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Nr. 28 Ministerkonferenz, Wien, 1. September 1859 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Rechberg 2. 9.), Erzherzog Wilhelm, Thun, Bruck 4. 9., Nádasdy 4. 9., Hübner 4. 9., Gołuchowski 5. 9.

MRZ. – KZ. 3166 –

Protokoll [der Ministerkonferenz] vom 1. September 1859 unter dem Ah. Vorsitze Sr. k. k. apost. Majestät.

I. Adaptierung des Gesetzes über die Landgemeinden

Infolge Ah. Auftrages referierte der Minister des Inneren über die von ihm beantragten Modalitäten der im Ministerprogramme1 vorgezeichneten Modifizierung und Adaptierung des Gemeindegesetzes durch Kommissionen in den einzelnen Kronländern2.

Graf Gołuchowski schickte voraus, daß das Heimatgesetz, als bereits in gesetzliche Wirksamkeit getreten3, von diesen Beratungen nicht werde berührt werden. Die noch vorhandene Lücke dieses Gesetzes bezüglich der Heimatslosen werde von den Behörden abgesondert in Verhandlung genommen werden. Ebenso bleiben die Städteordnungen vorerst außer Anschlag. Den größeren Städten werde gleichwie den Provinzialhauptstädten je eine eigene, ihren individuellen Verhältnissen angemessene Ordnung zugesichert, wofern von ihnen darum angesucht wird. Die kleinen Landstädte erhalten zur Richtschnur die Landgemeindeordnung.

Auf den eigentlichen Gegenstand der Frage übergehend bemerkte der Minister, die Fehler, welche mit Recht an dem Gesetze vom 24. April d. J. gerügt werden, seien wesentlich formeller Natur, nämlich die fortwährende Berufung der Landgemeindeordnung auf die Paragraphen des allgemeinen Gemeindegesetzes, wodurch der Landmann gezwungen würde, zwei Gesetze zu studieren, und dann der große Umfang des Gesetzes, welches eine Menge von Detailvorschriften enthält, die weit angemessener ihren Platz in einer Instruktion für die Gemeindevorstände und Beamten (denen allein sie zu kennen nötig ist) finden würden4. In merito glaube er an dem Gesetze nur zwei Mängel hervorheben zu sollen: a) daß über das religiöse Bekenntnis, dem der Gemeindevorstand anzugehören hat, nichts gesagt wird, und b) daß nach § 296 der Gemeindeausschuß sich nur zweimal des Jahres zu versammeln hat, während die Umstände auch ein häufigeres Zusammentreten dieses Körpers erheischen können. Der Minister des Inneren beantragte daher, daß den Statthaltern nicht kategorisch, || S. 98 PDF || sondern in Form eines Rates die Richtung vorzuzeichnen wäre, in welcher sie im Verein mit den Vertrauensmännern bei Ausarbeitung der Landgemeindeordnung vorzugehen hätten, um die oben besprochenen formalen und meritorischen Anstände zu beheben und eine kurze, gemein faßliche, praktische und den lokalen Bedürfnissen angemessene Landgemeindeordnung zustande zu bringen. Nachdem jedoch die Statthalter in der Ministerialverordnung vom April d. J.5 bloß zum Vorschlag von Vertrauensmännern aus der Klasse der großen Grundbesitzer aufgefordert worden sind, glaubt Graf Gołuchowski im Sinne des ministeriellen Programms, Absatz IX, die Statthalter nachträglich anweisen zu sollen, daß sie auch Vertrauensmänner aus der ländlichen Bevölkerung berufen, wozu sich besonders die Beisitzer der Grundentlastungs­kommissionen nach Lokalkenntnissen und Bildungsstufe eignen würden.

Se. k. k. apost. Majestät geruhten die Berufung von derlei Vertrauensmännern mit dem Ah. Beisatze zu genehmigen, daß auch die Ernennung der Vertrauensmänner aus der Klasse der großen Gutsbesitzer nicht vom Ministerium auszugehen hätte, sondern den Statthaltern ganz anheimzustellen sei. Nachdem der Minister des Inneren noch erwähnt hatte, daß für die Gutsgebiete keine eigenen Statute notwendig seien und es nur auf die Erlassung besonderer Durchführungsvorschriften für das allgemeine Gesetz ankomme, las derselbe den Entwurf der an die Statthalter nach seinen au. Anträgen zu erlassenden Instruktion über die Redigierung des Landgemeindegesetzes. Se. Majestät der Kaiser vermißten in diesem Entwurfe eine Weisung, daß die Statthalter die Kommissionen auch über die wichtige Frage zu vernehmen hätten, ob und welche Geschäfte, welche jetzt von lf. Behörden besorgt werden, an einzelne oder ad hoc zu bildende Kollektivgemeinden zur Besorgung übertragen werden könnten6. Diese Frage wäre sofort zu erörtern. Der Minister des Inneren wird seinen Entwurf im Sinne der Ah. Willensmeinung ergänzen7.

II. Einschreiten des Grafen Degenfeld bezüglich der Handhabung der Polizei im Venezianischen

Der Minister des Inneren referierte infolge Ah. Befehles über das Einschreiten des Armeekommandanten FML. Grafen Degenfeld 1) um Erweiterung seines Einflusses auf Handhabung der Staatspolizei in seinem Bereiche und insbesondere in der Beziehung, daß alle auf Ruhe, Ordnung, Paß- und Polizeiwesen Bezug habenden Agenden des Statthalters nur durch Graf Degenfeld an die Zentralbehörden und die Erlässe der letzteren vice versa auf demselben Wege an Graf Bissingen gelangen; 2) um Ag. Verleihung des Titels eines Militärgouverneurs8.

Graf Gołuchowski gab vor allem eine Übersicht der verschiedenen Phasen des Einflusses des lombardisch-venezianischen Generalgouvernements auf die Zivilangelegenheiten in den Jahren 1849, 1853 und 1854, in welchem Jahre der Belagerungszustand aufgehoben wurde9. || S. 99 PDF || Solle der derzeit bestehende Belagerungszustand aufrechterhalten werden, so müsse doch wenigstens der Verkehr zwischen dem Armeekommandanten und dem Statthalter in einer Weise geregelt werden, welche dem Zeitverlust und der Aktenverschleppung steuert, und es könnte für dringende Fälle der Festungskommandant von Venedig als Organ des Armeekommandanten mit dem Statthalter im kürzesten Wege Verfügungen beraten und treffen. Der Minister des Inneren formulierte jedoch seinen, einverständlich mit dem Ministerpräsidenten und dem Polizeiminister gestellten Antrag im wesentlichen dahin, daß der Belagerungszustand aufgehoben werde, die Zivilgerichte wieder in ihre Funktionen eintreten, die Tribunale erster Instanz zu Venedig und Mantua für die strafgerichtlichen Untersuchungen in Hochverrats- etc. Fällen bestimmt, die Aburteilung gewisser anderer, in die Kategorie minderer politischer Übertretungen fallender Vergehen aber den Delegationen (in den Städten der Polizeidirektion) ausnahmsweise zugewiesen würden.

Der Ministerpräsident erklärte, daß er es hauptsächlich vom Standpunkte der äußeren Politik als sehr wünschenswert erkennen müßte, wenn diese Vorschläge des Grafen Gołuchowski die Ah. Genehmigung erhalten würden. Es sei vorauszusehen, daß die Fortdauer des Belagerungszustandes bei den schwebenden Unterhandlungen in Zürich auf eine mißliebige Weise werden zur Sprache gebracht werden, sodaß wir uns zur Aufhebung dieses Ausnahmezustands von außen her würden gedrängt sehen. Eine große Gefahr vermöge Graf Rechberg in dieser, lieber spontan zu treffenden Maßregel nicht zu erblicken, zumal der Armeekommandant und selbst jeder Festungskommandant in einem dringenden Fall den Belagerungszustand sogleich wieder aufs neue proklamieren kann. Diese Besorgnis [sic!] dürfte auf die Unruhestifter niederschlagend wirken. Se. k. k. Hoheit der durch­lauchtigste Herr Erzherzog Wilhelm erklärte sich von seinem Standpunkte entschieden gegen die Aufhebung des Belagerungszustandes in einem Augenblick, wo man sich noch gewissermaßena im Kriege befindet, Garibaldi mit 40.000 Mann in den Herzogtümern und Legationen uns bedroht, und die feindlichen Vorposten bis an die unsrigen reichen! Der Justizminister entwickelte in einem längeren Vortrag, warum die venezianischen Gerichtsbehörden nicht so viele Verurteilungen über politische Verbrechen und Übertretungen fällten bund die Verhandlungen nicht so schnell beendetenb, als man von ihnen und zwar zum Teil nicht cohne Grundc erwartete, dgab jedoch die Versicherung, daß, wenn alle Fälle des Hochverrats, Majestätsbeleidigung, Störung der öffentlichen Ruhe, Aufstand, Aufruhr, öffentliche Gewalttätigkeit 1. und 3. [Fall], d. i. vom § 58 bis § 77 und § 81 des Strafgesetzesd, an das Venediger Kriminaltribunal (Landesgericht) delegiert würden, dieser Gerichtshof, gut geleitet und vom Oberlandesgerichtspräsidenten Resti-Ferrari entsprechend überwacht, egewiß ohne alle Nebenrücksicht nach dem Gesetze strenge und gerecht urteilene werde.

|| S. 100 PDF || fÜbrigens sind auch die Kriegsgerichte durch die oft schwankenden Aussagen der vielleicht eingeschüchterten Zeugen in sehr vielen Fällen der Möglichkeit beraubt gewesen, ein der Erwartung entsprechendes Urteil zu fällen!f Der Minister des Inneren bemerkte, daß die den Delegationen und Polizeibehörden einzuräumende Strafgewalt mit Vorbehalt des Rekursrechts an die Statthalterei in der Gerichtsbarkeit dieser Behörden über schwere Polizeiübertretungen ihr praecedens finde und den politischen Behörden überhaupt auch jetzt gesetzlich ein Strafrecht bis zu drei Monaten Arrest zusteht, insofern es sich um verbotene Handlungen handelt, welche nicht in die Kategorie der Verbrechen, Vergehen und Übertretungen gehören. Nur auf diesem Weg könne man gewisse verpönte Handlungen zur Strafe ziehen. Der Polizeiminister äußerte, daß von dem Standpunkte seines Ministeriums die Fortdauer des Belagerungszustandes allerdings wünschenswert scheine, allein er müsse die vom Ministerpräsidenten geltend gemachten höheren politischen Rücksichten hier anerkennen, welche es rätlich machen, jetzt lieber spontan einen Schritt zu tun, der uns bald aufgedrungen werden dürfte. Beiläufig wolle Baron Hübner noch bemerken, daß ihm die Verleihung des von Graf Degenfeld angesuchten Militärgouverneurtitels keineswegs nötig erscheine; dagegen sei es unerläßlich, daß der Armeekommandant von allen wichtigen polizeilichen Agenden genau unterrichtet sei. In bezug auf die Kompetenz des Venediger Landesgerichts schließe er sich dem Justizminister an.

Se. k. k. apost. Majestät entschieden Allerhöchstsich dafür, daß FML. Graf Degenfeld über den Antrag des Ministers des Inneren (mit Hinweisung auf das Vorhandensein höherer politischer Rücksichten, welche für dessen Annahme sprechen) vernommen werde10.

III. Unterstützung für die Superintendenten

Der Kultusminister referierte über die den ungarischen etc. Superintendenten anzuweisenden jährlichen Unterstützungen, welche einen Aufwand von 94.000 fl. verursachen werden. Der Finanzminister ist mit seinem diesfälligen Antrage einverstanden11.

IV. Ernennung des Bischofs Jachimovicz zum Metropoliten

Der Kultusminister referierte ferner über die Besetzung der erledigten griechischkatholischen Metropolitenstelle zu Lemberg und brachte in Antrag, daß hiezu der Bischof Jachimovicz von Przemyśl Ag. ernannt werde, welcher im Bischofe Litwinowicz eine Stütze finden würde. Domdechant Polański würde in das Bistum Przemyśl eintreten.

Der Minister des Inneren erklärte sich mit den Anträgen des Grafen Thun, welche er (Graf Gołuchowski) auch mit dem apostolischen Nuntius besprochen hat, || S. 101 PDF || völlig einverstanden, muß jedoch den Wunsch aussprechen, daß für die kanonische Visitation der Diözese des Metropoliten durch einen seiner Dignitäre gesorgt werde, da diese schon seit 30 Jahren nicht mehr visitiert worden ist12.

V. Bitten des Tiroler Landesausschusses

Se. Majestät der Kaiser geruhten die Wünsche des verstärkten Landesausschusses in Tirol zur Sprache zu bringen, worunter die Gewährung eines Landesstatuts obenansteht13. Se. Majestät, Ah. geneigt, darauf einzugehen und den verstärkten Landesausschuß mit der Verfassung des Entwurfes zu betrauen, geruhten den Minister des Inneren Ah. zu beauftragen, den Entwurf eines Ah. Handschreibens über diesen Gegenstand vorzulegen, in welches auch aufzunehmen wäre, daß Se. Majestät über die Religionsfrage die Äußerung des Landtages seinerzeit zu hören wünschen14.

VI. Bitten des Tiroler Landesausschusses

Schließlich geruhten Se. Majestät zwei Denkschriften über die Verzehrungssteuer und das Hypothekenwesen respektive die Perzentualgebühren in Tirol den beteiligten Ministern zur Erwägung und Äußerung Ag. mitzuteilen15.

Am 2. September 1859. Rechberg. Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Laxenburg, 8. September 1859.