Nr. 210a Bemerkungen Kempens zum Protokoll vom 28. März 1854 über das Gesuch der Wiener Judengemeinde um die Bewilligung zum Bau eines Bethauses in der Leopoldstadt, Wien, 1. April 1854 (Beilage zu: MRP-1-3-03-0-18540328-P-0210.xml) - Retrodigitalisat (PDF)
- Abschrift; Beilage zum MKProt. II v. 28. 3. 1854.
MRZ. – KZ. –
Als ich dem Herrn Minister für Kultus und Unterricht gegenüber meine Bedenken über die Bewilligung des Gesuches der Wiener Judengemeinde zur Erbauung eines Bethauses in der Leopoldstadt aussprach, war ich weit entfernt, hiedurch eine gänzliche Verwerfung dieses Gesuches zu bezielen, und ich kann es hier nur nochmals wiederholen, daß ich es lediglich nicht angezeigt fand, gegenwärtig schon die obige Frage definitiv zu lösen, nachdem die Besitz- und Zuständigkeitsverhältnisse der Israeliten definitiv noch nicht geregelt und erstere sogar durch die kaiserliche Verordnung vom 2. Oktober 1853 1 eingeschränkt worden sind.
Wenn daher die hohe Ministerkonferenz bemerkt, daß die Israeliten gegenwärtig bereits seit zwei Jahren im rechtlichen Besitze eines Hauses in der Leopoldstadt sind, so erlaube ich mir dagegen nur die Bemerkung, es könne etwa infolge der definitiven Regelung der Besitzverhältnisse der Israeliten dieser Besitz einigermaßen in Frage gestellt werden und es könnten hieraus Unannehmlichkeiten entstehen, die vermieden würden, wollte man mit der definitiven Konzession noch zuwarten. Dies scheint mir um so weniger einem Anstande zu unterliegen, als — wie es vorkömmt — das in Rede stehende Haus schon seit zwei Jahren von der israelitischen Gemeinde angekauft worden und über den Umbau desselben sowie über seine Verwendung zu einem Bethause erst in neuester Zeit verhandelt worden ist, gerade zu einer Zeit, wo die oben bezogene kaiserliche Verordnung die Besitzer über die Fortdauer des Besitzes besorgt gemacht haben dürfte. Wissen wir einmal wenigstens approximativ anzugeben, wie groß die Zahl der Israeliten sein wird, denen ein bleibender oder länger dauernder Aufenthalt in der Residenz gestattet ist, kennen wir die Normen, nach welchen die Besitzfähigkeit der Israeliten geregelt sein wird, so dürfte es dann an der Zeit und die Regierung besser als jetzt in der Lage sein, über die Frage mit Beruhigung zu entscheiden. Wird die Erbauung des Bethauses in der Leopoldstadt gestattet, so kann es für die mutmaßliche Zahl der Besucher hinreichend groß errichtet werden, und es dürfte die Notwendigkeit der Beibehaltung des Tempels in der Stadt entfallen. Meine Besorgnis, daß die Leopoldstadt durch die Errichtung eines Bethauses daselbst zu einem Ghetto sich gestalten dürfte, wurde durch die Betrachtung rege, daß auch in der Nähe des Tempels in der Stadt die Mehrzahl der Israeliten sich angesiedelt hat und ähnliches dann auch in der Leopoldstadt eintreten dürfte. Unter diesen Umständen unterziehe ich es dem gefaßten Beschlusse der hohen Ministerkonferenz, meine Bedenken Sr. k. k. apost. Majestät vorzulegen.