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Nr. 276 Ministerkonferenz, Wien, 3. März 1855 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Marherr; VS. Buol-Schauenstein; BdE. und anw. (Buol 3. 3.), Bach, Thun, Krauß, Toggenburg, abw. der Minister der Finanzen (Baumgartner war bereits am 14. 1. 1855 seiner Funktion als Finanzminister enthoben worden, Bruck trat dieses Amt erst am 10. 3. 1855 an).

MRZ. – KZ. 507 –

Protokoll der zu Wien am 3. März 1855 abgehaltenen Ministerkonferenz unter dem Vorsitze des Ministers des Äußern und des kaiserlichen Hauses Grafen v. Buol-Schauenstein.

I. Über Unterbringung von Militärangehörigen jüdischen Glaubens im Zivildienst

Aus dem Anlasse, daß der Israelit H. Goldstrich, Führer beim 40. Linieninfanterieregimente, sich gestützt auf die Ah. Verordnung vom 19. Dezember 1853 1 um eine Dienststelle beworben hat, von der betreffenden Kommission für geeignet erkannt und für den Bereich des Justizministeriums bestimmt wurde, fand der Justizminister die Erörterung der Frage notwendig, ob die vorbelobte Ah. Verordnung auf Militärs jüdischen Glaubens Anwendung finde und ob insbesondere diese Religionsgenossen bei Besetzung von Gerichtsdienerstellen zu berücksichtigen seien.

|| S. 45 PDF || Die allgemeine Frage mit Rücksicht auf die bevorstehende Regelung der Verhältnisse der Juden2 beiseitelassend, vermeinte der Justizminister sich gegen die Anstellung von Juden als Gerichtsdiener aussprechen zu müssen, weil letztere zu Amtshandlungen berufen sind, welche ihnen, wie z. B. der Vollzug der Exekution auf bewegliche Güter usw. selbständig übertragen und worüber die von ihnen ausgefertigten Urkunden als vollen Glauben verdienend anzusehen sind, so daß einem von einem jüdischen Gerichtsdiener ausgefertigten ämtlichen Berichte oder Bestätigung unbedingter Glaube selbst in Angelegenheiten beigemessen werden müßte, in welchen der Israelit vermöge § 142 der allgemeinen und § 217 der westgalizischen Gerichtsordnung nur als ein bedenklicher Zeuge betrachtet wird3. Die Verwendung von Juden zu solchen Amtshandlungen würde das Vertrauen der Bevölkerung in die Amtshandlungen der Gerichte schwächen und namentlich in Galizien beim Landvolke den Glauben an die Unparteilichkeit der Richter und an die Echtheit ihrer Verfügungen untergraben. Da überdies eine etwaige Ausscheidung der Amtsverrichtungen der bei den Gerichten angestellten Diener nicht tunlich ist, so glaubte der Justizminister sich nach Zustimmung der Konferenz die Ah. Genehmigung seines Antrags erbitten zu sollen, daß Individuen des Militärstandes jüdischer Religion in Dienstposten, die nach der Ah. Entschließung vom 19. Dezember 1853 den Unteroffizieren und Soldaten des k. k. Heeres vorbehalten sind, bei Gerichtsbehörden nicht anzustellen und die dem Justizministerium zugewiesenen Qualifikationseingaben über solche Bewerber dem Armeeoberkommando zur anderweitigen Verfügung zurückzustellen seien.

In merito war die Konferenz mit der Ansicht des Justizministers einverstanden. Nachdem es sich aber nicht um eine Ausschließung der Juden von der allen Militärs mit der Ah. Entschließung vom 19. Dezember 1853 zugesicherten Begünstigung im allgemeinen, sondern darum handelt, solche Bewerber nur von Dienerstellen bei Gerichtsbehörden fern zu halten, so schien es dem Minister des Inneren angemessener zu sein, diese Angelegenheit im gemeinschaftlichen Einvernehmen || S. 46 PDF || zwischen dem Justizminister und dem Armeeoberkommando mittelst einer administrativen Verfügung zu regeln.

Demgemäß behielt sich der Justizminister vor , hierwegen mit dem Armeeoberkommando in Verhandlung zu treten und, falls dasselbe mit seinem Antrage einverstanden wäre, den gemeinsam gefaßten Beschluß zur Kenntnis oder etwa sich ergebende Meinungsdifferenzen zur Ah. Entscheidung Sr. Majestät zu bringen4.

A[h]. E. Ich nehme den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis. Franz Joseph. Wien, 22. März 1855.