechte zugestanden werden könne, und daß daher den Sprechern das Wort zu nehmen wäre, welche die Verleihung einer Konstitution oder eine andere Schmälerung der Majestätsrechte – sei es durch Erweiterung der Rechte des Reichsrates, sei es in anderer Weise – beantragen würden. Der Antrag auf Gründung eines Kriegsministeriums sei jedoch nicht zu derlei bedenklichen Anträgen zu rechnen8.

Schließlich vereinigte sich die Majorität noch mit dem Antrage des Ministerpräsidenten , daß im Falle von Interpellationen über die prinzipiellen Ansichten des Ministeriums in Bezug auf das ungarische Recht erwidert werde, daß die k.k. Minister sich nicht für ermächtigt halten, darüber eine Äußerung abzugeben9.

5. Über die Anfrage, was mit den Gesetzvorschlägen über das Grundbuchswesen und das Vergleichsverfahren zu geschehen habe, äußerte der Justizminister , daß deren Erledigung in dieser Reichsratssession kaum zu hoffen sei. Aber er werde darauf bedacht sein, dem dringenden Bedarfe nach baldiger Regelung des Vergleichsverfahrens womöglich durch eine provisorische Vorschrift abzuhelfen10.

6. Die Frage, in welcher Weise der Schluß der diesjährigen Session zu bewirken wäre, beantwortete der Ministerpräsident unter Beitritt der Mehrheit dahin, daß keine Auflösung, sondern nur eine Vertagung platzzugreifen hätte, indem dieselben Reichsräte, höchstens durch einige Abgeordnete von Landtagen erneuert, vielleicht in einigen Monaten würden wieder zusammenberufen werden müssen11.

7. Der Leiter des Finanzministeriums äußerte, er wünsche lebhaft, noch vor dem Schlusse dieser Session die Zustimmung zu den Hauptgrundsätzen der neuen Branntweinbesteuerung zu erhalten, und er schmeichle sich, diesen Erfolg zu erzielen, nachdem besonders die ungarischen Reichsräte für die Annahme des neuen Prinzips der Besteuerung sehr günstig gestimmt sind.

|| S. 408 PDF || Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer bemerkten, daß die Einbringung dieses Gesetzes den wünschenswerten baldigen Schluß der Session etwas verzögern dürfte; jedenfalls wäre es dann nötig, die beabsichtigten täglichen Plenarsitzungen zu unterbrechen12.

8. Der Justizminister referierte, er gedenke dem verstärkten Reichsrat über folgende Punkte Aufklärungen zu geben:

a) über den Vorwurf (S. 8 des Gutachtens), warum die beim Justizdienste erst 1861 ins Leben tretende Ersparnis von 1,042.300 f. nicht schon während der früheren Jahre wenigstens zum Teil realisiert worden sei. Graf Nádasdy wird darauf hinweisen, daß man sich bei der Argumentation, welche diesem Vorwurfe zugrunde liegt, auf einer idealen Basis – Voranschlagsziffern – bewege, während die Gebarungsziffern – das Reelle – unberücksichtigt bleiben, und gerade die letzteren zeigen, daß und wieviel in den verflossenen Jahren beim Justizdienste erspart worden sei.

Der Minister des Inneren , gegen dessen Departement übrigens dieselbe Rüge gleichzeitig vom Komitee ausgesprochen wurde, fand die Gegenargumente des Ministers Grafen Nádasdy nicht so konkludent, um sich davon viel guten Erfolg zu versprechen. Ebenso auch Reichsrat v. Plener , der selbst glaubt, daß diese Polemik leicht eine gereiztere Diskussion hervorrufen könnte, als sein eigener Vortrag, worüber am Eingange dieser Konferenz beraten worden ist13.

b) Graf Nádasdy gedenkt die beruhigenden Aufklärungen zu geben über die Kosten der österreichischen Justizverwaltung gegenüber der französischen und der preußischen14.

c) Im Auftrage des abwesenden Polizeiministers ewird der Sektionschef Martineze über einige im Gutachten gerügte Ausgaben seines Verwaltungszweiges fAufklärungen geben und, wenn es nötig, wird der Justizminister den Sektionschef unterstützene .15

Der Leiter des Finanzministeriums gedenkt dem Reichsrate beruhigende Aufklärungen über die Steuerlast in Österreich relativ zu anderen Staaten zu geben16.

II. Zustände in Ungarn

Reichsrat v. Plener referierte, daß hauptsächlich die düstere Anschauung, welche die Geldmänner von den ungarischen Zuständen haben, Ursache der heutigen Panik auf der Börse gewesen ist17. Von einer ausgedehnten Steuerverweigerung sei in jenem Lande || S. 409 PDF || noch keine Rede, wohl aber mache sich ein gewisses Zurückbleiben in den Zahlungen der großen Grundbesitzer bemerkbar, und er habe Einleitungen getroffen, um demselben in energischer Weise zu steuern, damit das böse Beispiel nicht weiter greife18.

III. Standeserhöhungen bei einigen Truppenkörpern

FML. Ritter v. Schmerling brachte die Allerhöchstenortes beschlossenen Standesvermehrungen bei einigen Infanterieregimentern, Jägerbataillons und Batterien bis auf den Kriegsfuß zur Kenntnis19. Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Wilhelm zeigte, daß diese Standeserhöhungen im Grunde nicht sehr bedeutend sind, und jene bei den Batterien selbst fast gar nichts koste, weil man die Pferde bereits vorrätig hat und es sich somit bloß um deren Transport handelt. Der Mehraufwand im ersten Monate beträgt 375.000 fl., in den folgenden je 209.000 fl. Hoffentlich werde das Armeeoberkommando in der Lage sein, dafür keine außerordentliche Dotation ansprechen zu müssen.

Reichsrat v. Plener hielt sich verpflichtet, dringend zu bitten, daß man sich jeder Präliminar­überschreitung enthalte20.

IV. Lehrsprache an der Universität zu Krakau

Schließlich referierte der Kultusminister , daß er bei reiflicher Überlegung von den in der Konferenz am 6. d. M. einverständlich mit dem Minister des Inneren gefaßten Beschlüssen über die Lehrsprache an der Krakauer Universität wieder abgegangen sei21. Man könne ohne die nachteiligsten Konsequenzen in Krakau nicht so weit gehen, als Graf Gołuchowski beantragt.

Nachdem der Minister des Inneren erklärt hatte, auf seiner neulich ausgesprochenen Meinung beharren zu müssen, bemerkte der Ministerpräsident , daß bei der vorhandenen Meinungs­verschiedenheit dieser Gegenstand in einer Konferenz unter dem Ah. Vorsitze vorzutragen sein würde, so daß für heute die Fortsetzung dieser Erörterung nicht notwendig erscheine, worauf Se. k. k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Rainer die Konferenz aufzuheben geruhten22.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 21. September 1860.