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Nr. 335 Ministerrat, Wien, 30. März 1863 - Retrodigitalisat (PDF)

  • ℹ️ anwesend:
  • RS.; P. Ransonnet; VS. Kaiser; BdE. und anw. (Erzherzog Rainer 31. 3.), Nádasdy, Schmerling, Forgách, Esterházy, Mažuranić; BdR. Erzherzog Rainer 6. 4.

MRZ. 1139 – KZ. 1098 –

Protokoll der zu Wien am 30. März 1863 unter dem Ah. Vorsitze abgehaltenen Ministerkonferenz.

I. Ah. Bestimmungen über die Behandlung der ungarischen Frage

Se. Majestät der Kaiser geruhten zu eröffnen, Allerhöchstdieselben hätten die beiderseitigen Ansichten über die Behandlung der ungarischen Frage entgegengenommen1 und nach reifer Erwägung die früher gehegte Ansicht festgehalten, daß bei der gegenwärtigen Lage Österreichs im Innern, namentlich aber dem Auslande gegenüber, eine Veränderung in der Zusammensetzung des k. k. Ministeriums jetzt von Nachteil wäre. Zur Behebung der vorhandenen Differenzen haben Se. Majestät die Ah. Willensmeinung zu Papier gebracht, werden dieselbe der Ministerkonferenz vorlesen, und Allerhöchstdieselben erwarten von der pflichtschuldigen Treue und Hingebung aller Mitglieder des Ministeriums, daß sie diese Ah. Bestimmungen ohne Widerrede hinnehmen und gemäß derselben wirken werden, daher dieselben auch den heute nicht anwesenden Ministern durch Mitteilung dieses Konferenzprotokolles zur Richtschnur zu eröffnen sind2.

|| S. 333 PDF || „Sämtliche Programme zur Lösung der ungarischen Frage werden zurückgezogen.

Sobald es sich darum handeln wird, den ungarischen oder kroatischen Landtag einzuberufen, wird die gegenüber demselben zu beobachtende Haltung sowohl als Inhalt und Form der königlichen Propositionen in der Konferenz zu beraten und Meiner Genehmigung zu unterlegen sein.

Da das Oktoberdiplom und die Februarverfassung in den östlichen Ländern der Monarchie volle Geltung haben, so haben die ungarischen, siebenbürgischen und kroatischen Räte der Krone sowohl durch ihre persönliche Amtstätigkeit als durch die ihnen untergeordneten Organe auf die Durchführung der obigen Grundsätze zu wirken.

Graf Apponyi wird seiner Stelle enthoben und gleich ersetzt.

In Siebenbürgen wird der Landtag einzuberufen sein. Das provisorische Gesetz über Zusammensetzung und Wahlordnung desselben ist in der Konferenz einer ruhigen und genauen Prüfung zu unterziehen.

Die Frage der Union ist nicht unter die Propositionen aufzunehmen, auch ist Mir ein Antrag des Landtages über diese Frage weder in der einen noch in der anderen Richtung zur Sanktion vorzulegen.

Es ist mit Strenge darüber zu wachen, daß sämtliche Beamte nicht durch unberufenes Aufstellen von Programmen und willkürliches Verfolgen selbstgeschaffener politischer Systeme die Lösung der schwebenden Fragen erschweren und Zweifel über die Absichten der Regierung erwecken.

Die offizielle und offiziöse Presse dies- und jenseits der Leitha hat nur im Sinne der oben angedeuteten allgemeinen Grundsätze zu wirken und eine günstigere Stimmung allmählich vorzubereiten.

Gegenseitige Anfeindungen dieser Organe sind durchaus nicht zu dulden. Die nichtinfluenzierte Presse ist mit den gesetzlichen Mitteln in demselben Geiste in den Schranken der Mäßigung zu erhalten.“

Nach Verlesung dieser Ah. Bestimmungen geruhten Se. k. k. apost. Majestät die Punkte, welche die Presse betreffen, noch besonders zur genauesten Richtschnur zu empfehlen, damit dem Erscheinen der aufregenden Artikel beiderseits ein Ende gemacht werde.

II. Vorschlag für die Besetzung der Stelle des Judex Curiae nach Graf Apponyi

Gemäß Ah. Aufforderung referierte der ungarische Hofkanzler über die Bestellung eines Judex Curiae in Folge der nach Graf Georg Apponyi eintretenden Erledigung – eine Wiederbesetzung, welche deswegen dringend erscheine, weil eine längere Sedisvakanz zu falschen Auslegungen der Ah. Absichten ausgebeutet werden dürfte. Die Wahl für den hohen Posten eines Judex Curiae sei überhaupt schwierig, weil nur wenige Würdenträger ihrer amtlichen Stellung und ihrer Familie nach hiebei in Betracht kommen können, noch schwieriger aber im gegenwärtigen Augenblicke, weil von den wenigen Berufenen ein Teil die vorzuzeichnenden politischen Grundsätze sich nicht wird eigen machen wollen. Nach reifster Erwägung glaube Graf Forgách Sr. Majestät den Obergespan in Sáros, Grafen Georg Andrássy, au. vorschlagen zu sollen, der durch seine notorische Anhänglichkeit an die Ah. Dynastie und als offener Gegner der 1848er Gesetze einerseits, sowie durch seine Antezedentien || S. 334 PDF || und seine dermalige hohe Stellung eines Baro Regni, endlich durch den Glanz seines Namens und großen Vermögens vor Allen berufen scheint, den Platz eines Judex Curiae in einer den Absichten Sr. k. k. apost. Majestät entsprechenden, völlig würdigen Weise auszufüllen.

Im Laufe der über diesen Antrag gepflogenen längeren Beratung äußerte Minister Graf Nádasdy , es dringe sich ihm das Bedenken auf, daß es überhaupt nicht anzuratena wäre, jetzt in Ermangelung eines Palatins zur Ernennung des Judex Curiae zu schreiten, da ein solcher Würdenträger sich vielleicht in einem kritischen Moment beikommen lassen könnte, ohne Ah. Auftrag, bloß gestützt auf den Artikel 3 des Gesetzes von 1608 ante coronationemb, eigenmächtig einen Landtag zur Vornahme der Palatinswahl einzuberufen und dadurch große Verlegenheiten herbeizuführen3. Weiters erhob dieser Minister gegen Graf Andrássy speziell das Bedenken, daß er kein Jurist vom Fach sei und daß es ihm daher nicht möglich sein werde, die königliche Kurie mit ihren vielen (36) dwieder glücklich gewähltenc Räten zu präsidieren, noch weniger aber die dringend gewordenen Verbesserungen im ungarischen Justizwesen vorzubereiten und durchzuführen. Für diese Art Geschäfte wäre der Personal4, v. Melczer, ganz vorzüglich geeignet, und es würde nur darauf ankommen, sich vorläufig darüber zu vergewissern, daß er nach den Grundsätzen der Regierung mit Entschiedenheit wirken werde. Der Staatsminister fände den Grafen Andrássy, abgesehen von dessen minderer juridischen Befähigung, am geeignetsten und verspräche sich von demselben auch ein energisches Vorgehen, zumal er sich als Obergespan in den Komitatsversammlungen mit seltener Entschiedenheit benommen hat und die Wahlen von Kossuth etc. kassieren ließ. Allein nach früheren Äußerungen des Grafen müsse der Staatsminister sehr bezweifeln, daß derselbe sich überhaupt wird entschließen können, unter den gegenwärtigen Verhältnissen einen Posten mit so verantwortlicher Stellung zu übernehmen. Minister Graf Esterházy spricht sich entschieden für die Wahl des Grafen Andrássy aus, zumal dieselbe den Gegensatz zu dem bisherigen System am klarsten ausspricht. Er werde die Unpopularität, die den Nachfolger des Grafen Apponyi unvermeidlich treffen wird, am besten ertragen. Wird er – wahrscheinich nach seinem eigenen Wunsch – in einigen Monaten des Dienstes enthoben, so dürften Se. Majestät in der Lage sein, bei der Wahl des Nachfolgers vorzugsweise die juridische Befähigung in Betracht zu ziehen. Dem Personal v. Melczer dürfte der politische Mut zur entsprechenden Führung, ja selbst vielleicht zur bloßen Übernahme des fraglichen Postens fehlen. Der ungarische Hofkanzler glaubt, daß die eigenmächtige Einberufung eines ungarischen Landtages jetzt wohl von keinem durch Se. Majestät Ah. zu ernennenden Judex Curiae, und am wenigsten vom Grafen Andrássy zu besorgen sein dürfte. Der Abgang einer allseitigen juridischen Vorbildung dürfte gegen den Obgenannten || S. 335 PDF || kein wesentliches Hindernis sein, nachdem er jedenfalls einige juridische Kenntnisse besitzt und gerade nach seiner bisherigen Tätigkeit mit Nutzen zur dringend gewordenen Verbesserung des Handelsrechts wirken könnte. Seine Fähigkeit zur Führung des Präsidiums habe Graf Andrássy vielfältig bei Eisenbahn- und Montanvereinen, dann bei der ungarischen Waldburgerschaft5 bewährt; auch werde er ja durch fähige Vizepräsidenten unterstützt werden. Auf die übrigen Persönlichkeiten, welche in Frage kommen könnten, übergehend, bemerkte der ungarische Hofkanzler, daß dem Baron Prónay sein akatholischer Glauben allein schon im Wege stehe, v. Lipovnicky sehr gealtert sei, v. Török der politischen Aufgabe kaum gewachsen wäre und der Personal Melczer sich mit Ostentation von der Politik fernhalte, so daß er kaum geneigt sein würde, sich in den Vordergrund auf einen so schwierigen Posten stellen zu lassen6. Der kroatisch-slawonischer Hofkanzler glaubte, auf eine Würdigung der genannten, ihm nicht näher bekannten Personen nicht eingehen zu sollen, hielt es jedoch für wünschenswert, daß Graf Apponyis Nachfolger ein tüchtiger Jurist sei7.

Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, den 5. April 1863. Empfangen 6. April 1863. Erzherzog Rainer.