Nr. 129 Ministerkonferenz, Wien, 21. März 1860 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Rechberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Rechberg 23. 3.), Thun 30. 3., Bruck 30. 3., Nádasdy 30. 3., Gołuchowski 30. 3., Thierry 31. 3., FML. Schmerling 1. 4.
MRZ. – KZ. 1079 –
Ministerkonferenzprotokoll vom 21. März 1860 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten Grafen Rechberg.
I. Organisches Statut für die Landesvertretung (1. Beratung)
Der Minister des Inneren referierte über den von ihm beantragten Entwurf eines „Organischen Statuts über die Landesvertretung“a, welches für alle Kronländer mit Ausnahme des lombardisch-venezianischen Königreiches und der Militärgrenze Ah. zu erlassen und in Verbindung mit den besonderen Statuten zu gelten hätte, welche aufgrund des organischen Statuts mit Berücksichtigung der eigentümlichen Verhältnisse und Bedürfnisse der einzelnen Kronländer werden erlassen werden. Anknüpfend an die Ah. festgesetzten organischen Bestimmungen vom 31. Dezember 1851 1 gab der Minister eine gedrängte Übersicht der Vorverhandlungen, die sowohl bei dem Ministerium des Inneren als bei dem Reichsrate stattgefunden haben, und deren Akten schließlich von Sr. Majestät dem Kaiser dem Grafen Gołuchowski zur Erstattung seiner Anträge Ag. übergeben worden sind2.
Der Ministerpräsident erklärte sich im Prinzip gegen die Publikation eines solchen generellen Statuts, wodurch ohne vorhandene Notwendigkeit manche Fragen allgemein || S. 42 PDF || und in einer Weise präjudiziert werden könnten, welche viele Schwierigkeiten und Komplikationen bei Erlassung der speziellen Landesstatute begründen würde. Eine vorläufige Vereinbarung über die bei den einzelnen Statuten zu beobachtenden Hauptgrundsätze sei allerdings wünschenswert, allein das Ergebnis derselben wäre nicht zu veröffentlichen. Der Minister des Inneren entgegnete, daß doch jedenfalls in allen Kronländern gewisse Punkte, namentlich der Wirkungskreis, gleichförmig normiert werden müßten. Es sei daher jedenfalls viel einfacher, diese Punkte schon von vornherein allgemein festzusetzen, als dieselben Bestimmungen in jedem Spezialstatute zu wiederholen. Auch würden dadurch manche zu hoch gestiegenen Hoffnungen auf ein richtiges Maß zurückgeführt. Der Kultusminister teilte die Meinung des Ministerpräsidenten. Das allgemeine Statut für die Landesvertretung gemahne ihn an das allgemeine Gemeindegesetz, welches man aufgegeben hat3. In dem vorliegenden Entwurfe befänden sich allerdings nur wenige meritorische Bestimmungen und desto mehr Hinweisungen auf die Spezialstatute oder besondere Gesetze. Indessen seien doch selbst dieser wenigen meritorischen Bestimmungen noch zu viele, weil von denselben einige auf gewisse Kronländer (wie Dalmatien und Ungern) kaum anwendbar sein dürften. Graf Thun würde es für das am meisten praktische Verfahren halten, sich bei Prüfung des Tiroler Landesstatuts über die allgemeinen Prinzipien zu einigen. Der Finanzminister sprach sich im selben Sinne aus, mit dem Bemerken, daß ein solches allgemeines Statut nicht mit Befriedigung aufgenommen werden würde. Der Minister der Justiz, der Polizei bund FML. Schmerlingb erklärten sich gleichfalls gegen die Publizierung der allgemeinen Grundsätze.
Hierauf schritt die Konferenz zur Prüfung und Beratung der dem organischen Statute zum Grund liegenden Bestimmungen pro foro interno.
Der Ministerpräsident bemerkte zum § 1 unter Beistimmung des Finanzministers, daß ihm die Benennung „Landesausschuß“ für das Plenum der Landesvertretung nicht passend scheine, da man nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche unter Ausschuß eine aus einem großen Körper hervorgegangene kleinere Versammlung verstehe. Diesem Begriff aber entspreche nur der „engere Ausschuß“ des organischen Statuts. Auf die Einwendung des Ministers des Inneren , daß auch der „Landesausschuß“ aus größeren Wahlkörpern hervorgehe, wurde entgegnet, daß dies nur teilweise der Fall sei, indem auch eine Anzahl Mitglieder nicht durch Wahlen berufen wird.
Zum § 3 erklärte es der Minister des Inneren für unumgänglich, die jährliche Einberufung der Landesvertretungen auszusprechen4.
Im § 4 wurde es vom Ministerpräsidenten entbehrlich befunden auszusprechen, daß die Mitglieder der Landesvertretung männlichen Geschlechts sein müssen, da dies selbstverständlich ist.
Zum § 8 erläuterte der Minister des Inneren , daß die Erblandeswürdenträger in den Landesvertretungen auch durch einen gemeinschaftlichen Abgeordneten repräsentiert werden könnten. || S. 43 PDF || Die Minister der Justiz und des Kultus , dann Ritter v . Schmerling vermißten eine besondere Vertretung der Industrie, während der Finanzminister glaubte, daß das von ihm vorgeschlagene Institut der jährlich wiederkehrenden Handelstage der Industrie hinlängliche Gelegenheit bieten dürfte, ihre Interessen gehörigen Orts geltend zu machen5. Auch Graf Gołuchowski fand, daß die Handelstage ein genügendes Organ, wenigstens für die Handelskammern, bilden würden. Da es jedoch in manchen Kronländern nötig werden kann, auch die Industrie besonders repräsentieren zu lassen, beschloß die Konferenz, diese Frage wie auch die weitere über die Vertretung der Universitäten als eine von Fall zu Fall erst zu lösende offenzuhalten.
Zum § 10 wurde über Antrag des Kultusministers beschlossen, daß die Landesvertretung nicht alle drei Jahre zur Hälfte, sondern alle sechs vollständig zu erneuern wäre, um nicht die Wahlagitationen sich in so kurzen Perioden wiederholen zu lassen.
Zum § 12 erklärten sich die Minister der Justiz , des Kultus und der Finanzen gegen die eidesstättige Angelobung der Mitglieder des Landesausschusses. § 13. Die Minister des >Kultus c, der Finanzen und der Polizei erklärten sich gegen das Prinzip, daß der Statthalter den Vorsitz im „engeren Ausschuß“ zu führen habe. dDie letztern erachtend, es dürfte dem Ausschuß vielmehr die Wahl des Vorsitzenden zu überlassen, dagegen aber den Sitzungen ein lf. Kommissär beizugeben sein. eDer Kultusminister geht von der Ansicht aus, es handle sich in erster Linie darum, in den Kronländern durch den Landtag und den ständigen Ausschuß eine Organisation für autonome Behandlung der Kommunalangelegenheiten des Landes zu begründen. Deshalb sei, wo nicht krankhafte politische Zustände eine andere Vorkehrung ausnahmsweise notwendig machen, von Sr. Majestät [ein] von dem Statthalter verschiedener Vorstand zu ernennen, welcher sowohl den Landtag als den Ausschuß zu leiten habe.e
§ 14. Dieselben Stimmführer waren auch gegen die vorbehaltene lf. Bestätigung der Wahlen für den engeren Ausschuß.
Der § 20 gab zu längeren Erörterungen Anlaß. Vorerst wünschte FML. Ritter v . Schmerling das Recht zur Erstattung von Anträgen über die Modalitäten der Militärvorspann, -bequartierung und -verpflegung beseitigt zu sehen, weil sonst auf diesem Weg sehr viele Vorschläge auftauchen werden, deren Annahme die nötige Gleichförmigkeit im Heereswesen wesentlich stören müßte. Der Minister des Inneren glaubte dagegen, daß der Landesvertretung eine Initiative in diesen wichtigen Landesangelegenheiten nicht entzogen werden könne. Der Justizminister entwickelte seine Meinung über die dem Wirkungskreise der Landesvertretung zu gebende möglichste Ausdehnung, namentlich in Absicht auf Verteilung und Einhebung der direkten Steuern, Überwachung der Kommunalwaisenämter etc. Die Minister der Finanzen fsowie der Polizeif, FML. Ritter v. Schmerling und der Ministerpräsident traten im wesentlichen || S. 44 PDF || dieser Meinung bei, während die Minister des Inneren und des Kultusg gegen eine solche nach ihrer Meinung zu weit gehende Kompetenz der Landesvertretung in rein administrativen Angelegenheiten Verwahrung einlegten. (Die Beratung über diesen Gegenstand wiederholte sich in der Konferenz am 22. d.M. unter dem Ah. Vorsitze, und es wird sich daher der Kürze wegen auf den Inhalt des zweiten Protokolls vom 22. bezogen.)6
II. Artikel des Grafen Zay in der deutschen allgemeinen Zeitung
Der Ministerpräsident brachte zur Kenntnis der Konferenz, daß ein sehr böswilliger Artikel „über den ungarischen Adel“, den Graf Zay mit seiner Fertigung in der Leipziger Allgemeinen Zeitung einrücken ließ, dem Wiener adeligen Casino durch einen sichern Kövertész in Preßburg zugesendet worden sei7.
Der Polizeiminister äußerte, daß Graf Zay als k. k. Kämmerer vielleicht vom Grafen Lanckoroński zur Verantwortung gezogen werden dürfte. Der Justizminister behielt sich vor, in Erwägung zu ziehen, ob und gegen wen hier eine strafgerichtliche Prozedur eingeleitet werden könne8.