Nr. 118a Offizieller Zeitungsartikel über den verstärkten Reichsrat, Wien, 6. März 1860 (Beilage zu: MRP-1-4-01-0-18600303-P-0118.xml) - Retrodigitalisat (PDF)
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Wiener Zeitung v. 6. 3. 1860, nichtamtlicher Teil
. Im amtlichen Teil dieser Nummer ist das Patent v. 5. 3. 1860 über die Verstärkung des Reichsrates abgedruckt. Verfasser des Artikels war Finanzminister Karl Freiherrr v. Bruck, vgl. MK I. v. 2./3. 3. 1860/I. Das Original, das der Ministerkonferenz vorlag, befindet sich in HHSTA., PA. XL 51 (Interna, Vorträge 1860) fol. 31r-fol. 34v , mit kurzem Begleitvortrag Rechbergs v. 5. 3. 1860, ohne Zahl. Es ist ein Reinkonzept in Kanzleischrift mit einigen Korrekturen von unbekannter Hand (auf Anweisung Franz Josephs?) und mit drei Korrekturen Brucks. Diese Korrekturen sind im folgenden ausgewiesen.
MRZ. keine – KZ. keine –
Die durch das vorstehende Allerhöchste Patent angeordnete Bildung eines verstärkten Reichsrates ist ein Akt von solcher Tragweite, daß man denselben als einen der wichtigsten Abschnitte in der inneren Entwickelungsgeschichte Österreichs ansehen muß. Es wird dadurch ein Zentralorgan für die höchsten und allgemeinen Interessen ader Monarchiea geschaffen, an dem die Bevölkerung selbst durch gewählte Vertreter teilnehmen soll und durch welches sowohl dem Prinzipe der Staatseinheit Geltung verschafft, als auch der beigenen Lebenstätigkeit allerb einzelnen Teile des Reiches geziemende Rechnung getragen wird. Dieser Akt der Gesetzgebung deutet den Schlußstein der Organisationen an, welche mit den Beratungen über die Gemeindeordnung eingeleitet wurden. Es wird dadurch bereits möglich, den Weg in seiner ganzen Ausdehnung zu überschauen, welchen die Regierung zu gehen sich vorgezeichnet hat und der in seinen Umrissen im Programme vom 20. August1 angedeutet wurde. Die Völker Österreichs sind nun in der Lage das Prinzip zu erkennen, welches für den Staatsorganismus als das leitende zu gelten hat. – Überall und allenthalben soll der Bevölkerung Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten, Raum zur Mitwirkung für die eigenen Interessen gewährt werden. Die Reichseinheit als das höchste Gebot strenge festhaltend, will man den cvielfachen besonderen Eigentümlichkeitenc der einzelnen Länder volle Rechnung tragen. Bei diesem Vorgange sollen neue Versuche und gewagte Sprünge ferngehalten, vielmehr das Bestehende durch Umformung und Erweiterung dem angestrebten Zwecke angepaßt werden.
Für Angelegenheiten, welche ddie Monarchie in ihrerd Gesamtheit umfassen, für Interessen, diee gemeinsam sind und bleiben müssen, wird dem Reichsrate eine erweiterte Organisation in dem Sinne gegeben, welche bei der Bildung desselben mit dem Patente vom 13. März 1851 der Gesetzgebung schon vorschwebte. Während dem ständigen Reichsrate ein amtlicher Charakter innewohnt, der auch in der Folge für die laufenden Geschäfte verbleibt, wird der verstärkte Reichsrat durch Aufnahme erwählter unabhängiger Elemente zu einer Körperschaft erhoben, welche sowohl der Regierung als den Regierten gewährleistet, || S. 477 PDF || daß nach keiner Seite die Waage sinke, daß allen Staatangehörigen mit gleichem Maße gemessen werde. Er verkörpert gleichsam das Reichsganze und vertritt bei der Regierung durch seine Zusammensetzung zugleich die größeren und kleineren Teile, aus denen fdie Monarchief besteht. Schon dadurch, daß ihm die Feststellung des Staatsvoranschlags und die Prüfung der Staatsrechnungsabschlüsse überwiesen ist, erhält derselbe, im Einklange mit der bereits bestehenden Staatsschuldenkommission, die höchste Bedeutung für die künftige gRegelung und Ordnung der Finanzen in Österreichg .
Wie der verstärkte Reichsrat den allgemeinen Interessen in oberster Linie Ausdruck verleiht, werden örtliche Bedürfnisse durch ein selbständiges Gemeindeleben in kleineren und größeren Kreisen ihre Wahrung finden. Nicht nur das Reich, auch die meisten Länder, aus denen es besteht, sind durch Sitte, Sprache, Beschäftigung und geographische Lage verschiedenartig und vielgestaltig. Diesen Verhältnissen sollen die örtlichen, speziell ihr Territorium umfassenden Versammlungen Sorge tragen. Zwischen ihnen und dem Zentralorgan stellen sich die Landesvertretungen als Wahrerinnen der geschichtlichen Bedeutung der einzelnen Kronländer. In dieser Weise kann allen gerechten Ansprüchen Befriedigung, allen wirklichen Interessen Entwickelung und allen legitimen Faktoren im Staatsleben Raum zur Geltendmachung geboten werden. Der geistigen und materiellen Kraft jeder Art ist innerhalb dieses Rahmens die Möglichkeit eines Wirkungskreises gewährt, für jedes gesetzliche heilsame Streben ein Platz geboten und jeder freitätigen Bewegung der Weg gebahnt.
Durch die zugesicherte Periodizität und Kompetenz wird die höchste beratende Körperschaft dauernd ins Staatsleben eingeführt, und hzum deutlichsten Beweiseh, wie sehr die Regierung wünscht, der Mitwirkung desselben teilhaftig zu werden, soll der verstärkte Reichsrat schon in den nächsten Monaten ins Leben treten und bereits den Staatsvoranschlag für das Jahr 1861 prüfen. iIndem das Allerhöchste Patent anordnet, daß nach Maßgabe als die Landtage eingesetzt werden, die Wahl der Mitglieder des verstärkten Reichsrates, welche die einzelnen Länder repräsentieren, von den Landtagen vorgenommen werden solle, findet die vorläufig notwendige Ernennung dieser Mitglieder ihre natürliche Begrenzungi .
Se. Majestät der Kaiser haben somit wiederholt den leitenden Gedanken kundgegeben, der von Seiner Regierung befolgt und festgehalten werden soll. Sie soll erhalten und fortbilden, historisch Überkommenes mit den Bedürfnissen der Neuzeit vereinen, Veraltetes, jaber als gut anerkannt und der Ausbildung fähigj, für die Zwecke der Gegenwart umformen; sie soll allen billigen Ansprüchen gerecht werden, aber die hohen Interessen, die sie vertritt, nicht verringern lassen; sie soll den Geist einer strengen gesetzlichen Ordnung mit gesetzlicher Freiheit vereinigen. Sie darf daher erwarten, daß Alle, denen es um das Wohl des Reiches ernst ist, ihre Bemühungen unterstützen, an ihren Bestrebungen mitarbeiten und gedeihliche Erfolge herbeizuführen trachten werden. Viel und Schweres ist zu tun, aber es wird erreicht werden „mit vereinten Kräften“!