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Nr. 350 Ministerkonferenz, Wien, 17. Juni 1856 – II - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marken; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 17.120. 6.), Bach, Thun, K. Krauß, Toggenburg, Bruck, Kempen 19. 6.

MRZ. – KZ. 2299 –

Protokoll II der zu Wien am 17. Junius 1856 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des kaiserlichen Hauses und des Äußern Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Aufhebung der Vermögenskonfiskation der verurteilten Revolutionäre in Ungarn und Siebenbürgen

Gegenstand der Beratung war der vom Finanzminister vorgelegte Entwurf einer kaiserlichen Verordnung über die Modalitäten der von Sr. Majestät in der Konferenz vom 2. Juni l. J. sub I. im Grundsatz Ah. genehmigten Aufhebung des Sequesters über das konfiszierte Vermögen der wegen Hochverrats kriegsrechtlich verurteilten Personen in Ungern und Siebenbürgen1.

Die zur vorläufigen Beratung hierüber zusammengetretenen Abgeordneten der einschlägigen Ministerien und der Obersten Polizeibehörde haben sich über die Personen geeinigt, für welche diese Gnade angetragen werden soll: es sind 599, mit Einschluß der früher Begnadigten 630; die am schwersten Gravierten und die im Auslande Verweilenden sind gemäß der von Sr. Majestät bereits Ah. ausgesprochenen Bestimmungen (letztere vorläufig) davon ausgeschlossen worden; das Verzeichnis weiset 150 Namen aus.

Nach dem vom Finanzminister vorgelegten Entwurfe würde im Eingange gesagt, daß den im Verzeichnis A Aufgeführten der zum Ersatz des durch die Revolution verursachten Schadens verfügte Vermögensverfall gänzlich nachgesehen werde2. Hierbei wurde vom Minister des Inneren und vom Justizminister die Weglassung der Beziehung auf den Schadenersatz und die Substituierung derselben durch die Worte: „kraft der in diesen Ländern damals bestandenen Gesetze“ beantragt, und vom Finanzminister angenommen, weil die Konfiskation gesetzlich war, ad.h. mit den Worten: „die Einziehung ihres sämtlichen Vermögens als gesetzliche Strafe des Hochverrates verhängt werden“.a

Nun folgen die Grundsätze, nach denen die Maßregel in Ausführung kommt:

1. Das kriegsrechtlich in Verfall gesprochene Vermögen wird in dem Stande, in welchem es sich zur Zeit der Übergabe befinden wird, samt den nicht bezogenen Früchten und der zuerkannten Urbarialentschädigung aus Gnade ausgefolgt; 2. diese Bewilligung auch auf die im Verzeichnisse C benannten Personen (Hadik und Kozma) ausgedehntb ; 3. die Rückstellung der Vermögensmassen geschieht ohne Rechnungslegung und ohne || S. 98 PDF || Gewährleistung des Staates. 4. Vermögen, dessen früherer Besitzer Vorschüsse aus Staatskassen erhalten und noch nicht abgetragen hat, bleibt unter der Administration des Sequesters und wird erst nach völliger Abrechnung der Rest erfolgt. 5. Meliorationen während des Sequesters, auf welche ein das gewöhnliche Jahreserträgnis übersteigender Betrag verwandt wurde, müssen rücksichtlich dieses Mehrbetrags dem Ärar vergütet werden. 6. Die Erkenntnisse der Liquidationskommissionen in Ofen und Hermannstadt über die angemeldeten Forderungen an das konfiszierte Vermögen werden als zu Recht bestehend anerkannt und dürfen nicht mehr bestritten werden; endlich sollen 7. die Prozesse, welche über privatrechtliche Ansprüche bei den delegierten Landesgerichten anhängig sind, bei denselben fortgeführt werden.

Gegen die Bestimmungen 1–5 ergab sich keine Einwendung. Zu 6. aber erhoben sowohl der Minister der Justiz als der Minister des Inneren Bedenken. Die wesentlichsten sind, daß der Staat kein Interesse haben kann, zugunsten von Privatgläubigern der in ihre Rechte wiedereingesetzten Verurteilten eine solche Verfügung zu treffen, und daß, wenn er es wirklich täte, der beabsichtigte Zweck, den Erkenntnissen der Liquidationskommissionen Geltung vor dem Zivilrichter zu verschaffen, doch nicht erreicht werden würde. Gesetzt, ein Gläubiger macht auf Grundlage des Ausspruchs der Liquidationskommission seine Forderung wider den wieder eingetretenen Besitzer geltend, so darf dieser letztere nur dessen Befriedigung verweigern, um den Gläubiger zu zwingen, daß er seine Forderung einklage, die Folge davon aber ist, daß wieder ein Prozeß über die Rechtsbeständigkeit der Forderung abgeführt werden muß, wobei dem Schuldner vorbehalten bleibt, alle Einwendungen dagegen geltend zu machen, die er bei der Liquidationskommission hätte machen können, wenn er dort zugelassen worden wäre, und welche von dem Vertreter des Ärars aus Mangel der nötigen Behelfe und Kenntnis der Verhältnisse gar nicht haben vorgebracht werden können. Es wäre auch sehr hart, dem Schuldner das Recht, die oft nur ihm allein bekannten und zu Gebote stehenden Einwendungen gegen den Gläubiger geltend zu machen, durch eine unbedingte Anerkennung der Liquidationserkenntnisse mit privatrechtlicher Wirkung benehmen oder schmälern zu wollen, zumal da selbst im strengen Rechtswege gegen rechtskräftige Urteile eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig und eine Reformierung der ersteren möglich ist. Im Grunde erwirbt der Gläubiger durch die Entscheidung der Liquidationskommission über den Bestand seiner Forderung nur cein Recht auf Zahlung aus dem konfisziertenc Vermögen des Schuldners; das persönliche Recht des ersteren sowie die persönliche Verpflichtung des letzteren werden dadurch nicht beirrt, und gleichwie dieser aufgrund der ihm zu Gebote stehenden Behelfe sich gegen die von ihm widersprochene Forderung verteidigen kann, so vermöchte jener seinen Anspruch, selbst wenn derselbe von der Liquidationskommission nicht wäre anerkannt worden, doch als ein persönliches Recht wider den Schuldner geltend zu machen. Der Finanzminister bemerkte zwar zur Rechtfertigung des § 6, daß die Gläubiger der vormaligen Eigentümer der konfiszierten Güter gezwungen waren, ihre Forderungen binnen einer bestimmten Frist bei sonstigem Verluste ihres Rechtes bei der Liquidationskommission anzumelden, daß es daher nur billig und gerecht wäre, die Rechtsbeständigkeit || S. 99 PDF || der von der Kommission für liquid anerkannten Forderungen von den eigentlichen Schuldnern in dem Momente anerkennen zu lassen, in welchem dieselben durch einen Akt besonderer Ah. Gnade in den Besitz des gesetzlich verwirkten Vermögens wiedereingesetzt werden, damit nicht der Gnadenakt für diese an einen Nachteil für jene geknüpft werde, die im Vertrauen auf den Ausspruch der Liquidationskommission sich vielleicht aller weiteren Sorge um die Bewahrung ihrer Rechtstitel entschlagen haben. Auch vom rechtlichen Standpunkte aus wäre – nach dem Erachten des Kultusministers – gegen die Bestimmung des § 6 nichts einzuwenden. Denn die Zurückgabe der konfiszierten Güter an die Verurteilten ist keine Restitution derselben, sondern eine neue Schenkung, und diese kann unzweifelhaft auch an die Bedingung gebunden werden, daß sie sich nur auf den gegenwärtigen Stand derselben und nicht auf das erstrecke, was der dermalige Eigentümer bereits anderen zuerkannt hat. Weil indessen die Bestimmung des § 6 nur von geringem praktischen Nutzen sein, auch angenommen werden dürfte, daß die Liquidationskommissionen in der Regel mit Umsicht und Strenge vorgegangen sein und nur solche Forderungen für liquid anerkannt haben werden, welche gehörig ausgewiesen und begründet wurden, so hielt es der Kultusminister in Übereinstimmung mit den Ministern des Inneren und der Justiz jedenfalls für angemessen, die Bestimmung des § 6 wegzulassen. Nachdem überdies der Handelsminister bemerkbar gemacht hatte, daß der Zweck der Einsetzung der ungrisch-siebenbürgischen Liquidationskommissionen gleich jenen im lombardisch-venezianischen Königreiche nicht sowohl der war, im Wege eines kontradiktorischen Verfahrens die Rechtsbeständigkeit der Forderungen auf das Vermögen der Verurteilten außer Zweifel zu setzen, als vielmehr das Ärar gegen Scheinforderungen sicherzustellen, so vereinigten sich sämtliche Mitglieder der Konferenz in dem Antrage auf Beseitigung des § 6.

Um übrigens doch eine Gewähr dafür zu erlangen, daß die Begnadigten nach dem Wiedereintritte in den Besitz des konfiszierten Vermögens die aus Rechtsgeschäften des Ärars, dz.B. aus Pachtungen etc.,d während der Vermögensverwaltungen entspringenden Verbindlichkeiten übernehmen, wurde über Antrag des Handelsministerse unter allseitiger Beistimmung an geeigneter Stelle im § 3 der Verordnung der Zusatz eingeschaltet: „unter Aufrechthaltung der vom Ärar in betreff jener Massen während seines Besitzes eingegangenen Rechtsverbindlichkeiten“.

Zu § 7 bemerkte der Minister des Inneren , daß es im Interesse der Parteien zugestanden werden dürfte, ein anderes Forum zu wählen, wenn es die Entlegenheit der delegierten Gerichte wünschenswert machen sollte. Die Konferenz war hiermit vollkommen einverstanden, und es wurde demgemäß dem § 7 der Zusatz eingeschaltet: „wenn die Parteien sich nicht darüber einverstehen, daß der Prozeß bei dem ordentlichen Richter ausgetragen werde“.

Was die Form der entworfenen kaiserlichen Verordnung betrifft, so wurde vom Justizminister bemerkt, daß, nachdem im Falle der Ah. Genehmigung derselben sie ihrem vollen Inhalte nach in das Reichsgesetzblatt aufgenommen werden müßte, es nicht angemessen erscheinen dürfte, darin auch die Namen sämtlicher || S. 100 PDF || Begnadigten aufzuführen. In Anerkennung der Richtigkeit dieser Bemerkung beantragte der Minister des Inneren eine Trennung dergestalt, daß Sr. Majestät der Entwurf eines Ah. Kabinettschreibens an den Finanzminister unterbreitet würde, welches in einer Beilage die Namen enthielte, und dann mit denselben durch die „Wiener Zeitung“ verlautbar werden würde; abgesondert davon wären dann in der kaiserlichen Verordnung die obenerwähnten Grundsätze aufzuführen und unter Berufung auf das gleichzeitig erlassene Ah. Kabinettschreiben, dann der gewöhnlichen Vollzugsklausel durch das Reichsgesetzblatt zu verlautbaren. Hiermit erklärte man sich einverstanden.

Schließlich brachte der Justizminister eine Vorkehrung in Ansehung der im Auslande weilenden politisch Kompromittierten in Anregung. Diese sind nach § 3 der von Sr. Majestät in der Konferenz vom 2. Juni 1. J./I., von der hier besprochenen allgemeinen Maßregel vorläufig zwar ausgeschlossen – jedoch mit der Aussicht auf individuelle Gnadenakte für jene, die darum bitten und nach Österreich zurückkehren wollen, und ist bei Anträgen dafür dasjenige Verfahren zu berücksichtigen, welches für die italienischen Flüchtlinge vorgezeichnet worden. Da nun in Ansehung dieser letzteren, wie in der Konferenz vom 29. Jänner 1856, KZ. 1280, MCZ. 362, sub II.,3 bemerkt worden, den k. k. Legationen eine dieser Absicht entsprechende Mitteilung gemacht worden ist, so glaubte der Justizminister, daß auch rücksichtlich der ungrischen Flüchtlinge eine Ermächtigung zu einem ähnlichen Vorgang von Sr. Majestät erbeten werden dürfte.

Nach der Ansicht des Ministers des Inneren wäre dermal nichts anderes zu verfügen, als daß Se. Majestät gebeten werde, zu genehmigen, daß die österreichischen Missionen angewiesen werden, Gesuche ungrischer Flüchtlinge um die Rückkehr und allfällig gleichzeitig um Nachsicht der Strafe oder der allfällig verhängten Konfiskation anzunehmen und selbe zur meritorischen Verhandlung anherzusenden. Derlei Gesuche wären sohin, wie es mit den Gesuchen der italienischen Flüchtlinge geschieht4, im Einvernehmen der beteiligten Zentralstellen: Ministerien des Äußern, des Inneren und der Obersten Polizeibehörde, dann – insofern Straf- oder Konfiskationsnachsicht angesucht wird – mit jenen der Justiz und der Finanzen zu verhandeln und nach dem Ergebnis der Ah. Entscheidung zu unterziehen. In diesem Sinne wäre im Wege der Konferenz gleichzeitig durch ihren Präsidenten an Se. Majestät au. Vortrag zu erstatten5.

Ah. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Laxenburg, 21. Juni 1856.