Nr. 146 Ministerrat, Wien, 16. August 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Wacek; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Thun, Schmerling, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 17. 8.), Krauß 18. 8., Bach 18. 8., Thun, Schmerling 18. 8., Thinnfeld 18. 8., Kulmer 18. 8.; abw.abwesend Stadion, Gyulai, Bruck.
MRZ. 2797 – KZ. 2355 –
Protokoll der am 16. August 1849 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, dann Ministers des Äußern und des Hauses, Fürsten Felix v. Schwarzenberg.
I. Verhandlungen mit Venedig
Den ersten Gegenstand der Besprechung bildete ein vom Ministerpräsidenten vorgelesener, vom Kriegsminister eingesendeter Bericht des Feldmarschalls Grafen Radetzky die Stadt Venedig und die dortigen Zustände betreffend1. Graf Radetzky bemerkt darin unter anderm, daß Manin zum unumschränkten Diktator ernannt wurde und entschlossen sein soll zu unterhandeln. Die venezianische Escadre sei ausgelaufen und liege (zur Zeit der Berichtserstattung) bei Malamocco vor Anker (mittlerweile hat sie sich aber wieder zurückgezogen), die k.k. Dampfboote kreuzten in der Nähe. Die Absicht der venezianischen Flotte scheine zu sein, entweder die Stadt zu verproviantieren oder die Kompromittierten zu retten; der erste Fall wurde als der wahrscheinlichere angenommen. Die österreichische Marine befinde sich in einem unzureichenden Zustande, und ein Angriff derselben wäre besorgniserregend, daher die in Aussicht stehende Unterhandlung Manins alle Aufmerksamkeit verdiene. Dieser Unterhandlung könnte aber, wie Graf Radetzky bemerkt, die ihm zur Pflicht gemachte Bedingung, daß die Venediger Marine- und andere Offiziere von der Kapitulation ausgeschlossen sein sollen2, keineswegs förderlich sein, weshalb er sich zu der Anfrage und der Bitte veranlaßt finde, ob an den früheren Kapitulationsbedingungen nicht Modifikationen eintreten sollten, und ob dem Feldmarschall nicht die Befugnis eingeräumt werden wollte, nach Umständen zu handeln.
Der Ministerrat hat hierbei die Momente erwogen, daß die Belagerung von Venedig bereits so lange dauere und schon so viele Leute gekostet habe, daß sie, wenn man nicht die Möglichkeit eines Entgegenkommens bietet, noch lange dauern könne, indem die Schuldbewußten sich auf Leben und Tod verteidigen werden, daß die Jahreszeit vorrücke und bald jene eintreten werde, in welcher es nicht möglich sein werde, die Blockade fortzusetzen, daß die Darbietung der Möglichkeit einer Ausgleichung uns die Flotte Venedigs erhalten könne, welche sonst wahrscheinlich verloren ginge, daß auch der Umstand einige, wenn auch untergeordnete Rücksicht verdiene, daß die vielen in Venedig befindlichen Offiziere (es sollen ihrer über 500 sein) und andere Kompromittierte,|| S. 594 PDF || würden sie in das Ausland gewiesen, dort eine österreichische Emigration bilden könnten, welche gefährlicher wäre als einzelne Individuen derselben im Lande usw. Diese Rücksichten sprechen für die Gewährung einiger Modifikationen in den dem Feldmarschall Grafen Radetzky vorgeschriebenen Bedingungen. Da jedoch Graf Radetzky zur Zeit der Erstattung seines obigen Berichtes die späteren Weisungen Sr. Majestät vom 10. 8. d.J.3, nach welchen es dem Feldmarschall gestattet ist, auf der Forderung der Übergabe der Stadt Venedig auf Gnade und Ungnade nicht zu bestehen, sondern nach Umständen auch eine Kapitulation abzuschließen, von welcher jedoch die Offiziere ausgeschlossen sein sollen, und die Unteroffiziere und die Mannschaft, wenn sie sich unterwerfen, der Gnade Sr. Majestät empfohlen werden können, noch nicht erhalten hatte, so wären nach dem Erachten des Ministerrates zur leichteren und sichereren Erreichung des Zieles diese letzteren Bedingungen in Ansehung der Offiziere (die Freiheit derselben, das Land infolge der Proklamation vom 4. Mai d.J.4 verlassen zu dürfen, vorausgesetzt und sichergestellt) dahin erleichternd zu modifizieren, daß jene, welche im Lande bleiben wollen, sich vor eine Kommission zu stellen hätten, und wenn ihnen außer der Teilnahme am Militärdienste gegen Österreich sonst keine strafbare Handlung zur Last fällt, zu entlassen, die sonst Schuldigen aber der verdienten Strafe zu unterziehen wären.
Von der vom Grafen Radetzky angedeuteten Einräumung des Befugnisses, nach Umständen selbst vorzugehen, wurde Umgang genommen. In diesem Sinne wird nun der Ministerpräsident Sr. Majestät den Antrag erstatten5.
II. Verhandlungen mit den ungarischen Aufständischen
Der zweite Gegenstand einer längeren Beratung war die dem FZM. Baron Haynau zu erteilende Ermächtigung, im vorkommenden Falle mit den Führern der Rebellen zu unterhandeln. Es ist bekannt, daß die Insurgenten nun haufenweise übergehen, und welche Antwort der russische Feldmarschall Fürst Paskiewitsch dem Görgey über seinen Antrag zu unterhandeln erteilt hat6. Da hiernach anzunehmen sein dürfte, daß die Häupter der Rebellen sich diesfalls an den österreichischen kommandierenden Generalen|| S. 595 PDF || wenden werden, so wäre zu erwägen, welche Instruktion dem FZM. Baron Haynau für diesen Fall zu erteilen sein dürfte.
Nach der Ansicht des Ministerrates hätten hierbei dem Antrage des Ministerpräsidenten zufolge folgende Bestimmungen zur Grundlage zu dienen, a) die Unterhandlung wäre durchaus mit keinem Organe der Rebellenregierung (z.B. Mészáros, Duschek, Szemere und dergleichen), sondern nur mit den Führern der bewaffneten Macht für die ihnen unterstehenden Abteilungen zu führen, b) politische und auf Regierungsgegenstände Bezug habende Fragen wären von jeder Unterhandlung auszuschließen, c) die Auslieferung aller Waffen und Munition und die Auflösung alles Militärverbandes bei den Rebellen wäre zu fordern; ein fernerer Punkt wäre d) die Zusicherung der Straflosigkeit für die Mannschaft der Rebellen vom Feldwebel abwärts, insoferne sie Eingeborne des Königreiches Ungarn sind, weiter e) erlaubter Abzug ins Ausland in einem bestimmten Termine für jene Offiziere, die sich entfernen, und
f) Gestattung von ziemlich leichten Purifikationsbedingungen für jene Offiziere, welche im Lande bleiben wollen. Mit Individuen vom Zivile wäre sich in keine Unterhandlung einzulassen.
Die Purikfikationsbedingungen und Folgen wären, jene Offiziere, die vor dem Anfange des Krieges mit ihren Truppen den Insurgenten eingereiht worden sind, wären, wenn ihnen außer der Teilnahme am Militärdienste sonst keine strafbare Handlung zur Last fällt, wieder anzustellen oder zu pensionieren. Die Wiedereinstellung hätte in der Charge zu erfolgen, welche sie im September 1848 innegehabt haben. Die von den Insurgenten angestellten Offiziere hätten sich in dem erwähnten Falle der simplen Straflosigkeit zu erfreuen. Sämtliche nicht-österreichische Untertanen werden in ihr Vaterland instradiert. aAus dem Rest Untertanen, welche nicht Ungarn sind (Wiener Legion, galizisch-polnische Legion usf.) sollten Strafkompanien gebildet und zum Festungsbau verwendet werden.a Die österreichischen Mannschaft vom Feldwebel abwärts wird entlassen. Mit den Individuen der Rebellen, welche an den Handlungen der Regierung teilgenommen haben, wäre nach der Proklamation vorzugehen.
Diese von Sr. Majestät zu genehmigenden Grundsätze wären dem Baron Haynau zur Richtschnur bei den allenfälligen Unterhandlungen mit den Führern der Rebellen mitzuteilen7.
III. Unterstützung für die aus der ungarischen Gefangenschaft entkommenen österreichischen Offiziere
Der Ministerpräsident eröffnete weiter, von dem bFZM. Haynaub ein Schreiben erhalten zu haben, daß viele österreichische Offiziere, die in der Gefangenschaft der Rebellen waren, bei ihm in den dürftigsten Umständen angelangt sind. Sie haben nichts als schlechte Zivilkleider und einige Kossuthnoten. Dem cFZM. Haynauc stehen keine Mittel zu Gebote, um diese Offiziere wieder dienstbar zu machen, und da Gagenabzüge|| S. 596 PDF || denselben sehr schwer fallen würden, um sich zu uniformieren, so finde er sich veranlaßt, eine Unterstützung für diese Offiziere in Anspruch zu nehmen8.
Der Ministerrat hat nach dem Antrage des Finanzministers beschlossen, zu dem erwähnten Zwecke 50.000 f. zu bewilligen, welche Aushilfe ohne Verzug abgesendet werden wird9.
IV. Schwierigkeiten bei Konvertierung der Fonds
Schließlich brachte der Finanzminister Freiherr v. Krauß bezüglich der Konvertierung der Fonds (österreichische Kupons in Obligationen, deren Interessen im Auslande in Konventionsmünze zu zahlen sind) zur Sprache, daß sich diesfalls Anstände in Amsterdam ergeben haben. In Holland besteht nämlich ein Stempelgesetz, nach welchem auf jede Obligation von 1000 f. ein Stempel von 4/14 Gulden entfällt, wenn die Obligation für Amsterdam ausgestellt, von dortigen Bankiers ausgegeben wird und dort verzinslich ist. Unser Konsul hält den obigen Fall nicht unter das Stempelgesetz gehörig, sondern für eine bloß Negotiation, nach welcher die hier fälligen Zinsen dort zur Zahlung angewiesen werden, und das Finanzministerium stimmt ihm diesfalls bei10.
Da jedoch das Geschäft der Konvertierung der Fonds durch die erwähnte Stempelzahlung auf große Hemmnisse stoßt, so liegt viel daran, die holländische Regierung zu einer uns diesfalls günstigen Entscheidung zu bewegen. Unser Konsul wäre anzuweisen, sich zum dortigen Finanzminister zu begeben und die Sache mit ihm zu besprechen; findet die holländische Regierung, daß die Obligationen der Frage nicht stempelpflichtig sind, so erscheint die Sache als abgetan. Damit aber dieses Resultat umso sicherer erzielt werde, sprach der Finanzminister die diplomatische Unterstützung diesfalls an, welche von dem Ministerpräsidenten mit Bereitwilligkeit zugesichert wurde11.
Wien, den 17. August 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, den 24. August 1849.