Nr. 62 Ministerrat, Wien, 17. April 1866 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Meyer; VS.Vorsitz Kaiser; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi 17. 4.), Mensdorff 19. 4., Esterházy 19. 4., Franck, Mailáth 20. 4., Larisch 20. 4.
MRZ. 62 – KZ. 1486 –
Protokoll des zu Wien am 17. April 1866 abgehaltenen Ministerrates unter dem Ah. Vorsitze Sr. Majestät des Kaisers.
I. Antwort Preußens auf die österreichische Depesche vom 7. 4. 1866 und Beratung der zu erteilenden Erwiderung
Antwort Preußens auf die ho. Depesche vom 7. d. M.1.
Graf Mensdorff gab der Konferenz Kenntnis von der Antwort des preußischen Kabinetts auf die ho. Note vom 7. d. M., worin dasselbe, wie natürlich, sich bestrebt, die in der ho. Note enthaltenen Angaben in seiner bekannten Art und Weise zu widerlegen und dann zum Schlusse kömmt, es solle bezüglich der Kriegsrüstungen der status ab ante wiederhergestellt und in Österreich, wo man zuerst mit der Rüstung begonnen, auch zuerst mit der Abrüstung angefangen werden.
Der Zeitpunkt, bemerkte Se. Majestät , sei nun gekommen, wo man einen definitiven Entschluß über Krieg oder Frieden zu fassen habe. Halte man den Krieg wirklich für unvermeidlich, dann müsse man die begonnenen Kriegsrüstungen nicht nur nicht unterbrechen, sondern alle Vorbereitungen, und zwar mit der größten Raschheit, treffen, welche zum Kriege notwendig sind. Ist der Krieg aber zu vermeiden und biete die vorliegende Antwort einen Anhaltspunkt dazu, so stelle sich die Frage dahin, in welcher Weise in das von Preußen gestellte Verlangen einzugehen und die von hier aus zu erteilende Antwort zu formulieren sei. Graf Esterházy meinte, es sei unvermeidlich, daß man auf ein so bestimmtes Verlangen, wie es in der preußischen Note auf Wiederherstellung des status quo gestellt werde, nicht [sic!] eine ebenso bestimmte positive Antworterteile. Unleugbar wolle Graf Bismarck den Krieg, und er suche nur nach einem Vorwande, irgendeiner Maßregel oder einem Worte, das er für ein Ultimatum erklären könnte, um ihn anzufangen. Bisher sei ihm dieses nicht gelungen, und es sei auch ferner Aufgabe der kaiserlichen Regierung, ihm auch ferner jeden solchen Vorwand zu entziehen. Jetzt dürfte es Aufgabe der Regierung sein, ihn beim Worte zu nehmen und den Vorschlag auf Wiederherstellung des status quo anzunehmen. Graf Mensdorff sprach sich in gleichem Sinne aus. Bismarck spekuliere nicht auf die eigene Kraft, sondern auf unsere Schwäche; er wisse sehr gut, daß im eigenen Lande die Stimmung gegen den Krieg sei, seine Stellung werde um so schwieriger, je mehr man ihm jeden Anlaß zum Beginne des Krieges entziehe. Auch er halte darum eine bestimmte, positive Antwort auf das Verlangen um Wiederherstellung des status quo für unvermeidlich.
Der Staatsminister Graf Belcredi machte zuerst darauf aufmerksam, daß in der vorliegenden preußischen Note wohl das Verlangen gestellt sei, daß Österreich || S. 37 PDF || mit der Wiederherstellung des status quo beginne, daß man aber über das schweige, was diesfalls in Preußen zu geschehen habe. – Mit einem bloßen Notenwechsel, namentlich mit einem Manne wie Graf Bismarck, werde die schwebende Frage nie gelöst werden; darum tue es not, einen Schritt in der Sache zu tun. Die Lösung sei aber für Österreich um so dringender, als der jetzige Zustand für die Länge unerträglich werde. Diesen Schritt nun glaube er darin zu erblicken, daß man sich an den Deutschen Bund wende und ihn auffordere, den Art. 11 der Bundesakte in Anwendung zu bringen2, womit man gleichzeitig die Versicherung zu verbinden hätte, daß man hierseits getreu diesem Artikel nachkommen werde. Ein solcher Schritt könne nicht im entferntesten als eine kriegerische Demonstration angesehen werden, wäre vielmehr vor den Augen Europas ein neuer Beweis der hier herrschenden Friedensliebe; man erreiche dadurch aber den großen Zweck, aus dem einseitigen, zu nichts führenden Notenwechsel mit Preußen herauszukommen und den Bund in die Angelegenheit selbst hineinzuziehen. Auf dieses Verlangen der Anwendung des Art. 11 des Bundes hätte man sich aber zu beschränken und sich zu hüten, die schleswig-holsteinische Frage selbst beim Bunde anhängig zu machen, weil wenigstens nach bekannten Äußerungen des preußischen Ministers die Anhängigmachung dieser Frage beim Bunde als ein Bruch der Gasteiner Konvention und als ein Kriegsfall betrachtet werden dürfte und er seinerseits vollkommen damit einverstanden sei, Preußen auch jeden Schein eines gegründeten Vorwandes zu einem Kriege zu entziehen. Endlich glaubte der Staatsminister den Ausdruck der Besorgnis nicht unterdrücken zu sollen, daß Graf Bismarck, auch ganz abgesehen von den Abmachungen mit dem Florentiner Kabinette3, auch nach anderen Richtungen nicht isoliert dastehe – was vielleicht beim Tuilerienkabinette und einigen deutschen Regierungen der Fall sein dürfte – und man eben darin den Grund seiner Kühnheit suchen müsse.
Die Grafen Mensdorff und Esterházy zweifelten, ob für Anrufung des Art. 11 der Bundesakte jetzt der geeignete Zeitpunkt vorhanden sei, indem man in diesem Augenblicke einer Mehrheit am Bunde nicht sicher sein könne, ohne eine sichere Aussicht auf eine solche man aber besser einen Appell an den Bund unterlasse. Der Kriegsminister Ritter v. Franck bezweifelte, ob man mit einer Erklärung der hierseitigen Bereitwilligkeit zur Rückkehr zum status quo etwas erreichen werde. Neue Vorwände, um preußischerseits für Rückkehr zum || S. 38 PDF || status ab ante nichts zu tun, um vielleicht sogar mit den Rüstungen vorwärtszugehen, werde man immer finden. In solchen sei bekanntlich Graf Bismarck erfinderisch und reich. Die ho. Kriegsrüstungen stehen in keinem Verhältnisse zu den preußischen. Preußen habe einen bedeutenden Teil seiner Armee mobilisiert, seine Festungen in Kriegsbereitschaft gesetzt, verproviantiert und Pferdeankäufe im großartigen Maßstabe effektuiert4. Dieses alles sei dort eine vollendete Tatsache, während man hier mit der Instandsetzung der Festungen, mit deren Verproviantierung, mit dem Pferdeankauf erst beginne5. Vor einer voreiligen Sistierung der hier im Zuge befindlichen Vorbereitungen könne er nur auf das eindringlichste warnen. Namentlich was den Pferdeankauf betreffe, so lasse eine solche im Zuge befindliche Maßregel nicht so leicht auf einmal sich rückgängig machen, weil die Lieferanten ihre Maßregeln getroffen haben und sie ohne große Entschädigungssummen nicht begütigt werden könnten. Ob man dieselben nicht wieder bald zu brauchen in der Lage sein werde, wisse niemand, und da sei es denn fraglich, ob sie der Regierung ebenso wieder zu Diensten sich stellen werden. Für Instandstellung der Artillerie seien übrigens diese Ankäufe ganz unvermeidlich, und die Montierung der Artillerie sowie die Instandsetzung und Verproviantierung der Festungen sei gegenüber dem, was preußischerseits bereits geschehen, nicht nur das Wenigste, sondern auch das Allernotwendigste, was zu geschehen habe. Wenn man hierseits gerüstet sei, werde man auf der gegnerischen Seite mit größerer Vorsicht uns gegenüber auftreten. Er halte daher dafür, daß bis zum Einlangen der preußischen Antwort auf die nun von uns zu erteilende mit den begonnenen Rüstungen fortgefahren werden solle. Der ungarische Hofkanzler v. Mailáth sprach die Ansicht aus, daß für beide Staaten ein bestimmter Tag festgesetzt werden sollte, an welchem von denselben gleichzeitig mit der Abrüstung begonnen werden solle. Wollte man an den Bund sich wenden, so müsse man schon jetzt darüber im klaren sein, ob man nötigenfalls selbst so weit zu gehen entschlossen sei, Holstein zu opfern. Der Finanzminister Graf Larisch sprach die Befürchtung aus, daß, wenn man keine einläßliche Antwort auf die preußische Note erteile, darüber ein neuer Kriegslärm werde angehoben werden. Die Antwort Preußens werde als eine friedliche ausgegeben; wenn man nicht in gleicher Art antworte, so werde dieses einen neuen Vorwand abgeben, Österreich Aggressivabsichtena in die Schuhe zu schieben. Bis zum Eintreffen der preußischen Antwort könne man allerdings, so schwer auch dieses auf die Finanzen falle, mit den im Zuge befindlichen Vorbereitungen fortfahren, allein sehr zu wünschen sei, daß für die Rückkehr zum status quo ein kurzer Termin angesetzt werde. Dann stellte Graf Larisch die Frage auf, ob es nicht an der Zeit sein dürfte, daß Se. Majestät sich persönlich an den König von Preußen wende und die erforderliche Zusicherung || S. 39 PDF || zu erlangen trachte, weil Erfahrung beweise, daß man auf eine solche des Grafen Bismarck sich nicht viel verlassen könne.
Se. Majestät geruhte sich dahin zu äußern:
Wie die Sachen im gegenwärtigen Augenblicke stehen, bleibe wohl nur die Wahl zwischen zwei Wegen: Entweder man gehe ein auf den Antrag auf Wiederherstellung des status quo und es werde zur Einstellung aller Kriegsrüstungen geschritten, oder man vermeide eine einläßliche Antwort, in welchem letzteren Falle man aber sofort zur vollen Kriegsbereitschaft zu schreiten habe. Die Antwort Preußens werde als eine friedliche ausgegeben und auch in gewissen zu beachtenden Kreisen dafür gehalten. Noch bevor sie hier bekannt war, habe der bayerische Minister des Äußern v. der Pfordten sich beeilt, hieher zu berichten, daß sie im friedlichen Sinne lauten werde, und es sei als sicher anzunehmen, daß er von deren Inhalte damals schon Kenntnis hatte6. Die preußische Note biete Anlaß, einen letzten Versuch zur Erhaltung des Friedens zu machen, und Er erachte es für Pflicht, diesen Anlaß nicht vorübergehen zu lassen. In das Verlangen zur Rückkehr zum status quo dürfte also eingegangen, an die hierüber abzugebende Erklärung jedoch die Bedingung geknüpft werden, daß beiderseits an dem einen und demselben Tage die Abrüstungsbefehle erlassen und die Abrüstungsmaßregeln ins Werk gesetzt werden. Es walte auch gar kein Anstand, daß man mit der größten Offenheit über die bisher getroffenen Vorbereitungsmaßregeln sich ausspreche und für den Fall, wo man es als opportun erachte, selbst in ein Detail über die Abrüstung sich einlasse. In diesem Falle jedoch wäre im Auge zu behalten, daß aus finanziellen Rücksichten eine sofortige Zurückinstradierung der sechs Kavallerieregimenter aus Böhmen, bMähren und Niederösterreichb in ihre früheren Standorte nicht zulässig sei und erst später effektuiert werden könnte. Durch ein solches offenes Eingehen werde Preußen gezwungen, ebenfalls offen Farbe zu bekennen. Die im Zuge befindlichen Pferdeeinkäufe, so nachteilig sie für das Ärar seien, lassen sich vorderhand nicht einstellen. Der Einkauf geschehe aber nicht auf einmal, und wenn die ho. Note an Preußen beförderlich abgehe und sodann die dortige Antwort bald einlange, so sei zu hoffen, daß für den Fall, wo sie günstig laute, sämtliche Ankäufe noch nicht effektuiert sein werden. An den Bund werde die Angelegenheit allerdings früher oder später gebracht werden müssen. Dieses könne aber nur in dem geeigneten Zeitpunkte geschehen, und ob dieser jetzt vorhanden, sei um so mehr zu bezweifeln, als gerade der sächsische Minister v. Beust, welcher immer dazu gedrängt habe, für diesen Moment ernstlich davon abrate. Überhaupt sei es schwer zu vermeiden, die Sache beim Bunde anhängig zu machen, ohne daß nicht gleichzeitig die schleswig-holsteinische Frage selbst zur Sprache gebracht werde. Für den Augenblick müsse aber dieses vermieden werden, und darum werde es überhaupt schwer, sich jetzt an den Bund zu wenden. Sich schon jetzt persönlich an den König zu wenden, dürfte etwas zu frühzeitig sein, weil dieses immer der || S. 40 PDF || letzte Schritt sei, der dann, aber auch nicht eher, zu tun sei, wenn keine anderen mehr erübrigen. Schließlich gab Se. Majestät Ihren Willen dahin kund, daß die ho. Antwort in einem ruhigen, durchaus offenen Tone abgefaßt und jede komminatorisch zu deutende Wendung vermieden werde.
Wien, den 17. April 1866. Belcredi.
Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen.Wien, am 29. April 1866. Franz Joseph.