Nr. 48 Ministerrat, Wien, 13. April 1849 - Retrodigitalisat (PDF)
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Marherr; VS.Vorsitz Schwarzenberg; anw.anwesend Krauß, Bach, Cordon, Thinnfeld, Kulmer; BdE.Bestätigung der Einsicht (Schwarzenberg 14. 4.), Krauß 24. 4., Bach 25. 4., Cordon, Thinnfeld, Kulmer; abw.abwesend Stadion, Bruck; außerdem anw.anwesend KübeckKüberl (nur bis III.).
MRZ. 1127 – KZ. 1072 –
- I. Artilleriegüterdepot außerhalb Wiens
- II. Wiener Basteienbefestigung
- III. Ungarische Zustände
- IV. Eingabe österreichischer Deputierter der Frankfurter Versammlung
- V. Niederschlagung einiger Preßprozesse gegen Oktober-Journalartikel aus Wien
- VI. Urlaub für den Unterstaatssekretär Andreas Freiherr v. Stifft
Protokoll der Sitzung des Ministerrates gehalten zu Wien am 13. April 1849 unter dem Vorsitze des Ministerpräsidenten, Ministers des Äußern und des Hauses Fürsten v. Schwarzenberg.
I. Artilleriegüterdepot außerhalb Wiens
Der Kriegsminister entwickelte das Projekt des FML. Baron Augustin zur Errichtung eines befestigten Artilleriegüterdepots zwischen der St.Marxer und Favoritner Linie außerhalb des Linienwalls1.
Der Finanzminister , in der Hauptsache mit dem Projekte einverstanden, glaubte nur gegen die Wahl des Platzes ein Bedenken erheben zu sollen. Ihm schiene es zweckmäßiger, dieses Gebäude statt wie angetragen vor der Eisenbahn gegen die Linie zu vielmehr in dem durch die beiden Bahnflügel gebildeten Dreiecke hinter dem Bahnhofe in einer gegen die Stadt schon durch die Bahndämme vollkommen gedeckten Stellung errichten zu lassen.
Der Ministerrat fand indessen an dem durch die kompetenten Militärautoritäten zuverlässig auch von Seite der militärischen Rücksichten genau erwogenen und geprüften Projekte nichts zu ändern und sprach sich für dessen Ah. Genehmigung aus. Der Kriegsminister wird hiernach den Vortrag an Se. Majestät erstatten, und der Ministerrat morgen behufs genauerer Information hierüber die näheren Aufklärungen von dem zum Ministerrate einzuladenden FML. Baron Augustin selbst einholen2.
II. Wiener Basteienbefestigung
Ein weiteres Projekt zur Befestigung der Basteien in Wien ward einer eindringlicheren Prüfung für morgen vorbehalten3.
III. Ungarische Zustände
Der von seiner Mission gestern aus Ofen zurückgekehrte Freiherr v. Kübeck4, eingeladen, dem Ministerrate über die ungrischen Zustände seine Wahrnehmungen und Ansichten mitzuteilen, entledigte sich dieses Ansinnens mit folgendem: Bis zum Tage|| S. 221 PDF || seiner Abreise (10. April) ward die Stärke der Insurgenten, welche in drei Korps, bestimmt gegen Gran, Pesth und unterhalb Pesth zu operieren, aufgestellt sind, mit 70.000 Mann, 180 Kanonen angegeben, wogegen die konzentrierte kaiserliche Armee bei Pesth nur 30.000 Mann zählt. Sie würde aus strategischen Gründen das linke Donauufer schon aufgegeben haben, wenn nicht politische Gründe dessen Haltung so lang als möglich geböten. Dies Mißverhältnis der Streitkräfte, die schlechte, ja feindselige Stimmung in Pesth, ja in größten Teilen des Landes, selbst unter Deutschen und Slowaken, welche vom Feind und Freunde gedrückt sind durch Requisitionen, Einquartierungen etc., der Fanatismus der Magyaren, welche für ihr gutes Recht und für ihren König gegen Unterdrücker und Rebellen zu fechten vermeinen, endlich die Natur dieses Krieges selbst, welcher kein Armeenkrieg mehr, sondern ein Volkskrieg, ja ein Krieg der nun in Ungern konzentrierten europäischen Revolution gegen das Bestehende ist, machen es zu einem Gebote der Notwendigkeit, denselben schnell und energisch mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu beendigen. Reichen die einheimischen Mittel dazu nicht aus (in Ofen scheint man sie wirklich für unzulänglich zu halten) und muß fremde Hilfe in Anspruch genommen werden, so möge dieses bald geschehen.
Auf die Ursachen übergehend, welche den dermaligen Stand der Dinge in Ungern herbeigeführt haben, bemerkte Freiherr v. Kübeck, daß folgende bezeichnet werden dürften: Unterlassung der gehörigen und raschen Verfolgung der im Anfang des Feldzugs über die Insurgenten errungenen Vorteile, welche Unterlassung der Fürst Feldmarschall freilich damit entschuldigt, daß er seine beim Eintritt ohnehin nicht sehr zahlreiche Macht durch häufige Detachierungen schwächen mußte und später durch die Ungunst der Jahreszeit in seinen Operationen gehindert war, endlich daß er durch die falsche Angabe, er habe es bloß mit einer kleinen Fraktion zu tun, zu der Hoffnung auf eine baldige freiwillige Unterwerfung der Insurgenten veranlaßt worden sei. Als weitere Ursachen können bezeichnet werden: Unzeitige Strenge gegen abgefallene k.k. Offiziere, welche freiwillig zu ihrer Pflicht zurückkehrten, aber wie zur Abschreckung vor ähnlichem Vorgehen mit harten Strafen belegt wurden, dagegen ebenso unzeitige Milde gegen Ungern, welche sich an der Rebellion beteiligt hatten. Mißgriffe in der Zivilverwaltung und unglückliche Wahl der Personen von Seite des Fürsten in dieser Beziehung, insbesondre der anfängliche Mißgriff mit den ungrischen Banknoten, welche man statt sie gleich für ungültig zu erklären annahm, später sogar teilweise einlöste und so zum Gegenstande der Spekulation machte, welche zum größten Nachteile für unsre Finanzen noch immer von unsern Gegnern ausgebeutet wird5. Endlich die Umgebung des Fürsten Feldmarschalls, welche ihrer Aufgabe nicht gewachsen ist und der sonst so trefflich gesinnten Armee das Vertrauen in ihre Führer desto mehr entzieht, je mehr sie durch stete, zu keinem wichtigen Resultate führende Hin- und Hermärsche ermüdet wird.
Freiherr v. Kübeck schloß seine Relation mit der Bemerkung, daß ihm das Komitee-Elaborat über die Organisierung der Zivilverwaltung Ungerns am 8. April zugekommen|| S. 222 PDF || und von ihm am 10. d.M. vergutachtet abgegeben worden sei, und daß er den Fürsten Windischgrätz geneigt gefunden habe, darauf einzugehen6.
Der Ministerrat, welcher in einem vom gefertigten Ministerpräsidenten vorgelesenen Memoire eines höheren Offiziers über die ungrischen Zustände die Richtigkeit obiger Ansichten zum großen Teile bestätigt fand, glaubte vorerst den Erfolg derjenigen Maßregel abwarten zu sollen, welche bezüglich der Veränderung des Oberbefehls in Ungern mit Ah. Genehmigung Sr. Majestät jüngst eingeleitet worden ist7. Zunächst beschäftigte er sich mit der Frage, welche Bestimmung dem Fürsten Windischgrätz zu geben sei, kam jedoch hierbei zu keinem Beschlusse, obwohl von Baron Kübeck auf die Obersthofmeisterstelle, vom Justizminister auf eine Stellung als Stellvertreter des Chefs und Souveräns des Goldenen Vlies-Ordens, endlich vom Finanzminister auf die Würde eines Präsidenten des Reichsrates mit der ehrenvollen Mission zur Organisierung desselben hingedeutet worden war.
Weiters aber gab die betrübende Wahrnehmung, daß, ungeachtet der Finanzen eine Heeresmacht von mehr als 600.000 Mann wirklich zur Last fällt, die k.k. Truppen in Ungern dennoch an allen Punkten, wo und zur Zeit, wann man ihrer bedarf, in der Minderheit oder gar nicht vorhanden sind, daß insonderheit für das Armeekorps des FML. Dahlen nach dem Stande von 40.000 Mann die Geldanweisungen vom Finanzminister verfügt werden, während Baron Kulmer bezweifelt, daß Dahlen mehr als 6000 Mann unter seinen Befehlen habe, dem Ministerrate Veranlassung zu dem Beschlusse, über das Verhältnis der aufgerechneten Geldmittel zu dem wirklichen Truppenstande eindringliche Erhebungen pflegen zu lassen8.
IV. Eingabe österreichischer Deputierter der Frankfurter Versammlung
Der gefertigte Ministerpräsident verlas eine Eingabe mehrerer österreichischer Abgeordneten bei der Frankfurter Nationalversammlung, worin sie das österreichische Ministerium aus Anlaß der jüngsten Ereignisse bei derselben zu einem entscheidenden Schritte auffordern9. Dieser ist bereits geschehen durch die unterm 5. April angeordnete Zurückberufung der österreichischen Abgeordneten von jener Versammlung und Nichtanerkennung der von derselben versuchten Oktroyierung einer Reichsverfassung, Wahl des Kaisers und Permanenzerklärung10.
V. Niederschlagung einiger Preßprozesse gegen Oktober-Journalartikel aus Wien
Der Justizminister machte den Antrag, mehrere Prozesse gegen hiesige Journalisten wegen Preßvergehen aus den Oktobertagen her (und zwar gegen den Charivari, Studentenkurier, die Constitution und die Reform) als unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr an der Zeit, durch Eintretenlassen der gesetzlichen Verjährungsfrist|| S. 223 PDF || aufzugeben. Nur behält er sich vor, bezüglich des Redakteurs der Reform Raffelsberger11, welcher als k.k. Postbeamter in einem der inkriminierten Artikel eine sehr perverse Gesinnung zutage gelegt hat, dem Handelsminister behufs des weiteren Verfahrens gegen diesen Beamten die entsprechende Mitteilung zu machen12.
VI. Urlaub für den Unterstaatssekretär Andreas Freiherr v. Stifft
Der Finanzminister brachte ein Gesuch seines Unterstaatssekretärs Baron Stifft um einen unbestimmten Urlaub mit dem Antrage auf Erteilung desselben für die Dauer von sechs Wochen in Vortrag13.
Gegen keinen der vorstehenden Anträge ergab sich eine Erinnerung.