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Nr. 417 Ministerkonferenz, Wien, 20. Oktober 1857 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Bach; BdE. und anw. (Bach 20. 10.), Thun 23. 10., Bruck 20. 10., Nádasdy 24. 10., Kempen 26. 10., Kellner 26. 10.; abw. Buol, Toggenburg.

MRZ. – KZ. 3660 –

Protokoll der zu Wien am 20. Oktober 1857 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des Inneren Freiherrn v. Bach.

I. Assistentenstelle an der Physiologie in Krakau

Der Unterrichtsminister referierte seinen Antrag vom 10. September 1857, KZ. 4141, MCZ. 3677, wegen Systemisierung eines eigenen Assistenten für die Lehrkanzel der Physiologie an der Universität in Krakau und glaubte denselben – gegen die Einsprache des Finanzministers, welcher, ohne über die Nützlichkeit der fraglichen Einrichtung absprechen zu wollen, doch mit Rücksicht auf die Lage der allseitig in Anspruch genommenen Finanzen der Folgerungen wegen bei dem ablehnenden Einraten beharrte – mit der nachgewiesenen Notwendigkeit der Förderung des physiologischen Unterrichts auf dieser sowie auf den Universitäten zu Pest, Padua und Pavia begründen und sich die Ermächtigung von Sr. Majestät erbitten zu dürfen, auch auf den zuletzt genannten drei Universitäten solche Assistenten anzustellen, wenn für die dortigen Lehrämter der Physiologie tüchtige Lehrkräfte gewonnen sein werden1.

Die Meinungsverschiedenheit, welche zwischen dem Minister für Kultus und Unterricht und dem Finanzminister

II. Theologieprofessoren in Raab

zeuge des Vortrags vom 27. September 1857, KZ. 4316, MCZ. 3833, in betreff der Ausmittlung des Gehalts für zwei theologische Professoren an der Diözesanlehranstalt zu Raab2, dann

III. Erhebung des Gymnasiums 3. Klasse in Czernowitz zum Gymnasium 2. Klasse

laut des Vortrags vom 7. Oktober 1857, KZ. 4585, MCZ. 4073, wegen Erhebung des Gymnasiums 3. Klasse zu Czernowitz zum Gymnasium 1. Klasse bestand, hat sich durch den erklärten Beitritt des Finanzministers zu dem Einraten des vortragenden Ministers behoben3.

IV. Zulage für den Landesgerichtspräsidenten Baron Ubelli

Der Justizminister referierte seinen Antrag vom 2. September 1857, KZ. 4370, MCZ. 3887, wegen Verleihung einer Personalzulage von 1000 fr. an den Brünner Landesgerichtspräsidenten Wenzel Freiherrn v. Ubelli.

Ungeachtet der Erklärung des Finanzministers, bei seiner Einsprache dagegen im Interesse des bedrängten Staatsschatzes unvorgreiflich der Ah. Gnade beharren zu müssen, stimmten alle übrigen Votanten der Konferenz dem Antrage des Justizministers aus der von demselben hervorgehobenen Rücksicht bei, daß Baron Ubelli, ein in jeder Beziehung ausgezeichneter Beamter, durch seine ämtliche Stellung zu größerem Aufwande als die Räte des Obersten Gerichtshofes genötigt und dennoch wegen des ihm entgehenden Anspruchs auf Vorrückung in eine höhere Gehaltsstufe ungünstiger als diese gestellt ist4.

V. Gerichtssprache in Galizien

In dem Vortrage vom 10. Oktober 1857, KZ. 4664, MCZ. 4148, entwickelte der Justizminister die Gründe, welche ihn bestimmten, die Ah. Genehmigung Sr. Majestät für die Auslegung des 3. Absatzes der Ah. Entschließung vom 20. Oktober 1852 über die Gerichtssprache in Galizien5 sich zu erbitten, die von seinem Amtsvorgänger unterm 28. Jänner 1856 an den Lemberger Oberlandesgerichtspräsidenten dahin erlassen worden ist: „Da vermöge der Ah. Entschließung vom 20. Oktober 1852 für Galizien die deutsche Sprache als Gerichtssprache vorgeschrieben worden und durch sie sowie die Paragraphen 123 und 184 der Strafprozeßordnung6 nur dem Beschuldigten selbst und den Zeugen erlaubt sei, in dem daselbst erwähnten Ausnahmsfalle ihre Aussagen in einer anderen Sprache abzulegen, so könne nicht gestattet werden, daß bei einer strafgerichtlichen Verhandlung ein Verteidiger seine Vorträge in einer andern Sprache als der deutschen halte, es sei jedoch dem Angeklagten auf sein Verlangen, wenn er selbst der deutschen Sprache nicht kundig ist, der wesentliche Inhalt des vom Verteidiger gehaltenen Vortrags vor dem Schlusse der Verhandlung durch den Vorsitzenden oder einen Dolmetscher in der ihm verständlichen Sprache kurz mit der Anfrage zu wiederholen, ob er diesem Vortrage noch etwas beizusetzen habe.“7

Mit dieser Auslegung erklärte sich der Kultusminister nicht einverstanden. Die Ah. Entschließung vom 20. Oktober 1852 sagt § 3: „Die Verhandlung in Strafsachen und die Verkündigung des Urteils im mündlichen Schlußverfahren hat, wenn der anwesende Angeklagte nicht der deutschen Sprache, wohl aber einer der übrigen Landessprachen mächtig ist, in jener Landessprache zu geschehen, in welcher er sich auszudrücken vermag.“ Unter der Verhandlung im mündlichen Schlußverfahren muß wohl auch die Antragstellung des Staatsanwalts und die Verteidigung verstanden werden, und es wäre gegen Sinn und Zweck des Instituts, diese Akte in einer dem Inquisiten unverständlichen Sprache vorgehen zu lassen. Er soll alles wissen, was gegen und für ihn vorgebracht wird, || S. 206 PDF || und ain dieser Beziehung nicht der Rechte, die das Gesetz ihm einräumt, zu dem Zwecke, um die deutsche Sprache als Geschäftssprache aufrechtzuhalten, verlustig werdena . Die Einwendung, daß der gemeine Mann in der Regel auch den in seiner Muttersprache gehaltenen Vortrag des Staatsanwalts und Verteidigers nicht aufzufassen vermöchte, würde, bwenn sie gegründet wäreb, nicht für eine Sprachänderung, sondern für die Aufhebung der ganzen Einrichtung sprechen. Die Schwierigkeit endlich, für die Ruthenen Verteidiger in ihrer Sprache zu finden, kann mit der Zeit behoben werden; cin dem Maße und insolange als sie besteht, begründet sie eine durch die tatsächlichen Verhältnisse unvermeidlich geforderte und daher gerechtfertigte Ausnahme von der Regel. Was die politische Seite der Frage anbelangt, so ist der Kultusminister des Erachtens, daß die österreichische Regierung extremen Nationalitätsbestrebungen nur dann erfolgreich und für die Dauer Widerstand leisten könne, wenn sie ehrlich und aufrichtig bei der Entscheidung jeder auftauchenden Frage nur den Standpunkt objektiver Zweckmäßigkeit festhält. Jede Abweichung hiervon scheint ihm vielmehr Nachteil als Vorteil für die Regierung zu enthaltenc . Hiernach würde der Kultusminister für nachstehenden Antrag sein: „Wenn der Angeklagte die deutsche Sprache nicht versteht, so hat die Antragstellung und Verteidigung, wenn er es verlangt und insoweit es ausführbar ist, in der ihm verständlichen Sprache zu geschehen.“

Alle übrigen Votanten waren dagegen in merito mit dem Antrage des Justizministers einverstanden. Für denselben wurde vom Finanzminister noch insbesondere bemerkt, daß unter „Verhandlung“ in der Ah. Entschließung vom 20. Oktober [1852] wohl nur die Abhörung der Zeugen und des Beschuldigten, nicht aber die Anklage beziehungsweise Antragstellung des Staatsanwalts, noch die Rede des Verteidigers gemeint sein könne, welche beide nichts als eine Reassumierung der Verhandlung in rednerischer Form enthalten, so daß es, bei dem Umstande, wo der Inkulpat in der Regel wenig von letzterer versteht, vollkommen genügt, wenn ihm in kurzen konkreten Sätzen das Wesentliche beider Vorträge mitgeteilt wird. Dies ist auch seit Jahren in Ländern üblich, wo eine ähnliche Sprachverschiedenheit besteht. Im Elsaß und in Belgien ist die Gerichtssprache die französische, und es wird überall in dieser plädiert, wenn auch der Angeklagte nur der deutschen beziehungsweise flämischen Sprache mächtig wäre.

In formali fand es der Chef der Obersten Polizeibehörde angemessener, wenn statt des angetragenen Resolutionsentwurfs, welcher nur die Genehmigung der vom vorigen Justizminister in dem Erlasse vom 28. Jänner 1856 gegebenen Erläuterung ausspricht, ein Resolutionsentwurf vorgesetzt würde, welcher die meritorische Bestimmung über diese Anfrage ausdrücklich enthielte, um jeden Zweifel über die richtige Auslegung des dritten Absatzes der Ah. Entschließung vom 20. Oktober 1852 unmöglich zu machen, besonders weil dieser Absatz nach dem eigenen Erachten des Justizministers nicht mit jener Schärfe abgefaßt ist, daß dadurch jeder Zweifel beseitigt wäre. Dieser Ansicht trat auch der Generaladjutant || S. 207 PDF || Sr. Majestät FML. Freiherr v. Kellner bei. Der Minister des Inneren hätte zwar geglaubt, daß es in diesem Falle der Einholung der Ah. Entscheidung nicht bedürfe, weil die Erläuterung der Ah. Entschließung vom 20. Oktober 1852 bereits vom vorigen Justizminister im eigenen Wirkungskreise erlassen, im Sprengel des Lemberger Oberlandesgerichts in gesetzlicher Wirksamkeit ist, und nun es sich nur mehr um deren praktische Anwendung din einem konkreten Falled im Krakauer Sprengel handelt, weil ferner auch sonst keine Veranlassung, weder ein Ah. signierter Rekurs noch eine sonstige Ah. Aufforderung zur Vortragserstattung an Se. Majestät vorliegt, die Berufung des Krakauer Advokaten aber sich jedenfalls nur zur Entscheidung im ordentlichen Wege eignet; nachdem jedoch der Justizminister bemerkt hatte, es sei ihm um die Erwirkung der Ah. Entscheidung Sr. Majestät hier vornehmlich aus dem Grunde zu tun, um eine feste Norm für den Fall zu erhalten, wenn ein Inquisit selbst den Vortrag des Staatsanwalts und des Verteidigers in der Landessprache verlangen sollte, ein Verlangen, das seines Erachtens nach dem Wortlaute des Absatzes 3 der Ah. Entschließung vom 20. Oktober 1852 kaum hintanzuweisen sein dürfte, fand der tg. gefertigte Minister des Inneren gegen die Einholung der Ah. Entscheidung nichts mehr einzuwenden, trat jedoch bezüglich der Form der zu beantragenden Ah. Resolution den Vorstimmen mit dem Beisatze bei, daß darin auch ausdrücklich des Falls zu erwähnen wäre, wenn der Beschuldigte selbst die Antragstellung und Verteidigung in der Landessprache verlangt.

Hiernach behielt sich der Justizminister vor, den Resolutionsentwurf entsprechend abzuändern8.

VI. Dotation für den Gottesdienst in der Universitätskirche

Der Kultusminister referierte über die zeuge Vortrags vom 29. September 1857, KZ. 4395, MCZ. 3914, zwischen ihm und dem Finanzminister obwaltende Meinungsverschiedenheit in betreff der Anweisung einer Dotation von jährlich 3000 f. aus dem Studienfonds zur Besorgung des Gottesdienstes in der Wiener Universitätskirche.

Nachdem der Zustand der Finanzen die Vermeidung jeder nicht absolut notwendigen Auslage fordert, die Abhaltung des Gottesdienstes in dieser Kirche aber durch zehn Priester bei dem Bestande so vieler anderer Kirchen kaum als absolut notwendig angesehen werden dürfte, so erklärte der Finanzminister , dem Antrage nicht beitreten, sondern höchstens auf den von den mehreren Stimmen der Konferenz für genügend erkannten Beitrag von 1500 f. eingehen zu können.

|| S. 208 PDF || Der Kultusminister glaubte dagegen mit Rücksicht auf den Zweck, ewelcher der Übergabe der Universitätskirche an die Jesuiten zugrunde lag, nämlich einen erfolgreichen Gottesdienst in derselben zu ermöglichene, auf seinem Antrage beharren zu müssen9.

VII. Vorschußrückzahlung der Stadt Como

Die Differenz zwischen den Ministern des Inneren und der Finanzen, welche laut Vortrag vom 14. September 1857, KZ. 4135, MCZ. 3671, in betreff der Nachsicht eines Vorschusses von 113.000 L[ire] für die Stadt Como bestand, hat sich durch die Erklärung des ersteren, dem Einraten des letzteren beizutreten, behoben10.

VIII. Kriegsschadenvergütung für die Baronin Bruckenthal

Dem Antrage des Ministers des Inneren vom 12. September 1857, KZ. 4267, MCZ. 3788, für Anna Freiin v. Bruckenthal (aus Anlaß der im Jahre 1848 erlittenen, auf 4988 f. bezifferten Kriegsschäden) einen Betrag von 1000 f. titulo einer ausnahmsweisen Gnadenunterstützung von Sr. Majestät zu erbitten, stimmte auch der Finanzminister salvo principio bei11.

IX. Abstellung der Beibringung der Loyalitätszeugnisse bei Erhebung der Kriegsprästationsvergütungen in Siebenbürgen

Mit Beziehung auf die Konferenzberatung vom 17. Dezember 1856 (Protokoll Absatz I)12 brachte der Minister des Inneren seinen neuerlichen Antrag vom 6. September 1857, KZ. 4057, MCZ. 3599, in Vortrag, daß es bei Ausfolgung von liquiden Vergütungsbeträgen für in den Jahren 1848 und 1849 an die k. k. und russischen Truppen gelieferte Naturalien in Siebenbürgen von der Beibringung der vom Armeeoberkommando und Finanzministerium gewünschten Loyalitätszeugnisse als einer bloßen Formalität abzukommen habe.

Sämtliche Votanten, auch der Finanzminister und der Generaladjutant Sr. Majestät FML. Freiherr v. Kellner, erklärten sich hiermit aus den vom tg. gefertigten Minister des Inneren angeführten Gründen einverstanden13.

X. Uniformierung der ungarischen Amtsdienerschaft

In der zeuge des Vortrags vom 8. Oktober 1857, KZ. 4446, MCZ. 3968, wegen der Uniformierung der Amtsdienerschaft in Ungern zwischen den Ministern des Inneren und der Justiz einer-, dann dem Finanzminister andererseits obwaltenden Meinungsverschiedenheit haben sich sämtliche übrigen Votanten sowohl bezüglich der Einführung des ungrischen Schnittes als bezüglich der angetragenen grauen Pantalon und Mantels und || S. 209 PDF || des jährlichen Pauschales von 20 f. gegen die Einsprache des Finanzministers mit den Anträgen des Ministers des Inneren vereinigt14.

XI. Prioritätsaktien der Millykerzen­fabriksgesellschaft

Über den Vortrag des tg. gefertigten Ministers des Inneren vom 12. September 1857, KZ. 4074, MCZ. 3615, in betreff der Hinausgabe von Prioritätsaktien durch die Millykerzenfabriksgesellschaft15 erklärte der Justizminister , er könne nach wiederholter reiflicher Erwägung nicht für die Gestattung dieser Operation stimmen, weil selbe einerseits durch die Statuten nicht vorgesehen, andererseits durch die den Prioritätsaktien zugedachten Vorrechte: der präferenten Verzinsung, Kapitalstilgungsquote und Dividende, die Natur eines Wuchergeschäfts annimmt, welches die Rechte der alten Aktionäre benachteiligt und diese im Falle einer Krida dem Verluste ihrer Einlage aussetzt, während die Prioritätsaktien hinausbezahlt werden müßten.

Der tg. gefertigte Minister des Inneren entgegnete hierauf einstimmig mit dem Finanzminister: Der Umstand, daß diese Operation in den Statuten nicht vorgesehen, entscheide nichts, denn wäre das Geschäft ein unerlaubtes an sich, so würde es auch nicht statutenmäßig sein dürfen. Die Bevorzugung der Prioritätsaktien aber liegt in ihrer Natur. Ihre Inhaber stellen eigentlich die Gläubiger der Gesellschaft vor, die doch jedenfalls vor den Aktionärs befriedigt werden müssen, letztere aber lassen sich diese Begünstigungen selbst gefallen, nehmen meist selbst durch Zeichnung auf die Prioritätsaktien daran teil und finden in dieser Operation das einzige Mittel, dem gänzlichen Ruin ihrer Unternehmung möglicherweise vorzubeugen. Übrigens sind die Inhaber der Prioritätsaktien vor Verlusten nicht sicher, denn sie haften mit ihren Einlagen ebenso wie die alten Aktionäre für die Lasten der Gesellschaft.

Die übrigen Votanten der Konferenz erklärten sich sofort ebenfalls für den Antrag des Ministers des Inneren16.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, den 5. November 1857.