Nr. 420 Ministerrat, Wien, 16. November 1850 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Schwarzenberg 17. 11.), Krauß 19. 11., Bach 18. 11., Schmerling 18. 11., Bruck, Thinnfeld 18. 11., Thun, Csorich, Kulmer 18. 11.; abw.abwesend Stadion.
MRZ. 4617 – KZ. 4115 –
- I. Amnestiegesuch mehrerer ungarischer Flüchtlinge
- II. Paßgesuch des Joseph v. Kászonyi
- III. Angebot des Hoch- und Deutschmeisters bezüglich der Einkommensteuer
- IV. Bevollmächtigter Minister für die Toskana
- V. Reorganisierung der Wiener Gewölbewächter
- VI. Remuneration für den Bischof Basil Erdélyi
- VII. Adelsgesuch des Registraturdirektors Johann Polivka
- VIII. Befreiung der Personentransportunternehmen vom Postregale
- IX. Konsularwesen in Bulgarien
- X. Vereidigung des Militärs auf die Verfassung
Protokoll der Sitzung des Ministerrats, gehalten zu Wien am 16. November 1850 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses FML. Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Amnestiegesuch mehrerer ungarischer Flüchtlinge
Der Ministerpräsident beantragte, die Gesuche mehrerer nach Aleppo internierter ungrischer Flüchtlinge um Bewilligung zur Rückkehr1 sowie
II. Paßgesuch des Joseph v. Kászonyi
das von Grafen Wallmoden unterstützte Paßgesuch des Joseph v. Kászonyi, eines der tätigsten Agenten der Emigration, mit der Bemerkung an den Minister des Inneren zu leiten, daß der gegenwärtige Zeitpunkt nicht geeignet sein dürfte, diese Gesuche zu berücksichtigen2.
III. Angebot des Hoch- und Deutschmeisters bezüglich der Einkommensteuer
Der Ministerpräsident brachte weiters das Anerbieten Sr. kaiserlichen Hoheit des Herrn Erzherzogs Hoch- und Deutschmeisters zur Kenntnis des Ministerrats, das Fünffache desjenigen Betrags erlegen zu wollen, welcher von den Gliedern des deutschen Ordens an Einkommensteuer (geistliche) seit 1848 gefordert worden, wenn von dem Prinzip der Besteuerung aus dem Titel des geistlichen Ordens abgegangen wird3.
Während der Minister des Inneren die Abtuung dieser Angelegenheit ohne Berührung des Prinzips anriet, erklärte der Finanzminister seinerseits, das Prinzip der Berechtigung zu einer besonderen Besteuerung einzelner Stände, Geistlicher, Beamten etc. nicht aufgeben zu können und dem Anerbieten des Herrn Erzherzogs nur die|| S. 74 PDF || Folge des Abstehens von der diesfälligen Forderung für das Vergangene zugestehen zu sollen4.
IV. Bevollmächtigter Minister für die Toskana
Aus Anlaß der Beglaubigung eines eigenen großherzoglich toskanischen Gesandten und bevollmächtigten Ministers am hiesigen Hofe5 glaubte der Minister des Äußern die Erwiderung unsererseits beim großherzoglichen Hofe und sohin die Ernennung des Baron Hügel zum bevollmächtigten Minister alldort bei Sr. Majestät bevorworten zu sollen, womit sich der Ministerrat einverstanden erklärte6.
V. Reorganisierung der Wiener Gewölbewächter
Der Minister des Inneren erhielt die Beistimmung des Ministerrats zu dem bei Sr. Majestät zu stellenden Antrage auf Ah. Genehmigung der vom Wiener Handelsgremium vorgeschlagenen Reform des Instituts der Gewölbwächter7. Diese sollen nämlich künftig (und zwar schon vom 1. Dezember an) einen Teil des Militärpolizeiwachkorps bilden, unter demselben Kommando wie dieses und unter der Oberleitung des Stadthauptmanns stehen, demselben auch für andere Sicherheitszwecke disponibel sein, übrigens der Regierung nichts kosten, indem der Aufwand dafür durch Umlage auf die Gewölbsinhaber aufgebracht werden würde8.
VI. Remuneration für den Bischof Basil Erdélyi
Ebenso war der Ministerrat mit dem Antrage desselben Ministers einverstanden, daß dem griechischen Bischof von Großwardein, Erdélyi, der mehrere Missionen im Auftrage der Regierung erfolgreich vollführt hat9 und gegenwärtig von der Regierung zur Versammlung der Bischöfe hieher berufen ist10, als Entschädigung für die auf den diesfälligen Reisen gehabten Auslagen ein Pauschalbetrag von 2500 f. angewiesen werde11.
VII. Adelsgesuch des Registraturdirektors Johann Polivka
Der Justizminister referierte über das Anerbieten des Registraturdirektors des Obersten Gerichtshofs Johann Polivka, seine Sammlung von mehr als 8000 aus ständischen und anderen Archiven gezogener Urkunden über Rechtspflege und Geschichte etc. dem Staate zum Geschenke machen zu wollen, woran er jedoch die Bitte knüpft, daß ihm der Adel verliehen werden möge12.
Da Polivka laut Auskunft des Obersten Gerichtshofs seit 40 Jahren mit Auszeichnung dient, Vater von zwei Söhnen ist, von denen einer als k. k. Hauptmann, der andere als Landesgerichtsassessor in Diensten Sr. Majestät steht, da ferner Polivkas Vorfahrer im Amte bei minder ausgezeichneter Verwendung auch nobilitiert worden war, so würde der Justizminister keinen Anstand nehmen, auf Verleihung des Adels an Polivka bei Sr. Majestät anzutragen13.
Bei der Abstimmung traten die Minister Baron Bruck, v. Thinnfeld und Baron Kulmer diesem Antrage bei; Dr. Bach, Graf Thun, Baron Csorich und der Ministerpräsident glaubten dagegen, daß weder die Stellung noch die Verdienste Polivkas von der Art seien, um den Antrag auf eine erbliche Auszeichnung zu begründen.
Der Finanzminister hatte der Beratung dieses Gegenstandes nicht beigewohnt.
Unter diesen Umständen zog der Justizminister seinen Antrag zurück14.
VIII. Befreiung der Personentransportunternehmen vom Postregale
Der Handelsminister brachte die Erstattung des Vortrags an Se. Majestät über die Befreiung der Unternehmungen zum Personentransporte vom Postregale zur Kenntnis des Ministerrats15 und referierte
IX. Konsularwesen in Bulgarien
über die Reorganisierung des Konsularwesens in Bulgarien. Seinem – auch vom Ministerrat geteilten – Antrage zufolge wäre außer dem bestehenden Konsulate in Galatz ein zweites in Rustschuk, dann nebst dem bisherigen Vizekonsulate zu Varna ein neues zu Widin und zu Tultscha amit den systemmäßigen Bezügena, endlich bein Konsulat zu Sofia mit einer besten Dotation von 2000 f. jährlich gleich jener in Adrianopelb zu errichten.
Der hierdurch den Finanzen erwachsende Mehraufwand würde 7000–8000 f. ausmachen, käme jedoch den Vorteilen gegenüber, die aus dieser Regulierung resultieren, in keine Betrachtung.|| S. 76 PDF ||
Der Minister cschlägt für den Konsulposten in Rustschuk den jetzigen Konsul Rössler, für die Konsulate und zwar in Tultscha den jetzigen Konsul in Ismail Sgardelli und in Widin den Konsul Martyrt vor, undc wird besorgt sein, für dden zu besetzenden Posten in Sofia einen tüchtigen Mann zu findend .16
X. Vereidigung des Militärs auf die Verfassung
Der Kriegsminister referierte über die infolge Ah. Befehls Sr. Majestät gepflogenen Nachforschungen bezüglich der Beeidigung des Militärs auf die Verfassung17.
Nach denselben ist zufolge § 59 der Verfassung vom 25. April 1848 und Ministerratsbeschluß vom nämlichen Datum die Aufnahme der Beeidigung des Militärs auf diese Verfassung in den Fahneneid angeordnet worden18. Die bezügliche Formel lautet: „[...] die Verfassung zu beobachten und zu beschützen.“ Da nun aber die Verfassung vom 25. April 1848 nur für einen Teil der Monarchie verbindliche Kraft haben sollte, nun aber ganz außer Wirksamkeit gesetzt worden ist, die neue Reichsverfassung zwar auch § 118 vorschreibt, „der Eid des Heeres auf die Reichsverfassung wird in den Fahneneid aufgenommen“19, allein über die diesfälligen Modalitäten vom Ministerium weder ein Beschluß gefaßt, noch eine Verordnung hinausgegeben worden ist, mithin die vom Militärgerichtshof ganz außer seiner Kompetenz verfügte Ausdehnung der Beeidigung des gesamten Militärs auf die nur für einen Teil der Monarchie bestimmt gewesene, nun ganz außer Wirksamkeit gesetzte Verfassung keine Gültigkeit haben, und ebenso wenig auf den noch nicht zur Ausführung gekommenen § 118 der Reichsverfassung bezogen werden kann, so vereinigte sich der Ministerrat in dem Beschlusse, jenen inkompetenten Vorgang vom Kriegsministerium aufheben und einstweilen den alten, bis 1848 bestandenen Fahneneid bei den Truppen wieder in Anwendung bringen zu lassenee .20
Wien, am 17. November 1850. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 20. November 1850.