Nr. 139 Ministerrat, Wien, 8. August 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll [Ransonnet]; VS.Vorsitz fehlt; anw.anwesend Krauß, Bach, Gyulai, Schmerling, Thinnfeld, Thun, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 9. 8.), Krauß, Bach 11. 8., Gyulai 10. 8., Schmerling, Thinnfeld 10. 8., Thun, Kulmer 10. 8.; abw.abwesend Schwarzenberg, Stadion, Bruck.
MRZ. 2680 – KZ. 2489 –
Protokoll der am 8. August 1849 in Wien abgehaltenen Ministerratssitzung.
I. Umtausch der Kossuthnoten
Der Minister Ritter v. Thinnfeld brachte zur Kenntnis des Ministerrats, daß laut einer aus den ungarischen Bergstädten erhaltenen Anzeige ein russischer Truppenkommandant einen k.k. Kassier verhalten habe, Kossuthnoten im Nennwerte von etwa 150 f. gegen österreichische Banknoten zu verwechseln1.
II. Volksjustiz zu Rudmanez
Minister Bach referierte über einen zu Rudmanez im Marburger Kreise vorgekommenen Fall von sogenannter Volksjustiz, welche an Dieben unter dem Vorsitze des Gemeinderichters auf grausame Weise vollzogen wurde.
III. Neue Advokatenordnung
Der Justizminister entwickelte seine demnächst Allerhöchstenorts zu unterbreitenden Anträge bezüglich der Erlassung einer neuen provisorischen Advokatenordnung, welche an und für sich schon seit längerer Zeit wünschenswert, durch die Einführung der neuen Gerichtsorganisation zu einer Notwendigkeit wird2.
Der Ministerrat war im wesentlichen mit den Anträgen des Ministers Ritter v. Schmerling einverstanden, und es ergab sich nur über folgende zwei Punkte ein davon abweichender Beschluß:
a) Nach dem vom Justizminister vorgelesenen Entwurfe wäre das bisher bestandene Privilegium der Advokaten in den Hauptstädten der Kronländer, auch auf dem flachen Lande Parteien zu vertreten, während die sogenannten Landadvokaten von der Vertretung in der Hauptstadt ausgeschlossen sind, noch ferner aufrechtzuerhalten. Die Gründe, worauf sich dieser Antrag stützt, sind hauptsächlich die Rücksicht, die Stadtadvokaten, welche beträchtliche Auslagen auf Wohnungsmiete etc. zu bestreiten haben, vor der Konkurrenz der Landadvokaten zu schützen, welche andererseits in der Regel auch weniger gewandt und in komplizierteren Rechtshändeln unerfahren sind, sodaß der Städtebewohner ihren Beistand leicht missen kann. Von den Ministern Baron Krauß und Graf Thun , welche den Unterschied zwischen Stadt- und Landadvokaten aufgehoben zu sehen wünschen, wurde dagegen geltend gemacht, daß die Aufrechthaltung des Privilegiums der Stadtadvokaten eine Unbilligkeit gegen die Landadvokaten in sich schließe, daß es fähige Köpfe davon abhalten werde, sich der Praxis auf dem Lande zu widmen, was für die Handhabung der Rechtspflege daselbst ein offenbarer|| S. 562 PDF || Nachteil ist, und daß es endlich auch den Parteien in der Wahl ihrer Vertreter einen nicht zu rechtfertigenden Zwang auferlege. Daß übrigens die Landadvokaten sich mit Hintansetzung ihrer Parteien extra muros allzusehr der Vertretung in der Hauptstadt widmen würden, sei nicht zu besorgen, da die damit verbundenen Reisekosten und Zeitverlust einen Abhaltungsgrund für den Rechtsfreund wie auch die Partei bilden. Aus diesen triftigen Gründen glaubten die Minister Bach und Ritter v. Schmerling im Verlaufe der Beratung, sich auch für die Gleichstellung der Stadt- und Landadvokaten in Beziehung auf das Vertretungsbefugnis erklären zu sollen, und dieser au. Antrag wurde sofort durch Stimmeneinhelligkeit beschlossen.
b) Der Entwurf der Advokatenordnung fordert von den Bewerbern um eine Advokatenstelle in Landesgerichtsbezirken mit sprachlich gemischter Bevölkerung die erprobte vollständige Kenntnis der Landessprachen. Dieses Erfordernis wird durch die Notwendigkeit motiviert, dafür zu sorgen, daß es namentlich für die Kriminalprozesse nicht an Advokaten fehle, welche mit den Landessprachen völlig vertraut sind. Andererseits scheine die öffentliche Meinung zu fordern, daß die Gleichberechtigung der Nationalitäten in den Bestimmungen über die Sprachkenntnisse der Advokaten nicht minder als über jene der Richter von den Gesetzen gewahrt werde.
Der Minister des Kultus und des Unterrichts , mit welchem sich auch der Finanzminister vereinigte, glaubten, daß es eine für manche Bewerber sehr empfindliche Beschränkung sein würde, die vollständige Kenntnis der Landessprachen zu fordern. Es wäre damit ohne Not die Ausschließung vieler talentvoller Kandidaten ausgesprochen, denn bei den gegenwärtigen nationalen Bestrebungen werde es in den Advokatenkammern sicher nicht an Individuen fehlen, welche in jeder Landessprache bewandert sind. Die Forderungen an die Richter in bezug auf Sprachkenntnis müssen nicht notwendig auf die Advokaten ausgedehnt werden, zumal die Partei gesetzlich an einen bestimmten Richter gewiesen ist, während sie sich den sprachkundigen Vertreter frei wählen kann. Die sogenannte Gleichberechtigung der Nationen sei, sobald man sie bis zu solchen Extremen durchführen wolle, vielmehr eine Ungerechtigkeit gegen die eine, und zwar in Böhmen gegen die deutsche, da jeder einigermaßen literarisch gebildete Tscheche fertig deutsch schreibt und spricht, viele deutschböhmische Rechtsgelehrte aber nicht des Tschechischen mächtig sind. Da der Ministerrat das Gewicht dieser Gründe nicht verkannte und andererseits die, wenn auch zu weit getriebenen Nationalempfindlichkeiten aus politischen Gründen mit schonender Rücksicht zu behandeln sind, so vereinigte man sich schließlich zu dem Beschlusse, die diesfällige Bestimmung aus dem Entwurfe gänzlich zu streichen, wodurch es stillschweigend von dem Erfordernis der „vollkommenen Sprachkenntnisse“ sein Abkommen erhält3.
IV. Gouverneursstelle in Venedig
Der Kriegsminister eröffnete, daß Feldmarschall Graf Radetzky mit Hinblick auf die nicht mehr ferne Einnahme von Venedig sich veranlaßt gefunden habe, dem|| S. 563 PDF || FML. v. Gorzkowski als denjenigen zu bezeichnen, der Sr. Majestät zur Ernennung als Zivil- und Militärgouverneur dieses Platzes au. vorzuschlagen wäre.
Diesem von dem Kriegsminister bevorworteten Antrage wurde vom Ministerrate einstimmig beigetreten4.
V. Verhaftung Florian Ziemiałkowskis
Der Kriegsminister teilte ferner mit, daß der kommandierende General Baron Hammerstein für nötig erachtet habe, den Exdeputierten Ziemiałkowski, dann einen kaiserlichen Kanzleibeamten und einen Buchdruckergesellen, weil selbe ihm des geheimen Komplottierens mit Smolka verdächtig erschienen, von Lemberg zu entfernen und nach Laibach, Grätz und Meran zu konfinieren5.
Der Minister des Inneren , welcher hievon bereits durch Graf Gołuchowski in Kenntnis gesetzt wurde, erklärte mit dieser nicht hinlänglich motivierten Zwangsmaßregel, wodurch die persönliche Freiheit sowie der Erwerb dieser Individuen auf eine empfindliche Art geschmälert und deren Unterhalt dem Ärar aufgebürdet wird, keineswegs einverstanden zu sein und betrachtet diesen Vorgang des Kommandierenden vielmehr als lediglich darauf berechnet, seiner Anzeige an Kaiser Nikolaus über die entdeckte Verschwörung in Galizien etwas mehr Gewicht zu verleihen6.
Wien, 9. August 1849. Schwarzenberg.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolles zur Wissenschaft genommen. Franz Joseph. Schönbrunn, 3. September 1849.