Nr. 220 Ministerrat, Wien, 3. April 1862 - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 4. 4.), Rechberg, Mecséry, Nádasdy, Degenfeld, Schmerling, Lasser 6. 4., Plener, Wickenburg Lichtenfels, Esterházy; abw.abwesend Pratobevera, Forgách; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 12. 4.
MRZ. 1023 – KZ. 1060 –
Protokoll des zu Wien am 3. April 1862 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. k. k. Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Verhandlungen des Finanzausschusses über das Übereinkommen mit der Nationalbank und Erklärung der Regierung hierüber
Der Finanzminister referierte über den Bericht der dritten Sektion des Finanzausschusses in betreff der Regierungsvorlage wegen Verlängerung des Privilegiums der Nationalbank und Bestätigung des Übereinkommens mit der letzteren1.
Der Antrag lautet auf Ablehnung des Artikels I des Gesetzentwurfs und des beiliegenden Übereinkommens. Man hatte gehofft, daß im Berichte neben dem ablehnenden Antrag der Majorität des „Steuerausschusses“ (Graf Wrbna und [Graf] Wratislaw, Hasner, Herbst und Skene) auch ein der Regierungsvorlage günstiger Antrag der aus Fachmännern zusammengesetzten Minorität (Rosthorn, Liebieg, Szábel und Winterstein) erscheinen würde; dies ist aber nicht geschehen. Andererseits ist auch die Majorität mit ihrem auf die Emission von Staatsnoten gegründeten Projekt nicht hervorgetreten. Wenn die Majorität des Plenarausschusses dem Sektionsantrage beitritt, so ist zu besorgen, daß auch das Abgeordnetenhaus die Regierungsvorlage ablehnt, was die Regierung zwingen würde, die Initiative mit einem neuen Projekt zu ergreifen. Um dieser ungünstigen Wendung vorzubeugen, hält es der Finanzminister für rätlich, alle zu Gebot stehenden Mittel anzuwenden, um den Plenarfinanzausschuß zu bestimmen, daß er seine dritte Sektion anweise, auf der Grundlage des vorgelegten Übereinkommens mit dem Ministerium über die notwendig befundenen Modifikationen — jedoch mit Ausschluß der Emission von Staatsnoten — in Verhandlung zu treten. Um diesen Zweck zu erreichen, sollten die Minister vorläufig allen ihren Einfluß auf die Ausschußmitglieder geltend zu machen suchen, in der Plenarsitzung am 5. d. M. aber wäre zur Herbeiführung der gewünschten Entscheidung namens der Regierung zu erklären, daß sie das vorgeschlagene Übereinkommen dem Wesen nach für entsprechend hält und die Herausgabe von Staatsnoten Sr. Majestät durchaus nicht zu empfehlen vermöchte.
Im Laufe der hierüber gepflogenen längeren und eindringlichen Erörterung äußerte der Finanzminister, er habe wohl vor dem Zustandekommen der Übereinkunft mit der Nationalbank für den Fall des Nichtzustandekommens die Eventualität || S. 384 PDF || der Ausgabe von Staatsnoten als letztes bedauerliches Auskunftsmittel ins Auge fassen müssen, doch könne dermal davon keine Rede mehr sein. Die bedauerlichsten Komplikationen würden die Folge davon sein, und alle Staatsnoten [würden] schleunigst in die Bank zurückströmen, wie schon der Umstand beweist, daß der gegenwärtige Alarm zur Folge hat, daß dermal 5 fl. Banknoten massenhaft in die Kassen zurückfließen. Sollte das Übereinkommen scheitern, gedächte der Finanzminister doch jetzt nicht zu Staatsnoten, sondern vielmehr zur Ausgabe eines neuen, lockend ausgestatteten Lotterieanlehens zu schreiten, welches — wenn das 1860er Anlehen in den Kassen der Bank afür mehrere Jahrea verwahrt bleibt — vorteilhaft untergebracht werden dürfte. Der Staatsminister erklärte sich wiederholt mit Vergnügen bereit, wie bisher allen seinen Einfluß zur Gewinnung der Ausschußmitglieder in Anwendung zu bringen, und er wolle auch in der Plenarsitzung erscheinen, um durch seine persönliche Beteiligung an den Debatten sein volles Einverständnis mit den Anträgen des Finanzministers an den Tag zu legen. Gegen die Abgabe einer Erklärung im Ausschusse namens der Regierung finde der Staatsminister nichts zu erinnern, sofern dieselbe nicht zu peremtorisch lautet, die Modifikation einzelner Bestimmungen des Übereinkommens zuläßt und die Hinausgabe von Staatsnoten nicht absolut für alle Zukunft, sondern nur für dermal (zur Regulierung der Bankverhältnisse) als untunlich erklärt. Man dürfe sich nämlich nicht voreilig die Hände so binden, daß man zu dem bei bedenklichen Situationen unentbehrlichen Hülfsmittel des Staatspapiergeldes nur durch einen Wortbruch greifen kann. Ein ausdrückliches Reservat diesfalls zu machen, sei jedoch nicht notwendig. Der Minister des Äußern trat dem Staatsminister vollkommen bei, ebenso die Minister Graf Nádasdy und Baron Mecséry , welcher letztere das Übereinkommen als das einzige zum Ziel führende Mittel erkennt. Minister Ritter v. Lasser entwickelte seine von der des Finanzministers etwas abweichende Meinung über die Bank- und Banknotenfrage, welche Meinung er bereits bei früheren Beratungen dargelegt hat und die für ihn ein Grund mehr ist, vor einer absoluten Erklärung gegen das Staatspapiergeld zu warnen. Auch wäre es nicht geraten, selbst nur anzudeuten, daß die Regierung für den Fall der Verwerfung ihres Antrags ein anderes Auskunftsmittel hätte. bDie ganze Verhandlung im Ausschusse wäre dahin zu leiten, daß man die Ablehnungsgründe der Majorität bekämpfe und sie zwinge, mit positiven Vorschlägen hervorzutreten. Ein solches Kampffeld sei für die Regierung günstiger, indem sie dann kritisierend vorgehen und zweckmäßigen Modifikationen beitreten könnteb . Ritter v. Lasser hält es ferner für durch die Vorsicht geboten, daß die ministerielle Erklärung nicht sofort, sondern erst dann abgegeben werde, wenn es durch die Wendung der Debatten im Ausschusse unvermeidlich werden sollte. Die Minister Grafen Wickenburg und Esterházy , dann der Staatsratspräsident stimmten in Absicht auf den Inhalt der Erklärung mit dem Staatsminister, in Absicht auf den Zeitpunkt ihrer Abgabe jedoch mit Ritter v. Lasser. Schließlich erklärte der letztgenannte Minister || S. 385 PDF || — über Aufforderung von Seite des Finanzministers — daß er sich ebenfalls in der Ausschußsitzung am 5. d. M. einfinden werde2.
II. Erklärung der Regierung im Abgeordnetenhaus über die Ministerverantwortlichkeit
Der Staatsminister besprach die neuerdings von vielen Reichsratsabgeordneten selbst der Regierungspartei mit großer Entschiedenheit ausgesprochenen Begehren nach der Vorlage eines Gesetzes über die Ministerverantwortlichkeit3. Vergebens hat der Minister denjenigen, die sich diesfalls an ihn wendeten, auseinandergesetzt, daß die Minister ihre Verantwortlichkeit mit Ah. Genehmigung bereits im Reichsrate anerkannt haben4, daß ein förmliches Gesetz über diesen Gegenstand überhaupt — man sehe Preußen! — eine schwierige Sache, bei der gegenwärtigen Übergangsperiode unserer staatsrechtlichen Verhältnisse in Ungarn etc. aber eine unmögliche Sache sei. Es ist einmal die Marotte der meisten Abgeordneten und vieler Wähler, den Satz „Die Minister sind verantwortlich“ Allerhöchstenortes oder doch im Ah. Auftrage ausgesprochen zu hören oder zu lesen. Damit würden die Zweifel beseitigt, welche da und dort noch aus dem Grunde bestehen, weil die Minister mit Ah. Handschreiben vom 20. August 1851 nur Sr. Majestät allein verantwortlich erklärt worden sind5. Um nun in dieser Beziehung die wünschenswerte Beruhigung zu erreichen, gedächte der Staatsminister mit Ah. Genehmigung die nächste im Abgeordnetenhause sich darbietende passende Gelegenheit [zu] ergreifen, um die Erklärung über den Bestand der Ministerverantwortlichkeit mit ausdrücklicher Berufung auf eine Ah. Ermächtigung zu erneuern. Wollte aber von irgendeiner Seite die Einbringung eines Gesetzes über die Ministerverantwortlichkeit als Bedingung der Votierung des Budgets gefordert werden, würde sich der Staatsminister entschieden dagegen erklären müssen.
Die Minister Graf Wickenburg und Baron Mecséry bestätigten das Vorhandensein des Dringens auf die Ministerverantwortlichkeit, von der man sich || S. 386 PDF || aber keineswegs eine klare Vorstellung zu machen vermag. Der Minister des Äußern warnte davor, daß die Regierung sich etwas durch die Drohung der Budgetzurückweisung von einem Hause des Reichsrates abtrotzen lasse. Jeder Faktor der Gesetzgebung muß streng in seinen verfassungsmäßigen Schranken erhalten werden. In England, wo der Parlamentarismus seit Jahrhunderten einheimisch ist, würde es niemandem einfallen, die Votierung des Budgets an Bedingungen knüpfen zu wollen. cEs würde ein Mitglied, welches einen ähnlichen Antrag zu stellen versuche, sich der allgemeinen Mißbilligung des Parlamentes aussetzen. Die Abgeordneten seien berufen, sich darüber auszusprechen, ob sie eine von der Regierung beantragte Ausgabe für notwendig halten oder nicht. Im ersten Falle hätten sie dieselbe zu bewilligen, im zweiten ihr negatives Votum einzulegen. Bedingungen an die Bewilligung zu knüpfen, würde einer Pflichtverletzung gleichkommen, weil ihre Pflicht es erheische, daß, wenn die Ausgabe nötig, sie auch bewilligt, wenn überflüssig aber verworfen werdec . Graf Rechberg müsse daher lebhaft wünschen, daß die vom Staatsminister angedeutete Erklärung in einer Weise abgegeben werde, daß sie nicht als vom Hause abgetrotzt erscheine6.
Von Seite der übrigen Stimmführer wurde gegen die Anträge des Staatsministers keine Erinnerung erhoben7.
Wien, 4. April 1862. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 12. April 1862. Empfangen 12. April 1862, Erzherzog Rainer.