Nr. 63 Ministerrat, Wien, 19. April 1866 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Hueber; VS.Vorsitz Belcredi; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi 19. 4.), Esterházy 22. 4., Franck, Mailáth 23. 4., Larisch 24. 4., Komers 24. 4., Wüllerstorf 24. 4., Mercandin 25. 4.; außerdem anw.anwesend Becke; abw.abwesend Mensdorff.
MRZ. 63 – KZ. 1487 –
Protokoll des zu Wien am 19. April 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Staatsministers Grafen Belcredi.
I. Gesetz betreffend die Beschaffung der Geldmittel zur Erfüllung der Verpflichtungen des Staates im Jahre 1866
Vortrag des Finanzministers über ein Gesetz betreffend die Beschaffung der Geldmittel zur Erfüllung der Verpflichtungen des Staates im Jahre 18661. Sektionschef Baron Becke brachte die dem Gesetze zugrunde liegende Idee und den Gang der Verhandlungen hierüber in einem längeren Exposé zur Kenntnis der Konferenz. Er bemerkte, daß zur Deckung des Mai-Couponsa ein Abgang von 6 Millionen fr. noch zu bedecken war und daß der Kriegsminister seitdem noch 9 Millionen fr. für Kriegsrüstungen in Anspruch genommen habe2. In gewöhnlichen Zeitläufen wäre es der Regierung nicht so schwer gefallen, sich bianco Kredite zu verschaffen, die mittlerweile eingetretenen politischen Ereignisse, die auf der Pariser Börse vor kurzem entstandene enorme Baisse und die hierauf erfolgte allgemeine Panique habe die bianco Kreditsverschaffung beinahe zur Unmöglichkeit gemacht3. Die mit dem Pariser Konsortium angeknüpften Verhandlungen wegen Gewährung eines größeren Vorschusses seien indessen fortgesetzt worden, und dieses Konsortium habe sich jetzt unter der Bedingung zu einer Kreditoperation bereit erklärt, wenn die Staatsverwaltung ihm Bons de trésorb auf drei oder sechs Monate geben würde, welche durch Pfandbriefe der hiesigen Boden-Credit-Anstalt gedeckt werden4. Die Operation bezüglich des || S. 42 PDF || Staates sei einfach so, wie dieselbe von Seite eines Privaten gemacht werden müßte. Die Staatsgüter werden bewertet und mit der Hälfte beziehungsweise dem Drittel des Wertes, je nachdem es Latifundien oder Staatsforste sind, beliehen. Die Hypothekaranstalt gibt hierauf Pfandbriefe her, die verwertet werden müssen. Hiezu sei aber nicht nur eine Ah. Entschließung, sondern ein eigenes Gesetz notwendig, weil es sich um eine neue Staatsschuld handelt und daher für die Schuldverschreibung die Kontrasignierung der Staatsschuldenkontrollskommission erforderlich ist. Bei diesem Anlasse habe sich jedoch dem Finanzminister der Gedanke aufgedrungen, daß, wenn man jetzt schon Tresorscheine für 10 Millionen [fl.] ausgeben müsse, es besser wäre, die Maßregel zu generalisieren und so viele Tresorscheine auszugeben, als durch ein Anleihensgeschäft mittelst Pfandbriefen gedeckt werden können. Graf Larisch habe ein Hauptgewicht darauf gelegt, daß dabei an das Finanzgesetz pro 1866 angeknüpft werden kann5, und den doppelten Vorteil in dieser Operation erkennen zu sollen erachtet, a) daß sie überhaupt, weil im Finanzgesetze pro 1866 bereits vor längerer Zeit vorgesehen, als eine friedliche aufgefaßt werden wird und b) daß die Finanzverwaltung nicht bis auf den letzten Kreuzer gebunden ist, wenn in der Folge ein noch größerer Geldbedarf eintreten sollte. Die Pfandbriefe werden nicht übergeben, sondern Tresorscheine in der Hälfte der Summen, auf welche die Pfandbriefe lauten, ausgegeben, so daß für 60 Millionen [fl.] Pfandbriefe in Silber im ganzen nur 30 Millionen Tresorscheine ausgegeben werden. Das Pariser Konsortium übernehme 10 Millionen [fl.] und ein Hamburger Konsortium 2 Millionen6. Die Tresorscheine werden nicht bei den Staatskassen ausgegeben, sondern erst dann, wenn mit den Abnehmern über einen bestimmten Betrag schon kontrahiert ist, übergeben; dadurch gerät man in keinen Kontakt mit den Salinenscheinen, und die Bons de trésor erscheinen eigentlich als Staatswechsel. Für die 10 Millionen [fl.] des Pariser Konsortiums stellt die Staatskasse die Tresorscheine auf Ordre der Boden-Credit-Anstalt aus, und letztere giriert sie; dieselben können von drei zu drei Monaten prolongiert werden. Wenn nicht im Augenblicke Kriegsunruhen vorhanden wären, hätte das Pariser Konsortium voraussichtlich sämtliche Pfandbriefe auf die Staatsgüter zum Kurse von 70 oder 71 gekauft und der Finanzverwaltung wären auf diese Art vielleicht 42 Millionen [fl.] zugegangen, es wäre dabei ein fundiertes Anlehen entstanden, welches sich um 10% billiger gestaltet hätte als das frühere. Für das Placement besonders im Auslande sei es ein wesentlicher Vorteil, daß die Titres in Silber lauten und in Silber verzinslich sind und daß die Bons de trésor, weil bloß die Hälfte des || S. 43 PDF || Wertes der Staatsgüter beliehen und für die Tresorscheine ein Depot in Pfandbriefen im doppelten Betrage gegeben wird, eine vierfache Deckung haben. Die proponierte Kreditsoperation sei das einzige Mittel, sich Geld zu verschaffen; wenn dieselbe nicht genehmigt werden würde, bliebe nichts anderes übrig, als morgen das Gesetz wegen Umwandlung der Banknoten von 1 und 5 fr. in Staatsnoten herauszugeben7, während doch jetzt der Finanzverwaltung sogleich 12 Millionen [fl.] zugehen würden.
Der ungarische Hofkanzler bemerkte, 1. daß, so glimpflich auch die Maßregel erscheinen möge, er von seinem speziellen Standpunkte doch aufmerksam machen müsse, daß, nachdem sämtliche Domänen verpfändet werden sollen, also auch ungarische Krongüter, diese Maßregel im ungarischen Landtage angekämpft werden wird, da nach den ungarischen Gesetzen die Krongüter in Ungarn ohne Zustimmung des Landtages nicht veräußert und nicht verpfändet werden dürfen; 2. daß das Abschließen eines so großen Geschäftes mit der hiesigen Boden-Credit-Anstalt aus dem Grunde bedenklich sei, weil es die ungarische Boden-Credit-Anstalt auf lange Jahre zurückschlagen werde, und 3. daß dem Experimente mit einem so großen Betrage in Pfandbriefen nach seinem Dafürhalten ein großes Risiko anklebe, weil das Publikum für die Pfandbriefe doch nur ein beschränktes sei.
Sektionschef Baron Becke erwiderte:
Ad 1, daß bei der Zusammenstellung des Ausweises über die Pfandgüter mit der größten Genauigkeit darauf gesehen wurde, daß nicht ein ungarisches Krongut und ebensowenig die Forste in der Militärgrenze, deren Eigentum in Frage stehe, aufgenommen wurde. Er sei übrigens bereit, diesen Ausweis der Einsichtnahme und Prüfung des ungarischen Hofkanzlers zu unterbreiten. Ohne übrigens auf eine Gebrauchsnahme einraten zu wollen, glaube er bloß historisch auf das Ah. Patent vom 1. Februar 17608 aufmerksam machen zu sollen, mit welchem weiland die Kaiserin Maria Theresia, ohne den Landtag zu fragen, den ganzen Theißer Distrikt und noch andere ungarische Krongüter verpfändet hat. Graf Esterházy glaubte, daß es zur Beruhigung in Ungarn dienen würde, wenn im Gesetze die Güter, welche verpfändet werden sollen, spezifiziert werden würden. Graf Belcredi hielt dies nicht für notwendig, weil die gewünschte Beruhigung dadurch gewährt werden könne, daß in offiziösen Zeitungsartikeln bekanntgegeben wird, die ungarischen Krongüter seien von der Verpfändung frei gelassen worden.
Ad 2 bemerkte Baron Becke , daß die ungarische Boden-Credit-Anstalt das Geschäft nicht hätte machen können, weil sie nicht die finanziellen Verbindungen habe wie die hiesige. Übrigens werde der Abschluß des Geschäftes mit der hiesigen Boden-Credit-Anstalt der ungarischen Boden-Credit-Anstalt nur zum Vorteile gereichen, weil die hiesige Anstalt zur Anbringung von 60 Millionen [fl.] in Pfandbriefen wenigstens drei Jahre Zeit brauche und dieselbe daher bezüglich der Belehnung von Gütern der Privaten ganz außer Konkurrenz treten wird, die ungarische Boden-Credit-Anstalt daher freie Bahn haben wird.
|| S. 44 PDF || Ad 3 endlich sprach Baron Becke seine Überzeugung aus, daß der Boden-Credit-Anstalt die Unterbringung ihrer Pfandbriefe eben auch nur durch ihre Allianz mit dem Crédit Fonçier et Agricole in Paris gelingen wird.
Der Finanzminister teilte hierauf der Konferenz mit, daß die 10 Millionen [fl.], die heute in Paris abgeschlossen wurden9, dem Staate 10¾ % Zinsen per Jahr kosten werden, was gerade nicht sehr teuer sei, da Graf Bismarck demselben Konsortium für ein Anlehen von 20 Millionen Taler, welches er noch dazu mit einem Depot von Köln–Mindner Bahnaktien, den besten am Kontinente, zu decken beabsichtigte, sogar 12% zahlen wollte10.
Hierauf wurde der Entwurf des Gesetzes (Beilagec ) sowie der dasselbe motivierende, zur Veröffentlichung bestimmte au. Vortrag abgelesen11, und es einigte sich sohin die Konferenz in dem Einraten auf Ah. Genehmigung dieser Finanzmaßregel.
Wien, am 19. April 1866. Belcredi.
Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.Wien, 29. April 1866. Franz Joseph.