MRP-1-3-03-0-18540214-P-0200a.xml

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Nr. 200a Votum Thuns zum Ministerkonferenzprotokoll vom 14. Februar 1854, o. O., o. D. (Beilage zu: MRP-1-3-03-0-18540214-P-0200.xml) - Retrodigitalisat (PDF)

  • RS.; als Beilage zum MKProt. v. 4., 11. und 14. 2. 1854.

MRZ. – KZ. –

[Tagesordnungspunkte]

Der vorliegende Entwurf beruht auf dem Grundsatze, daß alle Konzeptsbeamten in den Dienstzweigen der Justizpflege und der politischen Verwaltung einer Kategorie angehören und ihre Vorbildung durch das Studium an Universitäten erhalten sollen. Ich kann mich mit diesem Grundsatze nicht einverstanden erklären und glaube, dem vorliegenden Entwurfe den Antrag entgegenstellen zu sollen, daß alle Stellen bei den Bezirksämtern und Stellen minderen Ranges bei den Statthaltereien und Landesregierungen und bei den Oberlandes- und Kollegialgerichten auch Individuen zugänglich gemacht werden, die nicht an Universitäten studiert haben.

Zur Begründung dieses Antrages erlaube ich mir, folgendes zu bemerken:

1. In der Ausarbeitung, welche der Beratung über die Einrichtung der Universitätsstudien zugrunde lag, habe ich bereits Gelegenheit gehabt, auf den Zusammenhang || S. 153 PDF || dieser Angelegenheit mit der obigen Frage hinzuweisen1. Die Notwendigkeit, die juridisch-politischen Studien an unseren Universitäten auf einen wissenschaftlicheren Standpunkt zu heben, ist von der Ministerkonferenz anerkannt worden. Dazu ist aber erforderlich, daß die Lehrer sich gegenüber Schüler von Talent und wissenschaftlicher Strebsamkeit haben. Nach dem Maßstabe, was von solchen erwartet und gefordert werden kann, müssen die theoretischen Staatsprüfungen eingerichtet, und dadurch Schüler von geringem Talente und ohne Sinn für wissenschaftliches Studium von der Universität zurückgewiesen werden. Unter dieser Voraussetzung können aber die theoretischen Staatsprüfungen nicht eine so große Anzahl von Kandidaten liefern, daß damit alle Stellen des Justizund des politischen administrativen Dienstes besetzt werden könnten. Wird das gleichwohl verlangt, so wird man notwendig dazu gedrängt, die theoretischen Staatsprüfungen so einzurichten, daß sie ebensoleicht wie ehedem die Semestralund Jahresprüfungen bestanden werden können. Damit wird aber wieder das gesamte Studium auf das Maß der Mittelmäßigkeit herabgedrückt, zum großen Nachteile des geistigen Aufschwunges im allgemeinen und der Heranbildung der Jugend für die Erfordernisse des höheren Staatsdienstes insbesondere.

2. Der exekutive Dienst bei den untersten Instanzen ist von dem Dienste bei höheren Behörden seiner Aufgabe und seiner Natur nach so wesentlich verschieden, daß es mir durchaus nicht zweckmäßig scheint, für beide Kategorien denselben Bildungsgang vorauszusetzen und dieselben Ansprüche auf Weiterbeförderung daran zu knüpfen. Jener fordert viel weniger wissenschaftliche Bildung, dagegen viel mehr Erfahrung und praktisches Geschick als dieser. Für höhere Behörden ist ein öfterer Wechsel ihrer Glieder ohne Nachteil und ist erwünscht, daß die dazu Berufenen durch Dienstleistung an verschiedenen Orten, ja in verschiedenen Teilen der Monarchie ihren Gesichtskreis erweitern. Für den Dienst in der untersten Instanz ist es dagegen wünschenswert, daß ein Wechsel der Beamten so selten als möglich eintrete. Der Einfluß des Bezirksbeamten wächst mit jedem Jahre seiner Anwesenheit. Er soll in seinem Bezirke gleichsam verwachsen, der Bezirk so an ihm und er an dem Bezirke hängen, er soll womöglich gar nicht wünschen fortzukommen. Das wird aber nur erreichbar sein, wenn solche Einrichtungen getroffen werden, daß derjenige, der sich dem Dienste bei dem Bezirksamte widmet, in der Regel in der Stelle des Bezirksvorstehers das höchste Ziel seiner Wünsche erblickt, wenn er also einer ganz anderen Kategorie von Beamten angehört, als diejenige der Beamten höherer Behörden ist.

3. Wird nicht durch besondere Vorkehrungen zwangsweise bewirkt, daß die Stellen bei den Bezirksämtern nur Durchgangsposten seien, die man durchlaufen muß, um in andere Behörden aufgenommen zu werden — eine Einrichtung, die dem Interesse des Dienstes gewiß nicht entsprechen würde —, so wird niemals verhindert werden können, daß die durch Vermögen, soziale Stellung und wissenschaftliche Strebsamkeit hervorragenden Beamten ihren Weg zu den höheren || S. 154 PDF || Behörden finden und bei den Bezirksämtern diejenigen Beamten zurückbleiben, welche den anderen in den erwähnten Beziehungen nachstehen. So hat es sich auch tatsächlich herausgestellt, in den Kronländern, in welchen schon früher die ersten Instanzen auf dem Lande, ähnlich den jetzigen Bezirksämtern, eingerichtet waren, zum Beispiele hinsichtlich der Landrichter in Tirol. Haben sie aber gleichwohl denselben Bildungsgang wie jene durchgemacht und dadurch dieselben gesetzlichen Ansprüche erlangt, so werden sie durch ihr Zurückbleiben in der Regel mißvergnügt sein. Viel besser, man scheide von vornherein solche Kandidaten des Staatsdienstes von den anderen und führe sie einen Weg, auf dem sie für ihre Bestimmung ganz tüchtig und zugleich zufrieden werden können.

4. Die Tüchtigkeit für den exekutiven Dienst in erster Instanz ist ohne Universitätsstudien sehr wohl erreichbar. Das hat die Erfahrung unbestreitbar erwiesen; namentlich durch eine Reihe von Beispielen von ehemaligen Patrimonialbeamten in Böhmen und Mähren, die bei der Organisation des Jahres 1849 als Bezirkshauptmänner angestellt wurden2.

Was die Justizverwaltung anbelangt, so war zwar die Stelle eines Justitiärs3 nur absolvierten Juristen erreichbar. Allein ein großer, und zwar der im allgemeinen bei weitem wichtigste Teil der Ziviljustiz (die Administrativjustiz oder das sogenannte adelige Richteramt) wurde in jenen Ländern von dem Wirtschaftsbeamten, nicht von dem Justitiär besorgt. „Jus absolvieren“ war überdies nicht gleichbedeutend mit „an der Universität studieren“ und noch verschiedener von dem, was das Universitätsstudium werden soll. Man konnte auch durch Privatstudien „das Jus absolvieren“. Dieses Privatstudium in der früheren Form das ist: als identisch mit dem Universitätsstudium wieder einzuführen ist nun zwar mit einem Aufschwunge dieses letzteren unvereinbar: Denn soll ein Professor aus dem, was er vorgetragen hat, Personen, die seine Vorlesungen nie besucht haben, ebenso prüfen wie seine wirklichen Schüler, so muß er sich ebendarauf beschränken, jahraus jahrein ein vorausbestimmtes und allgemein bekanntes Quantum positiver Kenntnis einzulehren, und von einem Einführen in [ein] wissenschaftliches Studium des Gegenstandes kann nicht mehr ernstlich die Rede sein. Nichtsdestoweniger bleibt es wahr, daß Universitätsvorlesungen nicht das einzige Mittel sind, durch welches man sich wissenschaftliche Bildung oder gar jenen Umfang von Kenntnissen erwerben kann, welcher zur Befähigung für den praktischen Staatsdienst erforderlich ist oder welcher ehemals durch das Privatstudium erlangt wurde. Ja, in dem Maße als das Rechtsstudium an unseren Universitäten sich heben wird, wird es auch auf unsere juridische Literatur befruchtend zurückwirken und dadurch ein gründlicheres Privatstudium ermöglichen und fördern. Demnach scheint durchaus kein Grund vorhanden zu sein, von dem Grundsatze, daß die Befähigung zu dem Justizdienste auch durch Privatstudium erlangt werden kann, für die Zukunft abzugehen. Es würde sich nur darum handeln, für die Erprobung der so erlangten Befähigung neue Bestimmungen zu treffen, und ich glaube, daß || S. 155 PDF || man ohne alle Gefahr sich dafür auf die Richteramtsprüfung verlassen könnte, zumal die dabei in Anwendung kommende Methode des Prüfens von einem allgemeinen wissenschaftlichen Aufschwunge der Rechtsstudien in Österreich auch nicht unberührt bleiben kann.

Meines Erachtens hätten demnach folgende von dem vorliegenden Verordnungsentwurfe abweichende Bestimmungen zu gelten:

1. Alle Dienststellen bei den Bezirksämtern sind auch Personen zugänglich, die keine Universität besucht haben.

2. Sie werden auf Grundlage des Zeugnisses über die mit genügendem Erfolge bestandene Maturitätsprüfung zunächst in den Kanzleidienst oder in den Steueramtsdienst aufgenommen, können aber auch zur Führung des Protokolls bei Einvernehmungen und Verhören und zu minder wichtigen Konzeptsarbeiten ebenso verwendet werden, wie dazu das Konzeptspersonale bei Kreisämtern, Magistraten, Landgerichten etc. stets verwendet wurde.

3. Nach einer mindestens sechsjährigen Dienstleistung können sie sich einer Prüfung aus dem adeligen Richteramte und dem Grundbuchswesen bei einem Kollegialgerichte und aus den politischen administrativen Geschäftszweigen bei einem Kreisamte unterziehen und, wenn sie diese Prüfungen gut bestanden haben, können sie als Aktuare4 bei einem Bezirksamte angestellt werden.

4. Ausgezeichnete Aktuare solcher Art können zu minderen Stellen bei höheren Gerichtsbehörden oder bei der politischen Landesstelle befördert werden.

5. Es steht ihnen überdies frei, sich der Richteramtsprüfung bei dem Oberlandesgerichte und der Prüfung aus dem administrativen Dienste bei der politischen Landesstelle zu unterziehen und sich dadurch für das Amt eines Bezirksadjunkten oder Bezirksrichters zu qualifizieren.

6. Wer auf diesem Wege zum Bezirksaktuar oder weiter avanciert ist, der kann auch zu den theoretischen Staatsprüfungen zugelassen werden und sich dadurch die Befähigung für jede Anstellung erwerben.

Thun.