Nr. 165 Ministerrat, Wien, 7. Dezember 1861 — Protokoll I - Retrodigitalisat (PDF)
- ℹ️ anwesend:
- RS.Reinschrift; P.Protokoll Ransonnet; VS.Vorsitz Erzherzog Rainer; BdE.Bestätigung der Einsicht und anw.anwesend (Erzherzog Rainer 8. 12.), Rechberg, Mecséry 8. 12., Nádasdy 8. 12., Degenfeld 9. 12., Schmerling, Lasser, Plener, Wickenburg, Lichtenfels, Esterházy, Geringer; abw.abwesend Forgách, Pratobevera; BdR.Bestätigung des Rückempfangs Erzherzog Rainer 14. 12.
MRZ. 967 – KZ. 3973 –
Protokoll I des zu Wien am 7. Dezember 1861 abgehaltenen Ministerrates unter dem Vorsitze Sr. kaiserlichen Hoheit des durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Rainer.
I. Zusammensetzung und Wahlordnung der Munizipalvertretungen in den Komitaten, Distrikten und Szeklerstühlen Siebenbürgens
Minister Graf Nádasdy referierte über den anverwahrten, von ihm infolge Ah. Auftrages vom 27. v. M.1 verfaßten „Entwurf der Zusammensetzung und Wahlordnung der Munizipalvertretungen in den Komitaten, Distrikten und Szeklerstühlen || S. 95 PDF || des Großfürstentumes Siebenbürgen“a . Der Minister begleitete die von ihm vorgelesenen einzelnen Artikel mit den nötigen Aufklärungen und Motiven und begründete zugleich einige vom Grafen Nádasdy selbst bei Revision des lithographierten Entwurfs notwendig befundene Modifikationen, welche nachträglich vorgenommen worden sind. Es ergaben sich Erinnerungen nur bei folgenden Bestimmungen.
§ 7 setzt fest, daß in allen Ausschüssen der einzelnen Komitate, Distrikte und Szeklerstühle je zwei von den bezüglichen Handelskammern gewählte Vertreter der Gewerbe, der Industrie und des Handels ihren Platz finden werden. Der Handelsminister erklärte sich mit diesen Bestimmungen völlig einverstanden und glaubte, es werde den Handelskammern auch nicht an geeigneten Persönlichkeiten zu den Vertretern fehlen, nachdem die Klausenburger Handelskammer 414 wahlberechtigte Handels- und 4000 wahlberechtigte Gewerbsleute in ihrem Sprengel zählt, und jener der Kronstädter Kammer noch weit mehr — nämlich 481 Handelsund 11.000 Gewerbsleute — in sich begreift. Staatsrat Baron Geringer äußerte, daß, nachdem die besondere Vertretung der Handelskammern in jedem Ausschusse bereits dem Grundsatze nach die Ah. Sanktion erhalten hat2, er sich darauf beschränken müsse, auf die Schwierigkeiten der Durchführung dieses Grundsatzes im Sprengel der Kronstädter Handelskammer hinzudeuten, welche darin liegen, daß diese ihrer Zusammensetzung nach vorwiegend sächsische Körperschaft ein Wahlrecht in ungarischen, Szekler und rumänischen Jurisdiktionen zur Geltung bringen soll, was von Seite dieser Munizipalitäten umso weniger bereitwillig anerkannt werden dürfte, als die besondere Vertretung der Industrie und des Handels in einer Komitatskongregation als eine in Ungarn und Siebenbürgen gleich unbekannte Neuerung erscheint. Abgesehen ferner von der Schwierigkeit, außerhalb der königlichen Freistädte und Taxalorte, welche hier außer Frage kommen, während sie doch die Hauptsitze der Gewerbs- und Handelstätigkeit sind, die geeigneten Persönlichkeiten für diese Vertretung zu finden, müsse Baron Geringer auch erinnern, daß die meisten Industriellen dieses Bezirks mit ihren Beiträgen zur Erhaltung der Handelskammer im Rückstande sind und dadurch ihre Ansprüche auf Wählbarkeit als entfallen zu betrachten sind. Minister Graf Nádasdy erwiderte, er lege einen großen Wert darauf, daß in jedem Ausschusse selbständige Vertreter der Handelskammern als Gegengewicht gegen andere Elemente ihren Platz finden. Die Sache sei auch bereits bam 27. v. M.b in diesem Sinne Allerhöchstenorts entschieden worden.
Zu §§ 7 und 19. Staatsrat Baron Geringer bedauerte, daß nach dem vorliegenden Entwurfe die freien Städte und Taxalorte das ihnen nach den früheren Gesetzen, welche jede königliche Freistadt dem einzelnen Edelmann gleichstellen, zustehende Recht der Teilnahme an den Kongregationen schwer vermissen werden, während in den Ausschüssen doch manche Angelegenheiten verhandelt werden, || S. 96 PDF || bei denen sich die städtischen und Komitatsinteressen vielfach berühren, [daß] manche königlichen Freistädte überdies in die Kategorie der großen Grundbesitzer zu zählen sind, endlich [daß] auch für die Regierung die Vertretung des städtischen Elementes in den Ausschüssen von Wichtigkeit sein muß. Minister Graf Esterházy trat dieser Meinung bei, zu welcher sich auch Freiherr v. Lichtenfels neigen würde, wenn die Frage noch eine offene wäre. Minister Graf Nádasdy erwiderte, daß ihn bei seinem au. genehmigten Antrage auf Ausschließung der freien Städte und Taxalorte von der Vertretung in den Ausschüssen hauptsächlich die Besorgnis geleitet habe, die Ausschüsse könnten sich — sobald die Städte darin vertreten werden — für berechtigt halten, auch überc städtische Angelegenheiten zu entscheiden, während dieselben von der Jurisdiktion der Ausschüsse exemt bleiben sollen. Übergriffen dieser Art von Seite einer Majorität in den Ausschüssen müsse vorgebeugt und jeder Vorwand dazu genommen werden.
Zu § 23 referierte Minister Graf Nádasdy, [daß] die Bestimmung, daß jedes Ausschußmitglied österreichischer Staatsbürger sein müsse, bei den Beratungen in der siebenbürgischen Hofkanzlei in formaler Beziehung zu Meinungsverschiedenheiten den Anlaß gegeben habe. Der Ausdruck „geborener Siebenbürger“ würde zu eng sein, während der obige zu weit erscheinen dürfte. Der Polizeiminister glaubte, das Wort „heimatsberechtigt“ dürfte den Gedanken besser präzisieren. Staatsrat Baron Geringer bemerkte, daß die siebenbürgischen Gesetze zwischen „Landesangehörigen“ und „Fremden“ (advena) unterscheiden, und es angezeigt sein dürfte, auf diese altherkömmliche Terminologie Rücksicht zu nehmen. Der Minister Graf Nádasdy entschied sich sonach für den Ausdruck „siebenbürgische Angehörigkeit“, wogegen von keiner Seite etwas erinnert wurde.
Was den Wahlmodus in den Landgemeinden betrifft (§27), würde Staatsrat Baron Geringer der älteren Gepflogenheit, welche auch mit der 1860 in den Landtagswahlordnungen vorgeschriebenen Modalität übereinstimmt, den Vorzug gegeben habe, wonach der Ortsrichter mit einem ad hoc im Ausschusse gewählten Ausschußmann die Wahlmänner einer Gemeinde bilden. Dadurch würde der Vornahme eigener Wahlen in allen Gemeinden ausgewichen. Minister Graf Nádasdy las die bezügliche Stelle seines au. Vortrags vom 26. v. M., wonach die Wahlmänner in jeder Gemeinde durch den Ortsrichter — somit ohne Urwahl — gewählt werden und der Richter sich allenfalls auch selbst wählen könnte.
Gegen den übrigen Inhalt des amendierten Entwurfs fand der Ministerrat nichts zu erinnern3.
|| S. 97 PDF || Über den weiteren Beratungsgegenstand, die Wahl des Olmützer Domizellars Baron Bartenstein und die Vorrückung des Grafen Belrupt zum Olmützer Domherrn wird ein besonderes Protokoll verfaßt4.
Wien, 8. Dezember 1861. Erzherzog Rainer.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Franz Joseph. Wien, am 14. Dezember 1861. Empfangen 14. Dezember 1861. Erzherzog Rainer.