Nr. 28 Ministerrat, Wien, 27. November 1865 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Hueber; VS.Vorsitz Belcredi; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Belcredi 27. 11.), Mensdorff 29. 11., Franck, Larisch 30. 11., Komers 30. 11.; abw.abwesend Esterházy, Mailáth, Wüllerstorf.
MRZ. 27 – KZ. 4036 –
Protokoll des zu Wien am 27. November 1865 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. Exzellenz des Herrn Staatsministers Grafen Belcredi.
I. Notstand in Görz
Der vorsitzende Staatsminister setzte die Konferenz in Kenntnis, daß der Statthalter in Triest die Notwendigkeit einer Subvention aus dem Staatsschatze aus Anlaß des Notstandes in vier Bezirken von Görz durch einen Abgesandten dargetan habe. In Görz sei heuer eine schlechte Ernte gewesen, seit 15 Jahren haben dort Mißernten an Seide und Wein stattgefunden, die Steuern und Landesbeiträge seien im Rückstande, das Land sei überhaupt arm und nicht in der Lage, sich selbst zu helfen. In den vier Notstandsbezirken habe man nur bis anfangs Jänner reichende Lebensmittel. Zur Abhilfe schlage der Statthalter die sogleiche Vornahme notwendiger Bauten am Isonzo zur Verhütung von Überschwemmungen vor, deren Kosten auf 74.224 fr. präliminiert sind. Hievon seien 20.000 fr. durch die ordentliche Baudotation gedeckt, so daß es sich nur darum handle, 54.000 fr. zu Wasserbauten und weitere 2000 fr. für die Anlegung einer Straße, daher zusammen 56.000 fr. dem Lande zur Verfügung zu stellen. In Berücksichtigung dieser bedrängten Verhältnisse glaubte Referent, daß, da man aus Staatsmitteln keine Geschenke machen könne, dem Lande Görz ein unverzinslicher Vorschuß von 40.000 fr. gegen Abstattung in längeren, mit dem Lande zu vereinbarenden Terminen und Modalitäten aus dem Staatsschatze zur Bewirkung der fraglichen Wasserbauten bewilligt bzw. die Ah. Genehmigung Sr. Majestät hiezu eingeholt werden solle.
Die Konferenz war mit dem Antrage einverstanden, einigte sich übrigens über Anregung von Seite des Justizministers für die Gewährung eines Vorschusses von 50.000 fr.1.
II. Vereinigung der ungarischen Finanzlandesdirektionsabteilungen und der Finanzlandesdirektion in Temesvár
Der Finanzminister erinnerte, daß infolge des Ministerratsbeschlusses vom 1. September l. J. Se. Majestät im Grundsatze die Vereinigung der ungarischen Finanzlandesdirektionsabteilungen sowie der Finanzlandesdirektion in Temesvár in eine Finanzlandesdirektion Ag. zu genehmigen und den Finanzminister zu beauftragen geruht haben, seinerzeit über die Modalitäten der Durchführung dieser Maßregel und die dabei zu gewärtigenden Ersparnisse au. Vortrag zu erstatten2.
Der Finanzminister glaubte, daß jetzt der Moment vorhanden wäre, mit dieser Verfügung vorzugehen, und bemerkte, daß er den au. Vortrag vorbereitet habe, || S. 206 PDF || worin die Modalitäten der Auflösung der genannten Finanzoberbehörden in Ungarn und die Art der Unterbringung der tauglichen Beamten au. in Antrag gebracht werden. Es sei notwendig, unter einem den Chef der hinkünftigen ungarischen Finanzlandesdirektion zu ernennen, und er beabsichtige, hiefür Sr. Majestät den Hofrat Marcher au. in Vorschlag zu bringen, der die Landes- und Dienstverhältnisse vollkommen kenne, als geborener Ungar der Landessprache mächtig und für die Übergangsperiode hiezu die einzige geeignete Persönlichkeit sei, mit deren Wahl sich auch der Tavernikus einverstanden erklärt habe3. Die Konferenz stimmte dem Vorhaben des Finanzministers bei.
III. Haltung des Oberstaatsanwaltes Dr. Waser im steirischen Landtag
Der Justizminister erinnerte an den im steiermärkischen Landtage eingebrachten, mit dem Antrage des Freiherrn v. Tinti im niederösterreichischen Landtage in der Motivierung ganz gleichen Antrag des Abgeordneten Kaiserfeld auf Niedersetzung einer Kommission zur Prüfung der Rückwirkung des Patentes vom 20. September l. J.4 auf das Land mit dem Bemerken, daß dieser Antrag auch von dem Oberstaatsanwalt Dr. Waser unterfertigt worden sei5. Als das Ministerium sich entschlossen habe, Sr. Majestät die Erlassung des kaiserlichen Manifestes und des Ah. Patentes vom 20. September l. J. in Antrag zu bringen, habe es das Bewußtsein gehabt, daß es sich auf die Würdigung desselben, aber auch auf Angriffe gefaßt machen müsse. Solche Angriffe können aber nur von solchen Personen vorausgesetzt und geduldet werden, die keine anderen Pflichten als ihr Mandat als Landtagsabgeordnete haben, deren politisches Gewissen nur durch ihr Mandat und durch keine anderweitigen Pflichten bestimmt wird. In einer solchen Lage befinde sich jedoch ein Oberstaatsanwalt nicht. Derselbe sei durch den Diensteid an seine Instruktion gebunden und gesetzlich dem Justizminister verantwortlich, als dessen Arm er erscheine. Ein Oberstaatsanwalt könne sich nicht auf den Standpunkt stellen, daß er als Abgeordneter Regierungsmaßregeln angreift und den Führern der Opposition sich beigesellt, da er in die Lage kommen könne, eben dieser Haltung wegen gegen einzelne Landtagsmitglieder eine Verfügung treffen zu müssen. Eine solche Doppelstellung sei für einen Oberstaatsanwalt nicht möglich, sie wäre nur geeignet, die Regierung ganz lahmzulegen. Eine Partei, die so vorgehe wie die, welche sich dem Kaiserfeldschen Antrage beigesellte, welche von durch das Patent vorgenommenen Rechtsverletzungen spreche, könne, wenn sie noch um einen Schritt weiter ginge, dem Strafgesetze verfallen. Mit welchem Vertrauen könnte man daher den Oberstaatsanwalt Dr. Waser noch in seiner dermaligen dienstlichen Stellung als Wächter des Gesetzes belassen? Der Justizminister hielt es vor allem für notwendig vorzubeugen, daß sich Waser nicht vielleicht darauf berufe, daß er keinen anderen Standpunkt der Regierung gegenüber eingenommen habe als Oberlandesgerichtsrat Mende im Reichsrate. Ein Richter stehe als Abgeordneter auf einem anderen Standpunkte als ein Oberstaatsanwalt. Ersterer brauche sich nur in seinem ämtlichen Wirken auf dem Boden des Gesetzes zu bewegen, und dem Justizminister || S. 207 PDF || stehe auf dessen Judikatur kein Einfluß zu. Anders sei jedoch das Verhältnis bei einem Oberstaatsanwalte, der bei seiner ämtlichen Funktion nicht so freie Hand habe, der das Auge des Gesetzes und das Organ des Justizministers sei, der, wenn er von dem Justizminister beauftragt ist, selbst wenn es gegen seine eigene Überzeugung wäre, eine Anklage erheben oder von einer gestellten Anklage zurücktreten müsse. Der Justizminister glaubte daher, obigen Betrachtungen in einem Schreiben an den Präsidenten des Oberlandesgerichtes in Graz Ausdruck geben und den Freiherrn v. Lattermann beauftragen zu sollen, den vor sich zu ladenden Oberstaatsanwalt Dr. Waser in geeigneter Weise von dem Inhalte dieses Schreibens mit der Aufforderung in Kenntnis zu setzen, er habe sich binnen acht Tagen zu äußern, ob er sein Mandat als Abgeordneter im steiermärkischen Landtage zurücklegen oder von seiner Stellung als Oberstaatsanwalt zurücktreten wolle.
Der vorsitzende Staatsminister stimmte der Ansicht des Justizministers bei, daß Waser durch den unternommenen Schritt aufgehört habe, ein Vertrauensmann der Regierung zu sein. Er hielt jedoch die vorgeschlagene Modalität, ihn unschädlich zu machen, nicht für geraten, da die ihm gestellte Alternative als moralischer Zwang politisch ausgebeutet werden würde. Nach der Richtung, die Waser verfolge und die er durch Mitfertigung des Kaiserfeldschen Antrages manifestiert habe, sei es klar, daß Waser, wenn er auch sein Mandat als Abgeordneter niederlegen würde, doch seine Schuldigkeit als Oberstaatsanwalt nicht mehr in dem Maße tun würde, wie es seine Pflicht wäre. Unter den gegebenen Verhältnissen wäre es daher klüger, denselben einfach von seinem dermaligen Dienstposten, wofür er das Vertrauen verloren habe, und den er mit der erforderlichen Unbefangenheit und Strenge nicht mehr versehen könne, zu entfernen. Die Regierung müsse den Mut haben, klar auszusprechen, daß sie sich eine solche Haltung eines ihrer Organe, dessen ämtliche Wirksamkeit von ihrem Vertrauen begleitet sein müsse, um sich zu einem gedeihlichen zu gestalten, nicht gefallen lasse. Eine Kritik habe sie diesfalls nicht zu scheuen, während sie der Opposition nur selbst eine Waffe in die Hand geben würde, wenn sie gegen einen Beamten wegen Niederlegung seines Landtagsmandates Einfluß oder Zwang ausüben wollte. Die Konferenz teilte die Ansichten des Grafen Belcredi, und der Justizminister äußerte sohin unter allseitiger Zustimmung sein Vorhaben, Sr. Majestät alsogleich den au. Antrag unterbreiten zu wollen, daß Dr. Waser von seiner Stellung als Oberstaatsanwalt in Graz enthoben und der Justizminister aufgefordert werde, wegen dessen anderweitiger Unterbringung — als Oberlandesgerichtsrat in dem Gremium eines Oberlandesgerichtes — einen geeigneten Antrag zu stellen6.
Wien, am 27. November 1865. Belcredi.
Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Schönbrunn, den 2. Dezember 1865. Franz Joseph.