Einleitung - Retrodigitalisat (PDF)

Von Waltraut Heindl

Die Ministerkonferenz im neoabsolutistischen Machtgefüge der späteren 50er Jahre - Retrodigitalisat (PDF)

Den Protokollen der Ministerkonferenz des vorliegenden Bandes vom 26. April 1856 bis 5. Februar 1857 ist summa summarum das offensichtlich steigende Bedürfnis der Regierung zu entnehmen, das Erbe der Revolution von 1848, das die Regierungstätigkeit der ersten Jahre der neoabsolutistischen Ära bestimmte, endgültig zu liquidieren1.

Die Neubesetzungen des Finanzministeriums und des Handelsministeriums im Jahre 1855 stimulierten sicher diese Tendenz. Sowohl der neue Finanzminister, Karl Freiherr v. Bruck, der am 10. März 1855 sein Ressort übernommen hatte, als auch der neue Handelsminister, Georg Graf Toggenburg, der sein Amt am 7. Februar 1855 angetreten hatte2, standen – ein jeder in seiner Weise – der Revolution von 1848 sehr ferne. Vor allem Bruck, der dynamisch und zukunftsorientiert war und eine Reihe von Ideen entwickelte, die Finanz- und Handelspolitik der Monarchie entscheidend umzugestalten3, || S. 10 PDF || mochten die ideologischen und praktischen Altlasten der Revolution, acht Jahre nach ihrem endgültigen Ende, höchstens hinderlich für die Durchführung seiner Pläne erschienen sein. Und der Beamte Toggenburg4 zeigte zumindest keine anderen Tendenzen (sofern bei ihm irgendwelche politische Wünsche erkennbar sind). Die eine Grundströmung der Regierungstätigkeit des ausgehenden Neoabsolutismus ist mit dem Schlagwort Versuche der „Normalisierung“ zu umreißen. So markiert der vorliegende Band den Ausklang der früheren neoabsolutistischen Jahre und zugleich den Neubeginn des späteren Neoabsolutismus, dessen Träger – durch wichtige Personal­entscheidungen – die Bedeutung der Ministerkonferenz, die als Spätlast der Revolution angesehen wurde, so weit herabminderten, daß sie diesbezüglich ihren Tiefstand erreichte. Das Ende dieser Form war in irgendeiner Weise unausweichlich.Am 11. September 1855 war Reichsratspräsident Freiherr v. Kübeck gestorben. Kübeck war der allmächtige Feind der (in seinen Augen) konstitutionellen Ministerkonferenz gewesen5, der beim jungen Kaiser in diesen Jahren fast unumschränkten Einfluß genoß6, und dem es gelungen war, die Ministerkonferenz weitgehend zu entmachten. Der Tod Kübecks brachte allerdings keinen neuen Aufschwung für die Stellung der Minister. Sie blieben nur dem Kaiser verantwortliche Erfüllungsgehilfen. Der erbitterte Kampf, den die Ministerkonferenz gegen den Reichsrat um die Beibehaltung ihrer Reihung auf dem ersten Platz im Staatshandbuch geführt hatte, war aus diesem Blickwinkel symptomatisch und nur ein Symbol für die prekäre Stellung der Ministerkonferenz gewesen7. Der Kampf der Konservativen gegen die Ministerkonferenz trat in den Jahren 1855 (nach dem Tod Kübecks) und 1856 in eine entscheidende Phase. So unglaublich heutigen Lesern der Ministerratsprotokolle, die Zeugnisse für die eher zahme Haltung der Ministerkonferenz sind, es scheinen mag: Die Versammlung der Minister war für die konservativen Berater des Hofes, wie den Reichsratspräsidenten Kübeck, den Chef der Obersten Polizeibehörde Kempen, den Vizepräsidenten des Reichsrates Purkhart, den Generaladjutanten des Kaisers und Leiters der || S. 11 PDF || Militärzentralkanzlei Carl Graf Grünne, ein revolutionäres Gremium. Das Tagebuch Kempens8 gibt eindrucksvolle Auskunft über das gigantische Intrigenspiel, das in diesen Jahren um die politische Macht, um den Zugang zum jungen Kaiser, entbrannte. Unter dem – wie es scheint ernstgenommenen – Vorwand, das Reich und die Dynastie gegen die Revolution retten zu wollen, wurden die Minister (vor allem Bach, aber auch Bruck, Buol und Thun) als liberal und revolutionär diagnostiziert und auszubooten versucht. „Unter den Ministern herrschte eine sichtbare Zerfahrenheit, nur in einem Punkte seien sie einig, und zwar in der Unterstützung der revolutionären Elemente“, so sagte signifikanterweise Grünne zu Kempen9! Der Ausspruch ist nur einer unter vielen, die die Stimmung der Konservativen gegen die Ministerkonferenz deutlich machen. Die Bruchlinie zwischen der Ministerkonferenz und dem neoabsolutistischen System war in den Augen der Konservativen vielfältiger Natur: Sie verlief zwischen der Ministerkonferenz und Konservatismus, Tradition, Militär, dem Reichsrat, dem Adel sowie dem „richtigen“ Katholizismus genauso wie zwischen ihr und josefinischem Staatskirchentum, dem Gottesgnadentum und der gottgewollte Ordnung des Staates10.

Das Duell zwischen der konservativen Partei und den „revolutionären“ Ministern endete siegreich für die Konservativen. Die Tatsache, daß am 2. Februar 1857 ein kaiserlicher Prinz, Erzherzog Rainer (aus der leopoldinischen Linie, Sohn des Vizekönigs von Lombardo-Venetien Erzherzog Rainer) Präsident des Reichsrates wurde11, wertete die Institution Reichsrat als zentrales Organ des Kaisers weiter auf. Im Grunde wurde damit endlich – posthum – der langgehegte Wunsch Kübecks, der Kaiser selbst möge den Vorsitz im Reichsrat übernehmen12 und damit zur Glorie der Institution beitragen, zumindest ansatzweise erfüllt. In der Folge (1857 bis 1859) wurden hohe verdiente Beamte, wie Franz Leodegar Ritter v. Wildschgo, Thaddäus Peithner Freiherr v. Lichtenfels, Moriz Graf Almásy v. Zsadány dem Einfluß der Minister entzogen und ebenso wie der Geheime Rat Carl Graf Wolkenstein zu Reichsratsmitgliedern ernannt13, womit der Reichsrat erweitert und zugleich verstärkt wurde. Gleichzeitig gelang es, die Ministerkonferenz gleichsam unter Kuratel zu stellen, indem Grünne (am 25. Jänner 1857) und Kempen (am 20. März 1857), zwei hochkonservative Vertrauensleute des Hofes, die sich gemeinsam gegen die Revolution verschworen hatten14, als ständige Mitglieder der Ministerkonferenz beigezogen wurden15. Sie wohnten ab März || S. 12 PDF || 1857 den Sitzungen der Ministerkonferenz regelmäßig bei. So wird der vorliegende Band mit einem Protokoll vom Februar 1857 abgeschlossen16, in dem die Ministerkonferenz (fast) zum letzten Mal in der alten Besetzung präsentiert wird. Ihre Bedeutung sollte in den Jahren 1857 bis 1859 den Tiefpunkt erreichen.

Die Themen der Ministerkonferenz – ein Spiegel der Versuche der „Normalisierung“ - Retrodigitalisat (PDF)

Wahrscheinlich stellten die Versuche der Minister, die Lage des Reiches zu normalisieren, d. h. regierungsfähig wie in Friedenszeiten zu machen, in den Augen der Ultrakonservativen den eigentlichen revolutionären Aufruhr dar, der ihnen den Ruf eintrug, auf Seiten der Revolution zu stehen17. Besonders signifikant für die Bemühungen der Minister um die Stabilisierung sind jene Themen der Ministerkonferenz, die die Pazifierung der beiden „aufrührerischen“ Länder Ungarn und Lombardo-Venetien betreffen. Sie gelang zumindest im Moment, allerdings nur äußerlich und für eine kurze Weile, was Ungarn betraf. Was sorgfältig in die trocken-bürokratische Hülle der protokollarischen Bezeichnung „Wirkungskreis des Generalgouvernements in Ungarn“18 eingesponnen wurde, brachte eigentlich nichts anderes zum Ausdruck als den endgültigen Abschluß der Revolutionsperiode in Ungarn. Die Reorganisierung des Militär- und Zivilgouvernements wurde erst nach der Aufhebung des Belagerungszustandes in Angriff genommen mit dem Ziel, es in ein „Generalgouvernement“ umzuwandeln. Die Dramatik dieses Prozesses kommt in den Diskussionen, die in den Protokollen festgehalten wurden, zum Ausdruck. Der ehemals bürgerliche Rechtsanwalt Minister Bach, dem als Innenminister die Statthalter unterstanden19, mochte sich aus recht handfesten machtpolitischen Gründen gegenüber dem kaiserlichen Militär- und Zivilgouverneur (in Hinkunft Gouverneur) Erzherzog Albrecht, den Onkel des Kaisers, exponiert haben20, um die Ausdehnung seiner Macht zu sichern und die des Erzherzogs zu beschneiden – trotzdem kommt darin die Rückkehr zum Zivilen und die Rückdrängung des Militärischen in der Regierungspolitik zum Ausdruck. Und der Versöhnlichkeitsgestus der Regierung zeigt sich auch in dem Beschluß, die Konfiszierung der Güter der ehemaligen ungarischen und siebenbürgischen Revolutionäre aufzuheben21.

Was für Ungarn gelten kann, schlug hinsichtlich Lombardo-Venetiens fehl. Es mag den Anschein haben, daß wir hinsichtlich Lombardo-Venetien ähnliche Beobachtungen machen können. Der Sequester auf den Gütern der italienischen Revolutionäre wurde aufgehoben, die politischen Flüchtlinge sollten begnadigt werden22 und eine Kundmachung || S. 13 PDF || der zumindest teilweisen Niederschlagung der Hochverratsprozesse in Mantua für die Zeit der Reise des Kaiserpaares im lombardisch-venezianischen Königreich wurde in Aussicht genommen23. Doch der Schein trügt. Die Entsendung des jungen Erzherzogs Maximilian, des Bruders des Kaisers, als Gouverneur nach Lombardo-Venetien (wenn auch mit recht eingeschränkten Kompetenzen)24, um den alten Feldmarschall Radetzky zu ersetzen, war vielleicht als besondere Ehre für das Land gedacht. Das Land war aber mit diesen Mitteln nicht mehr zufriedenzustellen. Das Protokoll am Abschluß dieses Bandes mit dem Tagesordnungspunkt „Wirkungskreis des Generalgouverneurs in Lombardo-Venetien“, in dem die entschlossene, aber unkluge Poliltik des Kaisers und die hilflose Haltung der Regierung zum Ausdruck kommt, kann so als Symbol für die fehlgeschlagene Politik Österreichs in Lombardo-Venetien gelten. Es ging auf den Krieg zu.

Ziehen wir Bilanz aus den vorliegenden Protokollen, so überwiegen in den Diskussionen bei weitem jene Themen, die Neugestaltungswillen und Zukunftsperspektiven verraten. Der Initiative Brucks ist es zu danken, daß der Ausbau der Infrastruktur des Reiches weitergetrieben wurde: So wurde die Münzkonvention mit den deutschen Zollvereinsstaaten verhandelt und mit Vorlage der Münzkonvention am 24. 1. 1857 abgeschlossen25. Der Bahnbau, der in den letzten Jahren privatisiert worden war26, wurde innerhalb der Monarchie vorangetrieben; zum Beispiel wurde der Bahnbau im lombardisch-venezianischen Königreich, Bergamo–Cassano mit einer Flügelbahn von Treviglio nach Cremona bewilligtr27. Doch die Frage der Anschlußbahnen an das Ausland, zum Beispiel von der Lombardei nach Piemont-Sardinien28, von Ungarn in die Donaufürstentümer29 oder der Bahnbau in Serbien (Belgrad–Alexinacz) durch die österreichische Kaiser-Franz Joseph-Orientgesellschaft wurde mit großer Vorsicht behandelt, teils aus finanziellen, teils aus außenpolitischen Gründen30. Der Anschluß an das Ausland war damals auch in anderer Hinsicht schwer zu finden.

Die Neuordnung der „Verfassung“ des Reiches - Retrodigitalisat (PDF)

Vielleicht war es der mitreißende Schwung von Bruck, der seinen Kontrahenten Innenminister Bach31 bewog, endlich umfassende Neuerungspläne für die innere Verfassung vorzulegen, (die allerdings schon lange in Vorbereitung waren). Es handelt sich sicherlich || S. 14 PDF || um die interessantesten Themen der Ministerkonferenz, die in den Protokollen des vorliegenden Bandes festgehalten wurden. Sie werfen ein bezeichnendes Licht auf die Herrschaftsverhältnisse und zugleich auf die Brüchigkeit des neoabsolutistischen Systems.

Im Jahre 1856 wurde von Bach in der Ministerkonferenz die Bearbeitung mehrerer großer Komplexe von wichtigen Fragen in Angriff genommen, die die Ministerkonferenz viele Sitzungen hindurch beschäftigte. Es waren das die Entwürfe zu den Gesetzen über die Landesvertretung (Landesverfassung), über die Gemeinde, Landgemeindeordnung sowie die Städteordnung, das Heimatrecht, das mit den Gemeindeangelegenheiten in enger Verbindung stand, über den aus der Gemeinde ausgegliederten Grundbesitz und die herrschaftliche Gemeinde. Alle Fragen hingen unmittelbar miteinander zusammen, waren ein Ganzes, und mußten auch im gemeinsamen Kontext beraten werden. Die Lösung dieser Probleme bedeutete zugleich, daß den Bestimmungen des Silvesterpatents nachgekommen wurde, die die Grundlage der Neuordnung bildeten. Alle Fragen boten höchste politische Brisanz, den diffizilsten Komplex stellten vielleicht die Entwürfe über die sogenannte Landesverfassung dar, da es um die Grundfragen des Reiches ging: Zentralismus – Föderalismus, Zentralisierung – Dezentralisierung und nicht zuletzt um Absolutismus – Konstitutionalismus sowie nationale oder übernationale Gesellschaft.

Feudale oder öffentliche Herrschaft - Retrodigitalisat (PDF)

Als erstes wurde in der Ministerkonferenz das Gesetz über die herrschaftliche Gemeinde und den herrschaftlichen Grundbesitz in Angriff genommen32. Es war politisch und sozial eine grundlegende Frage, da sie über den politischen Stellenwert des Adels in den Ländern, ja darüber hinaus über die Grundstruktur des sozialen Systems entschied, das die neoabsolutistische Regierung zu verwirklichen vorhatte. Im Silvesterpatent vom 31. Dezember 1851 wurde dekretiert: „Bei der Bestimmung der Landgemeinden kann der vormals herrschaftliche große Grundbesitz unter bestimmten, in jedem Lande näher zu bezeichnenden Bedingungen von dem Verbande der Ortsgemeinden ausgeschieden und unmittelbar den Bezirksämtern untergeordnet werden. Mehrere vormals herrschaftliche, unmittelbar anstoßende Gebiete können sich für diesen Zweck vereinigen.“33 Es ging also um die letzten Reste des Feudalsystems, das mit der Durchführung der Grundentlastung prinzipiell (7. September 1848)34 beseitigt worden war und um die Eingliederung und Bedeutung des Adels in das moderne System. Es ging um die alten Rechte und die neuen Pflichten des Feudaladels, um das Verhältnis von privaten Interessen der Aristokratie und öffentlicher Verwaltung.

|| S. 15 PDF || Der Entwurf, den Bach vorlegte35, sah das Ausscheiden des ehemalig herrschaftlichen Grundbesitzes aus dem Gemeindeverband und die Unterstellung unter die Bezirksämter (Stuhlrichterämter in Ungarn) vor. Auf Verlangen der herrschaftlichen Besitzer war die Bildung von Gutsbezirken vorgesehen, die bewilligt werden sollte, sofern es auch „die Gewähr für die klaglose Erfüllung der den Gutsbezirken obliegenden Verbindlichkeiten darböte“36, und sofern die Interessen der öffentlichen Verwaltung gewahrt blieben37. Vereinigungen von herrschaftlichen Gütern zu einem Gutsbezirk wurden vorgesehen38, die man nur dann einer Gemeinde gegenüber zu Leistungen verpflichten wollte, wenn sie an den Gemeindeanstalten oder am Gemeindegut partizipierte39. Den Gutsbesitzern sollten die Pflichten und Leistungen der Gemeinden zugesprochen werden40, wie die Armenversorgung im Gutsbezirk, die Besorgung der öffentlichen Verwaltungsgeschäfte, zu deren Verwaltung ein Beamter als Vorstand des Gutsbezirkes bestellt werden sollte. Die Stellung des Vorstandes wurde definiert41, ebenso die Angelegenheiten der politischen Verwaltung, die vom Vorstand des Gutsbezirks durchzuführen wäre: etwa die Kundmachung der Gesetze und Verordnungen, die Handhabung der Lokalpolizei und die Einleitung ortspolizeilicher Maßregeln, die Überwachung der Fremden, Bettler und Vagabunden, die Anhaltung und Übergabe von Verbrechern und Militärdeserteuren, die Aufsicht über entlassene Sträflinge, die Handhabung der zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Ruhe erforderlichen Anstalten, die Überwachung der Maße und Gewichte, die Mitwirkung bei Konskription und Rekrutierung, Militäreinquartierung, vorübergehende Arretierung von Personen (bis zu 48 Stunden) und die Androhung von Geldstrafen bis zu 10 Gulden, die Vollziehung der Anordnungen der Bezirksämter in öffentlichen Angelegenheiten sowie die Ausfertigung von Zeugnissen42. Genauso wurden nähere Bestimmungen über die Stellung des Vorstands getroffen43, über die Finanzierung, die dem Gutsbezirk aufgebürdet werden sollten44, über die Haftung45 etc.

Ein Gutsbezirk sollte also die Kompetenzen einer Gemeinde einnehmen, er bzw. der Gutsbesitzer als Vorstand war also mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Allerdings wurde der Gutsbezirk wie die Gemeinden expressis verbis dem Bezirksamt unterstellt. Es wurde sogar Vorsorge getroffen, daß er aufgelöst werden konnte, wenn er seine Verpflichtungen vernachlässigte46. Bei der Bildung der selbständigen Gutsbezirke sollten die betroffenen Gemeinden ein Mitspracherecht haben47.

|| S. 16 PDF || Es war vorauszusehen: der Feudalaristokrat Graf Leo Thun-Hohenstein opponierte. Das vorliegende Gesetz habe die Aufgabe, das „aristokratische Element in Österreich aufrechtzuerhalten“48, die vorgesehenen Einmengungen der Gemeinden paßten ihm nicht, und der Grundsatz, daß die Ausscheidung des herrschaftlichen Gutsbesitzes aus dem Herrschaftsverband die Regel sei, schiene ihm zu wenig gewahrt. Thun ging es um die Erhaltung des großen Grundbesitzes und seiner Rechte; vor allem in den Ländern der böhmischen Krone, wo der große Grundbesitz seit Jahrhunderten, so der Kultus- und Unterrichtsminister, eine respektierte besondere politische und wirtschaftliche Stellung habe49. In Innerösterreich wäre, so Thun, das Problem ein anderes, weil es hier kaum mehr große Güter gebe. In Ungarn schienen ihm dagegen die Herrschaften zu groß zu sein: Er schlug daher eine Umgestaltung von Teilen dieser Güter in bäuerlichen Besitz und die Gründung neuer Dörfer vor50.

Die Diskussion in der Ministerkonferenz entspann sich in der Hauptsache zwischen dem „Feudalen“ Thun und den „Bürgerlichen“ Bach und Karl Krauß. Sie macht die Spaltung zwischen „alter aristokratischer“ und „neuer bürgerlicher“ Welt und die Probleme, die daraus resultierten, deutlich. Bach ergriff Partei für die kleinen, in vielen Fällen nichtadeligen Grundbesitzer, „denen mit der Ausscheidung aus dem Gemeindeverband nicht gedient wäre“51, genausowenig wie mit der zwangsweisen Zuweisung zu einem Gutsbezirk, und denen daher zumindest die Wahl offenstehen müßte. Karl Krauß, der Justizminister, unterstützte die Interessen der öffentlichen Verwaltung und damit den vorliegenden Gesetzentwurf52. Der Vertreter der „alten Ordnung“ Thun blieb mit seiner Meinung allein. Auch Außenminister Buol und Finanzminister Bruck stimmten für die Version, die Innenminister Bach vorgelegt hatte53.

Die kaiserliche Resolvierung, die den Entwurf zum Gesetz erhoben hätte, ließ jedoch auf sich warten. Die Beratung wurde nicht zuletzt – wie so oft in diesen Jahren – durch die schwierigen Beratungen mit den Reichsräten verzögert54, die die Lösung dieser Angelegenheit trotz des Drängens Bachs auf die lange Bank schoben. Das Gesetz über den herrschaftlichen Grundbesitz hing grundsätzlich vom „Gemeindegesetz“ ab, das die Frage des herrschaftlichen Grundbesitzes eng berührte, da es grundsätzlich um die Beziehung zwischen herrschaftlichem Grundbesitz und Gemeinde und die Frage privater und öffentlicher Verwaltung ging. Es war bereits unter Kübecks Präsidentschaft über den Reichsrat (1851 bis 1855) zur Streitfrage zwischen Bach und Kübeck geworden55. Die Resolvierung des Protokolls über die Ausscheidung des herrschaftlichen Grundbesitzes aus dem Gemeindeverband erfolgte erst am 24. April 1859. Kurz danach, nach dem unglücklichen Ausgang des Krieges gegen Piemont-Sardinien und Frankreich, wurden aus vielerlei Gründen andere Lösungen notwendig. Die Stellung des herrschaftlichen || S. 17 PDF || Grundbesitzes zu den Gemeinden kam erst wieder im August 1859, als Buol und Bach längst demissioniert hatten, im Rahmen der Durchführung des Gemeindegesetzes vom 24. April 1859 zur Beratung56.

Die starre und bereits seit langem erstarrte Parteinahme in der Diskussion der Ministerkonferenz, wie sie uns die Protokolle der Sitzungen über den herrschaftlichen Grundbesitz zeigen – hie Bach, der für die „moderne“ bürokratische, öffentliche Verwaltung plädierte, da Thun, der für die Aufrechterhaltung der adeligen Privilegien und der feudalen Verwaltungsformen eintrat – ist bezeichnend für die politische Atmosphäre der „neoabsolutistischen“ Jahre, besonders weil sich in ihnen, wie gesagt, die gängige Auseinandersetzung zwischen ständischen57 feudalen Konservativen und modernen „Liberalen“ paradigmatisch widerspiegelt. Zumindest die Zeitgenossen sahen die Parteiungen in dieser Art und Weise und belegten sie mit dieser Terminologie. Vom Standpunkt der geistig-politisch-ideengeschichtlichen Entwicklung in dem von der Historiographie diesbezüglich so stiefmütterlich behandelten österreichischen Neoabsolutismus her gesehen, haben die Diskussionen, wie sie sich in den Ministerkonferenzen abspielten, zweifelsohne einen hohen Quellenwert. Vom sachlichen Hintergrund betrachtet, scheinen sie uns heute reichlich unbegründet, denn beide Kontrahenten, Thun wie Bach, waren bereit, das Ausscheiden des Gutsbesitzes aus dem Gemeindeverband zu akzeptieren. Die Gutsbesitzer waren wie im Vormärz als zweite Möglichkeit einer Ortsverwaltung gedacht58, was, wie bereits erwähnt, – bei Erfolg dieser Konstruktion – gravierende gesellschaftliche und politische Konsequenzen gehabt hätte: Die in Europa bereits vergangene feudale Ordnung wäre in Österreich von Staats wegen weiter festgeschrieben worden.

Ob beide Seiten, sowohl „Aristokraten“ wie „bürgerlich Liberale“, interessiert waren, das im Silvesterpatent versprochene Ausscheiden des herrschaftlichen Grundbesitzes aus dem Gemeindeverband zu verzögern, bleibe dahingestellt: Bach und die bürgerlich Gesinnten, weil sie auf bessere, für das Bürgertum günstigere Zeiten warten mochten, Thun und die „Neoständischen“, weil sie versuchten, in dem ihnen gut gesinnten Klima der 50er Jahre, in dem die Adelig-Konservativen an gesellschaftlicher Stärke und Ansehen gewannen, das Ausscheiden aus dem Gemeindeverband via facti zu lösen59. Angemerkt soll werden, daß in Galizien und in der Bukowina, wo das provisorische Gemeindegesetz von 1850 nicht durchgeführt worden war, gerade in diesem Jahr (1856) die Ortsgemeinde durch Statthaltereiverfügungen über die provisorische Verwaltung der Gemeinden vom 5. Mai 1856 und vom 28. August 1856 60 konstituiert wurde. Kein Wort über diese wichtige Entscheidung, nicht einmal Grundsätzliches, ist darüber erstaunlicherweise in den Protokollen der Ministerkonferenz des vorliegenden || S. 18 PDF || Bandes zu erfahren. Da man damals noch im Unterschied zu späteren Lösungen für das übrige Staatsgebiet vom Kübeckschen Silvesterpatent ausging, blieb der Gutsbesitz selbstredend außerhalb des Gemeindeverbandes, was, wie J. Klabouch hervorhebt, „zur Folge hatte, daß hier territorial und materiell viel schwächere Gemeinden entstanden61. Wie bereits erwähnt, bildete das Heimatrecht einen anderen Aspekt des gesamten Problemkomplexes Gemeinde – Gutsherrschaft – Bevölkerung. Das Heimatrecht war von der Zuständigkeit zu einer Gemeinde abhängig. Die Frage wurde sehr bald im Anschluß an die Frage des Ausscheidens des herrschaftlichen Grundbesitzes in der Ministerkonferenz vom 14. Juni 1856 beraten62.

Das Heimatrecht war ein für die Bewohner wichtiges Gesetz, da es Voraussetzung für die österreichische Staatsbürgerschaft war63. Es wurde „durch Geburt“, „durch Aufnahme“ oder „durch besondere persönliche Verhältnisse“ begründet64, wobei unter persönlichen Verhältnissen die Zuständigkeit der Hof- und Staatsbeamten sowie der Geistlichen und Schullehrer gemeint war, die das Heimatrecht nach ihrem definitiven Dienstort erhielten65. Frauen besaßen kein eigenes Heimatrecht. Es richtete sich nach der Gemeindezugehörigkeit des Ehegatten66.

Der Gutsbezirk war darin insofern benachteiligt, als „in dem vom Gemeindeverbande ausgeschiedenen Gutsbezirken“ das Heimatrecht „nicht begründet werden“ konnte67. Aber nicht daran entspann sich die Auseinandersetzung in der Ministerkonferenz. Der Justizminister mahnte die Gleichstellung der adoptierten Kinder ein – analog zu den Bestimmungen des ABGB. – und verlangte, daß auch den Adoptivkindern das Heimatrecht in der Gemeinde zugesprochen würde, in der der Vater zur Zeit der „Annahme an Kindes statt“ seine Zugehörigkeit habe68. Die Bedingungen der Aufnahme österreichischer Staatsbürger in einen Gemeindeverband wurden diskutiert69, ebenso wie die sogenannten „Armenbezirke“, zu denen sich zwei oder mehrere Gemeinden vereinigen konnten, um die Bedürftigen einer Gemeinde zu versorgen70. „Die Versorgung der dort über zehn Jahre ununterbrochen gedient habenden und in diesem Dienst erwerbsunfähig gewordenen Personen“ wurde den Gutsbesitzern auferlegt71. Der sonst für die Rechte der Gutsbezirke eintretende Graf Thun-Hohenstein hatte dagegen nichts einzuwenden, was seinem patriarchalen Denken entspricht. Mit der Übernahme der Rechte erkannte er auch die der Pflichten an, und Armenfürsorge war eine traditionelle Pflicht || S. 19 PDF || der Grundbesitzer. Die Diskussion über das Heimatrecht verlief überhaupt friedlich. (Der streitlustige Kultus- und Unterrichtsminister Thun meldete keine Bedenken an.) Die Heimatzuständigkeit, die, gerade um die Bewohner einer Gemeinde zu schützen, mit dem Gemeindegesetz gekoppelt wurde72, brachte zweifelsohne soziale Vorteile. Ohne Vertretungsgarantien für die Bevölkerung jedoch mußte das Heimatrecht politisch wirkungslos bleiben. Doch sowohl die Städteordnung73 sowie die Landgemeindeordnung74 wurden zwar in der Ministerkonferenz beraten, blieben aber, so wie das Heimatrecht, unerledigt75. Im übrigen war der Entwurf zum Gesetz über Städte und Landgemeinden, der der Ministerkonferenz vorgelegt wurde, wie Klabouch hervorhebt, „Ausdruck der Tendenz nach Konzentration der öffentlichen Verwaltung“76. Gemeinden sollten keine gleichberechtigten Partner der politischen Behörden sein mit „Generalkompetenzen“ in eigenen Angelegenheiten: Ihre Kompetenz für die eigenen Angelegenheiten waren taxativ aufgezählt, jene, die die Behörde ihnen übertrug, war im allgemeinen festgelegt. Die gewählten Bürgermeister hatten im Amt zu verbleiben. Die politischen Behörden hatten unumschränktes Kontrollrecht. Sie konnten also jede Maßnahme der Gemeinde verhindern oder ihnen im Gegenteil jede beliebige Verfügung auf Kosten der Gemeinden auftragen. Klabouch hat nicht unrecht, wenn er meint, die Bestimmungen verfolgten weniger das Ziel, die Mitwirkung der Einwohnerschaft bei Ausübung der öffentlichen Verwaltung zu gewinnen, als vielmehr die Arbeitskraft der Beamtenschaft dort zu ersetzen, wo der Staat aus finanziellen Gründen die bürokratische Verwaltung allein nicht zu sichern vermochte77. Doch auch das Gesetz über die Städte und Landgemeinden blieb bis 1859 unerledigt78. Erst mit Ah. Entschließung vom 24. April 1859 wurde angeordnet, die Angelegenheit im Rahmen eines „allgemeinen Gemeindegesetzes“ zu regeln.

Das „Organische Statut“ für die Ländervertretungen - Retrodigitalisat (PDF)

Ein ebenso, wenn nicht noch brisanteres Objekt für die österreichische Innenpolitik stellte die Frage der „Landesverfassung“ dar, die ein permanentes Streitobjekt zwischen Reichsratspräsident Kübeck und Innenminister Bach durch Jahre hindurch war, im Grund seit Erlaß des Silvesterpatentes, in dem festgelegt wurde: „Den Kreisbehörden und Statthaltereien werden beratende Ausschüsse aus dem besitzenden Erbadel, dem großen und kleinen Grundbesitz und der Industrie mit gehöriger Bezeichnung der || S. 20 PDF || Objekte und des Umfangs ihrer Wirksamkeit an die Seite gestellt. Insoferne noch andere Faktoren zur Beiziehung in die Ausschüsse sich als wünschenswert darstellen, ist nach Umständen darauf Rücksicht zu nehmen. Die näheren Bestimmungen werden besonderen Anordnungen vorbehalten.“79.

Die Erfüllung des § 35 des Silvesterpatents barg von vornherein Zündstoff, weil er als Landesvertretung nur beratende Ausschüsse für die Verwaltungsgremien vorsah. Im Vergleich zu den alten Landesverfassungen, die den Ländern zumindest auf dem Papier Autonomie garantiert hatten, und im Vergleich zu den Forderungen nach einer Volksvertretung im Jahr 1848 entsprachen diese geplanten Ausschüsse der Statthaltereien und Kreise ohne tatsächliche Mitbestimmung und ohne eigene Kompetenzen in keiner Weise. Sie trugen lediglich dem straff absolutistisch-zentralistisch geplanten Verwaltungsstaat, wie er im Silvesterpatent vorgesehen war, Rechnung. Die neoabsolutistischen Landesstatuten sind daher ein gutes Beispiel für die Versuche des absolutistischen Obrigkeitsstaates, eine Identität von Verfassung und Verwaltung herzustellen. Wenn Otto Hintze feststellt, daß im bürokratischen Obrigkeitsstaat das Behörden- und Verwaltungsrecht „den überwiegenden Teil des Verfassungsrechtes“ ausmacht80, so sind die neoabsolutistischen Landesstatute des Jahres 1856 als Bestätigung anzusehen: sowohl die Formulierung des § 35 als auch das Procedere bei der Ausarbeitung und die Formulierung der Entwürfe selbst. Doch ebenso sind sie ein Beispiel dafür, daß eine Deckungsgleichheit zwischen Verfassung und Verwaltung in der absoluten Monarchie nicht zu verwirklichen war, wie Gerhard Oestreich kritisch zu Hintzes Theorie bemerkte81, schon gar nicht mehr in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich in Österreich eine moderne Gesellschaft formierte. Bekanntlich erhielten die Landesstatuten nie Gesetzeskraft – ein bemerkenswertes Indiz für die Richtigkeit dieser These. Es war nicht mehr möglich, sich darüber zu einigen. Die Beratungen erhielten eine Eigendynamik, geboren aus der Spannung zwischen Tradition und Zukunftsentwürfen, die eine Verwirklichung unmöglich machten.

Die sogenannten Bachschen Landesstatute wurden allerdings von der historischen Forschung wenig bemerkt. Zum erstenmal wurde die geplante neoabsolutistische Landesverfassung im Jahr 1909 im Rahmen eines Werkes über die Schlesische Landesvertretung zu Ehren des 60jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs der Öffentlichkeit vorgelegt82. Der Herausgeber Berthold war – wie es einem Werk zur höheren || S. 21 PDF || Glorie eines greisen Monarchen entspricht – im besten Fall zurückhaltend kritisch. Außerdem waren ihm die Quellen der Wiener Archive nicht bekannt. Er konzentrierte seine Arbeit auf die schlesischen Akten in Troppau. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, in den 20er Jahren, erfuhr das Thema eine neuerliche Würdigung, allerdings nur in Form von Zeitschriftenbeiträgen83, in denen die Quellen des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, die den Verfassern, Rudolf Schranil und Karl Hugelmann, offensichtlich zumindest teilweise bekannt waren, nur recht unvollständig bzw. gar nicht zitiert werden.

Das Gesetzeswerk ging in zwei großen Etappen vor sich. Am 3. Juli 1854 wurden die sogenannten Grundzüge für das „organische Statut über die Landesvertretungen“ erlassen84. In den Beratungen vom 24. 6., 1. und 15. 7. 1856 wurde der Ministerkonferenz ein endgültiger Entwurf für ein „organisches Statut“ und Entwürfe für die Statuten der 18 Kronländer vorgelegt85.

Rudolf Schranil und Karl Hugelmann (Berthold äußert sich nicht dazu) sind sich einig, daß der Verfasser der „Grundzüge“ vom 3. Juli 1854 Kübeck war, der (auf diesen „Grundzügen“ aufbauende) Entwurf des „organischen Statuts“ von 185686 und die Ausarbeitung der einzelnen Landesstatuten aus der Feder Bachs stammen87. Das heißt, daß mehr oder weniger die Verantwortung für das Gesetz über die Landesvertretungen (bzw. für sein Nichtzustandekommen) auf die bekannten Kontrahenten Bach und Kübeck gleichermaßen verteilt wird. (Schranils Sympathien liegen deutlich bei Kübeck.) Die Beobachtung der Vorgänge, wie das Gesetz zustande kam, wird im allgemeinen auf den Zeitraum zwischen Juli 1854 und Juni 1856 gelegt88.

Die Verteilung der Kompetenzen bzw. der Kampf um die Kompetenzen begann allerdings schon viel früher, nämlich unmittelbar nach Erlaß des Silvesterpatents (31. Dezember 1851), in dem der große neoabsolutistische Neubau des Reiches festgelegt wurde. In der Sitzung des Ministerrates vom 2. Jänner 1852 89 schlug Innenminister Bach sofort die Gründung von „Ministerialkommissionen“ vor, zur – etappenweisen – Durchführung des großen Reformwerkes: a) der Organisierung der Justiz- und politischen Verwaltungsbehörden, b) der Regulierung des Gemeindewesens und c) der Entwerfung || S. 22 PDF || der Adelsstatute90. Durch die Bildung solcher „Ministerialkommissionen“, die sachgerecht aus Vertretern der Ministerien des Inneren, der Justiz und des Handels zusammengesetzt sein sollten – je nachdem, welcher Bereich zur Debatte stand – hätten die Minister und der Ministerrat (bis 5. April 1852, bis zum Tod des Ministerpräsidenten Schwarzenberg, so genannt) bzw. die nachfolgende Ministerkonferenz (ab 14. April 1852)91, die Durchführung der Umformung des Reiches in den Händen gehabt; nicht zu vergessen: mit Innenminister Bach als dem eigentlichen Zentrum des Organisationswerkes92. Bach stand damit durchaus auf dem „verfassungsmäßigen“ Boden der neoabsolutistischen Regierungskonstruktion. Selbst das Reichsratsstatut vom 13. April 1851, das den Reichsrat nach dem Vorbild des vormärzlichen Staatsrates als Gegengewicht zum „konstitutionellen“ Ministerrat und als Unterstützung der Krone verankerte93, hatte den Reichsrat klar von der Vollziehung ausgeschlossen: „Der Reichsrat wird in allen Fragen der Gesetzgebung gehört, und die Anhörung desselben in der Gesetzgebung erwähnt“94. Er war als beratendes Gremium der Krone gedacht. Dieses beratende Gremium wußte sich aber gerade zu dem Zeitpunkt, als die Ausführung der Bestimmungen des Silvesterpatents95, u. a. die Gesetze über die Landesvertretungen, in Angriff genommen werden sollten, im frühen Jahr 1852, dank der geschickten Intervention des Reichsratspräsidenten Kübeck beim jungen Kaiser durchzusetzen, vor allem gegenüber dem konkurrierenden „konstitutionellen“ Ministerrat, der nun in „nebengeordnetem Rang“ gegenüber dem Reichsrat stand96. Der Einfluß des Altkanzlers Metternich97 und der Tod Schwarzenbergs verhalfen noch dazu, „vormärzähnliche Verhältnisse“ herzustellen.

Ende März 1852 hatte der 79jährige Altkanzler Metternich an den 73jährigen ehemaligen Hofkammerpräsidenten Kübeck folgende aufschlußreiche Worte gerichtet: „Der Übelstand in der Lage des Reiches und der Stellung der Regierung in demselben liegt in dem gewaltsamen Untergang der altgewöhnten, auf logischen Grundlagen aus sich selbst herauswachsenden Normen und Benennungen und deren Ersatz durch Benennungen und Normen, welche dem modernen Konstitutionalismus entlehnt wurden und denselben überlebt haben. Die kaiserlichen Manifestationen vom 20. August und || S. 23 PDF || vom 31. Dezember 1851 haben die im Jahre 1848 verschüttete Quelle der [von] allen monarchischen Staaten benötigten Macht – eine Quelle, in welcher in dem Kaiserreiche die allein mögliche Macht ruht – wieder aufgedeckt: Sie haben den Ausspruch gefällt: Von nun an regiert der Kaiser wieder im Reiche, in dem Reiche im Begriffe der Gesamtheit wie allen dasselbe bildenden Teile!“98 Nichts ist bezeichnender: Den vormärzlichen Kräften war der Durchbruch gelungen.

Um die Kompetenzen bezüglich der Landesstatuten plastisch darzustellen, soll nochmals betont werden, daß seit Ende 1851/Anfang 1852 das Gremium Reichsrat die letzte Instanz darstellte, die dem Kaiser Vorschläge unterbreiten und bereits im Ministerrat/in der Ministerkonferenz beschlossene Gesetzentwürfe solcherart modifizieren konnten, daß sie ihres ehemaligen Sinnes zur Gänze entkleidet wurden. Bei dem damaligen starken Einfluß Kübecks auf den Kaiser war damit zu rechnen, daß die Vorschläge des Reichsrates auch angenommen wurden.

Bach war es freilich gelungen, die Möglichkeiten der Einflußnahme zumindest bezüglich des neoabsolutistischen Organsierungswerkes in den Verwaltungsangelegenheiten zugunsten der Ministerkonferenz zu verbessern. Am 2. April 1852 hatte er, wahrscheinlich um die Übermacht des Reichsrates zu paralysieren, „zur Organisierung im ganzen“ im Ministerrat die Bildung einer „gemischten Kommission“ bestehend aus Mitgliedern des Ministerrates und des Reichsrates vorgeschlagen, womit er auch durchgedrungen war. Am 10. April 1852 war ein Ah. Handschreiben – bezeichnenderweise an Kübeck – ergangen, das eine „Organisierungskommission“ ins Leben rief sowie sofort auch die Mitglieder und den Vorsitzenden bestimmte99: Die Organisierungskommission sollte aus den Ministern Bach (Ministerium des Inneren), Karl Krauß (Ministerium der Justiz) und Finanzminister Andreas Baumgartner bestehen. Der Reichsrat entsandte als Mitglieder Franz v. Krieg, Philipp v. Krauß, Norbert v. Purkhart und Anton v. Salvotti. Kübeck wurde zum Vorsitzenden ernannt.

Es war eine seltsame Konstruktion, die sich uns mit dieser „Kommission“ darbietet. Neben den gesetzlich festgelegten höchsten Instanzen des Reiches, Reichsrat und Ministerrat, war somit nun nur mit Ah. Entschließung (die allerdings einem Gesetz gleichkam), „von oben“ eine Art „Überinstanz“ für das so wichtige neoabsolutistische Reformwerk geschaffen worden. Sie erinnert von der Terminologie her an die vor 1848 gebräuchlichen „Kommissionen“, etwa die Studienhofkommission, die zumindest zeitweise den Rang einer unabhängigen Zentralstelle hatte. Viele Instanzen zu schaffen, unter denen wechselweise gewählt werden konnte, entsprach sicher einer absolutistischen Regierungspraxis, der der junge Kaiser zugeneigt war. Mit der Gründung der Organisierungskommission war zwar die Vormacht des Reichsrates, aber auch die Einflußnahme der Minister gesichert. Denn das Ah. Handschreiben vom 10. April 1852 bestimmte, daß die Organisierungskommission die Organisierungsoperate zu beraten || S. 24 PDF || habe, die aber, so wurde festgelegt, aus den Kronländern zu kommen hätten. Den Behördenkompetenzen entsprechend gelangten die Operate somit an den Innenminister100 – in unserem vorliegenden Fall an Innenminister Bach.

Eine gewisse Mitsprache der Länder war also vorgesehen. Bach versuchte diese Möglichkeit für die Vermehrung seines Einflusses im Rahmen seines administrativ-zentralistischen Konzepts zu nützen. Da die Statthalter ihm unterstanden, berief er umgehend, noch im April 1852, die Statthalter nach Wien, um ihre Ansichten über eine neue Behördenorganisation darzulegen101 und ihre Mitwirkung (im Bachschen Sinn) beim großen Reformwerk zu sichern. Damit wurde die Stellung der Statthalter im zentralistischen Staatsgefüge gewissermaßen aufgewertet, weil ihre Mitarbeit auch mit Zusicherungen von Kompetenzen verbunden war, die nach der Verwaltungsorganisation in weiterer Folge auch die vorliegenden Verfassungsfragen betreffen sollten. Denn bereits in der ersten Besprechung Bachs mit den Statthaltern wurde in Aussicht genommen, nach der Verwaltungsreform den zweiten Teil des Reorganisationswerkes, die Ausführungen der Verfassungsbestimmungen des Silvesterpatentes, in Angriff zu nehmen, die Landesund Kreisausschüsse zu konstituieren und die Gemeindeordnung festzulegen, wobei den Statthaltern die Aufgabe zugedacht war, die Vorlage der Länder einzubringen102.

Doch die Machtbefugnisse, die Bach „seinen“ Statthaltern zugestand, wurden umgehend beschnitten. Denn Reichsratspräsident Kübeck nämlich, dem es nicht im mindesten um die Machterweiterung der dem von ihm gerade nicht sehr geschätzten Innenminister Bach unterstellten Statthalter zu tun war, hatte Einspruch erhoben103 und beim Kaiser entschieden gegen die Mitsprache der Länderchefs protestiert104. Franz Joseph hatte allerdings solchen Statthalterbesprechungen – wahrscheinlich ohne Wissen des Reichsratspräsidenten – bereits vorher zugestimmt105. Obwohl Kübeck in seinem Tagebuch vermerkte, daß der Kaiser Innenminister Bach untersagt hatte, „aufsehende Kommissionen zu halten“, blieben die Statthalter in Wien und hielten ihre „konfidentiellen Besprechungen“ mit Bach bis 5. Mai 1852 ab – allerdings nur über die Behördenorganisation106.

|| S. 25 PDF || Die Organisierungskommission übernahm dem Ah. Handschreiben vom 10. April 1852 gemäß die Arbeit, die „Landesverfassungen“ auszuarbeiten107. Das Resultat war der sogenannte Entwurf Kübecks „Bestimmungen über die nach § 35 der Grundsätze vom 31. Dezember 1851 einzusetzenden Landesvertretungen“ (die „Grundzüge“), der mit Ah. Handschreiben an Bach vom 3. Juli 1854 dem Innenminister überreicht wurde108. Da Bach ein Mitglied der Organisierungskommission war und – wie seine Entwürfe und Bemerkungen in der Organisierungskommission109 zeigen, ein sehr aktives – kann die vorhergehende alleinige Zuschreibung des Entwurfs der „Grundzüge“ vom 3. Juli 1854 an die Person Kübecks nicht aufrecht erhalten werden110. Jedenfalls waren diese „Grundzüge“ als Leitfaden für die Beratungen in den Ländern gedacht. Bach wurde in diesem Handschreiben vom 3. Juli 1854 beauftragt, die „Grundzüge“ den „Länderchefs“ (Statthalter, in den kleinen Kronländern Schlesien, Salzburg, Krain, Kärnten und Bukowina hießen diese Landespräsidenten) „aller Kronländer mit Ausnahme des lombardo-venezianischen Königreiches und der Militärgrenze“ zu übersenden „mit der Aufforderung, nach Einholung des Gutachtens der zu diesem Behufe zusammengesetzten Beratungskommissionen“ die etwa sich darstellenden Ergänzungen, Modifikationen oder näheren Bestimmungen anzutragen und ihre Anträge in Form eines Landesstatuts vorzulegen“111.

Die Befugnisse der (dem Innenminister unterstehenden) Statthalter waren durch die „Beratungskomissionen“, die diesem an die Seite gestellt waren, erheblich eingeschränkt, was wohl den Intentionen Kübecks entsprach. Im großen und ganzen paßte die Gründung von Spezialkommissionen, ein Grundzug des neoabsolutistischen Systems (man denke nur an die bereits erwähnten Organisierungslandeskommissionen für die Behördenorganisierung112), in die Tendenz der Zeit, den im Vormärz praktizierten „Gremialberatungen“ mehr Gewicht zu verleihen. Vielleicht versprachen sich die „Absolutisten“ auch von einer Verbreiterung der Basis, den günstigen Eindruck einer größeren Mitbestimmung in den Ländern zu machen. Wie beschnitten diese allerdings || S. 26 PDF || in Wirklichkeit war, zeigt die Tatsache, daß die Mitglieder dieser „Beratungskommissionen“ vom Kaiser in Wien ernannt wurden113 (im allgemeinen bestanden sie aus Vertretern des großen und kleinen Grundbesitzes, der Städte und der Handels- und Gewerbekammern) und daß sie bald von Bach eingehende Instruktionen über 1. den eigentlichen Gegenstand der Beratung, 2. über die Form der Begutachtung erhielten114. Die Bestimmungen der Grundzüge selbst115 konnten allerdings keiner Beratung und schon gar keiner Kritik unterzogen werden116. Die Beratungskommissionen in den Ländern schienen mit sehr unterschiedlichem Tempo (und wahrscheinlich ebenso unterschiedlicher Begeisterung) an die Arbeit gegangen zu sein. Schlesien z.B. entledigte sich der Aufgabe in drei Sitzungen zwischen dem 16. Juni und dem 25. Juli 1855 117. Andere Länder ließen mit der Vollendung ihrer Aufgabe auf sich warten, wie Bach in seinem Vortrag überzeugend hervorhob118. (Im Juni 1856 dürften noch immer nicht alle Operate aus allen Ländern eingetroffen gewesen sein119).

Inzwischen war im Ministerium des Inneren die Arbeit intensiv im Gange. Bernhard Ritter v. Meyer, Ministerialrat im Ministerium des Inneren, ein getreuer und überzeugter Mitarbeiter Bachs120, der offensichtlich mit der Ausarbeitung der Landesstatuten sehr beschäftigt war, schildert uns die Arbeit im Ministerium sehr anschaulich121. Seinen Darstellungen zufolge begann das Ministerium Ende 1854 an den Landesstatuten zu arbeiten – unter „unmittelbarer Einflußnahme“ Bachs, der auch die „Grundzüge“ seinen Beamten vorgab und eindrucksvoll erläuterte. Bachs Vorlage, so Meyer, wäre für das Innenministerium die „alte landständische Verfassung“ für Tirol gewesen. Die Beamten des Ministeriums hätten sich intensiv mit den „alten ständischen Verfassungen“ der einzelnen Länder auseinandergesetzt. (Eine Darstellung der alten Verfassungszustände hatten, so können wir aus dem Beispiel Schlesiens schließen122, auch die Länder gegeben.) Die Arbeit wurde laut Meyer unter einigen wenigen Räten || S. 27 PDF || (welche, verrät er uns außer seiner eigenen Person nicht) aufgeteilt123 und war so umfassend, daß, so Meyer, „wir so zu sagen Tag und Nacht arbeiteten und einige von uns so erschöpft wurden, daß sie rundweg dem Minister erklärten, eine solche Strapaze kaum länger ertragen zu können.“124 Danach hätte sich die gemeinsame Redaktionsarbeit angeschlossen. Interessant ist, daß Meyer die Operate der Länder zumindest kurz streift. An die Arbeit an den Verfassungen hätten sich jene über das „korporative Gemeindeleben“ angeschlossen. Meyer geht auch überraschenderweise auf den Plan einer „Zentralvertretung“ für die gesamte Monarchie ein. Er schildert eindrucksvoll den raschen Abschluß der Arbeit und hebt anschließend hervor, daß sie zur Enttäuschung der so tüchtigen Beamten des Ministeriums des Inneren zunächst jahrelang vom Reichsrat verschleppt wurde und schließlich ganz eingeschlafen war. Die fleißigen Beamten hatten umsonst gearbeitet.

Meyers so ruhmvolle Schilderungen dienen der höheren Ehre des Innenministeriums. Er nimmt den gesamten „Aufbau des neuen Reichsorganismus“, wie er das neoabsolutistische Reformwerk bezeichnet, für dieses Ministerium in Anspruch, besonders für Bach, den er einen „weisen Baumeister“ nennt, der „seine große Aufgabe“, eben das Reformwerk, „bis auf den Schlußstein“, „die Neugestaltung der Landesvertretungen der einzelnen Kronländer“ vollenden konnte125. Und dieser Schlußstein, der, so Meyer, „übrigens auch schon in Arbeit genommen worden“ und „vollendet dalag“, hätte „nur eines Winkes zur Ausführung“ bedurft; „wenn dasselbe gegenwärtig ein Archivgegenstand geworden ist, so trägt an diesem unheilvollen Vorgang Minister Bach keine Schuld“, schrieb Meyer in seinen im Jahr 1875 herausgegebenen Erinnerungen. Mit letzterem Satz hatte Meyer zweifelsohne Recht. Die Landesstatuten lagen seit der Besprechung in der Ministerkonferenz126 beim Kaiser und harrten der Sanktionierung. An Meyers Schilderungen kann, wie schon Hugelmann bemerkt127, nicht alles stimmen. Meyer als hohem Bürokraten – er war Ministerialrat im Innenministerium – konnte die Existenz der für das gesamte Reformwerk so wichtigen Organisierungskommission und die Mitarbeit der Reichsräte nicht ganz verborgen geblieben sein. Außerdem gab es im Ministerium des Inneren neben ihm noch 18 andere Ministerialräte. Wer davon die „geringe Anzahl“ bildete, die laut Meyer bei dem Gesetz über die Landesstatuten mitarbeitete, verschweigt er uns – obwohl er sonst bezüglich seiner Kollegen, besonders der von ihm nicht sehr geliebten ehemaligen „Liberalen 1848er“ wie Joseph Lasser und Josef Oettl (Meyer war Konservativer), recht freizügig im Urteil ist128. Tatsächlich war das Referat über die Landesstatuten von Bach an Lasser übertragen und eine umfangreiche Ministerialkommission von zehn Beamten eingesetzt worden129. Die Mitarbeit der (zumindest teilweise) von liberalen Ideen bestimmten Beamten dürfte von Bach stark beeinflußt gewesen sein.

|| S. 28 PDF || Die Landesstatuten waren eingebettet in das zentralistisch-bürokratische Reformprogramm, d.h. es war ihnen jede irgendwie an konstitutionelle Ideen erinnernde Spitze genommen. Meyer, der, wie wir sehen, voll und ganz hinter dem Entwurf stand, beschreibt das Dilemma, das die alten föderalistischen und die neuen konstitutionellen Ideen für Bach – und offensichtlich nicht nur für ihn – darstellten: „Eine Reaktivierung der alten Landtage, die in den meisten Provinzen eigentlich nur eine Vertretung der beiden bevorzugten Klassen der Gesellschaft, des Klerus und des Adels, waren, gehörte für jeden vernünftigen Menschen ins Gebiet der Unmöglichkeit. Was sollte aber an deren Stelle gesetzt werden? Etwa eine neue verbesserte Auflage einer Reichskonstitution an Stelle der Kremsierer Verfassung? Sie war als ein den historischen und staatsrechtlichen Grundlagen Österreichs zuwiderlaufendes Werk unter seiner Mitwirkung ins Grab gelegt worden; eine Auferweckung derselben, wenn auch mit einem etwas veränderten neuen Leibe, war von einem Manne wie Bach nicht zu erwarten“130.

Die Lösung lag also im Vorbild Tirol. In der alten ständischen Tiroler Verfassung war eine Vertretung von Abgeordneten aller vier Stände: Klerus, Adel, Städte und Landbevölkerung – mit gleicher Stimmenanzahl für alle vier Stände, was nach dem Plan Bachs für einzelne der Kronländer abgeändert werden sollte131. Damit wäre die historische Kontinuität in irgendeiner Weise gewahrt gewesen. So berichtet uns Meyer. Doch die Frage erhebt sich, ob nicht viel eher noch das Vorbild der Zentral- und Provinzialkongregationen, die im lombardisch-venezianischen Königreich seit 1815 bestanden, für die Idee der Landes- und Kreisausschüsse Pate standen132.

Selbstverständlich blieben, da die „Landesvertretungen“ in den bürokratischen Rahmen des Neoabsolutismus eingebettet wurden, die Länder von der gesetzgebenden Gewalt so gut wie ausgeschlossen, die Regierung lag beim Statthalter, dem persönlichen Vertreter des Kaisers im Land133 (dessen Aufsicht dem Innenminister zustand) mit dem Ernennungsrecht aller Beamten der öffentlichen Administration, Justiz, Finanz und Polizei. Für den Widerstand Brucks, was die Finanzgewalt in den Ländern betraf, und seine erbitterten Versuche, diese in seine Hände zu bekommen, legen die Protokolle über die Wirkungskreise der (General)gouverneure in Ungarn und Lombardo-Venetien Zeugnis ab134.

In den „Grundzügen vom 3. Juli 1854135 – und von ihnen soll zunächst die Rede sein – war die gesamte Landesvertretung als ein Gremium aus drei Formationen gedacht: der allgemeinen Landesversammlung, dem großen Landesausschuß und dem engeren Landesausschuß. Die Landesversammlung wurde in diesen Grundzügen als rein repräsentatives Gremium definiert, das nur gelegentlich vom Kaiser aus „besonderen Gelegenheiten und Voraussetzungen einberufen“ werden und expressis verbis auf die Beratungen der Landesangelegenheiten keinen Einfluß nehmen sollte136. Planung der Gestalt und || S. 29 PDF || Wirkungskreise der Ausschüsse wirken recht umständlich: Sie sollten rein ständisch zusammengesetzt sein. Die großen Ausschüsse bestehend aus zwölf bis 48 Mitgliedern – je nach Land, – hatten nur auf Ah. Aufforderung am Sitz der Statthalterei zusammenzutreten137. Die engeren Ausschüsse – bestehend aus vier, sechs oder acht Mitgliedern, die vom Kaiser ernannt wurden – hatten dem „Statthalter bleibend zur Seite zu stehen“138. Damit wären im eigentlichen die engeren Ausschüsse delegiert gewesen, die Geschäfte zu führen. Sie waren aufgefordert, in Landesangelegenheiten „aus eigenem Antrieb Vorschläge zu erstatten“, doch nur durch die Statthalterei und ohne mit irgendeiner Behörde außer mit dem großen Ausschuß unmittelbar in Verbindung zu treten139. Die Kompetenzen dieses verwaltenden Ausschusses beschränkten sich auf die Administration des Landesvermögens und die Landesanstalten, und sogar die Beschlüsse, die diesbezüglich gefaßt werden konnten, bedurften der kaiserlichen Bestätigung140. Es waren also alle nur erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen eingebaut, daß die Landesvertretungen einen nur bürokratischen und nicht den geringsten konstitutionellen Anstrich gewinnen sollten.

Diesbezüglich sehr ähnlich präsentiert sich das organische Statut, das Bach 1856, zwei Jahre später, der Ministerkonferenz vorlegte141. Die Landesvertretung war freilich nur mehr zweiteilig angelegt. Im Grunde war das (im früheren Entwurf von 1854 vorgesehene) feierliche Gremium der Landesversammlung (ohne Beratungsfunktion) weggefallen: Das beratende, nur zeitweilig sich versammelnde Gremium sollte (in den meisten Ländern) Landtag, der ständige Ausschuß „Landesverordnetenkollegium“ heißen142. Ansonsten war auch in den der Ministerkonferenz vorgelegten Entwürfen von 1856 ein enges bürokratisches Korsett vorgesehen (auch wenn die Formulierungen etwas freundlicher klingen): geringe Kompetenzen, Beratung unter dem Vorsitz eines wachsamen Statthalters (§ 9 und § 14) und Ernennung der Mitglieder durch den Kaiser (§ 10), die noch dazu keine Möglichkeit hatten, selbständige Beschlüsse zu fassen, ließen keinen Spielraum für die Entfaltung einer Selbstverwaltung der Kronländer.

Der von Bach vorgelegte Entwurf hatte die Vorschläge keineswegs zugunsten der Länder verbessert. Allerdings wurde das Gremium flexibel gestaltet143: Die Funktionsdauer der Mitglieder wurde auf sechs Jahre begrenzt. Die Hälfte aller Mitglieder wurde alle drei Jahre erneuert, die Mitglieder der Kreisausschüsse waren allerdings nach Ablauf der sechsjährigen Funktionsdauer wieder wählbar. Die Mitgliedschaft zu den Landesvertretungen war stark eingeschränkt. Abgesehen von den Würdenträgern, die Kraft ihres || S. 30 PDF || Amtes (es waren Bischöfe und Universitätsrektoren vorgesehen) berufen wurden, mußten die Mitglieder (wie erwähnt) auf Vorschlag der „berechtigten Stände“ vom Kaiser ernannt werden, die Mitglieder der ständigen Ausschüsse – als minimale parlamentarische Komponente von der Landesvertretung gewählt – vom Kaiser bestätigt werden. Die Mitglieder mußten die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen – nur bei den bis jetzt der Landstandschaft angehörenden Besitzenden wurde bezüglich der Staatsbürgerschaft eine Ausnahme gemacht –, sie mußten männlichen Geschlechts sein, der katholischen (oder einer anderen im Kaisertum anerkannten Religion) angehören, die bürgerlichen Rechte genießen und das 30. Lebensjahr vollendet haben. Des Verbrechens oder Vergehens verdächtige oder im Konkurs befindliche Männer konnten ebenfalls nicht der Landesvertretung angehören (bis sie nicht für schuldlos erklärt wurden).

Außerdem wurde den Mitgliedern der Landesvertretung ein quasi-bürokratischer Status verliehen, indem sie (wie Beamte) dem Kaiser „Treue und Gehorsam, Beobachtung der Gesetze und gewissenhafte Erfüllung der Pflichten eidlich in die Hände des Präsidenten zu geloben“ hatten.

Die Wirkungskreise, sowohl jener der „beratenden Körperschaft der Landesvertretung“ als auch des „ständigen Ausschusses“ waren genauestens umschrieben, ebenso wie die Geschäftsbehandlung der beiden Gremien.

Nach dem Plan Bachs sollte die Verwaltung aller Landesinteressen – und die Bezahlung derselben – den neuen Landesvertretungen unterstehen (§ 19). Dieser Modus, der vielleicht an eine Art der „Selbstverwaltung“ erinnern sollte – hatte die für das Ärar angenehmen Nebenerscheinung, daß die Zentralstellen in Wien durch diese Art der „Selbstverwaltung“ erheblich entlastet wurden.

Das Programm, das der Ministerkonferenz vorgelegt wurde, hielt sich – dem Urteil Hugelmanns ist wohl zuzustimmen144 – an die Grundlinien vom 3. Juli 1854. Den Behördenkompetenzen entsprechend blieb Bach auch kaum eine andere Wahl. Kübeck bzw. der von ihm geleitete Reichsrat dürften doch die Fäden bezüglich der Reorganisierung des Reiches in den Händen gehabt haben oder zumindest Innenminister Bach Widerpart geboten haben, wenn auch Kübeck seinem Feind Bach in diesen Jahren den größten Einfluß auf den Kaiser zuschreibt145. Die Gegenwehr in der Verfassungsfrage Bachs war allerdings beträchtlich. Eine Sitzung der Organisierungskommission über die Gemeindeverfassung vom 2. Juni 1854 wird vom Vorsitzenden Kübeck folgendermaßen beschrieben: „Organisierungskommission – Gemeindeverfassung. Heftiger Konflikt zwischen dem Minister Bach und Reichsrat [Philipp] Krauß, den ich zu beschwichtigen suchte, der aber gleichwohl auf Bach so einwirkte, daß ihn eine Üblichkeit anwandelte, in folge deren [sic!] die Sitzung aufgehoben werden mußte. Kränkung der bereits sich übernehmenden Eitelkeit!“146. Und einige Tage später klagt Kübeck über die „erbärmliche Ungezogenheit des Ministers Bach“ in einer Sitzung der Organisierungskommission über dieselbe Angelegenheit147.

Die Zahl der Landtagsmitglieder wurde streng bemessen und ist der Weisung der || S. 31 PDF || Grundzüge angepaßt. Sie sollte nicht weniger als 12 und nicht mehr als 48 betragen. In den kleinsten Ländern, Salzburg und Bukowina, waren tatsächlich nur 14 vorgesehen, in Siebenbürgen dagegen 50, in Böhmen 56. In den anderen Kronländern bezifferte sich die Zahl der Landtagsmitglieder folgendermaßen: Dalmatien 16, Kärnten 18, Krain, Küstenland, Schlesien 20, Steiermark 26, Oberösterreich 28, Krakau 30, Kroatien, Großwardein 34, Mähren 36, Banat 30, Niederösterreich, Kaschau 40, Ödenburg 44, Ofen 46, Lemberg 46, Preßburg und Tirol 48148.

Die ständische Gliederung des Landtages war folgendermaßen eingeteilt: 1. kirchliche Würdenträger und Vorsteher geistlicher Korporationen; 2. begüterter Adel und sonstiger landtäflicher Gutsbesitz; 3. landesfürstliche Städte und Märkte; 4. Landgemeinden149. Die ständische Gliederung war, wie wir aus der folgenden Aufstellung entnehmen, in den einzelnen Ländern sehr verschieden150:

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Das Organisierungswerk rief offensichtlich bewegte Emotionen hervor. Ob die Parteiungen zwischen Reichsrat und Ministerkonferenz tatsächlich so fein säuberlich in revolutionär und konservativ zu teilen waren, wie Kübeck dies sehen wollte? „Wir gehen in || S. 32 PDF || zwei Strömungen, der revolutionären und der konservativ reformierenden. Das Ministerium [gemeint ist die Ministerkonferenz] steuert in der ersteren, der Reichsrat in der letzteren“, so kennzeichnet Kübeck trübe die „dermalige zerfahrene Regierungsweise“, als der Kaiser ihn zum Nachdenken über eine Erweiterung des Reichsrates aufforderte151. Über welche Details der Gemeindeverfassung im speziellen der ehemals liberale Minister und nun angeblich konservative Reichsrat Philipp Krauß und der ehemalige liberale und nun angeblich revolutionäre Minister Bach, sich so überworfen hatten, verrät uns Kübeck nicht. Es hätte uns einige Indizien geliefert, wie die Fronten tatsächlich verliefen und wir wären nicht auf die Pauschalurteile Kübecks angewiesen.

Mit dem „organischen Statut“ wurden Landesstatute für alle 18 Kronländer – mit Ausnahme des lombardisch-venezianischen Königreiches – und ein „Statut über die Landeswürden“ fertiggestellt und gemeinsam mit einer „tabellarischen Zusammenstellung des Inhalts der sämtlichen Landesstatute“ am 24. Juni 1856 der Ministerkonferenz zur Besprechung vorgelegt152. Gleich zu Beginn wurde mitgeteilt, daß für das lombardisch-venezianische Königreich keine Landesausschüsse vorgesehen waren. Allerdings bestanden die Zentral- und Provinzialkongregationen in Lombardo-Venetien in einer bescheidenen Form bereits seit 1855153, und eine ebenso bescheidene Erweiterung ihrer Wirkungskreise wurde bald nach dem Abschluß der Diskussion über die Landesvertretungen der Ministerkonferenz vorgelegt154.

Die Diskussion über das „organische Statut“ in der Ministerkonferenz verlief zu Beginn müde und erschöpfte sich in stilistischen Verbesserungsvorschlägen. Thuns Vorschlag, „das männliche Geschlecht“ als „Erfordernis“ für die Aufnahme in die Vertretung eines Landes im Entwurf „als selbstverständlich“ wegzulassen, nimmt sich in dieser eher lustlosen Debatte fast dramatisch aus. Das Anliegen wurde von ihm nicht weiter verfolgt, als Bach ihm erklärte, daß „in Ungern früher auch Frauenspersonen des Magnatenstandes“ landtagsberechtigt waren, allerdings nur, wenn sie sich von einem Mann vertreten ließen. Es war von Thun nicht ideologisch gemeint: Geschlechterdifferenz war für ihn kein Diskussionsgegenstand.

Als weltanschaulich interessanter ist dagegen der gemeinsame Vorstoß von Handelsminister Toggenburg, Justizminister Karl Krauß und Finanzminister Bruck gegen die Bestimmung aufzufassen, die Landesvertretung könne „zur Förderung der Wohlfahrt des Landes“ gerichtete Bitten entweder „unmittelbar oder auch durch den Minister des Inneren dem Kaiser zur Kenntnis bringen155, mit dem Bedenken, die Landesvertretungen würden „auch die bedenklichsten Vorschläge“ zum Gegenstand ihrer Diskussion und „der vor den Ah. Thron zu bringenden Bitten“ machen können, und jenen Charakter annehmen, den die ständischen Landtage im Jahr 1848 gehabt hatten. Ein erstaunliches Argument gerade für reformerisch eingestellte Minister wie Bruck und auch Karl Krauß! Sprach hier die Furcht der modernen Zentralisten vor einer Wiederkehr der altertümlich konservativen Landtage?

|| S. 33 PDF || Die „beratenden Kreis- und Landesausschüsse“, zusammengesetzt aus den jeweiligen „Ständen“, d.h. Vertretern der einflußreichen sozialen Schichten, so enttäuschend beschränkt ihr Wirkungskreis und ihre Einflußzone waren, hätten, wären sie jemals ins Leben getreten, die Landesbedürfnisse – gegen die zentralistischen Einheitsinteressen der Regierung – in irgendeiner Form zur Geltung bringen und als gesetzlich zugelassenes Forum eines Kronlandes der Brennpunkt von Landesinteressen sein können. Nationale Überlegungen, etwa für gemischtsprachige Gebiete, das sei hinzugefügt, spielen bezeichnenderweise für die Ideologen des neoabsolutistischen Reichssystems überhaupt keine Rolle. Davon soll später die Rede sein.

Ministerkonferenz und Landesstatuten - Retrodigitalisat (PDF)

Zusammen mit dem organischen Statut wurden ein Entwurf „zum Statut über die Landeswürden“ und 18 Landesstatuten für die einzelnen Kronländer vorgelegt156. Diese Statuten waren, wie erwähnt, in den einzelnen Ländern von einer speziell dafür eingesetzten Landeskommission157 beraten worden; die Mitglieder waren vom Kaiser mit Ah. Entschließung vom 18. März 1855 ernannt worden158. Die ausführlichen Bestimmungen über die Aufgaben dieser Kommission umreißen die Funktion der Landeskommission eindeutig: Sie hatten „den Landeschefs zur Seite zu stehen“, und „ihnen mit ihren speziellen Landeskenntnissen und Aufklärungen das Gutachten zu erleichtern, welches zum Behufe der Ergänzungen und allfälligen Modifikationen des von Sr. Majestät in allen Hauptrichtungen bereits genehmigten und festgestellten Entwurfes über die künftigen Landesvertretungen erstattet werden sollte“159. Die Handlangertätigkeit der Landeskommissionen für den Ausbau des zentralistischen Modells kommt damit deutlich zum Ausdruck. Allerdings wurde in der Zusammensetzung der Kommissionen in einer eingeschränkten Form auch den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung getragen: Wir finden neben Repräsentanten des großen auch die des kleinen Grundbesitzes, neben den Bürgermeistern der Städte auch die Vertreter der Handels- und Gewerbekammern160.

Die Kommissionen berieten das jeweilige Landesstatut und das Statut über die Landeswürden eingehend – nach den vorgeschriebenen Instruktionen161. Die von den Landeskommissionen entworfenen Landesstatuten wurden, wie erwähnt162, vom Ministerium || S. 34 PDF || des Inneren redigiert und deckten sich mit den der Ministerkonferenz vorgelegten nicht163. Allerdings dürften sich die Ministeriumsbeamten bei der Darstellung der historischen Entwicklung weitgehend auf das von den Landeskommissionen vorgebrachte Material gestützt haben. Die Geschichte diente ihnen in jedem Fall zur Rechtfertigung der Vorschläge des Ministeriums; ein nicht unbekanntes Phänomen in der Politik!

Bei diesen von Bach den Ministerkollegen vorgelegten 18 Landesstatuten verlief die Diskussion zunächst kaum bewegter164 als die über das organische Statut. Der Entwurf für Ungarn erntete allerdings Kritik. Dem Protestanten Bruck fehlte in der Landesvertretung die protestantische Geistlichkeit (die im übrigen für die Siebenbürgische Vertretung sehr wohl vorgesehen war). Bruck reklamierte sie in die „Landesverfassung“ für Ungarn hinein, wogegen sich der Minister des Inneren Bach und der Minister des Kultus Thun heftig wehrten – einerseits aus Traditionsgründen, andererseits weil sie die Fertigstellung des Protestantenpatents165 abwarten wollten166. Bruck sprach als einziger aus, was von allen anderen elegant verschwiegen wurde – und damit deklarierte er sich als Fremder –, daß man nämlich „durch die Landesvertretung in Ungarn etwas schaffe, was nie dagewesen“167, womit der Bezug auf die Tradition seiner Meinung nach hinfällig war. Bezüglich Ungarn war man, was in den anderen Fällen noch bemäntelt werden konnte, augenfällig von jedem historischen Recht abgewichen. Anstatt die Verfaßtheit des alten ungarischen Landtags zu problematisieren – wozu man von habsburgischer Seite her gesehen einige Begründung hatte –, sollten aus Ah. kaiserlicher Gnade und Machtvollkommenheit für die fünf Verwaltungsgebiete des Königreiches Ungarn gewährte Vertretungen ins Leben gerufen werden, die als beratende Körperschaften auf ständischer Gliederung beruhend, die „vorwaltenden berechtigten Interessen“ in den einzelnen Verwaltungsgebieten wahrzunehmen und „zu deren Förderung mit ihrem Beirat mitzuwirken“ hätten168. – Als Grund für den Verlust des Landtags, der traditionsgemäß für die Ungarn die Einheit des Landes verkörperte, wurde die gängige Verwirkungstheorie angegeben: Strafe für die „durch Empörung und Revolution rechtlich verlustig gewordenen und außer Kraft getretenen konstitutionellen Einrichtungen!“169 In diesem Zusammenhang verdient auch die historische Präambel, die dem eigentlichen Gesetz über das Landesstatut für Ungarn vorangestellt war, einer Erwähnung. Ohne auf die Verfassung, das alte historische Recht Ungarns, einzugehen, das dem ungarischen Landtag gemeinsam mit dem König Teilnahme an der gesetzgebenden Gewalt verbriefte, wurde lediglich mit der Zeit Josephs II. und der Aufhebung dieser || S. 35 PDF || Rechte durch den König argumentiert und die „Standesinteressen“ der „allein bevorzugten Stände der Geistlichkeit und des Adels“ betont, die durch die „segensreichen Institutionen Kaiser Josephs“ aufgehoben worden waren170. Damit war das wesentliche Ziel der Landesstatuten im allgemeinen berührt.

Am Beispiel Ungarns wird die Absicht des geplanten Gesetzes über die Landesstatute besonders deutlich: nämlich die historische Einheit der Länder zu schwächen, mit der Zeit aufzulösen, im speziellen Fall Ungarns – zu zerschlagen. Der einzige Grund für die Einheit des Königreiches Ungarn, der diesen Tendenzen entgegenstand, stellte paradoxerweise das sehr persönliche Interesse eines Habsburgers, nämlich der „Wirkungskreis des Generalgouverneurs“ Erzherzog Albrecht171 dar, der für das gesamte Königreich galt und auf den „Rücksicht zu nehmen“ war172. Die Person und der Wirkungskreis des Erzherzogs waren es, die verhinderten, daß „nicht für jedes Verwaltungsgebiet ein eigenes Statut über die Landesvertretung“, sondern ein einziges Landesstatut für das Königreich geltend für alle fünf Statthaltereiabteilungen – entworfen wurde und daß letztlich die „ideelle Einheit und Ungeteiltheit dieses Königreiches Ungarn“ durch den I. Artikel des Statuts gewahrt und ausgedrückt wurde, indem alle physischen und moralischen Personen aufgezählt wurden, die in Ungarn „im allgemeinen zur Teilnahme an der Landesvertretung überhaupt berechtigt“ waren173.

Thun nahm in der letzten Sitzung über dieses Thema am 15. Juli 1856 174 den Diskussionsbeitrag Brucks noch einmal auf, um sich auf grundlegende Erörterungen einzulassen, und damit wurden auch – in der letzten Sitzung über die Landesstatuten, gleichsam in der letzten Stunde – die Intentionen des Gesetzes dargelegt. Thuns Ausgangspunkt war der Vorschlag, „Landtag“ anstelle des so umständlich klingenden Terminus „Landesvertretung für jedes Verwaltungsgebiet“ zu verwenden, da ja früher im Deutschen für die ständische Versammlung „Reichstag“ gewählt worden war. Der Vorschlag wurde von Bach mit der Begründung abgewiesen, daß ország im Ungarischen bekanntlich Reich und Land bedeute, daß also der ungarische Ausdruck ország keinen Unterschied zwischen Reich und Land markiere und daher nicht in Frage komme.

Dem konservativen Föderalisten Thun waren die nationalen Empfindlichkeiten, besonders in Ungarn und Siebenbürgen, offenbar klar, als er empfahl, „von dem Bestandenen, so weit es tunlich ist, nicht abzugehen“175. Bach stellte sich der Diskussion und legte sein Konzept in erstaunlicher Offenheit dar. Was Thun (u. a. auch in Zusammenhang mit der Vertretung der Konfessionen) reklamierte, so Bach, repräsentiere den „Grundsatz der Sonderung der Nationalitäten“. Sein, Bachs Weg, wäre aber – von den üblen Erfahrungen des Jahres 1848 belehrt – ein anderer, nämlich der der „Verschmelzung der Nationen“. Darauf beruhe sein Verwaltungsaufbau: Einteilung in Kreise || S. 36 PDF || „ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der Nationen“, die „Unterstellung der Bevölkerung unter gleiche Verwaltungsbehörden, unterstützt von den Fortschritten der Zivilisationen“. Darauf beruhe auch sein Vorschlag für die Landesvertretung: Es handle sich „um eine Vertretung der materiellen Interessen des Landes, nicht um eine Vertretung der Nationalitäten“. Es sei daher zweckmäßig, wenn bei der gesetzlichen Bestimmung über die Zusammensetzung der Landesvertretung selbst der Schein einer Nationalvertretung vermieden“ werde. Man habe die nationalen Elemente nicht übersehen, sondern sich bemüht, „ein gewisses Gleichgewicht unter den Nationen herzustellen, und wo etwa bei einem Stande eine Superiorität für eine Nation bestünde, dieselbe durch ein Gegengewicht in einem anderen für die übrigen auszugleichen gesucht“176. Sehen wir von dem grundlegenden Fehler ab, daß er die konstitutionellen Wünsche der Zeit nicht berücksichtigte, so ist es ein für die damalige Zeit modern anmutendes Staats-und Nationalitätenkonzept, das Bach hier theoretisch und praktisch anbietet: Nicht Segregation, sondern Integration der Nationalitäten, durch verwaltungstechnische und gesetzliche Verschmelzungs- und Ausgleichspolitik – allerdings ohne Selbstbestimmung. Man hatte im übrigen „das Ganze des Reiches“ im Auge. Dies wird auch in der Diskussion über das neue Reichswappen177 seher deutlich. Für das Landeswappen plante Bach „als Herzschild den kaiserlichen Reichsadler“, das für alle Länder gleichermaßen zu fungieren hatte178. So gestaltet wäre es seiner Meinung nach geeignet, „der Idee der vollständigen Inkorporierung der nicht bloß einen föderativen Staat bildenden Kronländer in das gemeinsame Reich gehörigen Ausdruck zu geben.“

Dem entsprach auch das Gesellschaftskonzept, das in den Statuten zum Ausdruck kommt, weitgehend, das, im großen und ganzen auch dem neuen Bürgertum gewissermaßen Rechnung trug. Bachs Worten zufolge, sollte eine Gesellschaft geschaffen werden, in der auch der Adel als erster Stand keine politischen Vorrechte genießen sollte, weil auch die anderen keine genössen, so Bachs Antwort auf einen anderen Vorstoß Thuns, dem alten Erbadel bestimmte Vorrechte einzuräumen179.

Es war ein logisch bestechendes „Verwaltungs- und Verfassungsgebäude“ mit bürokratischer Konsequenz durchdacht, das Bach vorgelegt hatte. Doch die Wirklichkeit war anders und – was Bach offenbar nicht durchdachte – ohne die Tendenzen der Zeit berechnet. Das Konzept passierte zwar noch gerade die Regierung gegen die heftigen Bedenken Thuns, der Einspruch dagegen erhob, auch wenn er, so argumentierte er wörtlich, mit den „Ah. sanktionierten Grundzügen vom 31. Dezember 1851“ nicht im Einklang stünde, ein Anspruch, der wie eine revolutionäre Fanfare geklungen haben mochte180. Doch dann blieb der Entwurf liegen und die Frage der Landesvertretungen wurde erst 1859 wieder der Vergessenheit entrissen181. Doch zu diesem Zeitpunkt war es für eine nur „beratende Körperschaft“ in den Ländern bereits zu spät. Nach dem für Österreich unglücklichen Ausgang des Krieges gegen Piemont-Sardinien und Frankreich || S. 37 PDF || war an „Ländervertretungen“ – eingebettet in den absolutistischen Verwaltungszentralismus – nicht mehr zu denken. Bachs großes Projekt, durch die Zerschlagung der historischen Individualitäten ein „einheitliches Österreich“ zu schaffen, war gescheitert. Wir müssen ihm zubilligen, daß er sich damit, verglichen mit den alten, ständischen Konzepten, die noch nach 1848 vorgelegt worden waren, für das moderne Prinzip des Einheitsstaates entschieden hatte. Offenbar hatte er jedoch die Schubkraft der konstitutionellen Wünsche, die trotz der Niederschlagung der Revolution immer noch vertreten waren, unterschätzt.

Zentralismus und Föderalismus, „Zentralisierung“ und „Dezentralisierung“ waren Schlagworte, die die politische Diskussion (soweit von dieser in den Jahren des Neoabsolutismus überhaupt die Rede sein kann) beherrschten. Die damals debattierte „Dezentralisierung“ war zweifelsohne mit dem Gedanken des Wiederauflebens der alten Landtage – und damit der alten Stände – verbunden. Deutlich kommt dies in Viktor v. Andrian-Werburgs anonymer Schrift „Centralisation und Decentralisation in Österreich“ aus dem Jahr 1850 zum Ausdruck182. Wenn Andrian darin von dem Grundsatz einer strikten Zweiteilung zwischen diesen beiden Gegenpolen ausgeht: zwischen Regierung des Reiches, die einer Zentralgewalt vorbehalten zu bleiben habe, und der „gesamten Administration“ des Landes, die den Statthaltern „in Verbindung mit den Landtagen“ zu übertragen wäre, so geht er dabei – in einer etwas modifizierten Form – von der Institution der alten Landtage mit ständischer Vertretung aus.

Das oberste Prinzip dieser Konstruktion war die Verantwortlichkeit der Statthalter „in allen administrativen und Landesangelegenheiten“ und Verantwortlichkeit gegenüber dem Ministerium (und dem Monarchen) in allen „Regierungs- und Reichsangelegenheiten“183 einerseits und Ah. Sanktion jedes Landtagsbeschlusses andererseits. Die Regierung der Kronländer wäre wohl, wie Andrian meint, dem Zugriff der Zentralgewalt entzogen und die Autonomie der Länder weitgehend gewahrt worden. Doch hätte die Praxis funktioniert? Regierung und Verwaltung wären nur schwer durchführbar gewesen: Andrian hatte nur der einen Verantwortungsinstanz, nämlich dem Ministerium (genau dem Innenministerium) und nicht auch der zweiten, den Landtagen, das Recht der Absetzbarkeit des Statthalters zugestanden. Angesichts der nicht gerade loyalen Haltung der Länder gegenüber der Wiener Regierung und der nationalen Wünsche einer Reihe der Kronländer hätte die zweigeteilte Verantwortung des Statthalters zweifelsohne sehr bald zu unabsehbaren Zwistigkeiten zwischen Zentralgewalt und Kronländern geführt. Die Rolle eines „Special-Ministers“ für die inneren Landesangelegenheiten des jeweiligen Kronlandes, die Andrian den Statthaltern damit zuteilte184, wäre unhaltbar gewesen. Am Rande sei dazu bemerkt, daß in den ersten föderalistischen Entwürfen für die Landesvertretungen des Jahres 1860 (im Oktoberdiplom) davon ausgegangen wurde, einen vom Kaiser ernannten Landeshauptmann mit der Leitung des Landtags zu betrauen185, somit den Vorstand der politischen Landesbehörde, den Statthalter, nicht mit diesem Amt zu belasten.

|| S. 38 PDF || Die Landesgewalt sollte nach Andrian aus der Landesgesetzgebung (beim Landtag) bestehen, für das Landesbudget und die vollziehende Landesgewalt sei der Statthalter zuständig186. Folgende Kompetenzen sollten dem Landtag in legislativer und dem Statthalter in administrativer und exekutiver Hinsicht – und damit dem Landesbudget in finanzieller Hinsicht – zugeteilt sein187: „1. die Landesbeamten, 2. das Sanitätswesen, 3. Landespolizei, 4. die Konskription, 5. das Armenwesen, 6. das Schulwesen (außer Universitäten, Akademien und Reichsanstalten), 7. Kultusangelegenheiten, 8. Strafhäuser, Arrest- und Gerichtsgebäude, 9. das Forstwesen, 10. Ackerbau- und Landeskultur, 11. Landesstraßen, 12. Erhaltung der Reichsstraßen, 13. Wasserbauten, 14. Vorspann, Einquartierung, überhaupt alle Naturalleistungen an das Militär, 15. Sparkassen, Leihanstalten, Hypothekenanstalten, 16. das gesamte Gemeindewesen, 17. das Gewerbewesen – und 18. „überhaupt alles, was die speziellen Interessen des Kronlandes betrifft.“

Dies war verglichen mit den Wirkungskreisen der Länder, die in den Landesstatuten verankert waren, unvergleichbar weitreichender und hätte sicherlich eine Schwächung der Zentralgewalt bedeutet. Gegen Bachs Intentionen war die Flugschrift Andrians vermutlich auch gerichtet. „Ich begreife es vollkommen“, so lesen wir bei Andrian, „daß es für einen tätigen, seiner Kraft und seines guten Willens bewußten Staatsmann etwas Lockendes hat, von der Bukowina bis Mailand, von Cattaro bis Teplitz einen Gedanken (den seinigen) zur Ausführung zu bringen und 38 Millionen Menschen wie Gliederpuppen an einem Drahte zu bewegen.“ Gegen solche Verfassungsvorstellungen ständischer Natur war zweifelsohne Bachs Ausspruch gerichtet, an ein Wiederaufleben der ständischen Verfassung wäre nicht zu denken188.

Bach wurde – ebenfalls publizistisch – Hilfe geleistet. Franz Graf Hartig, der konservative Beamte, der früher Gouverneur der Lombardei gewesen war, verfaßte ebenso anonym wie Andrian eine Flugschrift unter dem Titel „Zwei brennende Fragen in Österreich“189, in der er sich eingehend mit der Frage der Landesvertretung auseinandersetzte und zu dem Schluß kam, daß die bevorstehende Kreierung der Landes- und Bezirksausschüsse (er spricht nicht von Kreisausschüssen, wie eigentlich im Silvesterpatent vorgesehen) als „Beirat vertrauenswerter, außer der Bürokratie stehender Männer“ ausreichten, „die vormärzlichen Landstände“ vollkommen zu ersetzen190. Letztere sah er sogar als gefährlich für „die Interessen Gesamt-Österreichs“ an191. Landesausschüsse aber würden übrigens, so Hartig, „auf die dermal einzig zulässige Weise auch die Autonomie der einzelnen Kronländer und die Nationalität ihrer Landesangehörigen sicherstellen“192. Hartig erfaßte auch das Grundproblem des Habsburgerreiches: Die „Zeitbewegung Nationalismus, Konstitutionalismus“ sei in „diametralem Widerspruch“ mit der großen Aufgabe Kaiser Franz Josephs, „alle Lande und Stämme der Monarchie zu einem großen Staatskörper zu vereinigen“193 und: „Eine jede Beschränkung || S. 39 PDF || des kaiserlichen Willens, sei es durch Volksvertretung, sei es durch Landstände, würde sie unmöglich machen.“ Die nationalen Interessen würden außerdem im österreichischen (zentralistischen) System weit mehr berücksichtigt als im Repräsentativsystem, was im Wissen um alle späteren Entwicklungen in Österreich auch stimmte. Die Nationalitätenfrage war bei den vom direkten Nationalitätenhader entfernteren bürokratischen Zentralbehörden besser aufgehoben als bei den näheren Landesbehörden, von denen die divergierenden Interessen selbst intensiver erlebt wurden194.

War diese Schrift von Bach bestellt? Tatsächlich dürfte vor Ausführung der „organischen Einrichtungen“, wie sie im Silvesterpatent angekündigt wurden, der Ausgang der Entwicklung noch offen gewesen sein. Die Frage, ob der Weg letztendlich zum „französischen Zentralismus“ oder zum „österreichischen Föderalismus“ führen würde (so die Diktion der Zeit), wurde von Zeitgenossen wahrgenommen und eifrigst verfolgt195. Der steirische Liberale Moritz v. Kaiserfeld allerdings beurteilte die rein „konsultativen Körperschaften“ 1854 (als die Grundzüge über die Physiognomie der künftigen Landesvertretungen in der „Oesterreichischen Korrespondenz“ erschienen) sehr vorsichtig. Die Landesvertretungen hätten „wahrer Ausdruck der Wünsche des Landes zu sein“, ansonsten würden sie mehr schaden als nützen; denn, so Kaiserfeld, die „Beschäftigung mit bloß lokalen und provinziellen Gegenständen ist nicht geeignet, in den Landtagen die Einsicht von der Notwendigkeit der Einheit, das Gefühl für Zusammengehörigkeit, ein sogenanntes ,österreichisches Bewußtsein‘ zu erzeugen“, und er proklamierte eine Reichsvertretung, wobei er gegen die „irrtümliche Idee“ zu Felde zog, „daß für österreichische Verhältnisse die Grundsätze des doktrinären Konstitutionalismus nicht anwendbar“ seien und nur der reine Absolutismus den gangbaren Weg darstellte. „Als ob das Richtige nur in den Extremen liege“, klagte Kaiserfeld196.

Bach selbst setzte in den Ministerkonferenzen vom Juni/Juli 1856 seine Vorstellungen über die Landesvertretungen sehr genau auseinander197: Abbau der Nationalismen durch Einebnung, Gleichmachen, Integration und Schaffung eines Einheitsstaates gemäß dem propagierten Modell der Zeit nach westeuropäischem Muster, das seinen Siegeszug in Europa angetreten hatte!

Wie stand Bach in den 50er Jahren zum Konstitutionalismus? Die Ministerkonferenz war sicher nicht der Ort, eventuelle konstitutionelle Absichten zu deklarieren, und Bach selbst äußerte sich in den Jahren seiner Ministerschaft nicht zu diesem Thema. Bernhard Ritter v. Meyer, Bachs Mitarbeiter im Innenministerium, meinte, Bach habe in Fortführung der Landesvertretungen an die Institutionalisierung eines „Reichskollegiums“ gedacht, nach Art eines Herrenhauses, das ebenso konsequent in das bürokratisch-zentralistische System eingebunden sein sollte wie die Landesvertretungen198; er || S. 40 PDF || hätte beabsichtigt, aus Mitgliedern der Landesvertretungen eine Reichsvertretung zu bilden. Bach selbst kommentierte erst Jahrzehnte später, 1893, in einer Zeit also, als längst der Konstitutionalismus auch in Österreich den Sieg davongetragen hatte, sein neoabsolutistischen Reformwerk: Es sei „die Aufgabe der Gegenwart“ gewesen, so betonte er, durch eine gute Verwaltung für eine parlamentarische Zukunft vorzubereiten. Auf die Landesstatuten bezogen, sagte er expressis verbis: „Wir hatten durchaus nicht die Absicht nach einem absoluten Regime. Ich arbeitete persönlich die neuen Landesordnungen aus. Ihr Geist lebte in der Februarverfassung fort, Schmerlings Mitarbeiter gestanden mir, daß man sie aus den Archiven holte, als eine neue Zeit die Ausarbeitung der heute noch giltigen Verfassung gebot. Wir aber konnten sie nicht ins Leben treten lassen, der partikularistische Geist war viel zu mächtig … Wir dachten an keine Bevorzugung eines Volksstammes; jede Nation sollte die gleiche Rücksicht finden; die deutsche Sprache erschien uns als ein Verkehrsmittel, wie es das Französische für die Diplomaten, das Lateinische für die alte offizielle Welt gewesen ist. Ein einheitliches Österreich war unser Ziel“199.

Der Sieg des Konstitutionalismus mag Bach dazu bewogen haben, sein eigenes Werk fast ein halbes Jahrhundert später in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Vielleicht war sein im nachhinein dargelegter Plan, das parlamentarische System langsam zu erarbeiten, ernst gemeint. Die Einheitlichkeit Österreichs ging ihm allerdings über alles. Sein logisch und konsequent ausgearbeitetes theoretisches Konstrukt von einem einheitlichen modernen Staat mit einem Staatsvolk, jedoch ohne modernen Konstitutionalismus, vertrug keine Störung durch Selbstbestimmung und Parlamentarismus.

Somit wären die Bach’schen Landesstatute als großspuriger Versuch abzutun, mit nicht mehr zeitgemäßen Mitteln eine Modernisierung durchzuführen, ein Unternehmen, das früher oder später zum Scheitern verurteilt sein mußte? Paradoxerweise – und damit enthalten die Bach’schen Landesstatute eine interessante Facette – scheiterte das Konzept in der konkreten Regierungspraxis zunächst nicht daran, weil es dieses wichtige Element der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, den Konstitutionalismus, nicht zu integrieren verstand, weil es also zu traditionell und nicht zeitgemäß war, sondern weil es zu modern und gerade nicht genug traditionalistisch war. Das Bach’sche Projekt stützte sich in einem Staat, dessen Träger sich als restaurativ verstanden – im Sinn der Herstellung der legitimen Autoritätsordnung – nicht auf die „verfassungsmäßigen“ Traditionen. Er negierte also die Kontinuität der alten Ordnung – in Gestalt der alten, ständisch gegliederten Landtage. Das neoabsolutistische Konzept Bachs bedeutete also keineswegs eine rückwärts gewandte Flucht in die Formen „traditionaler Herrschaft“200, sondern stellte die – zweifellos überzogene drastische – jedoch zeitgemäße Verwirklichung eines durchstrukturierten bürokratischen Verwaltungsapparates dar, der den Staat verkörperte und in seinem Sinne Herrschaft ausübte.

|| S. 41 PDF || Damit stimmt zwar – wie behauptet wird –, daß Bachs neoabsolutistisches Modell die Identität von Staat und Verwaltung herstellte201, sein Vorbild kam aber nicht, wie ebenfalls behauptet wird, aus dem Vormärz. Aus den Argumenten, die Bach in der Ministerkonferenz und später202 verwendete, um die bürokratische Konzeption seines Staatsganzen zu verteidigen, dürfen wir schließen, er habe zwischen Verfassung und Verwaltung im Rahmen der Staatstätigkeit genau zu unterscheiden gewußt. Mit der Unterscheidung differiert aber auch seine Deutung von Verfassung und Verwaltung bereits wesentlich von anderen in Österreich auch nach 1848 noch üblichen Interpretationen, die dem aus dem Vormärz stammenden, älteren Verwaltungsverständnis gleichen, das unter Verwaltung „die Gesamtheit der Staatstätigkeit und ihrer Auswirkung auf die Gesellschaft“ umfaßt203. Dieses Begriffsverständnis setzt sich im Neoabsolutismus zunächst fort. M. v. Stubenrauchs „Handbuch der österreichischen Verwaltungsgesetzkunde“, in zweiter Auflage 1856 erschienen, behandelt im ersten Hauptstück den gesamten „Organismus der österreichischen Staatsverwaltung“, darunter auch das „Gesamtministerium“, den „Ministerrat“ und „anderweitige höchste Verwaltungsbehörden“204. Abgesehen davon, daß man deutlich die Justiz von Verwaltung ausklammerte, erscheint es durchaus zulässig zu meinen, daß man auch nach 1848 unter dem Begriff Verwaltung noch allumfassende Staatstätigkeit, ja den Staat schlechthin verstand, nicht nur einen Machtfaktor der politischen Ordnung, sondern die politische Ordnung im vormärzlichen Sinne, wobei auch noch deutlich Vorstellungen des Fürsorgedenkens des josefinischen Wohlfahrtsstaates deutlich zum Tragen kamen. Aber nicht nur die Theorie, sondern auch die Definition von Verwaltung eines unbekannten Reformers aus der Verwaltungspraxis erweckt denselben Eindruck, wenn er (ca. 1859) sagt: „Die politische Verwaltung, worunter man jene Behörden versteht, denen die unmittelbare Fürsorge für die moralischen, geistigen und materiellen Interessen der Bevölkerung anvertraut ist, bildet den natürlichen Mittelpunkt der gesamten Staatstätigkeit …“205. Doch bereits einige Jahre später dokumentierte Lorenz v. Stein, daß sich das Verwaltungsverständnis geändert hatte, wenn er meint, daß die Entwicklung des Verwaltungsrechtes „zunächst ein großer Fortschritt“ gewesen sei: „Denn nur dadurch konnte jene Ablösung der Idee und der Funktion der Verwaltung von der Verfassung, || S. 42 PDF || die sich sonst leicht nur auf der reinen Theorie bewegt hätte, einen festen und zugleich für das Leben brauchbaren Inhalt empfangen“206. Daher ist gewissermaßen in dem von uns betrachteten Zeitraum (von 1848–1867), obwohl durch absolute Regierungsformen bestimmt, trotzdem ein gewisser Bedeutungswandel festzustellen, denn gerade Stein nimmt auch dann die strenge Differenzierung im Sinne der Gewaltenteilung vor: „Im allgemeinen wird man daher das Richtige treffen, wenn man sagt, daß dasjenige, was der Staat ist, in der Lehre von der Verfassung in seinem organischen und historischen Zusammenhange gegeben wird, daß dagegen die Lehre von der Verwaltung dasjenige ist, was dieser Organismus zu tun hat“207.

In der Begriffsüberlagerung, die im Neoabsolutismus herrschte, gehörte Bachs Begriffssystem zum modernen. Es war sicherlich modernerer Art als das Schema Kübecks und Metternichs, in dem der Ausdruck „Verwaltung“ als Synonym für Verfassung (Regierung in nicht monarchischer Weise) und Verwaltung gebraucht wird208. Aus dieser Perspektive erhält Kübecks Ausspruch, Bach sei ein Revolutionär209, einige Berechtigung. Kübeck und Metternich dagegen versuchten, an die vormärzlichen Traditionen anzuknüpfen210. Bachs staatliches Herrschaftskonzept war bürokratisch „rationalen“ Charakters211.

Aus der Problemstellung, die sich nach der Niederschlagung der Revolution ergab, einerseits den Neubau durchzuführen, andererseits die Kontinuität der althergebrachten legitimen Ordnung zu demonstrieren (obwohl diese ihre Brüchigkeit zur Genüge der Welt zur Schau gestellt hatte und daher zur Integration in das neue System nicht sehr geeignet war), hatte Bach sich für den Neubau ohne Traditionen entschieden.

Die Verwirklichung der von ihm favorisierten Landesstatuten – und dies stellt das eigentliche revolutionäre Element dar – hätte tatsächlich die historischen Individualitäten der Königreiche und Länder aufgelöst und die Möglichkeit eines unifizierten Einheitsstaates geschaffen. Es war der im Grund bereits von Franz Stadion initiierte Versuch der Rettung des Reiches, den Bach fortführte212 – mit den Mitteln zentralistischer Autokratie213. Es sollte sich erweisen, daß diese in der modernen Gesellschaft nicht mehr funktionierte. Bachs Konzept, durch konsequente Zentralisierung einen modernen Staat zu schaffen, scheiterte wie das groß angelegte Projekt Josephs II.

Zum Kommentar - Retrodigitalisat (PDF)

Der Kommentar wurde im allgemeinen so gestaltet wie jener der bisher erschienenen Bände des Ministeriums Buol-Schauenstein. Es wurden dieselben Aktenbestände und Archive, d.h. in erster Linie die Wiener Archive, herangezogen. Da die Agenden der Militäradministration weiterhin der Beratung der Ministerkonferenz entzogen blieben, mußte das Material des Kriegsarchivs, wie bereits für den zweiten Band dieses Ministeriums, nur für wenige Themen in Anspruch genommen werden.

Hinsichtlich der Themen, die Ungarn betreffen, wäre noch das Hauptwerk über den Neoabsolutismus in Ungarn von Albert Berzeviczy zu erwähnen214, das nicht ausdrücklich an allen zutreffenden Stellen zitiert wurde.

Für die Heranziehung der Bezugsakten, für die Zitierweise und die Schreibung der Eigen- und Ortsnamen gelten dieselben Regeln wie in den vorhergehenden Bänden des Ministeriums Buol-Schauenstein. Es soll dazu aber noch einmal darauf hingewiesen werden, daß sowohl in den verschiedenen Jahrgängen des Staatshandbuchs als auch im selben Band ein und derselbe Name häufig verschieden geschrieben wird. Selbst die eigenhändigen Unterschriften differieren in der Schreibweise (z. B. Stroßmayer, Strossmaier).

Ab 17. Juni 1856 signierte Buol einige (nicht alle) Protokolle mit doppeltem Datum; z.B. 17. Juni/20. Junius 1856. Das erste Datum bezeichnet immer den Tag der Sitzung. Es ist anzunehmen, daß das zweite Datum die Bestätigung der Einsicht, also den Tag der Rückkehr des Protokolls zum Vorsitzenden, markiert.