Nr. 125 Ministerkonferenz, Wien, 15. März 1860 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Kaiser, BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend Erzherzog Wilhelm, Erzherzog Rainer, (Rechberg 17./21. 3.), Thun 17. 3., Bruck 17. 3., Nádasdy 18. 3., Gołuchowski 19. 3., Thierry 19. 3., FML. Schmerling 19. 3.
MRZ. – KZ. 949 –
- I. Reiseentschädigung für die außerordentlichen Reichsräte aus Siebenbürgen
- II. Aufhebung der Kreisämter und Reduktion anderer Behörden in Tirol
- III. Reorganisierung der Gendarmerie
- IV. Pferdeausfuhr aus Österreich
- V. Bau und Betrieb der Eisenbahnen im Jahre 1859
- VI. Aufforderung zur Beteiligung an der neuen Lotterieanleihe
- VII. Behandlung des Gymnasiallehrers Bertanza
- VIII. Päpstliche und neapolitanische Werbungen in Österreich
- IX. Konzert für das Arndt-Denkmal
Protokoll der Ministerkonferenz am 15. März 1860 unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Reiseentschädigung für die außerordentlichen Reichsräte aus Siebenbürgen
Der Minister des Inneren referiert, der Gouverneur von Siebenbürgen habe die Anfrage gestellt, ob die zu ernennenden außerordentlichen Reichsräte aus diesem Kronland keine Reiseentschädigung und Diäten zu erwarten haben, da sonst auf deren Erscheinen bei den Versammlungen des verstärkten Reichsrates in Wien nicht zu rechnen sei.
Se. k. k. apost. Majestät geruhten zu bestimmen, daß an dem § 9 des Ah. Patents vom 5. März d. J. festzuhalten und die vorliegende Anfrage daher ablehnend zu erledigen sei1.
II. Aufhebung der Kreisämter und Reduktion anderer Behörden in Tirol
Der Minister des Inneren referierte über die Anträge des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Statthalters von Tirol in bezug auf Vereinfachung und Ersparnisse am administrativen Organismus dieses Kronlands2.
Diese Reduktionen wären zu erzielen 1. durch Personalverminderungen bei der Statthalterei und der Finanzlandesdirektion; 2. durch Aufhebung der Kreisämter; 3. durch Zusammenlegung der Bezirksämter, wobei 14 reduziert werden könnten; 5. durch eine gleichmäßige Reduzierung der ebenfalls zu zahlreichen Steuerämter. Minister Graf Gołuchowski entwickelte die vom durchlauchtigsten Herrn Statthalter geltend gemachten Gründe und erklärte, daß er sich mit den von Höchstdenselben gestellten Anträgen, soweit sie die politische Sphäre betreffen, vereinigen müsse, so wie auch die Minister der Justiz und der Finanzen sich beistimmend erklärt haben. Se. Majestät der Kaiser dürften daher geruhen, den drei Ministern die Ah. Ermächtigung zu erteilen, die besprochenen || S. 23 PDF || Reduktionen im Vernehmen mit Sr. k. k. Hoheit durchzuführen. Die Zusammenlegung der Bezirksämter werde den Übergang zu den später einzuführenden noch wenigeren Bezirkshauptmannschaften erleichtern. Die Aufhebung der Kreisämter, welche in Tirol selbst bloß als eine zeitraubende und überflüssige Zwischenbehörde gelten, würde gut aufgenommen werden und nach den Erfahrungen, die man eben jetzt in Ober-, Nieder- und Innerösterreich macht, werden die disponibel werdenden Beamten bald wieder eine Anstellung finden.
Zu einer längeren Erörterung gab die beantragte Auflösung der Kreisbehörde in Trient Anlaß. Der Kultusminister , welcher es überhaupt noch nicht an der Zeit findet, die Kreisämter aufzuheben, solang man über die Organisierung der untern sowohl lf. als der autonomen Organe nicht ganz im Reinen ist, glaubte, daß es unter den gegenwärtigen Verhältnissen besser wäre, wenn sich in Trient nicht ein bloßer Bezirksvorsteher, sondern ein höher gestellter Beamter mit einem ausgedehnteren Wirkungskreise befände. aEr könne nicht glauben, daß es gelingen würde, von Innsbruck aus einen erfolgreichen politischen Einfluß in Welschtirol durch lediglich subalterne Beamte zu üben.a Der Finanzminister machte dagegen die vom durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Statthalter hervorgehobene Notwendigkeit geltend, der Stadt Trient und „dem Trentino“ die gewissermaßen künstlich gegebene und durch administrative Maßregeln gesteigerte Wichtigkeit wieder zu nehmen. Dies sei jedoch mit der Wahl eines kräftigen und umsichtigen Amtsvorstehers keineswegs unvereinbarlich. Der Minister des Inneren äußerte, die persönlich höhere Stellung des künftigen politischen Bezirksamtschefs in Trient werde den Gegenstand einer Erwägung mit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Statthalter bilden, und es könnte allenfalls der dermalige Kreischef daselbst noch temporär belassen werden. Der Justizminister erklärte, er könne nur für die allgemeine Auflassung der Kreisämter stimmen, welche die Zahl der Instanzen im politischen Wege unnötigerweise bauf mehr als drei, welche offenbar genügen,b vermehren. Das Bedenken des Polizeiministers , daß durch die Aufhebung des Trienter Kreisamts der dortige Polizeikommissär, welcher bis jetzt im Wege des Kreischefs einen politisch sehr nötigen Einfluß auf die sämtlichen Bezirksämter übt, dieses Einflusses nunmehr beraubt werden würde, geruhten Se. Majestät durch die Ah. Bemerkung zu beheben, daß dem Polizeikommissär sein Einfluß im Wege des direkten Verkehrs mit den sämtlichen Bezirkschefs gewahrt, ja selbst gefördert werden könne.
Schließlich geruhten Se. Majestät der Kaiser die ganze Maßregel Ag. zu genehmigen, mit dem Beisatze, der Zeitpunkt der Auflösung der Kreisämter sei mit Rücksicht auf die vorauszuschickende Zusammenlegung der Bezirksbehörden zu kombinieren.
Der Minister des Inneren wird demgemäß zu dieser Auflösung eine angemessene längere Frist bestimmen3.
III. Reorganisierung der Gendarmerie
Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Chef des Armeeoberkommandos las das vom militärischen Standpunkt abgegebene Gutachten, daß das Institut der Gendarmerie in der ganzen Monarchie ohne Ausnahme eines Kronlandes fortzubestehen hätte4.
Se. Majestät der Kaiser geruhten zu gestatten, daß diese Frage über ein vom Minister des Inneren zu erstattendes Referat in einer Ministerkonferenz reif erwogen werde5.
IV. Pferdeausfuhr aus Österreich
Der Finanzminister referierte, daß die fortdauernden Berichte über zahlreiche Pferdeausfuhr aus Österreich übertrieben sein müßten, indem nach vorliegenden ämtlichen Auskünften die ganze Pferdeausfuhr in westlicher Richtung vom 1. Februar bis 11. März d. J. nicht mehr als 714 Stück betragen habe6.
V. Bau und Betrieb der Eisenbahnen im Jahre 1859
Der Finanzminister brachte aus dem Schlußbericht über den Bau und Betrieb der österreichischen Eisenbahnen im Jahre 1859 einige Daten zur Ah. Kenntnis, woraus sich ergibt, welche ungeheure Bewegung von Menschen und Gütern auf den 575 Meilen langen österreichischen Eisenbahnen stattgefunden hat. Die Zahl der Unglücksfälle war verhältnismäßig gering7.
VI. Aufforderung zur Beteiligung an der neuen Lotterieanleihe
Der Finanzminister erbat sich die Ah. Ermächtigung, den Minister des Inneren darum angehen zu dürfen, daß derselbe durch die unterstehenden Organe im geeigneten Wege, jedoch ohne allen Zwang, dahin wirke, eine Beteiligung an dem aufzulegenden Lotterieanlehen in weiten Kreisen hervorzurufen8. Freiherr v. Bruck gedachte anfänglich auch im Wege des Kultusministers auf eine patriotische Beteiligung des Klerus einzuwirken, allein, nachdem Graf Thun bemerkt hatte, daß dies keine Kultusangelegenheit sei, || S. 25 PDF || übernahm der Minister des Inneren, diesfalls an die geistlichen Würdenträger eine Einladung zu richten9.
VII. Behandlung des Gymnasiallehrers Bertanza
Der Kultusminister referierte, daß Se. kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog Statthalter von Tirol die Versetzung des Trienter Gymnasiallehrers Abbate Bertanza in ein anderes Kronland wünsche; daß dieser Lehrer zwar jetzt keinen Anlaß zu Klagen gibt, aber dessen politische Antezedentien im Jahre 1848 den durchlauchtigsten Landeschef besorgen lassen, daß er cimmer noch zu den bedenklichen Elementen gehörec . Die Versetzung des Bertanza könnte, dda er nur der italienischen Sprache mächtig ist,d nach der Meinung des Ministers nur an eine Lehranstalt in Istrien, Dalmatien oder Venedig stattfinden, wo aber seine eventuelle wühlerische Tätigkeit nicht minder schädlich sein würde als in Tirol. Zu einer Entlassung desselben aber fehle es an gesetzlichen Gründen.
Über die Ah. Andeutung, daß Bertanza zu pensionieren wäre, äußerte der Kultusminister, er werde den Bertanza sofort in den zeitlichen Ruhestand versetzen, mit der Warnung, sich als Pensionist politischer Umtriebe umso gewisser zu enthalten, als er sonst entlassen und des Ruhegehalts verlustig werden würde10.
VIII. Päpstliche und neapolitanische Werbungen in Österreich
Der Polizeiminister las ein Zirkular des eneapolitanischen Werbeagentene Kleinert, worin „die von Sr. k. k. apost. Majestät Ah. bewilligte Werbung“ vorangestellt erscheint, dann eine ebenfalls zum Druck bestimmte Instruktion für die päpstlichenf Werbeoffiziere, worin manche unrichtige Angaben über die zur Anwerbung geeigneten Individuen enthalten sind11. Derlei Publikationen sind nur geeignet, für Österreich diplomatische Verwicklungen herbeizuführen, daher der Minister die Drucklegung untersagen wird; er glaubt aber auch, daß der apostolische Nuntius gund die königlich neapolitanische Gesandtschaftg aufzufordern wären, diesen und anderen Übergriffen der päpstlichen hund neapolitanischenh Anwerbungsagenten in den k.k. Staaten vorzubeugen.
|| S. 26 PDF || Se. Majestät geruhten zu befehlen, daß sich der Polizeiminister diesfalls mit dem Minister des Äußern ins Einvernehmen setze12.
IX. Konzert für das Arndt-Denkmal
Der Polizeiminister stellte die Anfrage, ob dem Wiener Männergesangsverein die Abhaltung eines Konzerts zum Vorteil des Arndt-Denkmals zu gestatten sei, und bemerkte, daß ein Verbot desselben als eine der deutschen Sache feindliche Kundgebung betrachtet werden könne13.
Der Ministerpräsident ierwiderte, es sei bereits ein an Se. k. k. apost. Majestät gerichtetes Gesuch um Gestattung von Sammlungen für das Arndt-Denkmal vom Ah. Orte ohne Ah. Signatur an ihn herabgelangt. Graf Rechberg habe geglaubt, dasselbe im diplomatischen Wege ablehnend erledigen zu sollen, nachdem Arndts letzte öffentliche Tätigkeit im deutschen Parlamenti eine Österreich entschieden feindselige war14. Er habe auch für Kleindeutschland und die Wahl des Königs von Preußen zum Deutschen Kaiser gewirkt. Unter diesen Umständen erscheine es nicht angezeigt, in Österreich für ein Denkmal zur Verherrlichung Arndts zu sammeln.
Se. Majestät der Kaiser geruhten Allerhöchstsich für die motivierte Abweisung des fraglichen Gesuches zu entscheiden15.